LG Hamburg, Urteil vom 25.03.2020 - 318 S 5/19
Fundstelle
openJur 2020, 77843
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 30.11.2018, Az. 303b C 5/18, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits (I und II Instanz) zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft P. ... /F. ..., ... H.. Sie streiten in der Berufungsinstanz über die Gültigkeit des auf der Eigentümerversammlung vom 16.02.2018 zu TOP 16 (Balkonsanierung) zum „Antrag: Balkone“ gefassten Beschlusses.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat mit seinem am 30.11.2018 verkündeten Urteil der Klage stattgegeben und den vorgenannten Beschluss für ungültig erklärt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Beschluss widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, weil im Zeitpunkt der Beschlussfassung keine drei Vergleichsangebote vorgelegen hätten. Ein Beschluss über die Vergabe von größeren Aufträgen zur Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen verstoße regelmäßig gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn nicht mindestens drei Vergleichsangebote eingeholt und die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht über sämtliche relevanten Umstände informiert worden seien. Erst hierdurch könne den Wohnungseigentümern aufgezeigt werden, welche Unterschiede zwischen den Angeboten bestünden und woran sie bei rein rechnerischer Betrachtung mit den verschiedenen Angeboten seien. Der Beschluss genüge diesen Anforderungen nicht. Die von der Verwaltung vorgelegten Angebote der Firmen L., G. und K. M. stellten keine Vergleichsangebote dar. Lediglich die Firma L. habe in ihrem Angebot auf die für die Häuserblöcke jeweils unterschiedlichen Sanierungsmaßnahmen abgestellt und hierfür gesondert Leistungen angeboten. Das Angebot der G. weise kein eigenes Leistungsverzeichnis auf und setze lediglich eigene Preise in das durch die Firma L. erstellte Angebot ein. Welche Sanierungsarbeiten erforderlich seien, sei von der Firma G. nicht eigenständig ermittelt worden. Auch das Angebot der Firma K. M. lasse nicht erkennen, dass die Firma sich ein Bild von den erforderlichen Sanierungsarbeiten verschafft habe, denn sie biete einen Neubau der Balkone an und keine Instandsetzung. Die Verwaltung wäre verpflichtet gewesen, mindestens zwei weitere Angebote zur Instandsetzung einzuholen, um der Wohnungseigentümergemeinschaft eine Überprüfung der Erforderlichkeit hinsichtlich Umfang und Kosten zu ermöglichen.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 14.12.2018 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am 10.01.2019 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit einem am 14.02.2019 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagten tragen vor, das Amtsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Es habe bereits nicht berücksichtigt, dass der Klageantrag nicht hinreichend bestimmt sei, weil unter TOP 16 zwei Beschlüsse gefasst worden seien. Beide Beschlüsse hätten die Balkonsanierung betroffen. Es stehe nach dem Klageantrag nicht zweifelsfrei fest, gegen welchen Beschluss der Kläger sich wende. Ferner hätten sie bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass allen drei Firmen das Schadensbild gezeigt worden seien und sie gebeten worden seien, die notwendigen Reparaturen anzubieten. Später habe dann die Firma G. darum gebeten, das Leistungsverzeichnis der Firma L. zu erhalten. Das Leistungsverzeichnis sei daraufhin zur Arbeitserleichterung ohne Preise zur Verfügung gestellt worden. Dies könne daher kein Ausschlusskriterium für eine fehlende Vergleichbarkeit sein. Richtig sei, dass das Angebot der Firma K. M. höhere Kosten ausweise. Die Firma habe ihren deutlich höheren Preis dadurch gerechtfertigt, dass sie generell alle Balkondecken erneuere und zwar unabhängig davon, ob nach der Entfernung der Balkongitter sich ein weiterer Schaden konkret zeige. Das Grundproblem sei, dass man die Stahlträger nicht sehen könne. Sie müssten aber nur dann saniert werden, wenn sie schadhaft seien. Dies erkenne man erst beim Entfernen der entsprechenden Teile der Balkone. Dies werde im Rahmen der laufenden Arbeiten geschehen. Die Firmen G. und L., die nicht alle Stahlkonstruktionen hätten erneuern wollen, hätten eben den entsprechenden Anteil geschätzt und kalkuliert, während die Firma K. M. alle Balkone hinsichtlich der Stahlkonstruktion habe erneuern wollen. Dass die unterschiedlichen Auftragnehmer unterschiedliche Vorstellungen vom Umfang der Arbeiten hätten und dementsprechend zu unterschiedlichen Preisen gelangten, sei Teil des Auswahlprozesses. Eine völlige Identität der Angebote sei nicht erforderlich. Selbst Teilleistungen seien mit vollständigen Angeboten vergleichbar und könnten eine ausreichende Grundlage darstellen, wenn Rückschlüsse auf die Gesamtkosten möglich seien. Die konkreten Angebote beinhalteten letztlich die gleichen Maßnahmen. Nur der Umfang der Sanierung sei von den Firmen abweichend beurteilt worden. Dies sei den Wohnungseigentümern erläutert worden und sei Teil des Auswahlprozesses gewesen.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 30.11.2018, Az. 303b C 5/18, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das amtsgerichtliche Urteil. Der Beschluss widerspreche ferner auch deshalb ordnungsgemäßer Verwaltung, weil der Beschlussantrag zu unbestimmt sei. Auch hätten die Angebote im Hinblick auf den Umfang der Instandsetzungsmaßnahmen zugleich mit der Einladung an die Wohnungseigentümer übermittelt werden müssen. Jedenfalls hätten diese in der Eigentümerversammlung vorliegen müssen. Vor einer Beschlussfassung hätte zudem ein Sanierungskonzept eingeholt werden müssen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze im Berufungsverfahren Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache auch Erfolg.

