Niedersächsischer StGH, Urteil vom 24.11.2020 - 6/19
Fundstelle
openJur 2020, 77853
  • Rkr:

1. Politische Parteien im Sinne des Art. 21 GG, die bzw. deren Untergliederungen auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen tätig sind, können „andere Beteiligte" im Sinne des Art. 54 Nr. 1 NV, § 8 Nr. 6 NStGHG sein, wenn und soweit sie um Rechte kämpfen, die sich aus ihrem verfassungsrechtlichen Status ergeben.

2. Dass das Bundesverfassungsgericht als Ergebnis des zweiten NPD-Verbotsverfahrens die NPD zwar nicht verboten, aber festgestellt hat, dass sie mit ihren Zielen die Grundprinzipien missachtet, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind, hindert die NPD nicht daran, sich auf den Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG berufen zu können.

3. Der auch in Niedersachsen als unmittelbares Verfassungsrecht geltende und damit zu den Prüfungsmaßstäben des Staatsgerichtshofs zählende Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht aller auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen wirkenden Regierungs- und Oppositionsparteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit. Im Rahmen der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung gelten daher ihnen gegenüber das Neutralitäts- und das Sachlichkeitsgebot.

4. Eine parteiergreifende Äußerung eines Regierungsmitglieds im politischen Meinungskampf verstößt gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Regierungsamt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amtes fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen.

5. Amtsautorität wird auch bei Aktivitäten von Regierungsmitgliedern in sozialen Netzwerken oder beim Einsatz von Mikrobloggingdiensten in Anspruch genommen, wenn diese Aktivitäten unter Nutzeradressen stattfinden, die auf das Amt hinweisen.

6. Aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgt nicht, dass die Landesregierung und ihre Mitglieder gehindert wären, verfassungsfeindliche Bestrebungen politischer Parteien als solche zu bezeichnen und darauf in angemessener Weise zu reagieren.

7. Die Landesregierung und ihre Mitglieder sind insbesondere berechtigt und verpflichtet, das freiheitlich-demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Niedersachsen zu bewahren und die Bevölkerung für demokratiegefährdende Entwicklungen zu sensibilisieren sowie das bürgerschaftliche Engagement hiergegen zu stärken. Das schließt die Befugnis ein, Angriffe auf die Pressefreiheit und die Institution der Freien Presse im Rahmen der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit entschieden zurückzuweisen und die bürgerschaftlichen Kräfte zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundwerte zu ermutigen.

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

Gegenstand des Organstreitverfahrens ist die Frage, ob der Antragsgegner durch verschiedene Tweets auf dem Microbloggingdienst „Twitter“ anlässlich einer Versammlung der Antragstellerin deren Recht auf chancengleiche Teilhabe am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

I.

Die streitgegenständlichen Tweets stehen in Zusammenhang mit einer vom Unterbezirk Braunschweig der Antragstellerin angemeldeten und am 23. November 2019 durchgeführten Aufzugsversammlung in Hannover. Der Aufzug, dessen Route am Funkhaus des Norddeutschen Rundfunks vorbeiführen sollte, stand unter dem Motto „Schluss mit steuerfinanzierter Hetze - C in die Schranken weisen!“. Hintergrund dieses Versammlungsmottos war ein Fernsehinterview, das der freie Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg C zusammen mit anderen Journalisten für das ARD-Politikmagazin „Panorama“ im November 2018 mit dem zwischenzeitlich verstorbenen, zum Zeitpunkt des Interviews 96-jährigen ehemaligen SS-Unterscharführer D in dessen Wohnung geführt hatte. Gegenstand dieses Panorama-Interviews war u.a. die Beteiligung D am Massaker von Ascq, einem Ort wenige Kilometer östlich von Lille. Dieses Massaker war die Reaktion auf einen dort am späten Abend des 1. April 1944 auf dem Bahnhof verübten Sprengstoffanschlag von Partisanen der Résistance auf einen vermeintlichen Eisenbahn-Güterzug. Über die Umstände des Interviews, namentlich die Frage, ob dem Interviewten bewusst war, dass es sich um ein Fernsehinterview handelte, gab es in der Folge Diskussionen unter anderem zwischen der Antragstellerin und dem Norddeutschen Rundfunk. Nach Ausstrahlung des Interviews wurde der Interviewte im Januar 2019 in seinem Wohnhaus, das in der Panorama-Sendung deutlich erkennbar eingeblendet worden war, überfallen und beraubt.

Die Polizeidirektion Hannover bestätigte die Versammlung zunächst mit zahlreichen Auflagen und Hinweisen. Nachdem ihr später bekannt geworden war, dass in den sozialen Medien ein Demonstrationsaufruf mit der Überschrift „Rache für C“ verbreitet worden war, verfügte sie ein unter Sofortvollzug gestelltes umfassendes Verbot der Versammlung. Der von der Antragstellerin dagegen ersuchte Eilrechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Hannover hatte Erfolg (Beschl. v. 22.11.2019 - 10 A 5449/19). Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. November 2019 (11 ME 376/19) zurück. Die Aufzugsversammlung der Antragstellerin fand am 23. November 2019 statt. Zeitgleich fand eine Gegendemonstration des Bündnisses „bunt statt braun“ statt.

II.

Die Entwicklungen um die für den 23. November 2019 angemeldete Versammlung der A in Hannover wurden von Seiten des Antragsgegners im Zeitraum vom 20. bis zum 23. November 2019 mehrfach mit Twitter-Kommentierungen begleitet. Der Antragsgegner verwendete dabei seinen mit einem Header-Bild eingerichteten Twitter-Account als Ministerpräsident („@MpStephanWeil“), der – ausweislich der Account-Beschreibung – „Einblicke in den Alltag des Niedersächsischen Ministerpräsidenten“ geben soll. Daneben verfügt der Antragsgegner über einen weiteren Account (mit anderem Header-Bild) als Privatperson und als Parteipolitiker („@stephanweil“), dieser mit der Account-Beschreibung „Privates und Parteipolitisches von Stephan Weil“.

Streitgegenständlich sind insgesamt fünf Tweets aus zwei verschiedenen Threads mit dem Nutzer-Namen @MpStephanWeil. Am 20. November 2019 postete der Antragsgegner zunächst folgenden Tweet:

13:23 Uhr(1/5) Viel perfider geht es nicht mehr. Die rechtsextreme NPD will am kommenden Wochenende in #Hannover unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit gegen die ebenfalls verfassungsrechtlich garantierte #Pressefreiheit demonstrieren… #Demokratie #gegenrechts

Es folgt ein hochgeladenes Foto einer Text-Bild-Karte. Diese Karte enthält auf der linken Seite folgenden Text:

„Rechtsextreme Hetze gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und gegen die Pressefreiheit sind ein Angriff auf unsere Demokratie. Wichtig ist, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger der rechten Hetze entgegenstellen.“

Darunter befindet sich eine handschriftliche Namensunterschrift (als Scan) sowie darunter gedruckt der Name „Stephan Weil“, darunter wiederum gedruckt der Zusatz „Niedersächsischer Ministerpräsident“. Rechts neben diesem Text zeigt die eingestellte Text-Bild-Karte ein Foto, das den Antragsgegner in Oberkörpergröße mit verschränkten Armen abbildet. Unter dem Foto ist das niedersächsische Landeswappen (weißes Roß im roten Felde) mit dem Niedersachsen-Claim „Niedersachsen.Klar“ zu sehen.

Danach ist der Thread vom 20. November 2019 wie folgt fortgesetzt:

 13:24 Uhr

 (2/5) „Dass dabei auch noch einzelne #Journalisten an den öffentlichen Pranger gestellt werden sollen, ist unerträglich und erinnert an Denunziation aus dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.“ #Solidarität #Zusammenhalt (Dieser Tweet ist nicht streitgegenständlich)

 13:25 Uhr

 (3/5) „Um es laut und deutlich zu sagen: Rechtsextreme #Hetze gegen #Journalistinnen und #Journalisten, gegen den öffentlichen Rundfunk und gegen die #Pressefreiheit sind ein Angriff auf unsere #Demokratie.“ (Dieser Tweet ist nicht streitgegenständlich)

 13:28 Uhr

 (4/5) „Die #Sicherheitsbehörden werden jegliche Aufrufe zur Gewalt unterbinden, auch ein mögliches Verbot der Versammlung wird fortlaufend geprüft.“ #wehrhaftedemokratie (Dieser Tweet ist nicht streitgegenständlich).

 13:29 Uhr

 (5/5) Wichtig ist, dass sich viele #Bürgerinnen und #Bürger der rechten Hetze entgegenstellen und nicht zulassen, dass kritische #Journalistinnen und #Journalisten eingeschüchtert und mundtot gemacht werden sollen.“

Am 23. November 2019 postete der Antragsgegner folgenden weiteren Thread:

 8:29 Uhr

 „(1/4) Es ist für mich, wie wohl für viele andere, nicht leicht zu verdauen, dass das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die NPD Demo in #Hannover erlaubt hat … #demokratie #pressefreiheit #buntstattbraun

 8:30 Uhr

 (2/4) „Die Entscheidung beweist allerdings, dass unsere unabhängige #Justiz die Meinungs- und #Versammlungsfreiheit unabhängig von der jeweiligen Meinung konsequent schützt ...“ (Dieser Tweet ist nicht streitgegenständlich.)

 8:32 Uhr

 (3/4) Ich hoffe, dass diejenigen, die für kritischen #Journalismus, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für die #Pressefreiheit heute unter dem Motto „bunt statt braun“ friedlich auf die Straße gehen, deutlich zeigen werden: Wir sind mehr! … #2311 #wirsindmehr

 8:35 Uhr

 (4/4) Die #Landesregierung wird mit Innenminister @borispistorius dabei sein. Danke allen, die heute ein klares Zeichen für unsere wehrhafte Demokratie setzen werden! #schütztdiepressefreiheit #wehrhaftedemokratie“

III.

Mit Anwaltsschreiben vom 25. November 2019 mahnte die Antragstellerin den Antragsgegner wegen Verstoßes gegen seine Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität ab und forderte ihn unter Fristsetzung zur Entfernung der genannten Tweets vom Twitter-Account @MpStephanWeil auf, sowie dazu zu erklären, dass die Veröffentlichung der Tweets das Recht der Antragstellerin auf chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt habe. Dem kam der Antragsgegner nicht nach.

IV.

Mit am 6. Dezember 2019 zugegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin beim Staatsgerichtshof ein Organstreitverfahren eingeleitet. Sie macht geltend, der Antragsgegner habe sie mit seinen Tweets in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

Der Antrag sei zulässig. Sie sei als „andere Beteiligte“ im Organstreitverfahren beteiligungsfähig, weil sie durch den in die Niedersächsische Verfassung inkorporierten Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG mit eigenen Rechten ausgestattet sei. Aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folge auch ihre Antragsbefugnis. Die über den offiziellen Twitter-Account des Antragsgegners verbreiteten Tweets stellten einen tauglichen Antragsgegenstand dar. Es handele sich um die hoheitliche Maßnahme eines Verfassungsorgans, deren Rechtmäßigkeit sich nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG beurteile.

Der Antrag sei auch begründet. Das Recht der Parteien auf chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess, auf das sich die Antragstellerin trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 (2 BvB 1/13) berufen könne, erfordere von Verfassungsorganen die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität, und zwar fortlaufend, auch jenseits von Wahlkampfzeiten. Mit diesem Gebot sei es grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn Staatsorgane die Ankündigung oder Durchführung einer politischen Kundgebung zum Anlass nähmen, sich unter Missachtung des Neutralitätsgebots einseitig mit der Kundgebung oder mit der diese Kundgebung veranstaltenden Partei auseinanderzusetzen. Erst recht sei es nicht Aufgabe einer Landesregierung, bei einer Gegendemonstration „dabei“ zu sein, weshalb es auch nicht zum Aufgabenbereich des Antragsgegners gehört habe, Teilnahmen von Regierungsmitgliedern an einer solchen Gegendemonstration öffentlich anzukündigen. Hierin liege ein gegenüber der Antragstellerin unzulässiges Sich-zu-eigen-Machen der politischen Positionen der Gegendemonstration.

Nach diesen Maßgaben stünden die gerügten Tweets des Antragsgegners mit geltendem Verfassungsrecht nicht in Einklang. Sie seien über den offiziellen Twitter-Account des Ministerpräsidenten einschließlich der zugehörigen Amtsinsignien wie des Niedersächsischen Landeswappens verbreitet worden, mithin unter Verwendung hoheitlicher Ressourcen, die den übrigen Teilnehmern des politischen Meinungskampfes nicht zur Verfügung stünden. Zudem hätten die Tweets den Eindruck erweckt, als würden der Niedersächsische Innenminister E und der Niedersächsische Ministerpräsident B als Repräsentanten der Landesregierung (und nicht als SPD-Politiker) in amtlicher Eigenschaft an der Gegendemonstration teilnehmen.

Die streitgegenständlichen Tweets stellten folglich keine Meinungsäußerung des Politikers B dar, sondern eine Verletzung des Neutralitätsgebots durch einen Amtsträger. Sofern der Antragsgegner die Tweets als sozialadäquate Teilnahme am öffentlichen Meinungsaustausch ansehe, gehe dies fehl, weil dieser als Teil eines Verfassungsorgans der staatlichen Sphäre zuzuordnen sei und sich daher nicht wie die sonstigen Akteure im politischen Meinungskampf auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen könne. Überdies artikulierten die Tweets Unverständnis für die die Versammlung ermöglichenden gerichtlichen Entscheidungen, hießen den gegen diese Versammlung gerichteten Gegenprotest gut und forderten offen dazu auf, diesen möglichst zahlreich zu unterstützen. Die Antragstellerin werde dabei namentlich erwähnt. In der Summe seien die Tweets daher geeignet gewesen, das Verhalten potentieller Teilnehmer der Versammlung der Antragstellerin negativ zu beeinflussen.

Eine Rechtfertigung über die Befugnis der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit komme nicht in Betracht, da die Tweets jeglichen Bezug zur Arbeit der Landesregierung vermissen ließen. Es handele sich um rein politische Statements abseits irgendeines konkreten Regierungshandels und ohne jeden Informationscharakter. Zudem werde gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, was an der Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit „perfide“ sein bzw. weshalb die Versammlungsfreiheit nur als „Deckmantel“ genutzt worden sein solle. Auch die mit keinerlei Tatsachen untermauerte Wertung, bei der Versammlung werde „rechtsextreme Hetze“ geäußert, stelle typische Polemik im politischen Meinungskampf dar und entspreche daher nicht den Anforderungen, die an eine sachliche und neutrale Information über das Regierungshandeln zu stellen seien.

Darüber hinaus würden unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt, wenn der Antragsgegner behaupte, die Demonstration habe sich gegen die Pressefreiheit gerichtet. Hiermit werde der unwahre Eindruck erweckt, die Antragstellerin wende sich gegen das Institut einer freien Presse und gegen eine unabhängige Berichterstattung. Auf Dritte, die unter dem Motto „Rache für D“ zur Teilnahme an der Versammlung aufgerufen hätten, habe sie keinen Einfluss. Für sie sei maßgeblich gewesen, dass sich die Versammlung gegen die zweifelhaften Methoden des Journalisten C insbesondere beim Zustandekommen des Fernsehinterviews mit D, das nachfolgend zu einer Straftat geführt habe, gerichtet habe sowie gegen die Verpflichtung, eine derartige Pressearbeit von Journalistinnen und Journalisten des öffentlichen Rundfunks mit Zwangsbeiträgen zu finanzieren. Die verzerrende und mit unwahren Tatsachenbehauptungen versehene Kritik des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin spreche gegen die Beachtung des Sachlichkeitsgebots.

Selbst wenn der Antragsgegner von Verfassungs wegen zur Verteidigung der Pressefreiheit gegen tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen berechtigt wäre und ein Angriff fallbezogen vorgelegen hätte – was nicht der Fall gewesen sei –, hätte dies allenfalls allgemeine Warnungen gerechtfertigt, nicht hingegen den hier erfolgten regierungsamtlichen Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration, dies verbunden mit der Ankündigung, die Landesregierung werde – vertreten durch den Niedersächsischen Innenminister E – mit „dabei sein“.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, dass der Antragsgegner die Antragstellerin durch das Posten des Tweets 1/5 mit einer Bild-Text-Karte mit niedersächsischem Landeswappen, der Amtsbezeichnung „Niedersächsischer Ministerpräsident“ und dem Niedersachsen-Claim und des Tweets 5/5 im Thread vom 20. November 2019 sowie der Tweets 1/4, 3/4 und 4/4 im Thread vom 23. November 2019 auf dem Twitter-Account @MpStephanWeil in ihrem Recht auf chancengleiche Teilhabe am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hält den Antrag ebenfalls für zulässig, aber unbegründet. Die streitgegenständlichen Tweets stellten bereits in tatsächlicher Hinsicht keinen Eingriff in das Recht der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG dar.

Voraussetzung jeglicher Prüfung eines Eingriffs in Rechte des Antragstellers sei, dass in tatsächlicher Hinsicht eine herausgehoben parteibezogene Handlung des Antragsgegners vorliege, die über das normale Tagesgeschäft des Agierens im politischen Raum hinausginge, in dem auch die kontroverse Auseinandersetzung über politische Themen zulässig sei. Die Grenzen der politischen Äußerungsbefugnisse der Akteure dürften daher nicht zu eng gesteckt werden. Anderenfalls sei letztlich der für eine Demokratie wesensprägende freie politische Meinungsaustausch gefährdet. Die streitgegenständlichen Tweets stellten demzufolge keine relevante Abweichung von anerkannten und üblichen Gepflogenheiten dar, sondern seien als sozialadäquates Verhalten im tagespolitischen Geschäft zu qualifizieren. Der Antragsgegner in seiner Funktion als Ministerpräsident äußere sich regelmäßig und in vielfältiger Form zu allen wesentlichen Themen des politischen Tagesgeschäfts, u.a. durch Stellungnahmen und Kommentare. Diese Teilnahme an den tagespolitischen Diskussionen sei allgemein verbreitet und werde von den politischen Akteuren im Politikbetrieb geradezu erwartet.

Hinzu komme, dass aufgrund der Flüchtigkeit sowie der Menge an jederzeit verfügbaren Nachrichten und persönlichen Statements die Tweets in ihrer Wahrnehmung und Wirkung über den aktuellen Bezug hinaus nicht nachhaltig seien. Aus beiden Gründen hätten die streitgegenständlichen Tweets daher nicht zu einer Einschränkung des Rechts der Antragstellerin auf chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess geführt.

Ein möglicher Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG sei jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das ergebe sich einerseits aus dem Gesichtspunkt der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit, andererseits aus dem Prinzip der streitbaren Demokratie.

Die Grenzen der zulässigen regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit hätten sich nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 in Richtung eines – gemessen am üblichen Maßstab des Neutralitätsgebots – größeren Spielraums des sich äußernden Hoheitsträgers verschoben. Der Antragsgegner als Ministerpräsident habe hier die Aufgabe und Pflicht gehabt, das freiheitlich-demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland zu bewahren und die Bevölkerung für demokratiegefährdende Erscheinungen zu sensibilisieren. Außerdem sei das Handeln des Antragsgegners hinsichtlich der streitgegenständlichen Tweets verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil er das Ziel verfolgt habe, sich für die Pressefreiheit und den Schutz von Journalisten vor anprangernd-einschüchternder Kritik einzusetzen. Hierfür habe er sich parteiunabhängig in seiner Funktion als Ministerpräsident einzusetzen. Vorliegend sei das Grundrecht der Pressefreiheit sowohl durch die Aufzugsversammlung der Antragstellerin als auch durch die von ihrem politischen Umfeld dazu verbreitete Stimmungsmache unmittelbar bedroht gewesen.

In einer der Antragstellerin zurechenbaren Weise sei zwischenzeitlich von einer der Antragstellerin nahestehenden Person unter dem Motto „Rache für D“ zur Teilnahme an der Aufzugsversammlung am 23. November 2019 aufgerufen worden. Auch wenn das Versammlungsmotto später in „Gerechtigkeit für D“ geändert worden sei, lasse die Wortwahl beider Fassungen den Schluss zu, dass eine unter Umständen auch gewalttätige Reaktion gegen im Internet namentlich benannte Journalistinnen und Journalisten ausgelöst werden sollte.

Darüber hinaus habe sich die Versammlung insgesamt gegen die öffentlich-rechtliche Berichterstattung gerichtet, was unter anderem auch durch den gewünschten Verlauf der Route entlang des NDR-Funkhauses deutlich werde. Angesichts dieser Gesamtumstände sei es Teil der Amtspflicht des Antragstellers gewesen, die in Rede stehenden Tweets zu posten, um öffentlich seine Besorgnis kundzutun und sich für den Schutz der betroffenen Journalistinnen und Journalisten sowie der Pressefreiheit insgesamt einzusetzen. Die Tweets seien dabei auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass in jüngster Zeit die Ausübung rechtsextremer Gewalt und Hetze gegen Staatsorgane und Funktionsträger zugenommen habe.

V.

Dem Niedersächsischen Landtag wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Er hat von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.

I.

1. Die Antragstellerin als Landesverband der A und der Antragsgegner sind im vorliegenden Organstreitverfahren nach Art. 54 Nr. 1 der Niedersächsischen Verfassung - NV - vom 19. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 107), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Oktober 2019 (Nds. GVBl. S. 288), und § 8 Nr. 6 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - NStGHG - vom 1. Juli 1996 (Nds. GVBl. S. 342), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Oktober 2016 (Nds. GVBl. S. 238), vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof parteifähig.

a) Politische Parteien im Sinne des Art. 21 GG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die politischen Parteien (Parteiengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch Art. 13 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328), finden zwar weder in der Niedersächsischen Verfassung ausdrücklich Erwähnung, noch sind sie in Art. 54 Nr. 1 NV noch in § 8 Nr. 6 NStGHG als mögliche Beteiligte eines Organstreitverfahrens genannt. Der Staatsgerichtshof nimmt dessen ungeachtet aber an, dass auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen tätige politische Parteien bzw. deren Untergliederungen „andere Beteiligte" im Sinne des Art. 54 Nr. 1 NV, § 8 Nr. 6 NStGHG sein können, wenn und soweit sie um Rechte kämpfen, die sich aus ihrem verfassungsrechtlichen Status ergeben (Nds. StGH, Urt. v. 6.9.2005 - StGH 4/04 -, NStGHE 4, 112, 119, juris Rn. 51; vgl. auch grundlegend BVerfG, Urt. v. 5.4.1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208, 223 ff., juris Rn. 49 ff., und sodann BVerfG, Beschl. des Plenums v. 20.7.1954 - 1 PBvU -, BVerfGE 4, 27, 30 f., juris Rn. 11; zuletzt etwa BVerfG, Urt. v. 10.6.2014 - 2 BvE 4/13 -, BVerfGE 136, 323, 330 f., Rn. 22; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 107 f., Rn. 21 f.; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 19, Rn. 27; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 36, NJW 2020, 2096, insow. n. abgedr.). Das gilt auch, nachdem in § 8 Nr. 6 NStGHG anders als im vormaligen § 30 lit. e) des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 31. März 1955 (Nds. GVBl. Sb. I S. 17), zuletzt geändert durch Artikel II des Gesetzes vom 12. Juni 1981 (Nds. GVBl. S. 125), die politischen Parteien nicht mehr ausdrücklich als mögliche Beteiligte genannt sind.

Der Staatsgerichtshof geht bei dieser Anerkennung von Parteien als „andere Beteiligte“ im Organstreitverfahren davon aus, dass Art. 21 GG nicht nur für den Bereich des Bundes Geltung hat, sondern dass die dort niedergelegten Grundsätze unmittelbar auch in Niedersachsen als Landesverfassungsrecht gelten. Art. 21 GG erkennt für Bund und Länder die politischen Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes an und erhebt sie damit in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution. Die Parteien sind die zentralen politischen Handlungseinheiten, derer die Demokratie bedarf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.2.1982 - 2 BvK 1/81 -, BVerfGE 60, 53, 61, juris Rn. 39, 49), um die Bürgerinnen und Bürger zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so überhaupt erst einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen. Sie sind zu inte-grierenden Bestandteilen des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens geworden. Aus dieser verfassungsrechtlichen Stellung folgt, dass die Parteien die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status durch ein Verfassungsorgan nur im Wege des Organstreits geltend machen können. Die Verfassungsbeschwerde, die das niedersächsische Landesrecht ohnehin nicht vorsieht, wäre für sie nicht das adäquate prozessuale Mittel (ebenso BVerfG, Beschl. des Plenums v. 20.7.1954 - 1 PBvU -, BVerfGE 4, 27, 31, juris Rn. 17; BVerfG, Beschl. v. 22.6.1960 - 2 BvR 432/60 -, BVerfGE 11, 239, 241, 243, juris Rn. 7, 12; st. Rspr.).

Die Anerkennung von politischen Parteien als parteifähig im Organstreitverfahren vor dem Staatsgerichtshof erstreckt sich allerdings nur auf rein niedersächsische Parteien und auf diejenige Untergliederung einer bundesweit tätigen Partei, die auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen politisch tätig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.5.1962 - 2 BvR 158/62 -, BVerfGE 14, 121, 129, juris Rn. 23; BVerfG, Beschl. v. 31.3.1987 - 2 BvH 1/87 -, BVerfGE 75, 34, 39, juris Rn. 14, m.w.N.). Vorliegend ist das gegeben. Antragstellerin ist der Landesverband der A.

b) Auch der Antragsgegner ist als „anderer Beteiligter“ im Sinne des Art. 54 Nr. 1 NV, § 8 Nr. 6 NStGHG im Organstreitverfahren parteifähig. Der Niedersächsische Ministerpräsident ist Teil des obersten Landesorgans “Landesregierung“ und als solcher in Art. 29 Abs. 2 NV, 36 Abs. 1 Satz 1 NV, Art. 37 Abs. 1 Satz 1 NV, Art 39 Abs. 1 Satz 1 NV sowie aus § 3 Abs. 1, Abs. 3, § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6, Satz 2, § 12 Abs. 4 Satz 2, § 29 Satz 1, § 36, § 42 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Gemeinsame Geschäftsordnung der Landesregierung und der Ministerien in Niedersachsen (GGO) vom 30. März 2004 (Nds. GVBl. 2004, S. 107), zuletzt geändert durch Beschluss vom 27. Oktober 2020 (Nds. GVBl. 2020, S. 375), mit eigenen Rechten ausgestattet.

2. Die Tweets, die der Antragsgegner am 20. und 23. November 2019 auf seinem Twitter-Account unter dem Nutzernamen („@MpStephanWeil“) veröffentlicht hat, sind ein für die Verfolgung im Organstreitverfahren zulässiger Antragsgegenstand. Es handelt sich um eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 30 NStGHG in Verbindung mit §§ 64 Abs. 1, 67 Satz 1 BVerfGG in einem im Landesverfassungsrecht wurzelnden Rechtsverhältnis zwischen Antragstellerin und Antragsgegner. Ein solches Rechtsverhältnis besteht hier unabhängig davon, dass auf Art. 21 GG in der Niedersächsischen Verfassung weder ausdrücklich Bezug genommen wird noch eine sinngemäße landesverfassungsrechtliche Vorschrift existiert. Die den politischen Parteien in Deutschland durch Art. 21 GG gewährten Statusrechte, zu denen auch das Recht auf chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess gehört, sind als „hineinwirkendes Bundesverfassungsrecht“ Bestandteil des Niedersächsischen Verfassungsrechts (Nds. StGH, Urt. v. 26.5.1961 - StGH 2/60 -, NStGHE 1, 62, 66, juris Rn. 17 Urt. v. 6.9.2005 - StGH 4/04 -, NStGHE 4, 112, 119, juris Rn. 36; vgl. BVerfG, Urt. v. 5.4.1952, 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208, 227, juris Rn. 79; Urt. v. 6.2.1956 - 2 BvH 1/55 -, BVerfGE 4, 375, 378, juris Rn. 15; Beschl. v. 7.5.1957 - 2 BvH 1/56 -, BVerfGE 6, 367, 375, juris Rn. 29; Beschl. v. 16.7.1969 - 2 BvH 1/67 -, BVerfGE 27, 10, 17, juris Rn. 21), ohne dass insoweit auf Art. 3 Abs. 2 NV abzustellen ist (vgl. Nds. StGH, Urt. v. 15.1.2019 - StGH 1/18 -, NdsVBl. 2019, 115, 118, juris Rn. 38 f.). Innerhalb der durch Art. 21 GG gebildeten landesverfassungsrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen der Antragstellerin als auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen tätige Untergliederung einer politischen Partei und dem Antragsgegner stellt sich die Veröffentlichung der Tweets als eine rechtserhebliche Maßnahme des Antragsgegners und damit als zulässiger Antragsgegenstand dar, weil sie möglicherweise die Rechtsstellung der Antragstellerin nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend beachtet hat.

3. Antragsberechtigung und Antragsbefugnis ergeben sich für die Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 54 Nr. 1 NV in Verbindung mit § 8 Nr. 6, § 30 NStGHG, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Die Antragstellerin kann geltend machen, dass sie durch eine Maßnahme des Antragsgegners in den ihr durch die Niedersächsische Verfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet sein könnte.

Die Antragstellerin hat zwar entgegen der Bestimmung des § 30 NStGHG in Verbindung mit § 64 Abs. 2 BVerfGG keine Vorschrift der Niedersächsischen Verfassung bezeichnet, um deren Auslegung es gehen soll. Jedoch gelten – wie unter 2. dargelegt – die den Parteien durch Art. 21 GG gewährten spezifischen Rechte nicht nur für den Bereich des Bundes, sondern unmittelbar auch für die Länder. Sie gehören folglich ebenfalls zum Prüfungsmaßstab des Staatsgerichtshofs (Nds. StGH, Urt. v. 26.5.1961 - StGH 2/60 -, NStGHE 1, 62, 66, juris Rn. 17; Urt. v. 6.9.2005 - StGH 4/04 -, NStGHE 4, 112, 119, juris Rn. 36).

4. Das auch im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (Nds. StGH, Urt. v. 15.1.2019 - 1/18 -, NdsVBl. 2019, 115, 118, juris Rn. 44; vgl. zuletzt etwa BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 21, Rn. 33; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 40 f., NJW 2020, 2096, 2096 f.) liegt vor. Insofern indiziert die Darlegung einer möglichen Rechtsverletzung regelmäßig die Schutzwürdigkeit des auf die Feststellung dieser Rechtsverletzung gerichteten Begehrens (vgl. BVerfG, Urt. v. 18.12.1984 - 2 BvE 13/83 -, BVerfGE 68, 1, 77, juris Rn. 115; VerfGH NRW, Urt. v. 19.8.2008 - 7/07 -, NVwZ-RR 2009, 41, 42, juris Rn. 238; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 1042). Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung gebieten könnten, sind nicht ersichtlich.

II.

Der Antrag der Antragstellerin ist unbegründet.

Der Antragsgegner hat durch das Posten der Tweets 1/5 und 5/5 im Thread vom 20. November 2019 sowie der Tweets 1/4, 3/4 und 4/4 im Thread vom 23. November 2019 auf dem Twitter-Account @MpStephanWeil die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf chancengleiche Teilhabe am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt.

1. Der von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte verfassungsrechtliche Status von Parteien gewährleistet das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (a.). Damit unvereinbar ist jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen zu Gunsten oder zu Lasten einzelner am politischen Wettbewerb teilnehmender Parteien (b.). Auch soweit die Niedersächsische Landesregierung von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, hat sie das Gebot der Neutralität staatlicher Organe zu beachten (c.). Dasselbe gilt für Regierungsmitglieder, soweit diese in Wahrnehmung ihres Amtes handeln; allerdings sind die Inhaber von Regierungsämtern nicht gehindert, außerhalb ihrer amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilzunehmen (d.). Ob die Äußerung eines Mitglieds der Landesregierung in Wahrnehmung seines Amtes stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (e.). Dasselbe gilt für die Frage, ob die amtliche Maßnahme oder Äußerung eines Regierungsmitglieds noch von der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit gedeckt wird oder bereits als parteiergreifend und damit als Verstoß gegen das Neutralitätsgebot anzusehen ist (f.).

a) In der freiheitlichen Demokratie des Landes Niedersachsen geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 NV). Demokratische Legitimation im Sinne des Art. 2 Abs. 1 NV vermögen Wahlen und Abstimmungen aber nur zu vermitteln, wenn sie frei sind. Dies setzt nicht nur voraus, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, sondern auch, dass die Wählerinnen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20, 56, 97, juris Rn. 114; Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 139, juris Rn. 194; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 109, Rn. 27; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 23, Rn. 40; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 44, NJW 2020, 2096, 2097).

aa) In diesem Prozess der Meinungsbildung kommt in der modernen parlamentarischen Demokratie politischen Parteien entscheidende Bedeutung zu (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 145, juris Rn. 46; BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 110, Rn. 29). Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes hat dem dadurch Ausdruck verliehen, dass Parteien in Art. 21 GG als verfassungsrechtlich notwendige Einrichtungen für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt und in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben worden sind. Parteien sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der Staatsgerichtshof anschließt, frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen, die in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinwirken, ohne diesem selbst anzugehören (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20, 56, 101, juris Rn. 122; Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 145, juris Rn. 202; Urt. v. 14.7.1986 - 2 BvE 2/84, 2 BvR 442/84 -, BVerfGE 73, 40, 85, juris Rn. 141; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 24, Rn. 41; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 45, NJW 2020, 2096, 2097). Ihnen kommt eine spezifische Vermittlungsfunktion zwischen Gesellschaft und Staat zu. Es handelt sich um politische Handlungseinheiten, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 23, Rn. 40, m.w.N.).

Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb auf Bundes- und Landesebene teilnehmen. Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien deshalb nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 139, juris Rn. 46; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 110, Rn. 29; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 24, Rn. 42; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 46, NJW 2020, 2096, 2097).

bb) Die den Parteien obliegende Vermittlungsfunktion zwischen Gesellschaft und Staat und die von Oppositionsparteien verlangte Entwicklung politischer Alternativen setzen voraus, dass die politischen Parteien nach außen wirken können. Diese Aktivitäten sind vor allem durch die Kommunikationsgrundrechte der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 NV i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und der Versammlungsfreiheit (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 NV i.V.m. Art. 8 Abs. 1 GG) geschützt, die hinsichtlich politischer Parteien durch die Parteienfreiheit ihr besonderes Gepräge erhalten. Im Rahmen ihrer durch Art. 21 Abs. 1 GG gewährleisteten Handlungsfreiheit bleibt es den politischen Parteien dabei grundsätzlich selbst überlassen, unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben darüber zu befinden, welcher Medien oder sonstiger Kommunikationsmöglichkeiten sie sich bei der Wahrnehmung des ihnen übertragenen Verfassungsauftrages zur politischen Willensbildung bedienen (vgl. BVerfG, Urt. v. 12.3.2008 - 2 BvF 4/03 -, BVerfGE 121, 30, 57, juris Rn. 109). Jedenfalls umfasst der Grundsatz der chancengleichen Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess auch das Recht der Parteien, durch die Veranstaltung von Kundgebungen am politischen Wettbewerb teilzunehmen.

Solche Kundgebungen fördern die Mobilisierung der Parteimitglieder und der sonstigen Anhänger und möglicherweise auch die Mobilisierung von Bürgerinnen und Bürgern, die der Partei bislang gleichgültig oder sogar kritisch gegenüberstehen. Sie ermöglichen vor allem aber die gebündelte Artikulation politischer Meinungen in der Öffentlichkeit und sind deshalb vor allem für Minderheiten in der verfassten Demokratie die öffentlichkeitswirksamste Form der kollektiven Meinungs- und Interessenartikulation. Kundgebungen führen so regelmäßig zu Aufmerksamkeit und in der Folge auch zu Durchsetzungspotential im Blick auf Veränderungen (vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 16 f.). Für die Parteien – insbesondere wenn sie sich in der Opposition befinden – stellen Versammlungen daher ein wichtiges Instrument dar, um den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes zu beeinflussen. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt demgemäß auch das Recht der politischen Parteien, im Wege einer Versammlung auf ihre politischen Ziele hinzuweisen, für diese zu werben und ihnen im öffentlichen Diskurs Geltung zu verschaffen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 20, Rn. 32).

b) Der auch für Niedersachsen als unmittelbares Verfassungsrecht geltende und damit zu den Prüfungsmaßstäben des Staatsgerichtshofs zählende Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht aller auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen wirkenden Regierungs- und Oppositionsparteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.5.1962 - 2 BvR 158/62 -, BVerfGE 14, 121, 132 f., juris Rn. 37; Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 146, juris Rn. 54; Beschl. v. 22.5.2001 - 2 BvE 1/99 -, BVerfGE 104, 14, 19 f., juris Rn. 22; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 110 Rn. 30; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26, Rn. 46).

aa) Dieses Recht auf Chancengleichheit gilt für sämtliche Betätigungen der Parteien, die auf die Erfüllung des ihnen durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zugewiesenen Verfassungsauftrags gerichtet sind. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt an dem sich permanent in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung vollziehenden Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird deshalb verletzt, wenn Staatsorgane durch besondere Maßnahmen in amtlicher Funktion zu Gunsten oder zu Lasten einer politischen Partei oder zu Gunsten oder zu Lasten von deren Wahlbewerbern auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 141, 146, juris Rn. 54, 56; Urt. v. 10.6.2014 - 2 BvE 4/13 -, BVerfGE 136, 323, 333 Rn. 28; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 110 f., Rn. 31; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 25, Rn. 45). Staatsorgane haben als solche allen Bürgerinnen und Bürgern zu dienen und sich neutral zu verhalten (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 144, juris Rn. 54; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 111, Rn. 33; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 25, Rn. 45). Einseitige Parteinahmen, unabhängig davon, ob sie während des Wahlkampfes oder außerhalb von Wahlkampfzeiten erfolgen, verstoßen mithin gegen das Gebot staatlicher Neutralität (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.11.2015 - 2 BvQ 39/15 -, BVerfGE 140, 225, 227, Rn. 9; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 25 f., Rn. 46) und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 144, juris Rn. 56; Urt. v. 10.6.2014 - 2 BvE 4/13 -, BVerfGE 136, 323, 333, Rn. 28; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 110 f., Rn. 31; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26 ff., Rn. 45; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 47, NJW 2020, 2096, 2097 f.).

bb) Demnach liegt jedenfalls ein Eingriff in den Gewährleistungsbereich vor, wenn Staatsorgane die Ankündigung oder Durchführung einer politischen Kundgebung, mit der eine Partei den ihr durch Art. 21 Abs. 1 GG zugewiesenen Verfassungsauftrag wahrnimmt, zum Anlass nehmen, sich unter Missachtung des Neutralitätsgebots einseitig mit der Kundgebung oder der diese veranstaltenden Partei auseinanderzusetzen (BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26 ff., Rn. 47 ff.). Staatliche Organe sind nicht dazu berufen, Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an von einer Partei angemeldeten Demonstrationen zu veranlassen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26 f., Rn. 48 unter Hinweis auf ThürVerfGH, Urt. v. 3.12.2014 - VerfGH 2/14 -, ThürVerfGHE 10, 85, juris Rn. 72). Ein Eingriff in den Anspruch der Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb liegt dabei nicht erst vor, wenn Staatsorgane unmittelbar zum Boykott einer bestimmten politischen Kundgebung aufrufen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26 f., Rn. 48 unter Hinweis auf ThürVerfGH, Urt. v. 8.7.2016 - VerfGH 38/15 -, juris Rn. 43) oder für den Fall der Teilnahme rechtliche oder tatsächliche Sanktionen in Aussicht stellen. Vielmehr greift schon jegliche negative Bewertung einer politischen Veranstaltung, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.11.2015 - 2 BvQ 39/15 -, BVerfGE 140, 225, 228, Rn. 11; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26 f., Rn. 48), in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Ebenso liegt ein Eingriff in dieses Recht vor, wenn staatliche Organe aus Anlass einer politischen Kundgebung negative oder positive Werturteile über die veranstaltende Partei abgeben. Auch insoweit verlangt der Grundsatz der Neutralität, dass staatliche Organe sich der offenen oder versteckten Werbung für oder gegen einzelne miteinander konkurrierende Parteien enthalten (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 149, juris Rn. 70; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 26 f., Rn. 48).

c) Eine Rechtfertigung von Eingriffen in den Gewährleistungsbereich von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG kann sich aus der Befugnis der Niedersächsischen Landesregierung im Ganzen sowie des Ministerpräsidenten und der Ministerinnen und Minister zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ergeben. Die der Landesregierung und ihren Mitgliedern gemeinsam mit dem Landtag obliegende Aufgabe der Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil eine solche Befugnis ein (vgl. für die Bundesregierung: BVerfG, Urt. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20, 56, 100, juris Rn. 118; Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 147, juris Rn. 63; Beschl. v. 23.2.1983 - 2 BvR 1765/82 -, BVerfGE 63, 230, 243, juris Rn. 53; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 558, 1428/91 -, BVerfGE 105, 252, 270, juris Rn. 56; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 304 f., juris Rn. 80 f.; BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 114, Rn. 40; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 27, Rn. 51; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 49, NJW 2020, 2096, 2098). Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 147, juris Rn. 63 f.; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 558, 1428/91 -, BVerfGE 105, 252, 269, juris Rn. 54; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 302, juris Rn. 75 f.).

aa) Staatliche Informations- und Öffentlichkeitsarbeit umfasst vor allem die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20, 56, 100, juris Rn. 118; Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 147, juris Rn. 64; Beschl. v. 23.2.1983 - 2 BvR 1765/82 -, BVerfGE 63, 230, 243, juris Rn. 53; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 558, 1428/91 -, BVerfGE 105, 252, 269, juris Rn. 54; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279, 302, juris Rn. 75 f.; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 49, NJW 2020, 2096, 2098). Auch können Empfehlungen und Warnungen ausgesprochen werden.

bb) Hieraus leitet sich ab, dass die Landesregierung im Rahmen ihrer Informationsarbeit zur Wahrung und Verteidigung verfassungsrechtlich besonders geschützter, für das Funktionieren der freiheitlichen Demokratie wesentlicher Institutionen und Grundrechtsausübungen tätig werden darf. Das ergibt sich aus der Bindung der vollziehenden Gewalt, an deren Spitze die Landesregierung steht (vgl. Art. 28 Abs. 1 NV), an Recht und Gesetz (Art. 2 Abs. 2 NV) ebenso wie – deklaratorisch – aus dem von Regierungsmitgliedern abzulegenden Bekenntnis und dem Amtseid nach Art. 31 Abs. 1 NV. Aus dieser Rechtsbindung und der Stellung der Landesregierung als Staatsorgan in einem demokratisch-pluralistischen Verfassungsstaat ist die Pflicht abzuleiten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Landes Niedersachsen zu wahren und zu verteidigen. So darf sie etwa zu Gunsten der Wahrung der Integrität der niedersächsischen Verfassungsorgane tätig werden, die Institutionen der freiheitlichen Demokratie gegen fundamentale Angriffe und Infragestellungen verteidigen oder die Einhaltung der Grundregeln demokratisch-pluralistischen Miteinanders ihrer Bürgerinnen und Bürger anmahnen (vgl. BVerfG, Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 94, NJW 2020, 2096, 2103 - dort offengelassen). Zur zulässigen Informationsarbeit der Regierung gehört daher auch das öffentliche Eintreten für die Institution „Freie Presse“ und deren Verteidigung gegenüber maßlosen und einschüchternden Angriffen, wenn diese etwa darauf zielen, die in der Institution „Presse“ tätigen Berufsträger durch Bedrohung und Anprangerung an der freien Berichterstattung und aufmerksamen Beobachtung des Zeitgeschehens zu hindern.

cc) Auch bei der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist allerdings zu berücksichtigen, dass die der Landesregierung zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des niedersächsischen Volkes ermöglichen, die das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen tätigen Parteien und einer Umkehrung des verfassungsrechtlich vorgesehenen Prozesses der Willensbildung vom Niedersächsischen Volk hin zu den Staatsorganen Landtag und Landesregierung beinhaltet (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 115 Rn. 45; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 28, Rn. 52). Als Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie Art. 1 Abs. 2 NV konstituiert, ist es zwar hinzunehmen, dass bereits die Wahrnehmung der Aufgabe der Staatsleitung durch kollektives Handeln („Die Landesregierung“) ebenso wie durch das individuelle Handeln der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten und der einzelnen Ministerinnen und Minister in vielfältiger Weise auf die politische Willensbildung des Volkes von Niedersachsen und damit auch in erheblichem Umfang auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien einwirkt (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 140, juris Rn. 47 f.; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 114 f., Rn. 44). Auch wenn diese Einwirkung als Folge der vorgefundenen Wettbewerbslage im politischen Prozess hinzunehmen ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 140, juris Rn. 48; BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 115, Rn. 44), muss eine noch darüberhinausgehende Beeinflussung dieser Wettbewerbslage durch staatliches Handeln möglichst unterbleiben (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 32 f., Rn. 64, m.w.N.). Demgemäß endet die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt. Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lässt es nicht zu, dass die Landesregierung die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nutzt, um Oppositionsparteien zu bekämpfen oder Regierungsparteien zu unterstützen (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 148 ff., juris Rn. 68 ff.; Beschl. v. 23.2.1983 - 2 BvR 1765/82 -, BVerfGE 63, 230, 243 f., juris Rn. 54 f.; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 115, Rn. 46; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 28 f., Rn. 54; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 51, NJW 2020, 2096, 2098).

dd) Aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgt ungeachtet dieser Grundsätze allerdings nicht, dass die Landesregierung gehindert wäre, verfassungsfeindliche Bestrebungen politischer Parteien als solche zu bezeichnen und darauf in angemessener Weise zu reagieren. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat die Landesregierung sich im Gegenteil aktiv mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu befassen. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung; die betroffene Partei muss sich dagegen mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen. Solche Einschätzungen werden erst unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 116, Rn. 47). Dies gilt erst recht, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der Partei ausdrücklich festgestellt hat.

ee) Vor diesem Hintergrund ist die Landesregierung berechtigt, auf aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Angriffe, die sich gegen ihre Politik richten, in angemessener Form öffentlich zu reagieren und sich mit kritischen Einwänden gegen von ihr getroffene Maßnahmen und künftige Vorhaben auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 29, Rn. 56). Dabei hat sie jedoch sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren. Das schließt die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus. Darüber hinausgehende, mit der Kritik am Regierungshandeln in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehende, verfälschende oder herabsetzende Äußerungen sind demgegenüber zu unterlassen (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 149 f., juris Rn. 70; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 558, 1428/91 -, BVerfGE 105, 252, 272 f., juris Rn. 60 f.; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 30, Rn. 59 m.w.N.; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 52, NJW 2020, 2096, 2098 f.). Die Landesregierung hat sich darauf zu beschränken, ihre politischen Entscheidungen zu erläutern und dagegen vorgebrachte Einwände in der Sache aufzuarbeiten (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 29 f., Rn. 55-58). Vergleichbares gilt, soweit die Landesregierung im Rahmen ihrer Informationsarbeit zur Wahrung und Verteidigung verfassungsrechtlich besonders geschützter, für das Funktionieren der freiheitlichen Demokratie wesentlicher Institutionen und Grundrechtsausübungen tätig wird und fundamentale Angriffe gegen Grundpfeiler der freiheitlichen Demokratie zurückweist, und zwar auch dann, wenn diese Angriffe von politischen Parteien ausgehen.

ff) Die vor allem in der mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung des Antragsgegners, im Rahmen der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sei ein Gegenschlag auf verbale Angriffe zulässig, soweit und solange sich die Äußerungen nach Form und Inhalt in dem Rahmen hielten, der durch die kritische Äußerung vorgegeben worden sei, geht deshalb fehl. Eine solche Lockerung der Maßstäbe oder gar eine „Befreiung“ der Landesregierung vom Neutralitäts- sowie insbesondere vom Sachlichkeitsgebot - dergestalt, dass sie bei unsachlichen oder diffamierenden Angriffen einer politischen Partei gegen die Regierungspolitik oder bei Angriffen auf Grundpfeiler der Verfassungsordnung gewissermaßen „Gleiches mit Gleichem vergelten“ dürfte, kommt nicht in Betracht. Als Staatsorgan bzw. dessen Organteile sind die Landesregierung im Ganzen und die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident und die Ministerinnen und Minister gehalten, von den mit dieser Funktion verbundenen Möglichkeiten zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit in einer Weise Gebrauch zu machen, die dieser besonderen Stellung Rechnung trägt. Die Landesregierung und ihre Mitglieder nehmen eben nicht auf gleicher Stufe mit den Parteien am politischen Meinungskampf teil, sondern erfüllen eine Staatsaufgabe, wenn sie die Verfassungsordnung gegen Übergriffe Dritter verteidigen. Auch der in der mündlichen Verhandlung geäußerte Hinweis, dass es nicht sein könne, dass eine politische Partei sich das Recht nehme, diskreditierend in der öffentlichen Debatte zu agieren und mit scharfen Worten die Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten anzugreifen, gleichzeitig aber von staatlichen Organen eine zurückhaltende Sprache einzufordern, ändert nichts daran, dass der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG der abwertenden Beurteilung einzelner politischer Parteien durch staatliche Organe grundsätzlich entgegensteht (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 31 f., Rn. 60 unter Hinweis auf SaarlVerfGH, Urt. v. 8.7.2014 - Lv 5/14 -, juris Rn. 42, 45).

d) Für die Äußerungsbefugnisse eines einzelnen Mitglieds der Landesregierung gilt nichts anderes als für die Landesregierung als Ganzes.

aa) Handelt das Regierungsmitglied in Wahrnehmung seines Ministerpräsidenten- oder Ministeramtes, hat es gemäß Art. 2 Abs. 2 NV in gleicher Weise wie die Landesregierung im Ganzen den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu beachten (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 116 f., Rn. 49; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 31, Rn. 61; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 53, NJW 2020, 2096, 2099).

bb) Dieses Gebot schließt allerdings nicht aus, dass ein Regierungsmitglied außerhalb seiner amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilnimmt. Die bloße Übernahme eines Regierungsamtes hat nicht zur Folge, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht, da die die Regierung tragenden Parteien anderenfalls in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt würden (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 141, juris Rn. 50; Beschl. v. 23.2.1983 - 2 BvR 1765/82 -, BVerfGE 63, 230, 243, juris Rn. 54; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 117, Rn. 50 ff.; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 31 f., Rn. 62; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 54, NJW 2020, 2096, 2099; VerfGH RP, Beschl. v. 21.5.2014 - VGH A 39/14 -, juris Rn. 22, NVwZ-RR 2014, 665, 667). Das Regierungsmitglied muss das ausgeübte öffentliche Amt nicht verleugnen, es darf die Erfolge der Regierungsarbeit herausstellen, und es darf sich auch mit den anderen, im Wettbewerb befindlichen Parteien kritisch und gegebenenfalls auch zugespitzt auseinandersetzen.

In Fällen eines solchen nicht-amtlichen, parteipolitischen Tätigwerdens des Regierungsmitglieds ist es verfassungsrechtlich jedoch geboten, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten, die den politischen Wettbewerbern verschlossen sind, unterbleibt (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 118, Rn. 55; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 32 f., Rn. 64). Ein Rückgriff auf staatliche Ressourcen ist allein bei amtlichem Tätigwerden zulässig, wobei die Maßnahme oder Äußerung des Regierungsmitglieds dann aber dem Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit unterliegt.

Dieser zwischen amtlichem und nicht-amtlichem Handeln differenzierenden Betrachtung steht nicht entgegen, dass der Inhaber eines Amtes in der Niedersächsischen Landesregierung regelmäßig in einer Doppelrolle wahrgenommen wird und eine strikte Trennung der Sphären des „Ministerpräsidenten“ oder „Landesministers“, des „Parteipolitikers“ und der politisch handelnden „Privatperson“ nicht immer möglich sein wird. Auch mag aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem einzelnen Regierungsmitglied aufgrund der Verschränkung von staatlichem Amt und parteipolitischer Zugehörigkeit nur eine begrenzte Neutralitätserwartung bestehen (dazu Krüper, JZ 2015, S. 414, 416; Payandeh, Der Staat 55 (2016), S. 519, 532 ff.; Putzer, DÖV 2015, S. 417, 422 f.; Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, S. 215, 216). Doch führen weder die Doppelrolle noch der Umstand, dass im Fall eines Regierungsmitglieds in seinem Tätigkeitsbereich eine strikte Trennung der Sphären des „Ministerpräsidenten“, des „Parteipolitikers“ und der politisch handelnden „Privatperson“ schwierig sein kann, noch die „beschränkte“ Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger zur Unanwendbarkeit des Neutralitätsgebots (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 117 f., Rn. 53 f.; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 32, Rn. 63; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 55, NJW 2020, 2096, 2099). Das verbietet Art. 2 Abs. 2 NV, der mit Verfassungskraft verlangt, den Prozess der politischen Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen durch die chancengleiche Teilnahme der Parteien am politischen Wettbewerb zumindest im weitest möglichen Umfang zu gewährleisten.

cc) Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liegt daher vor, wenn Mitglieder der Niedersächsischen Landesregierung sich am parteipolitischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 118, Rn. 55; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 33, Rn. 64; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 56, NJW 2020, 2096, 2099). Demgemäß verstößt eine parteiergreifende Äußerung eines Regierungsmitglieds im politischen Meinungskampf gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amts fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 118, Rn. 55; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 33, Rn. 64; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 56, NJW 2020, 2096, 2099). Dass die parteiergreifende Teilnahme am politischen Wettbewerb unter Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamts oder der damit verbundenen Ressourcen verfassungsrechtlich unzulässig ist, unterstreicht im Übrigen auch das im Amtseid gemäß Art. 31 Satz 1 NV zum Ausdruck kommende Amtsverständnis, wonach Regierungsämter unparteiisch gegenüber Jedermann und zum Wohle des gesamten niedersächsischen Volkes unabhängig von den Parteipräferenzen der Wählerinnen und Wähler wahrzunehmen sind.

dd) Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes auf regierungsamtliche Äußerungen erschwere den Mitgliedern der Landesregierung die Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Verantwortlichkeit (vgl. Art. 7 Satz 2, Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1, Abs. 2, Art. 25 Abs. 1, Art. 27, Art. 29, Art. 32 NV) und führe zu einer „Entpolitisierung“ des Regierungshandelns (vgl. Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, S. 215, 215 f.). Eine solche Argumentation lässt außer Betracht, dass das Neutralitätsgebot die Landesregierung und ihre Mitglieder nicht daran hindert, über politische Vorhaben und Maßnahmen zu informieren, unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots Angriffe und Vorwürfe gegenüber der Regierungspolitik zurückzuweisen und ggf. auch – ebenfalls unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots – zur Wahrung und Verteidigung verfassungsrechtlich besonders geschützter, für das Funktionieren der freiheitlichen Demokratie schlechthin konstitutiver Institutionen und Grundrechtsausübungen tätig zu werden. Die Wahrnehmung parlamentarischer Verantwortlichkeit und das Führen der politischen Sachdebatte sind daher auch bei Geltung des Neutralitätsgrundsatzes nicht infrage gestellt. Die Mitglieder der Landesregierung sind durch das Neutralitätsgebot lediglich daran gehindert, im Rahmen der Ausübung der Regierungstätigkeit einseitig Partei zu ergreifen oder bei der Teilnahme am allgemeinen politischen Wettbewerb auf die spezifischen Möglichkeiten und Mittel des Ministeramtes zurückzugreifen (vgl. zu allem BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 33 f., Rn. 65, m.w.N.; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 57, NJW 2020, 2096, 2099). Jenseits ihres regierungsamtlichen Handelns können sie dagegen weiterhin Beiträge im politischen Meinungskampf liefern und dabei auch alle den Parteien zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten einsetzen. Sie müssen dann nur deutlich erkennen lassen, dass sie in ihrer Rolle als Parteipolitiker agieren bzw. sich als Parteipolitiker bzw. Privatperson äußern.

e) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Landesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 118, Rn. 56; VerfGH RP, Beschl. v. 21.5.2014 - VGH A 39/14 -, juris Rn. 25, NVwZ-RR 2014, 665, 667).

aa) Ein solcher Rückgriff liegt nach den vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Kriterien regelmäßig vor, wenn ein Mitglied einer Regierung bei einer Äußerung ausdrücklich auf sein Amt Bezug nimmt oder sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs erklärt (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 118 f., Rn. 57 f.; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 34, Rn. 66; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 59, NJW 2020, 2096, 2099; VerfGH RP, Beschl. v. 21.5.2014 - VGH A 39/14 -, juris Rn. 25, NVwZ-RR 2014, 665, 667). Auch aus äußeren Umständen, wie der Verwendung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder der Nutzung der Amtsräume, kann sich ein spezifischer Amtsbezug ergeben. Dasselbe gilt beim äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125, 143, juris Rn. 54; Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 119, Rn. 57; Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 34, Rn. 66; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 59, NJW 2020, 2096, 2099). Amtsautorität wird daher auch bei Aktivitäten von Regierungsmitgliedern in sozialen Netzwerken oder beim Einsatz von Mikrobloggingdiensten wie etwa Twitter, in Anspruch genommen, wenn diese Aktivitäten unter Nutzeradressen stattfinden, die auf das Amt hinweisen (vgl. Friehe, in Uhle (Hrsg.), Information und Einflussnahme, 2018, S. 81, 85 ff.; ders., NJW 2020, 2103, 2104). Erst recht gilt das, wenn für diese Social-Media-Angebote personelle Ressourcen der Staatskanzlei oder der Ministerien herangezogen werden. Ebenso findet eine Inanspruchnahme der Autorität des Amtes statt, wenn ein Regierungsmitglied sich im Rahmen einer Veranstaltung äußert, die von der Landesregierung ausschließlich oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme eines Regierungsmitglieds an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund seines Regierungsamtes erfolgt (BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 118 f., Rn. 5; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 59, NJW 2020, 2096, 2099 f.).

bb) Äußerungen auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen wirken dagegen regelmäßig nicht in einer Weise auf die Willensbildung des Volkes ein, die das Recht politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb tangiert, da die handelnden Regierungsmitglieder primär als Parteipolitiker wahrgenommen werden (BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 119, Rn. 58; Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 60, NJW 2020, 2096, 2100). Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses (Talkrunden, Diskussionsforen, Interviews) oder Zeitungsinterviews bedürfen hingegen differenzierter Betrachtung im Einzelfall (vgl. BVerfG, Urt. v. 9.6.2020 - 2 BvE 1/19 -, Rn. 61, NJW 2020, 2096, 2100). Der Inhaber eines Regierungsamtes kann hier sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson aufgetreten sein.

f) Ebenfalls nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles bestimmt sich, ob eine in regierungsamtlicher Funktion ergriffene Maßnahme oder Äußerung, die in das Recht der politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG eingreift, noch von der rechtfertigenden Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit gedeckt wird oder ob sie bereits als parteiergreifend und damit als Verstoß gegen das auch bei ihrer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit von der Landesregierung und ihren Mitgliedern grundsätzlich zu beachtende Neutralitätsgebot anzusehen ist. Bei der jeweiligen Einzelfallbetrachtung geht es darum festzustellen, ob sich das amtliche Regierungshandeln auf eine den vorstehend entwickelten Grundsätzen entsprechende Auseinandersetzung beschränkt. Überschreiten die Äußerungen oder Verteidigungsaktivitäten dagegen den Rahmen einer entschiedenen Zurückweisung der Kritik oder des Angriffs auf die Verfassungsordnung des Landes Niedersachsens und die für die freiheitliche Demokratie Niedersachsens wesentlichen Institutionen, handelt es sich um eine unzulässige Parteinahme im politischen Meinungskampf, in dem staatliche Organe sich neutral zu verhalten haben und zu dessen Führung staatliche Ressourcen nicht einseitig parteiergreifend eingesetzt werden dürfen.

2. Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze erweist sich der Antrag als nicht begründet. Die angegriffenen Tweets des Antragsgegners vom 20. und 23. November 2019 greifen zwar in den Gewährleistungsbereich des Rechts der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein (a.). Sie sind aber als Maßnahme der Verteidigung der besonders geschützten, für das Funktionieren der freiheitlichen Demokratie schlechthin konstitutiven freien Grundrechtsausübung von Journalistinnen und Journalisten und damit auch dem Schutz der Institution „Freie Presse“ verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (b.).

a) Der Antragsgegner hat in den persönlichen (aa) und sachlichen (bb) Gewährleistungsbereich des Rechts der Antragstellerin auf chancengleiche Mitwirkung an der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG eingegriffen (cc).

aa) Eine Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht als Ergebnis des zweiten A-Verbotsverfahrens die Antragstellerin zwar nicht verboten, aber festgestellt hat, dass sie mit ihren Zielen die Grundprinzipien missachtet, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20, 246, Rn. 633 ff.), hindert sie nicht daran, sich auf den Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG berufen zu können.

(1) Die zentrale Folge dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Antragstellerin ergibt sich insoweit aus Art. 21 Abs. 3 GG in der seit dem 20. Juli 2017 geltenden Fassung (BGBl. I S. 2346). Nach dieser im Nachgang zum zweiten A-Verbotsverfahren geschaffenen Verfassungsergänzung kommt als Sanktionsmöglichkeit für als „verfassungsfeindlich“ (vgl. BT-Drs. 18/12357 v. 16.5.2017 sowie BT-Drs. 18/12358 v. 16.5.2017) bezeichnete, aber nicht verbotene Parteien der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung sowie – in der Folge – der Wegfall der steuerlichen Begünstigung der Zuwendungen an diese Partei in Betracht. Mit Art. 21 Abs. 3 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die ehemals strenge Alternativität zwischen nach Art. 21 Abs. 2 GG verbotenen Parteien, deren Teilnahme an der politischen Willensbildung damit dauerhaft beendet ist, und solchen Parteien, die ungeachtet ihrer politischen Haltung in vollem Umfang von den verfassungsrechtlichen Privilegien des Art. 21 GG profitieren, aufgebrochen, indem er eine verfassungsunmittelbare Begrenzung des Grundsatzes der chancengleichen Beteiligung der Parteien am politischen Willensbildungsprozess statuiert hat. Eine weitere Ausnahme vom Parteienprivileg mit Blick auf verfassungsfeindliche Parteien hat der verfassungsändernde Gesetzgeber jedoch nicht eröffnet. Sonstigen Differenzierungen steht damit weiterhin die Sperrwirkung des Parteienprivilegs gem. Art. 21 Abs. 2 GG entgegen. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass ein darüber hinausgehendes administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin ausgeschlossen ist, mag diese sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch noch so feindlich verhalten; weitergehende Sanktionsmöglichkeiten gegenüber solchen Parteien sind dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten (BVerwG, Urt. v. 28.11.2018 - 6 C 2.17 -, NJW 2019, 1317, 1320, Rn. 37; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 (Bearbeitungsstand: Dezember 2014), Rn. 573; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 157; Grzeszick/Rauber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Kommentar, 14. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 144).

Die systematische Auslegung der Inhalte von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG und des Parteienprivilegs nach Art. 21 Abs. 2 GG belegt insofern, dass bei einer vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich, mangels Potentialität (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 -2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20, 224, Rn. 585 ff.) aber nicht als verfassungswidrig qualifizierten Partei als Ausdruck „einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz“ (BVerfG, Urt. v. 21.3.1961 - 2 BvR 27/60 -, BVerfGE 12, 296, 306, juris Rn. 29; Beschl. v. 14.2.1978 - 2 BvR 523/75, 2 BvR 959/75, 2 BvR 977/76 -, BVerfGE 47, 198, 228, juris Rn. 90; Beschl. v. 18.3.2003 - 2 BvB 1, 2, 3/01 -, BVerfGE 107, 339, 362, juris Rn. 69) deren Anspruch auf chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess in allen anderen als den in Art. 21 Abs. 3 GG genannten Bereichen unberührt bleibt. Das Grundgesetz nimmt also bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit die Gefahr, die von der Gründung einer verfassungsfeindlichen Partei und der Tätigkeit ihrer Funktionäre, Mitglieder und Anhänger, soweit diese mit allgemein erlaubten Mitteln arbeiten, ausgeht, um der politischen Freiheit willen in Kauf (BVerfG, Urt. v. 21.3.1961 - 2 BvR 27/60 -, BVerfGE 12, 296, 305 f., juris Rn. 29 f.; Urt. v. 17.1.2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20, 201, Rn. 526, m.w.N.). An dieser Bestands- und Schutzgarantie des Grundgesetzes für Parteienfreiheit und chancengleiche Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess hat auch die Antragstellerin als verfassungsfeindliche, aber nicht verbotene Partei weiterhin vollen Anteil (vgl. BVerfG, Urt. v. 29.10.1975 -1 BvE 1/75 -, BVerfGE 40, 287, 293, juris Rn. 16; Urt. v. 17.1.2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20, 201, Rn. 526; BVerwG, Urt. v. 27.6.2018 - 10 CN 1.17 -, BVerwGE 162, 284, 293 f., Rn. 40; Hecker, NVwZ 2018, 787, 788; Shirvani, Jura 2020, 448, 455).

(2) Auch dem sog. Wunsiedel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 -, BVerfGE 124, 300, 328 ff., Rn. 64 ff.) lässt sich entgegen der Ansicht des Antragsgegners – jedenfalls im Hinblick auf die Fortgeltung des Art. 21 Abs. 1 GG für die Antragstellerin – nichts anderes entnehmen. Dieser Beschluss begründet, warum § 130 Abs. 4 StGB, trotz fehlender Allgemeinheit im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, ausnahmsweise doch mit dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit vereinbar ist. Er betrifft also gerade nicht die Parteienfreiheit und damit auch nicht das Recht der chancengleichen Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess.

(3) Es mag – wie der Antragsgegner vorträgt – widersprüchlich und inkonsequent sein, wenn eine Partei wie die A einerseits die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekämpft, andererseits aber für diese Bestrebungen Rechte in Anspruch nimmt, die Ausfluss gerade dieser Rechts- und Gesellschaftsordnung sind. Der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2017 hat sich indes darauf beschränkt, die Finanzierung verfassungsfeindlicher Parteien zu begrenzen. Im Übrigen gilt daher der Grundsatz fort, dass die verfassungsfeindliche Partei zwar politisch bekämpft werden darf, aber auch sie in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein soll (vgl. zu diesem Grundsatz: BVerfG, Urt. v. 21.3.1961 - 2 BvR 27/60 -, BVerfGE 12, 296, 305 ff., juris Rn. 29 ff.; Beschl. v. 22.5.1975 - 2 BvL 13/73 -, BVerfGE 39, 334, 357, juris Rn. 56; Beschl. v. 14.2.1978 - 2 BvR 523/75, 2 BvR 959/75, 2 BvR 977/76 -, BVerfGE 47, 198, 228, juris Rn. 90; Urt. v. 18.3.2003 - 2 BvB 1, 2, 3/01 -, BVerfGE 107, 339, 362, juris Rn. 69; Urt. v. 17.1.2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20, 201, Rn. 526; BVerwG, Urt. v. 27.6.2018 - 10 CN 1.17 -, BVerwGE 162, 284, 293 f., Rn. 40).

(4) Der persönliche Gewährleistungsbereich besteht trotz bundesverfassungsgerichtlicher Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit der A für die Antragstellerin auch nicht nur in der Form eines Anspruchs auf gleiche Teilhabe an Begünstigungen fort, sondern auch in der Form eines Anspruchs auf Unterlassung von Handlungen staatlicher Instanzen mit benachteiligender Wirkung. Gegen eine parteispezifische Beschränkung des persönlichen Schutzbereichs des Anspruchs auf gleiche Teilhabe an Begünstigungen spricht, dass in der Wettbewerbsdemokratie des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung die von Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Gleichheit der Parteien nicht die Herstellung von Gleichheit der unterschiedlichen parteipolitischen Kräfte bezweckt, sondern die Bewahrung von Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (vgl. Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 21 Rn. 77; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG. Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 119). Zur Wahrung dieser von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG allein gemeinten Chancengleichheit aller politischen Parteien untersagt der Gleichbehandlungsanspruch dem Staat daher, in das Wettbewerbsgeschehen zwischen den Parteien bei der Gewinnung von Mitgliedern oder Anhängern einzugreifen und die vorgefundene Wettbewerbslage durch staatliche Interventionen zu nivellieren oder zu vergrößern (dazu Ipsen in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 126 ff.). Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG kann daher nicht auf einen Bedeutungsgehalt verengt werden, dem zufolge nicht der einen politischen Partei verweigert werden kann, was der anderen gewährt wird. Im parteienrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch steckt vielmehr als Kehrseite des Anspruchs auf Gleichbehandlung bei Leistungen und Bereitstellungen zugleich eine abwehrrechtliche Dimension: Auch Handlungen staatlicher Instanzen mit benachteiligender Wirkung berühren, wenn sie gegenüber der einen politischen Partei unterlassen werden, den Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. Gefordert ist vielmehr, dass Begünstigungen und Benachteiligungen mit gewissen Abstufungen, etwa hinsichtlich des Umfangs von Sendezeiten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.9.1957 - 2 BvR 7/57 -, BVerfGE 7, 99, 108, juris Rn. 34; Beschl. v. 9.5.1978 - 2 BvC 2/77 -, BVerfGE 48, 271, 277, juris Rn. 23), stets alle politischen Parteien gleich treffen müssen. Dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Antragstellerin festgestellt hat, hindert die Antragstellerin somit nicht, sich auf das in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Chancengleichheitsrecht auch in der Form zu berufen, dass sie einen Anspruch auf Unterlassung von Handlungen staatlicher Instanzen mit benachteiligender Wirkung geltend macht.

bb) Der sachliche Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ist für die Antragstellerin ebenfalls eröffnet. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht der politischen Parteien, im Wege einer Versammlung auf ihre politischen Ziele hinzuweisen, für diese zu werben und ihnen im öffentlichen Diskurs Geltung zu verschaffen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 21, Rn. 32).

cc) Der Antragsgegner hat durch seine in Wahrnehmung seines Regierungsamts geposteten Tweets 1/5 und 5/5 im Thread vom 20. November 2019 sowie 3/4 und 4/4 im Thread vom 23. November 2019 in das Recht der Antragstellerin, sich durch ihre Aufzugsversammlung vom 23. November 2019 gleichberechtigt am Prozess der politischen Willensbildung des Volkes zu beteiligen, eingegriffen.

(1) Ob die Äußerung eines Mitglieds der Landesregierung in Ausübung des Ministeramts stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen. Dafür, dass der Antragsgegner vorliegend in Ausübung seines Ministerpräsidentenamtes gehandelt hat, spricht schon die bei allen Tweets erfolgte Verwendung des mit einem Header-Bild eingerichteten Twitter-Accounts „@MpStephanWeil“, der – ausweislich der Account-Beschreibung – „Einblicke in den Alltag des Niedersächsischen Ministerpräsidenten“ geben soll. Dieser Twitter-Account – das verdeutlicht auch der weitere Twitter-Account, den der Antragsgegner als Privat- und Parteiperson eingerichtet hat („@stephanweil“; Account-Beschreibung „Privates und Parteipolitisches von Stephan Weil (sw)“) – ist als offizielles Publikationsorgan der Regierung anzusehen, da seine Nutzung ausschließlich dem Antragsgegner vorbehalten ist.

Für ein Handeln in amtlicher Funktion spricht des Weiteren der am 20. November 2019 um 13:23 Uhr gepostete Tweet 1/5, zu dem der Antragsgegner das Foto einer Text-Bild-Karte hochgeladen hat. Diese Karte enthält auf der linken Seite Text und darunter eine handschriftliche Namensunterschrift (als Scan) sowie darunter gedruckt den Namen „Stephan Weil“, darunter wiederum gedruckt den Zusatz „Niedersächsischer Ministerpräsident“. Rechts neben diesem Text zeigt die eingestellte Text-Bild-Karte ein Foto, das den Antragsgegner abbildet. Unter dem Foto ist das niedersächsische Landeswappen (weißes Roß im roten Felde) mit dem Niedersachsen-Claim „Niedersachsen.Klar“ zu sehen.

(2) Die streitgegenständlichen Tweets 1/5 und 5/5 im Thread vom 20. November 2019 und 3/4 und 4/4 im Thread vom 23. November 2019 zielten darauf, dass Leserinnen oder Leser aus den ihnen zugegangenen Informationen und Werturteilen Konsequenzen ziehen und entweder der Demonstration der Antragstellerin fernbleiben und möglicherweise auch auf Angehörige oder Bekannte einwirken würden, sich ebenso zu verhalten. Von dem Antragsgegner erwünscht war ebenso, dass sich Leserinnen und Leser der Gegendemonstration anschließen und andere Personen hierzu animieren sollten. Das verdeutlicht schon die in den Tweets mitgeteilte Bewertung, dass es sich bei der von der Antragstellerin geplanten Aufzugsversammlung um eine Demonstration „gegen die ebenfalls verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit“ (Tweet 1/5 vom 20. November 2019) und um einen „Angriff auf unsere Demokratie“ (Tweet 1/5, Bild-Text-Karte vom 20. November 2019) handele und dass es darum gehe, „dass kritische Journalistinnen und Journalisten eingeschüchtert und mundtot gemacht werden sollen“ (Tweet 5/5 vom 20. November 2019). Noch ersichtlicher wird der Eingriffscharakter der genannten Tweets durch die Mitteilung, dass sich „viele Bürgerinnen und Bürger der rechten Hetze entgegenstellen“ (Tweet 1/5, Bild-Text-Karte vom 20. November 2019), ferner durch die pauschale Aufforderung, „heute unter dem Motto ‚bunt statt braun‘ friedlich auf die Straße <zu> gehen“ (Tweet 3/4 vom 23. November 2019), durch die weitere Information, dass „die Landesregierung mit Innenminister @borispistorius dabei sein werde“ (Tweet 4/4 vom 23. November 2019), durch das Statement bzw. den Hashtag „Wir sind mehr!“ (Tweet 3/4 vom 23. November 2019) und durch die Äußerung von persönlicher Hoffnung („Wichtig ist, …“ [Tweet 5/5 vom 20. November 2019], „Ich hoffe, …“ [Tweet 3/4 vom 23. November 2019]) und Belobigung („Danke allen, die heute …“ [Tweet 4/4 vom 23. November 2019]). Mit diesen Twitter-Äußerungen hat der Antragsgegner den Leserinnen und Lesern der Tweets die Erkenntnis zu vermitteln versucht, dass derjenige, der wegbleibe oder sich der Gegendemonstration anschließe, seinen Bürgerpflichten in der Auseinandersetzung mit demokratie- und pressefreiheitsfeindlichen Bestrebungen nachkomme.

Die Tweets 1/5 und 5/5 aus dem Thread vom 20. November 2019 und die Tweets 3/4 und 4/4 aus dem Thread vom 23. November 2019 waren damit geeignet, die potentiellen Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu kritisieren. Zu dieser Gesamtwirkung der genannten Tweets hat ganz besonders beigetragen, dass im zuerst geposteten Tweet 1/5 vom 20. November 2019 die Feststellung, es sei „wichtig, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger der rechten Hetze entgegenstellen“ unter Verwendung des Landeswappens, der Amtsbezeichnung „Niedersächsischer Ministerpräsident“ und des Niedersachsen-Claims gepostet wurde. Überdies hat der Antragsgegner den Erfolg der Gegendemonstration auch dadurch zu befördern versucht, dass er in den Tweet 3/4 einen einschlägigen Hashtag (#wirsindmehr) eingesetzt hat.

Keine Wirkung der beschriebenen Art besaß dagegen der ebenfalls streitgegenständlich gemachte Tweet 1/4 aus dem Thread vom 23. November 2019, in dem der Antragsgegner mitgeteilt hat, es sei für ihn, „wie wohl für viele andere, nicht leicht zu verdauen, dass das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die NPD Demo in #Hannover erlaubt“ habe. Mit diesem Tweet wurde weder das der Antragstellerin nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zustehende Recht, sich im Wege einer Versammlung politisch zu betätigen, in Zweifel gezogen noch zu einer Verhaltensweise aufgefordert, die die freie, ungehinderte Ausübung ihres Versammlungsrechts in irgendeiner Weise tangiert hat.

Soweit der Antragsgegner dagegen meint, die Tweets hätten allesamt keine relevante Abweichung von anerkannten und üblichen Gepflogenheiten in Form einer „herausgehoben parteibezogene(n) Handlung“ dargestellt, sondern seien als sozialadäquates Verhalten im tagespolitischen Geschäft zu qualifizieren, in dem auch die kontroverse Auseinandersetzung über politische Themen zulässig sei, kann die daraus gezogene Schlussfolgerung fehlender Eingriffswirkung in das Recht der Antragstellerin auf chancengleiche Mitwirkung an der politischen Willensbildung – sieht man von Tweet 1/4 aus dem Thread vom 20. November 2019 ab – nicht überzeugen. Den Leserinnen und Lesern der Tweets 1/5 und 5/5 aus dem Thread vom 20. November 2019 und der Tweets 3/4 und 4/4 aus dem Thread vom 23. November 2019 blieb zwar die freie Entscheidung über ihr Tun, jedoch hatte der Antragsgegner die Erwartung bzw. Hoffnung, dass sich die Gegnerinnen und Gegner der Antragstellerin mit Blick auf seine Tweets in einer bestimmten Weise verhalten würden, nämlich einerseits dahingehend, dass sie aufgrund der Tweets nicht an der Aufzugsversammlung teilnehmen würden bzw. – umgekehrt –, dass sie sich der Gegendemonstration anschließen würden.

Die Antragstellerin war dadurch beeinträchtigt, dass möglicherweise aufgrund der Tweets die Zahl der Teilnehmer an der Gegendemonstration angestiegen ist und dass die auf diese Weise ungünstigere zahlenmäßige Relation zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der von ihr veranstalteten Aufzugsversammlung und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Gegendemonstration die Öffentlichkeitswirkung ihrer eigenen Versammlung nochmals gemindert hat. Genau dies war vom Antragsgegner auch bezweckt. Der Antragstellerin gegenüber hatten die Tweets 1/5 und 5/5 aus dem Thread vom 20. November 2019 und die Tweets 3/4 und 4/4 aus dem Thread vom 23. November 2019 somit keinen bloßen Bagatellcharakter unterhalb der Eingriffsschwelle, sondern faktisch beeinträchtigende Wirkung für ihr von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG garantiertes Recht, im Wege einer Versammlung auf ihre politischen Ziele hinzuweisen, für diese zu werben und ihnen im öffentlichen Diskurs Beachtung zu verschaffen.

b) Der Antragsgegner kann seinen Eingriff in den persönlichen und sachlichen Gewährleistungsbereich des Rechts der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG aber damit rechtfertigen, dass er von einer ihm als Teil des Verfassungsorgans „Landesregierung“ zustehenden Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch gemacht. Er hat sich im Zusammenhang mit einem konkreten Angriff einer als verfassungsfeindlich festgestellten Partei für die Institution „Freie Presse“, die Pressefreiheit und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten eingesetzt. Dadurch ist er seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe und Pflicht nachgekommen, das freiheitlich-demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Niedersachsen zu bewahren und die Bevölkerung für demokratiegefährdende Entwicklungen zu sensibilisieren sowie das bürgerschaftliche Engagement zu stärken.

aa) Freie journalistische Tätigkeit und freie Medien sind ein unverzichtbarer Grundpfeiler sowohl der Persönlichkeitsentfaltung als auch der demokratischen Ordnung (BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987 - 2 BvR 1434/86 -, BVerfGE 77, 65, 74, juris Rn. 17, m.w.N.; Urt. v. 22.2.1994 - 1 BvL 30/88 -, BVerfGE 90, 60, 87, juris Rn. 140). Journalistinnen und Journalisten beschaffen Informationen, übermitteln sie an möglichst viele Menschen, nehmen Stellung und wirken als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung; auf diese Weise flankieren sie mit ihrer Arbeit die politischen Parteien bei der Wahrnehmung ihrer Aufgabe der politischen Willensbildung des Volkes. Zu den Funktionsbedingungen solcher Pressearbeit gehört, dass Journalistinnen und Journalisten frei sind, im Hinblick auf ihre berufliche Aufgabe selbst zu entscheiden (und damit zu verantworten), was sie recherchieren und veröffentlichen.

Das Grundgesetz und die Niedersächsische Verfassung tragen dieser essentiellen Rolle einer Freien Presse als Voraussetzung der Demokratie Rechnung, indem Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Satz 1 NV) einerseits – dies entspricht seiner systematischen Stellung und seinem traditionellen Verständnis als subjektives Grundrecht für die im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen – Freiheit gegenüber staatlichem Zwang gewährt und den Grundrechtsträgern in gewissen Zusammenhängen eine bevorzugte Rechtsstellung gewährt. Andererseits wird Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch noch eine objektiv-rechtliche Seite zugebilligt. Der Staat hat nicht nur den Auftrag, eine mediale „Grundversorgung“ zu gewährleisten, sondern es besteht auch eine Institutsgarantie für die freie Presse, die u.a. eine Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie nach sich zieht (BVerfG, Urt. v. 5.8.1966 - 1 BvR 586/62 -, BVerfGE 20, 162, 175, juris Rn. 37; BVerfG, Urt. v. 22.2.1994 - 1 BvL 30/88 -, BVerfGE 90, 60, 89 ff., Rn. 150 ff.; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 (Bearbeitungsstand: 2018), Rn. 353 ff.). Der Staat ist – unabhängig von den subjektiven Berechtigungen des einzelnen Grundrechtsträgers – verpflichtet, durch sein Handeln überall dem Postulat der Freiheit der Institution Presse Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Urt. v. 5.8.1966 -1 BvR 586/62 -, BVerfGE 20, 162, 175, juris Rn. 38) und auf diese Weise eine „positive Ordnung“ sicherzustellen, in der die „Funktionsbedingungen“ einer freien Presse gewährleistet sind und die Presseangehörigen ihren Tätigkeiten nachgehen können (BVerfG, Urt. v. 22.2.1994 - 1 BvL 30/88 -, BVerfGE 90, 60, 89, Rn. 142 ff.). Die dem Staat abverlangte Schutzpflicht für das Institut der Freien Presse umfasst dabei insbesondere den Schutz gegen Gefährdungen, die von Dritten ausgehen.

bb) Die im Kontext der Aufzugsversammlung am 23. November 2019 geäußerte Kritik der Antragstellerin an den Rahmenumständen des Interviews des Journalisten C mit dem am Massaker von Ascq beteiligten D und die Kritik an der Gebührenfinanzierung des öffentlichen Rundfunks stellte sich im konkreten Fall als ein Angriff auf die Presse- und Rundfunkfreiheit im Ganzen und damit als ein Angriff auf das Institut der Freien Presse dar. Der Antragstellerin ging es einerseits darum, durch die explizite Namensnennung („C in die Schranken weisen!“) einen Journalisten, der regelmäßig im rechtsextremen Milieu investigativ recherchiert und in diesem Kontext das in der ARD-Sendung Panorama ausgestrahlte Interview geführt hatte, anzuprangern und ihn zugleich einzuschüchtern. Unterstrichen wird diese Zielrichtung der Antragstellerin durch den gewählten Versammlungsaufruf. Unabhängig davon, ob der anfänglich kursierende Aufruf „Rache für D“ der Antragstellerin zurechenbar ist oder nicht, lässt auch der bei der Aufzugsversammlung am 23. November 2019 konkret verwendete Aufruf „Gerechtigkeit für D“ den Schluss zu, dass die Antragstellerin den Journalisten C mit der Aufzugsversammlung und Kundgebung nicht nur „in die Schranken weisen“, sondern auch mundtot machen wollte. Die namentliche Nennung eines für einen missliebigen Beitrag verantwortlichen Journalisten, der keine leitende Stellung in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt oder in einem Massenmedium einnimmt und daher auch nicht – wie etwa ein Intendant – bloß stellvertretend für die den Beitrag veröffentlichende Medienanstalt oder das Presseunternehmen der Kritik ausgesetzt wird, und die Ankündigung, diesem benannten Journalisten „Gerechtigkeit“ widerfahren zu lassen, kann unter den konkreten Umständen nur als Druckmittel verstanden werden. Wer einen Journalisten, der trotz presserechtlich gebotener Namensnennung letztlich für die breitere Öffentlichkeit als Berichtsverfasser doch eher anonym geblieben ist, in der hier von der Antragstellerin gewählten Art und Weise individualisiert und ihn im Rahmen einer Versammlung zur Zielscheibe persönlicher Kritik macht, bezweckt oder nimmt zumindest billigend in Kauf, dass sich dieser Journalist Beleidigungen und bösartig formulierten Bewertungen, Drohungen oder Shitstorms in sozialen Netzwerken und gewalttätigen Reaktionen ausgesetzt sieht.

Schon der Umstand, wegen eines journalistischen Beitrags Adressat einer Kundgebung geworden zu sein, wird den Betroffenen regelmäßig verunsichern, sein Durchhaltevermögen auf die Probe stellen und ihn unter Umständen, weil er Nachteile für sich und ihm nahestehende Personen befürchtet, zukünftig von thematisch ähnlichen Recherchen und Beiträgen abhalten. Erfahrungsgemäß wird die Wirkung dieser personellen Adressierung einer Demonstration durch das regelmäßig paramilitärische Erscheinungsbild von Demonstrationen der Antragstellerin mit einheitlich schwarz gekleideten Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Fahnen und Trommeln und martialisch wirkendem Ordnungsdienst noch verstärkt. Hinzu kam hier auch noch die von der Antragstellerin ebenfalls hergestellte Verbindung zwischen dem Journalisten und der Gebührenfinanzierung des Norddeutschen Rundfunks, für den C als freier Journalist tätig war und von dem er sein Honorar für das von der Antragstellerin kritisierte Interview erhalten hat. Ein Journalist, der sich dem Vorwurf der Inkorrektheit („hetzerische Journalistentätigkeit“) ausgesetzt sieht und gegen den sogar demonstriert wird, wird auch Sorge haben, dass ihn sein Auftraggeber möglicherweise nicht noch einmal beauftragt bzw. von ihm verfasste Beiträge nicht noch einmal veröffentlicht, um nicht selbst – wie geschehen – ins Kreuzfeuer von Kritik zu geraten.

Zum Zeitpunkt des Postens der streitgegenständlichen Tweets am 20. und am Morgen des 23. November 2019 erschien die von der Antragstellerin angekündigte (und dann am Mittag des 23. November 2019 auch so durchgeführte Aufzugsversammlung) nicht nur als darauf ausgerichtet, auf die zukünftige Berufsausübung eines einzelnen Journalisten massiv einzuwirken und ihn „mundtot“ zu machen. Es lag in ihr – nimmt man alle genannten Umstände (Personenbezogenheit der Demonstration, explizite Namensnennung, Vorwurf der Inkorrektheit des journalistischen Tätigwerdens, Forderung nach Herstellung von „Gerechtigkeit“) zusammen – eine Bedrohung der freien Pressearbeit im Feld der Berichterstattung über Rechtsextremismus insgesamt. Durch die mediale Berichterstattung über die Absicht der Antragstellerin, in dieser Form einen ihr missliebigen Journalisten anzuprangern, drohte eine Breitenwirkung dahingehend zu entstehen, dass sich die bei dem Betroffenen geschürten Befürchtungen auch auf andere Journalistinnen und Journalisten übertragen könnten, die dann ebenfalls davon absehen könnten, im Feld der Berichterstattung über Rechtsextremismus tätig zu werden. Überdies war die Gefahr einer negativen Vorbildwirkung nicht von der Hand zu weisen: Würde die Antragstellerin mit ihrer aggressiven Rhetorik gegenüber dem Journalisten C erfolgreich sein und diesen von weiteren Recherchen und weiterer Berichterstattung über rechtsextremistische Kreise erfolgreich abhalten, hätten andere interessierte Kreise daraus die Schlussfolgerung ziehen können, in ähnlicher Weise vorzugehen, um Journalistinnen und Journalisten auch hinsichtlich anderer investigativer Felder zu verunsichern.

cc) Vor dem Hintergrund, dass von der Antragstellerin ein „einfacher“ freier Journalist an den Pranger gestellt und eingeschüchtert werden sollte und dieses Beispiel, sollte es Schule machen und ohne deutlich wahrnehmbaren öffentlichen Widerspruch bleiben, geeignet war, eine freie Pressearbeit massiv in Frage zu stellen, war der Antragsgegner im Rahmen seiner ihm als Regierungsmitglied zustehenden Kompetenz zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit berechtigt, die streitgegenständlichen Tweets zu posten und sich damit schützend vor die freiheitlich demokratische Grundordnung und ihre Institutionen zu stellen; seine Neutralitätspflicht war insoweit eingeschränkt.

Es gehört zu den Amtspflichten des Antragsgegners, das Grundgesetz und die Niedersächsische Verfassung sowie die Gesetze zu wahren. Das ist Ausdruck der in Art. 2 Abs. 2 NV niedergelegten umfassenden Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt. Die Amtspflichten eines Regierungsmitglieds, soweit sie rechtlicher Art sind, entsprechen daher dem Umfang seiner Gesetzesbindung. Ist der Staat aber verpflichtet, durch sein Handeln überall dem Postulat der Freiheit der Institution Presse Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Urt. v. 5.8.1966 - 1 BvR 586/62 -, BVerfGE 20, 162, 175, juris Rn. 37) und sicherzustellen, dass die „Funktionsbedingungen“ einer freien Presse gewährleistet sind und die Presseangehörigen ihren Tätigkeiten nachgehen können, kann ein Regierungsmitglied sich auch, ohne seine Amtspflichten zu verletzen, aktiv schützend vor die Institution Presse stellen und öffentlich deren Freiheit der Berichterstattung verteidigen. Der Antragsgegner hatte hier zudem den von ihm zu leistenden Amtseid (Art. 31 Satz 1 NV) zu beachten. Dieser geht über die bloße Pflicht zum Rechtsgehorsam hinaus, indem zu schwören ist, dass das Grundgesetz, die Niedersächsische Verfassung und die Gesetze auch „zu verteidigen“ sind. Regierungsmitgliedern ist daher mehr abgefordert als eine nur formal korrekte, im Übrigen aber uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung. Der Amtseid kann daher zwar nicht neue verfassungsrechtliche Befugnisse konstituieren oder vorhandene Befugnisse erweitern. Er kann aber eine Befugnisausübung fordern, zumal diese auch mit Blick auf den dem Grundgesetz und der Niedersächsischen Verfassung eigenen Wesenszug der streitbaren oder wehrhaften Demokratie (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 - 1 BvB 2/51 -, BVerfGE 5, 85, 139, juris Rn. 159 ff.; Beschl. v. 15.1.1969 - 1 BvR 438/65 -, BVerfGE 25, 88, 100, juris Rn. 159 ff.; Beschl. v. 17.9.2013 - 2 BvR 2436/10 -, BVerfGE 134, 141, 179, Rn. 112) verlangt ist, wenngleich das Prinzip der streitbaren Demokratie nicht als unspezifische, pauschale Eingriffsermächtigung missverstanden werden darf (BVerfG, Beschl. v. 17.9.2013 - 2 BvR 2436/10 -, BVerfGE 134, 141, 179 f., Rn. 114).

Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Antragsgegner andere Möglichkeiten des öffentlichen Eintretens zugunsten des Journalisten C und der bedrohten Institution freie Presse zur Verfügung gestanden hätten. Der Staatsgerichtshof überprüft im Organstreitverfahren allein, ob die vom Antragsgegner konkret vollzogene Maßnahme mit der Niedersächsischen Verfassung vereinbar ist. Dass der Antragsgegner zum Posten der Tweets am 20. und 23. November 2019 berechtigt war, steht mit Blick auf seine Gesetzesbindung und seine daraus resultierende Amtspflicht, durch sein Handeln überall dem Postulat der Freiheit der Institution Presse Rechnung zu tragen, außer Zweifel.

dd) Sein berechtigtes Tätigwerden entband den Antragsgegner allerdings nicht von der Verpflichtung zu einer Wortwahl, die die Vorgaben des Sachlichkeitsgebots beachtete. Dieser Anforderung genügen die streitgegenständlichen Tweets. Sie enthalten zwar – jedenfalls zum Teil – eine deutlich negative Qualifizierung der Antragstellerin als einer Partei, die „perfide“ handelt, „rechte“ bzw. „rechtsextreme Hetze“ betreibt und „unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit“ gegen die Pressefreiheit demonstriert. Diese Wortwahl berührt die äußersten Grenzen des Zulässigen, überschreitet aber – sieht man auf den Gesamtkontext von Anprangerung, Bedrohung und Einschüchterung eines missliebigen Journalisten und den daraus möglicherweise entstehenden Weiterungen für die Pressefreiheit und das Institut der Freien Presse im Allgemeinen – noch nicht die Grenzen regierungsamtlicher warnender Informationsarbeit gegen demokratiefeindliches Handeln. Eine Partei wie die Antragstellerin, zu der das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass sie sich zu ihren verfassungsfeindlichen Zielen bekennt und planmäßig auf deren Verwirklichung hinarbeitet (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20, 325, Rn. 896), muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn ihre Verfassungsfeindlichkeit von den zur Staatsleitung berufenen Organen thematisiert und klar benannt wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE 138, 102, 116, juris Rn. 47; ThürVerfGH, Urt. v. 3.12.2014 - VerfGH 2/14 -, ThürVerfGHE 10, 85, juris Rn. 68). Dabei dürfen sich die staatlichen Organe auch einer deutlichen, unmissverständlichen Sprache bedienen, solange – wie hier – nicht die aus dem Sachlichkeitsgebot folgende Grenze zur Diffamierung und Herabwürdigung überschritten wird.

Der Antragsgegner hat insbesondere auch nicht ausdrücklich zum Boykott der von der Antragstellerin angekündigten Demonstration aufgerufen. Vielmehr hat er anerkannt, dass die Antragstellerin – wie das Verwaltungsgericht Hannover und das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in ihren Eilentscheidungen bestätigt haben und dem Antragsgegner zum Zeitpunkt des Postens des Threads am 23. November 2019 bekannt war – zulässigerweise und rechtmäßig von ihrem Recht zur Durchführung einer politischen Kundgebung und ihrer Meinungsäußerungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. In dieser Situation bestand ein wirkungsvolles In-die-Öffentlichkeit-Treten des Antragsgegners zu Gunsten eines „kritischen Journalismus“ darin, in seiner Rolle als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen an seine Twitter-Follower und andere Twitter-Nutzer einen Aufruf zu verfassen, „ein klares Zeichen für unsere wehrhafte Demokratie“ zu setzen und sich der Gegenkundgebung anzuschließen (Tweet 3/4 des Threads vom 23. November 2019). Das damit verbundene politische Signal einer deutlichen Mehrheit von rechts- und verfassungstreuen Bürgerinnen und Bürgern einschließlich des Antragsgegners sowie der Hinweis auf die Teilnahme der Landesregierung mit ihm und „mit Innenminister @borispistorius“ diente der Schaffung einer Gegenöffentlichkeit zur Aufzugsversammlung der Antragstellerin. Im Vordergrund stand nicht der Charakter eines Beitrags zum politischen Meinungskampf mit den politischen Zielen der Antragstellerin, sondern die Abwehr eines Übergriffs der Antragstellerin auf einen Grundpfeiler der freiheitlich demokratischen Grundordnung dergestalt, dass die Bürgerinnen und Bürger zur Verteidigung „ihrer“ Verfassung aufgerufen werden sollten.

C.

Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei; Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.

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