Hessischer VGH, Beschluss vom 12.11.2020 - 8 B 2765/20.N
Fundstelle
openJur 2020, 77965
  • Rkr:
Gründe

I.

Randnummer1Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zur vorläufigen Außerkraftsetzung der im Tenor genannten Regelungen in §§ 1, 2 und 3 der Verordnung zur Bekämpfung des Coronavirus vom 13. März 2020, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 19. Oktober 2020 (GVBL. S. 726) - CoronaVO HE -.

Randnummer2Die wesentlichen für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Regelungen der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus haben folgenden Wortlaut:

§ 1Absonderung für Ein- und Rückreisende; Beobachtung

(1) Personen, die auf dem Land-, See-, oder Luftweg aus dem Ausland in das Land Hessen einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor Einreise in einem Risikogebiet im Sinne des Abs. 5 aufgehalten haben, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Häuslichkeit oder in eine andere eine Absonderung ermöglichende Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von zehn Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern; dies gilt auch für Personen, die zunächst in ein anderes Land der Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Den in Satz 1 genannten Personen ist es in diesem Zeitraum nicht gestattet, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht ihrem Hausstand angehören.

(2) Die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen sind verpflichtet, das für den Ort der eigenen Häuslichkeit oder der anderen eine Absonderung ermöglichenden Unterkunft zuständige Gesundheitsamt zu kontaktieren und auf das Vorliegen der Verpflichtung nach Abs. 1 Satz 1 hinzuweisen. Die Verpflichtung nach Satz 1 ist zu erfüllen

1. durch eine digitale Einreiseanmeldung unter https://www.einreiseanmeldung.de, indem die Daten nach Abschnitt I Nr. 1 Satz 1 der Anordnungen betreffend den Reiseverkehr nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag vom 29. September 2020 (BAnz AT 29.09.2020 B2) in der jeweils geltenden Fassung vollständig übermittelt und die erhaltene Bestätigung der erfolgreichen digitalen Einreiseanmeldung bei der Einreise mit sich geführt und auf Aufforderung dem Beförderer, im Fall des Abschnitt I Nr. 1 Satz 5 dieser Anordnungen der mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde, vorgelegt wird oder

2. soweit in Ausnahmefällen eine Meldung nach Nr. 1 nicht möglich war, durch die Abgabe einer schriftlichen Ersatzanmeldung nach dem Muster der Anlage 2 der Anordnungen betreffend den Reiseverkehr nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag (Aussteigekarte) an den Beförderer, im Falle von Abschnitt I Nr. 1 Satz 5 dieser Anordnungen an die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörde, oder

3. soweit in Ausnahmefällen eine Meldung nach Nr. 1 und 2 nicht möglich war, durch die unverzügliche Übermittlung einer Ersatzanmeldung in Schrift- oder Textform (Aussteigekarte) an das zuständige Gesundheitsamt.

(3) Die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen sind ferner verpflichtet, das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu informieren, wenn typische Symptome einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus wie Fieber, trockener Husten (nicht durch chronische Erkrankungen verursacht), Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns, innerhalb von zehn Tagen nach der Einreise bei ihnen auftreten.

(4) Für die Zeit der Absonderung unterliegen die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen der Beobachtung durch das zuständige Gesundheitsamt.

(5) Risikogebiet im Sinne des Abs. 1 Satz 1 ist ein Staat oder eine Region außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für den oder die zum Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus besteht. Die Einstufung als Risikogebiet erfolgt durch Entscheidung des Bundesministeriums für Gesundheit, des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und wird mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung durch das Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/covid-19-risikogebiete wirksam.

§ 2Ausnahmen

(1) Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind Personen, die nur zur Durchreise in das Land Hessen einreisen; diese haben das Gebiet Hessens auf dem schnellsten Weg zu verlassen, um die Durchreise abzuschließen.

(2) Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind,

1. Personen, die sich im Rahmen des Grenzverkehrs mit Nachbarstaaten weniger als 24 Stunden in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 aufgehalten haben oder für bis zu 24 Stunden in das Land Hessen einreisen,

2. bei Aufenthalten von weniger als 72 Stunden Personen, die zum Besuch von Verwandten ersten Grades, des nicht dem gleichen Hausstand angehörigen Ehegatten oder Lebensgefährten oder zur Ausübung eines geteilten Sorgerechts oder eines Umgangsrechts einreisen,

3. bei Aufenthalten von weniger als 72 Stunden in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 und Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte

a) Personen, deren Tätigkeit für die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens dringend erforderlich und unabdingbar ist, und dies durch den Dienstherrn, Arbeitgeber oder Auftraggeber bescheinigt wird,

b) Personen, die beruflich bedingt grenzüberschreitend Personen, Waren oder Güter auf der Straße, der Schiene, per Schiff oder per Flugzeug transportieren,

c) hochrangige Mitglieder des diplomatischen und konsularischen Dienstes, von Volksvertretungen und Regierungen, oder

d) Personen, die sich zwingend notwendig und unaufschiebbar beruflich veranlasst, wegen ihrer Ausbildung oder ihres Studiums in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 aufgehalten haben; die zwingende Notwendigkeit ist durch den Arbeitgeber, Auftraggeber oder die Bildungseinrichtung zu bescheinigen,

4. bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte Personen,

a) die in Hessen ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder Ausbildung an ihre Berufsausübungs-, Studien- oder Ausbildungsstätte in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzpendler), oder

b) die in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder ihrer Ausbildung nach Hessen begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzgänger);

die zwingende Notwendigkeit sowie die Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte sind durch den Arbeitgeber, Auftraggeber oder die Bildungseinrichtung zu bescheinigen.

(3) Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind,

1. Personen, deren Tätigkeit für die Aufrechterhaltung

a) der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens, insbesondere Ärzte, Pflegekräfte, unterstützendes medizinisches Personal und 24-Stunden- Betreuungskräfte,

b) der öffentlichen Sicherheit und Ordnung,

c) der Pflege diplomatischer und konsularischer Beziehungen,

d) der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege,

e) der Funktionsfähigkeit von Volksvertretung, Regierung und Verwaltung des Bundes, der Länder und der Kommunen, oder

f) der Funktionsfähigkeit der Organe der Europäischen Union und von internationalen Organisationen

unabdingbar ist; die zwingende Notwendigkeit ist durch den Dienstherrn, Arbeitgeber oder Auftraggeber zu bescheinigen,

2. Personen, die nach Hessen einreisen

a) zum Besuch von Verwandten ersten oder zweiten Grades, des nicht dem gleichen Hausstand angehörigen Ehegatten oder Lebensgefährten oder zur Ausübung eines geteilten Sorgerechts oder eines Umgangsrechts,

b) zum Zwecke einer dringenden medizinischen Behandlung oder

c) zur Erfüllung der Aufgaben eines Beistands oder zur Pflege schutz-, beziehungsweise hilfebedürftiger Personen,

3. Polizeivollzugsbeamte, die aus dem Einsatz und aus einsatzgleichen Verpflichtungen aus dem Ausland zurückkehren oder ausländische Polizeivollzugsbeamte und Justizvollzugsbeamte, die zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben einreisen,

4. Personen, die sich für bis zu fünf Tage zwingend notwendig und unaufschiebbar beruflich veranlasst, wegen ihrer Ausbildung oder ihres Studiums in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 aufgehalten haben oder dafür in das Land Hessen einreisen; die zwingende Notwendigkeit ist durch den Arbeitgeber, Auftraggeber oder die Bildungseinrichtung zu bescheinigen,

5. Personen, die zur Vorbereitung, Teilnahme, Durchführung und Nachbereitung internationaler Sportveranstaltungen durch das jeweilige Organisationskomitee akkreditiert werden oder von einem Bundessportfachverband zur Teilnahme an Trainings- und Lehrgangsmaßnahmen eingeladen sind, oder

6. Personen, die als Urlaubsrückkehrer aus einem Risikogebiet im Sinne des § 1 Abs. 5 zurückreisen, sofern

a) auf Grundlage einer Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der jeweiligen nationalen Regierung vor Ort besondere epidemiologische Vorkehrungen (Schutz- und Hygienekonzept) für einen Urlaub in diesem Risikogebiet getroffen wurden (siehe Internetseiten des Auswärtigen Amtes sowie des Robert Koch-Instituts),

b) die Infektionslage in dem jeweiligen Risikogebiet der Nichterfüllung der Verpflichtung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht entgegensteht und

c) das Auswärtige Amt nicht wegen eines erhöhten Infektionsrisikos eine Reisewarnung unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/-reise-und-sicherheitshinweise für die betroffene Region ausgesprochen hat,

Satz 1 gilt nur, soweit die Personen über ein negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus auf Papier oder in einem elektronischen Dokument in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfügen und sie dieses innerhalb von zehn Tagen nach der Einreise dem zuständigen Gesundheitsamt auf Verlangen unverzüglich vorlegen. Der dem Testergebnis nach Satz 2 zu Grunde liegende Test muss die Anforderungen des Robert Koch-Instituts, die im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/covid-19-tests veröffentlicht sind, erfüllen und muss entweder frühestens 48 Stunden vor Einreise oder unverzüglich bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden sein. Das Testergebnis nach Satz 2 ist für mindestens zehn Tage nach Einreise aufzubewahren.

(4) Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind

1. Personen nach § 54a Infektionsschutzgesetz,

2. Angehörige ausländischer Streitkräfte im Sinne des NATO-Truppenstatuts, des Truppenstatuts der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP Truppenstatut) und des Truppenstatuts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Truppenstatut), die zu dienstlichen Zwecken nach Deutschland einreisen oder dorthin zurückkehren oder

3. Personen, die zur gemeinschaftlichen Arbeitsaufnahme von mehr als fünf Personen und für mehr als 72 Stunden einreisen, wenn durch den Arbeits- oder Auftraggeber in der Unterkunft und bei Ausübung der Tätigkeit in den ersten zehn Tagen nach ihrer Einreise gruppenbezogen betriebliche Hygienemaßnahmen und Vorkehrungen zur Kontaktvermeidung außerhalb der Arbeitsgruppe ergriffen werden, die einer Absonderung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 vergleichbar sind; das Verlassen der Unterkunft ist nur zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit gestattet.

Der Arbeitgeber oder Auftraggeber von Personen nach Satz 1 Nr. 3 ist zur Anzeige der Einreise verpflichtet. Die Anzeige hat unter Verwendung des in der Anlage wiedergegebenen Vordrucks vor Einreise bei dem für den Beschäftigungsort zuständigen Gesundheitsamt zu erfolgen.

(5) In begründeten Fällen kann das zuständige Gesundheitsamt auf Antrag weitere Ausnahmen bei Vorliegen eines triftigen Grundes erteilen.

(6) Die Abs. 1 bis 5 gelten nur, soweit die dort bezeichneten Personen keine typischen Symptome einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus wie Fieber, trockener Husten (nicht durch chronische Erkrankungen verursacht), Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns, aufweisen. Die in Abs. 2 bis 5 bezeichneten Personen haben das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu informieren, wenn binnen zehn Tagen nach Einreise typische Symptome einer Infektion mit dem SARS CoV-2-Virus wie Fieber, trockener Husten (nicht durch chronische Erkrankungen verursacht), Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns, auftreten.

(7) Personen nach den Abs. 2 und 3, die in Einrichtungen nach § 23 Abs. 3 oder § 36 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 des Infektionsschutzgesetzes tätig sind, müssen bis zum zehnten Tag nach ihrer Einreise während dieser Tätigkeit persönliche Schutzausstattung nach den jeweiligen Kriterien des Robert Koch-Instituts zur Vermeidung des Weitertragens von Infektionen mit SARS-CoV-2 tragen. Die Schutzausstattung darf nur abgesetzt werden, wenn ein Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Personen eingehalten wird. Die erstmalige Aufnahme der Tätigkeit nach Einreise ist durch die Einrichtungsleitung dem zuständigen Gesundheitsamt anzuzeigen.

§ 3Verkürzung der Absonderungsdauer

(1) Die Absonderung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 endet frühestens ab dem fünften Tag nach der Einreise, wenn eine Person über ein negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit SARS-CoV-2-Virus auf Papier oder in einem elektronischen Dokument in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfügt und sie dieses innerhalb von zehn Tagen nach der Einreise dem zuständigen Gesundheitsamt auf Verlangen unverzüglich vorlegt.

(2) Die zu Grunde liegende Testung muss mindestens fünf Tage nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden sein. Der zu Grunde liegende Test muss die Anforderungen des Robert Koch-Instituts, die im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/covid-19-tests veröffentlicht sind, erfüllen.

(3) Die Person muss das Testergebnis für mindestens zehn Tage nach Einreise aufbewahren.

(4) Die Absonderung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 wird für die Dauer, die zur Durchführung eines Tests nach Abs. 1 erforderlich ist, ausgesetzt.

(5) Personen mit verkürzter Absonderungsdauer nach Abs. 1 haben das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu informieren, wenn binnen zehn Tagen nach Einreise typische Symptome einer Infektion mit dem SARS CoV-2-Virus wie Fieber, trockener Husten (nicht durch chronische Erkrankungen verursacht), Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns auftreten.

(6) Die Abs. 1 bis 5 gelten für die Personen, die unter § 2 Abs. 4 Nr. 3 fallen, entsprechend.

......

§ 6Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Sie tritt mit Ablauf des 31. Januar 2021 außer Kraft.

Randnummer3Die Antragstellerin wendet sich gegen die Vorschriften über die Absonderung von Urlaubsrückkehrern. Sie verbringt seit dem 31. Oktober 2020 in Spanien in der Provinz Andalusien ihren Urlaub und wird am 13. November ihren Rückflug am Flughafen Malaga antreten und auf dem Flughafen Frankfurt/Main landen. Sie hält die angegriffenen Bestimmungen für mit den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG unvereinbar, rügt eine fehlende Ermächtigungsgrundlage und die Verletzung in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Antragsschrift und die weitere Begründung vom heutigen Tag.

Randnummer4Die Antragstellerin beantragt,

§ 1 Abs. 1 bis 4 sowie § 3 der Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig außer Vollzug zu setzen, sowie

hilfsweise, § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 i.V.m. § 1 Abs.1 vorläufig - unbeschadet der Sätze 2 bis 4 - in der Hauptsache vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit die Regelung auf die dort benannten Personengruppen begrenzt ist und nicht alle Normadressaten unabhängig von Berufszugehörigkeit, Einreisegrund sowie Reiserückkehrland umfasst.

Randnummer5Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen

und verteidigt die streitgegenständlichen Regelungen. Die angegriffenen Bestimmungen der CoronaVO HE begegneten keinen rechtlichen Bedenken, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten erscheinen ließen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Antragserwiderung vom 10. November 2020.

II.

Randnummer6Der Senat entscheidet über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO in der Besetzung von drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz VwGO i. V. m § 17 Abs. 2 HessAGVwGO).

Randnummer7Der Antrag ist zulässig (dazu A.), jedoch nicht begründet. Die aktuelle Fassung der angegriffenen Verordnung lässt die vorläufige Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen nicht dringend geboten erscheinen (dazu B.).

Randnummer8A. Der Antrag ist zulässig.

Randnummer9Er ist statthaft, weil die Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 13. März 2020 als eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift i. S. d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 15 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (Hess-AGVwGO) statthafter Gegenstand einer Normenkontrolle vor dem Oberverwaltungsgericht sein kann. Dabei legt der Senat seiner Prüfung die angegriffene Bestimmung in ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden aktuellen Fassung vom 19. Oktober 2020 (GVBl. S. 726) zugrunde.

Randnummer10Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Sie kann geltend machen, unmittelbar durch § 1 Abs. 1 CoronaVV HE in ihrem Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit verletzt zu werden. Die in § 2 Abs. 5 CoronaVV HE den Gesundheitsämtern eingeräumte Möglichkeit, in begründeten Fällen auf Antrag weitere Ausnahmen (über die in § 2 Abs. 1 bis 4 geregelten Ausnahmen hinaus) bei Vorliegen eines triftigen Grundes zu erteilen, lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen. Das Begehren der Antragstellerin ist gerade darauf gerichtet, diejenigen Bestimmungen vorläufig außer Vollzug zu setzen, die den "normalen", nicht durch Besonderheiten geprägten Wiedereinreisefall regeln.

Randnummer11Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Der Zulässigkeit des Antrags steht insbesondere nicht entgegen, dass die Antragstellerin - soweit ersichtlich - bislang in der Hauptsache noch keinen Normenkontrollantrag gestellt hat. Denn ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO kann auch isoliert, das heißt vor Stellung des Normenkontrollantrages, angebracht werden, solange der Antrag in der Hauptsache in zulässiger Weise noch gestellt werden kann (vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Juli 2008 - 1 MN 7/08 -, juris Rdnr. 39).

Randnummer12

Randnummer13

B. Der auf eine vorläufige Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelungen der CoronaVO HE gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Anordnung liegen nicht vor.

1. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rdnr. 12; st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur Beschluss vom 8. April 2020 - 8 B 892/20.N -, juris Rdnr. 29). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.Randnummer14Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung ‒ trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ‒ dringend geboten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. April 2020 - 8 B 892/20 -, juris Rdnr. 56 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 ‒ BVerwG 4 VR 5.14 ‒ juris Rdnr. 12).

Randnummer152. Nach diesen Maßstäben kommt eine vorläufige Außervollzugsetzung der mit Haupt- und Hilfsantrag angegriffenen Normen nicht in Betracht. Es kann offen bleiben, ob die CoronaVO sich insofern als voraussichtlich rechtmäßig darstellt (a). Jedenfalls eine Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass sich der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung nicht als dringend geboten erweist (b).

Randnummer16a) Die Erfolgsaussichten sind hinsichtlich des Haupt- und des Hilfsantrages offen. Der Senat hat zu den hier streitgegenständlichen Regelungen über eine Absonderung nach Wiedereinreise bislang noch nicht zu entscheiden gehabt. Die übrige obergerichtliche Rechtsprechung ist uneinheitlich. So hält das OVG Lüneburg (Beschluss vom 29. Oktober 2020 - 13 MN 396/20 -, juris) die Quarantäneregelungen für Auslandsreisende der entsprechenden niedersächsischen Verordnung für materiell rechtmäßig. Das OVG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 30.10.2020 - 3 MR 51/20 -, juris) führt aus, es könne eine voraussichtliche Rechtmäßigkeit der dortigen Corona-QuarantäneVO angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht hinreichend sicher feststellen, und legt a.a.O. unter RN 14 die unterschiedlichen Auffassungen der Obergerichte dar, unter welchen Voraussetzungen bei einer Einreise aus einem vom Robert-Koch-Institut als internationalem Risikogebiet ausgewiesenem Land anzunehmen ist, dass eine Person ansteckungsverdächtig im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG ist. Auch das BVerfG hat die Erfolgsaussichten eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die in der Hamburger CoronaVV 2 enthaltenen Quarantänebestimmungen als offen angesehen (Beschluss vom 18.06.2020 - 1 BvQ 69/20 -, juris).

Randnummer17b) Bei der damit vorzunehmenden Abwägung ist in Rechnung zu stellen, ob der Antragstellerin unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr in der Lage wäre. Droht im Falle der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung von Grundrechten, die durch eine dem Antrag stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte, ist diesem Umstand ein hohes Gewicht beizumessen, dem nur der Schutz herausragend wichtiger Rechtsgüter entgegengesetzt werden kann. Bei dieser Interessenabwägung ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen als wahr zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, soweit das jeweilige Vorbringen ausreichend substantiiert und die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist (st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur Beschluss vom 8. April 2020 - 8 B 892/20.N -, juris Rdnr. 56).

Randnummer18Davon ausgehend muss hier das grundrechtlich geschützte Interesse der Antragstellerin an einer von Beschränkungen freien Reisetätigkeit zurückstehen. Insoweit überwiegt das auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestützte öffentliche Interesse am Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung vor der weiteren Ausbreitung der hochansteckenden Viruskrankheit und insbesondere am Schutz der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens in Deutschland, des in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen tätigen Personals vor einer akuten Überlastung sowie der weitgehenden Offenhaltung von Schulen und Geschäften. Die Gewährleistung der trotz der derzeit herrschenden Corona-Pandemie bestmöglichen Krankenversorgung stellt ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar, für dessen Schutz der Staat von Verfassungswegen auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG zu sorgen hat (vgl. ebenso Hess. VGH, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 B 925/20 - m. w. N.).

Randnummer19Die von der Antragstellerin angegriffenen Regelungen beinhalten Vorgaben für Reiserückkehrer. § 1 Abs. 1 CoronaVV HE enthält die Anordnung der Absonderungspflicht für aus dem Ausland nach Hessen einreisende Personen, die sich vor der Einreise in einem Risikogebiet i.S. des Abs. 5 der Norm aufgehalten haben. Eine derartige Anordnung lässt sich zwar in einem später eventuell erfolgreichen Hauptsacheverfahren nicht rückgängig machen, sie beinhaltet aber auch keine unzumutbaren Nachteile für die Betroffenen. So kann eine Absonderung nach § 1 Abs. 1, 2. HS CoronaVV HE auch in der eigenen Häuslichkeit verbracht werden und die Dauer der Absonderung kann ab dem fünften Tag nach Einreise durch Vorlage eines negativen Testergebnisses beendet werden, § 3 Abs. 1 CoronaVV HE.

Randnummer20(1) Zudem sind die von der Antragstellerin vorgetragenen Tatsachen ungeeignet, eine Unzumutbarkeit der Absonderung anzunehmen. Soweit sie darauf verweist, bereits am Sonntag, dem 15. November 2020 ihre Arbeit am Frankfurter Flughafen nachgehen zu müssen, hat dies nicht die Unzumutbarkeit der Absonderung zur Folge. Ihr war bereits bei Reisebeginn am 31. Oktober 2020 bekannt, dass sie sich nach Wiedereinreise in Absonderung zu begeben hat. So wie sie bereits vor Ausreise ihre Bevollmächtigte mandatiert hat, hatte sie daher auch Gelegenheit, mit ihrem Arbeitgeber Urlaubs- oder Überstundenabbau für die Dauer der zu erwartenden Absonderung zu vereinbaren, um so deren Folgen zu begrenzen. Bei der Bewertung des Interesses der Antragstellerin an der vorläufigen Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen ist zu ihren Lasten auch zu berücksichtigen, dass die Urlaubsreise zwar nach inländischem Recht gestattet war, da derzeit kein vollständiger Lockdown verordnet ist, sie sich aber über das bereits bei ihrer Einreise nach Andalusien gültige Einreiseverbot hinweggesetzt hat. Die andalusische Regionalregierung hat das zur Eindämmung der Coronapandemie seit dem 30. Oktober 2020 bestehende Ein- und Ausreiseverbot mittlerweile bis zum 24. November 2020 verlängert. Für eine Einreise müssen nach der dortigen Regelung triftige Gründe vorliegen, zu denen touristische Reisewünsche nicht zählen (auswärtiges-amt.de, Spanien: Reise- und Sicherheitshinweise). Die Antragstellerin hat daher bereits bei Einreise nach Spanien damit rechnen müssen, dass die Ausreise möglicherweise nicht wie geplant stattfinden kann und war daher auch aus diesem Grund gehalten, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass sie nicht zum geplanten Termin ungehindert ihren Alltag wird fortsetzen können.

Randnummer21Ihre eigene und die Versorgung ihrer bei ihr lebenden Mutter kann die Antragstellerin trotz Absonderung sicherstellen. So bieten eine Vielzahl von Supermärkten und Gaststätten einen Lieferservice an. Möglicherweise kann auch ihr Bruder ihr bei der Versorgung mit notwendigen Gütern zur Seite stehen.

Randnummer22(2) Dem Interesse der Antragstellerin, sich der Absonderung nicht unterziehen zu müssen, stehen die Interessen der Allgemeinheit an einem möglichst wirksamen Schutz von Leib und Leben und dem öffentlichen Gesundheitssystem gegenüber. Nachdem sich die Situation über den Sommer entspannt hatte, ist jetzt im Herbst ein drastisches Ansteigen der Infektionen zu verzeichnen. Das Robert-Koch-Institut meldet Stand heute 21.866 Neuinfizierte und 215 Todesfälle (rki dashboard). Die 7-Tage-Inzidenz u.a. für Hessen liegt mit 174,3 deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt. Das Robert-Koch -Institut führt in seiner Risikobewertung Stand 12.11.2020 aus: "Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit und in angrenzenden Ländern Europas nimmt die Anzahl der Fälle rasant zu. Seit Ende August (KW 35) werden wieder vermehrt Übertragungen in Deutschland beobachtet.... Die Belastung des Gesundheitssystems hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (z.B. Isolierung, Quarantäne, physische Distanzierung) ab. Sie ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands bereits angespannt und kann sehr schnell weiter zunehmen, so dass das öffentliche Gesundheitswesen, aber auch die Einrichtungen für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung örtlich stark belastet werden."

Randnummer23Erginge die einstweilige Anordnung, obwohl einem Hauptsacheverfahren der Erfolg versagt bliebe, könnte sich die Antragstellerin trotz Aufenthalts im Ausland ungehindert in der Öffentlichkeit bewegen. Dass sie dies auch anstrebt, zeigt der Vortrag, dass sie sich sofort nach Rückkehr an ihren Arbeitsplatz begeben und sogar die sechs Wochen zuvor entbundene Schwägerin, die noch dazu durch einen Kaiserschnitt geschwächt ist, versorgen möchte und damit sie und ihre Arbeitskollegen einem Infektionsrisiko aussetzen würde. Sofern bei ihr eine Infektion mit dem Coronavirus vorläge, wäre damit das Risiko verbunden, dass es sich möglicherweise unentdeckt und schwer kontrollierbar weiterverbreitet, womit entsprechende gesundheitliche Gefahren für die Gesamtbevölkerung im allgemeinen und ihre besonders schutzbedürftige Schwägerin im Besonderen verbunden sein können (BVerfG a.a.O.).

Randnummer24C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Randnummer25Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Dabei geht der Senat angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin mit ihrem Eilantrag nicht nur eine für sich selbst günstige Regelung erstreiten will, sondern die Anwendung der Norm für ganz Hessen außer Vollzug gesetzt sehen möchte, vom doppelten Auffangwert aus und verzichtet angesichts der mit dem Antrag verfolgten Vorwegnahme der Hauptsache auf eine Reduzierung (vgl. dazu Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen [abgedruckt in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, Anhang zu § 164 Rdnr. 14]).

Randnummer26Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

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