Zu Unrecht hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben.

1.

Die Anfechtungsklage ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klageantrag bestimmt genug.

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift, neben dem Antrag, die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Der Inhalt des Klageantrages ist der Auslegung zugänglich. Zur Auslegung sind auch die Ausführungen in der Begründung mit heranzuziehen (Bacher in BeckOK, ZPO, Vorwerk/Wolf, 35. Edition 5, Stand: 01.01.2020, Rn. 58).

Aus der Klageschrift ergibt sich, dass der auf der Eigentümerversammlung vom 16.02.2018 zu TOP 16 (Balkonsanierung) zum „Antrag: Balkone“ gefasste Beschluss angefochten werden soll und nicht (zusätzlich) der zum „Antrag: Balkongeländer“ gefasste Beschluss. Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, dass die Firmen L., G. und K. M. Angebote für eine Balkonsanierung unterbreitet hätten. Im Zusammenhang mit der mit der Klageschrift eingereichten Anlage K 2, folgt sodann, dass es allein um den Beschluss bzgl. der Balkonsanierung ohne Balkongeländer geht.

2.

Die Anfechtungsklage ist jedoch unter Berücksichtigung der innerhalb der Klagebegründungsfrist (§ 46 Abs. 1 S. 2 WEG) vom Kläger vorgebrachten Einwendungen unbegründet. Hierzu im Einzelnen:

2.1

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, der Beschluss widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, weil keine drei Vergleichsangebote vorlägen. Die im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorhandenen Angebote sind hinreichend vergleichbar.

Bei Vergabe von größeren Aufträgen zur Durchführung von Instandsetzungs- oder Instandhaltungsarbeiten verstößt ein entsprechender Beschluss regelmäßig gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn nicht zuvor mehrere Vergleichsangebote eingeholt worden sind. Die Angebote müssen vergleichbar sein. Dadurch soll gewährleistet werden, dass ausreichende Informationsmöglichkeiten als Grundlage der zu treffenden Entscheidung vorliegen, damit etwa technische Lösungen gewählt werden, die eine dauerhafte Beseitigung von Mängeln und Schäden versprechen, damit aber auch auf Wirtschaftlichkeit geachtet wird und keine finanziell nachteiligen Beschlüsse gefasst werden (Vandenhouten in Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Auflage, § 21 Rn. 75; Merle in Bärmann, WEG, 14. Auflage, § 21 Rn. 31). Zudem sollen sie den Wohnungseigentümern die Stärken und Schwächen der Leistungsangebote aufzeigen (BGH, Urteil vom 22.06.2012, V ZR 190/11).

Nach Auffassung der Kammer sind die streitgegenständlichen Angebote (noch) vergleichbar. Dass die Angebote unterschiedliche technische Lösungen beinhalten, ist vom Kläger weder dargetan noch ersichtlich. Dass die Firma K. M. eine vollständige Sanierung der Betonflächen vorsieht, während die anderen Angebote eine Untersuchung der Balkone auf Schadstellen vorsehen und (zunächst) von einer Schadensquote der Fläche von ca. 10 % ausgehen, steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen. Die Wohnungseigentümer konnten die Kosten für eine vollständige Sanierung durch einen einfachen Rechenschritt ermitteln. Da es sich bei den Angeboten der Firma L. und der Firma G. erkennbar um Einheitspreisverträge handelt, fallen sodann auch nur die Kosten für die tatsächlich vorgenommenen Arbeiten an.

Die Kammer teilt auch nicht die Auffassung des Klägers, dass sämtliche Angebote auf ein identisches Leistungsverzeichnis zu erfolgen haben. Dies würde die Anforderungen an Vergleichsangebote überspannen.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Firma G. ihre Preise auf das von der Firma L. erstellte Leistungsverzeichnis abgegeben hat, ohne - wie der Kläger (streitig) behauptet - sich zuvor selbst ein Bild von den Gegebenheiten gemacht zu haben. Diese Vorgehensweise ist nicht unüblich.

Für seine (streitige) Behauptung, keine der Firmen habe sich vor der Erstellung der Angebote die Gegebenheiten zur Schadensermittlung angeschaut, hat der Kläger keinen Beweis angeboten.

2.2

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widerspreche, weil die Angebote nicht mit dem Einladungsschreiben zur Eigentümerversammlung übersandt worden seien.

Eine generelle Pflicht zur Übersendung von Vergleichsangeboten an sämtliche Wohnungseigentümer besteht nicht (Merle in Bärmann, a.a.O., § 21 Rn. 31). Liegen im Zeitpunkt der Beschlussfassung Vergleichsangebote vor, reicht es aus, dass die Wohnungseigentümer vor der Versammlung die Gelegenheit hatten, in die Vergleichsangebote Einsicht zu nehmen oder um deren Übermittlung zu bitten, wenn sie die ihnen mit dem Einladungsschreiben übersandten Unterlagen nicht für ausreichend halten. Kein Wohnungseigentümer ist gezwungen, vor der Beschlussfassung alle Vergleichsangebote inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen oder näher zu prüfen (Kammer, Urteil vom 14.11.2018, 318 S 23/18, Rn. 62, zitiert nach juris).

Diesen Anforderungen ist vorliegend Genüge getan. Dem Kläger wurden die Angebote auf Nachfrage vorab von der Verwaltung unstreitig zur Verfügung gestellt. Diese Möglichkeit stand auch den anderen Wohnungseigentümern offen.

2.3

Der Beschluss widerspricht auch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, weil vor dem Hintergrund, dass die Balkone der Häuser P. 3. im Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits saniert worden waren, unklar war, auf welche Häuser der Wohnungseigentumsanlage sich die Sanierung beziehen sollte.

Beschlüsse sind wie Grundbucheintragungen auszulegen, denn sie wirken auch ohne Eintragung in das Grundbuch wie Grundbucherklärungen für und gegen Sondernachfolger, § 10 Abs. 3, 4 WEG. Der Rechtsverkehr hat daher ein Interesse, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Beschlüsse sind somit "aus sich heraus", objektiv und normativ, auszulegen, wobei der Beschluss inhaltlich Bezug auf Urkunden oder Schriftstücke nehmen darf. Nimmt ein Beschluss der Wohnungseigentümer auf ein Dokument Bezug, das weder Teil des Beschlusstextes noch des Protokolls ist, erfordert das Gebot der inhaltlichen Klarheit und Bestimmtheit, dass das in Bezug genommene Dokument zweifelsfrei bestimmt ist. Schließlich muss der in dem Beschluss getroffene Regelungstatbestand unter Einbeziehung des in Bezug genommenen Dokuments verständlich und klar sein (BGH, Urteil vom 08.04.2016 - V ZR 104/15, Rn. 9-10, zitiert nach juris).

Dies ist hier der Fall. Der Beschluss nimmt konkret Bezug auf das Angebot der Firma J. L., Angebots-Nr.... vom 13.04.2017. Aus dem Betreff des Angebotes ergibt sich eindeutig, dass die Balkone der Häuser P. 3. nicht von den Sanierungsmaßnahmen erfasst sind.

2.4

Soweit der Kläger (erstinstanzlich) ferner vortragen hat, das Preis-Leistungs-Verhältnis des Angebots der Firma L. sei unverhältnismäßig, ist dies nicht ersichtlich.

3.

Soweit der Kläger weiter vorgetragen hat, der Beschluss widerspreche auch deshalb ordnungsgemäßer Verwaltung, weil vor Beschlussfassung eine konkrete Schadensermittlung/Konzepterstellung durch einen Architekten oder Bauingenieur hätte erfolgten müssen, wie dies auf der Eigentümerversammlung vom 08.11.2016 zu TOP 5 beschlossen worden sei, es seien Arbeiten in den Angeboten eingespeist, die tatsächlich oder technisch an dem Objekt nicht durchführbar seien und der Beschluss sei auch deshalb unbestimmt, weil er den Begriff „Sanierung“ enthalte, sind diese Einwände bei der Entscheidung nicht zu berücksichtigen, da sie außerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist erfolgt sind.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist §§ 708 Ziff. 10, 711, 713 ZPO zu entnehmen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte