SG Darmstadt, Gerichtsbescheid vom 23.04.2020 - S 13 KR 544/19
Fundstelle
openJur 2020, 77666
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Fortzahlung von Krankengeld über den 7. September 2018 hinaus.

Die 1972 geborene Klägerin war bei der Beklagten krankenversichert und legte für den Zeitraum vom 20. August 2018 bis 7. September 2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. In diesem Zeitraum erhielt sie von der Beklagten Krankengeld. Bereits vor Ablauf des Zeitraums wurde sie von der Agentur für Arbeit abgemeldet. Für den Zeitraum vom 12. September 2018 bis 28. September 2018 reichte die Klägerin bei der Beklagten eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein.

Mit Bescheid vom 13. September 2018 lehnte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld über den 7. September 2018 hinaus ab. Um die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten aufrecht zu erhalten, sei eine Folgebescheinigung am nächsten Werktag, den 10. September 2018, notwendig gewesen, um einen lückenlosen und durchgehenden Krankengeldanspruch nachzuweisen. Da die Folgebescheinigung auf den 12. September 2018 datiere, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 legte die Klägerin Widerspruch ein. Es läge ein zu berücksichtigender Ausnahmefall vor. Die Klägerin habe sich am 10. September 2018 telefonisch bei ihrem behandelnden Arzt gemeldet, um einen Termin zu erhalten. Dies sei normalerweise kein Problem. Da sich der Hausarzt jedoch im Urlaub befand, habe sie bei dessen Vertreter erst am 12. September 2018 einen Termin erhalten. Aus diesem Grunde habe sie die Folgebescheinigung erst ab dem 12. September 2018 erhalten. Die Klägerin melde sich aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen immer vorab telefonisch an, da sie kein Auto fahren könne und zu Fuß etwas unsicher sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2019 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Es reiche nicht aus, den Arzt telefonisch zu kontaktieren, es sei ein unmittelbarer persönlicher Kontakt zum Arzt notwendig. Sofern der Arzt in diesem Falle aus von ihm zu vertretenen Gründen keine Folgebescheinigung ausstelle, sei dies der Beklagten zuzurechnen. Eine solche Konstellation sei nicht gegeben.

Hiergegen hat die Klägerin am 28. Februar 2019 vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben.

Sie ist der Auffassung, dass das Krankengeld zu Unrecht eingestellt wurde. Es liege ein Ausnahmefall vor, da ihr ein früheres Erscheinen in der Praxis ihres Hausarztes vor dem 12. September 2018 schuldlos verweigert worden sei. Dies, obwohl sie darauf hingewiesen habe, dass sie eine Folgebescheinigung benötige.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2019 zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld in gesetzlicher Höhe über den 7. September 2018 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass eine zu berücksichtigende Krankengeldlücke vorliege. Eine lückenlose Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit sei nicht erfolgt. Dies sei von besonderer Relevanz, da die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten nur noch über den Bezug von Krankengeld bestanden habe. Das Ende der Mitgliedschaft schließe auch einen neuerlichen Krankengeldanspruch aus. Ein Ausnahmefall liege nicht vor, da nicht rechtzeitig ein unmittelbarer persönlicher Kontakt mit dem Arzt aufgenommen worden sei.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2019 wurden die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist aufgrund der beigezogenen Unterlagen hinsichtlich des vorliegenden Streitgegenstandes umfänglich geklärt.

Die Beteiligten sind zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden und haben nichts vorgetragen, was einer Entscheidung gemäß § 105 SGG entgegenstehen würde.

Die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 4, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 13. September 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2019 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den 7. September 2018 hinaus.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der hier maßgeblichen Fassung vom 23.07.2015 bis 10.05.2019(im Folgenden: aF) haben Versicherte (abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung) Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang sie Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das bei Entstehung des Krankengeldanspruchs vorliegt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, Rn. 2; BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R).

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht (außer bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge oder Rehabilitationseinrichtung) von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der Fassung vom gültig ab 23.07.2015 bis 10.05.2019 (im Folgenden: aF)). Der Anspruch auf Krankengeldbleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage (§ 46 Satz 2 SGB V aF). Das Krankengeld ist indes keine Dauerleistung, sondern wird abschnittsweise bewilligt. Zu den materiellen Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs gehört nicht nur die (prognostische) ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit, sondern auch das tatsächliche Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit bedingender Krankheit (§ 44 SGB V aF) sowie die Anspruchsberechtigung zum Bezug von Krankengeld und die rechtzeitige Meldung.

Die Klägerin war zum Ablauf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 7. September 2018 nicht mehr nach den gesetzlichen Voraussetzungen als Beschäftigte mit Anspruch auf Krankengeld versichert, da die Agentur für Arbeit sie bereits vorher abgemeldet hatte. Damit bedurfte es der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes, da die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung an den Fortbestand der versicherungspflichtigen Beschäftigung geknüpft ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 37/14 R -, BSGE 118, 52-63, SozR 4-2500 § 192 Nr 7, Rn. 11 - 12). Das Versicherungsverhältnis endet grundsätzlich mit dem Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt endet (§ 190 Abs. 2 SGB V). Die Mitgliedschaft bleibt jedoch nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht (vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 RdNr. 16; BSG SozR 4-2500 § 192 Nr. 6 RdNr. 15; BSG Beschluss vom 16.12.2003 - B 1 KR 24/02 B - Juris RdNr. 7). Hierfür reicht es aus, dass der Versicherte am letzten Tage des Versicherungsverhältnisses alle Voraussetzungen erfüllt, um spätestens mit Ablauf dieses Tages - und damit zugleich mit Beginn des nächsten Tages - einen Krankengeldanspruch entstehen zu lassen (vgl. BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 5, RdNr. 12). Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt sich dies aus der Entwicklungsgeschichte und dem Regelungssystem und -zweck, ohne dass der Wortlaut der Normen einer solchen Auslegung entgegenstehe (vgl. BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 5, RdNr. 12; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 37/14 R -, BSGE 118, 52-63, SozR 4-2500 § 192 Nr 7, Rn. 11 - 12). Danach erhielt die Klägerin Ihren Versicherungsschutz mit Krankengeldberechtigung nicht über den 7. September 2018 hinaus aufrecht. Denn die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde erst am 12. September 2018 ärztlich festgestellt.

Der Versicherte muss die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich rechtzeitig vor Fristablauf ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, wenn er das Erlöschen (BSG, Urteil vom 16.12.2003 - B 1 KR 24/02 B - Juris, mwN) oder das Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden will (BSGE 111, 18 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4, RdNr 18 mwN). Sowohl die ärztliche Feststellung, als auch die Meldung der Arbeitsunfähigkeit obliegen dem Versicherten, so dass die Folgen einer verspäteten Meldung grundsätzlich von ihm zu tragen sind (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 37/14 R -, BSGE 118, 52-63, SozR 4-2500 § 192 Nr 7, Rn. 19 - 20). Die Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V aF sowie die Melderegelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ist strikt zu handhaben (BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 1, RdNr. 18 mwN). Trotz der grundsätzlich strikten Anwendung beider Regelungen hat die Rechtsprechung Ausnahmen in engen Grenzen anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden sind, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 08. November 2005 - B 1 KR 30/04 R -, BSGE 95, 219-232, SozR 4-2500 § 46 Nr 1, Rn. 18). Hierzu muss der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare tun, um seine Ansprüche zu wahren, von einer von der Krankenkasse zu vertretenden Fehlentscheidung gehindert worden sein und gleichzeitig seine Rechte bei der Kasse unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend gemacht haben (BSG, Urteil vom 08. November 2005 - B 1 KR 30/04 R -, BSGE 95, 219-232, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1, Rn. 22 - 23). Unter diesen engen Voraussetzungen kann der Versicherte ausnahmsweise rückwirkend Krankengeld beanspruchen. Dem Versicherten obliegt es hierbei einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt aufzusuchen und seine Beschwerden zu schildern, um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V; BSGE 54, 62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr 84 S 167 f; Senat, BSGE 85, 271, 276 f = SozR 3-2500 § 49 Nr 4 S 16; Senat, BSGE 90, 72, 83 = SozR 3-2500 § 44 Nr 10 S 42).

Dieser Obliegenheit ist die Klägerin nicht nachgekommen. Vorliegend mangelt es an der Rechtzeitigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, weil die Klägerin erst verspätet bei einem Arzt vorstellig wurde. Es obliegt dem Versicherten, zur Vermeidung einer Unterbrechung von Krankengeld und zum Erhalt eines durchgehenden umfassenden Krankenversicherungsschutzes für eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens am letzten Tag der zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Sorge zu tragen (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, BSGE 123, 134-144, SozR 4-2500 § 46 Nr 8, Rn. 20; BSGE 111, 18 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4, RdNr 20). Hier endete die bescheinigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an einem Freitag. Die Klägerin hätte somit die Möglichkeit gehabt, bereits freitags oder früher erneut einen Arzt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufzusuchen (so auch BSG, Urteil vom 04. März 2014 - B 1 KR 17/13 R -, SozR 4-2500 § 192 Nr 6, Rn. 20). Dass sich hier verwirklichte Risiko, dass nach Ablauf des Bescheinigungszeitraums nicht fristgerecht eine Folgebescheinigung erlangt wurde, fällt somit in den Verantwortungsbereich der Klägerin. Die zeitliche Verzögerung der Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit kann vorliegend auch nicht auf eine von der Krankenkasse zu vertretene Fehlentscheidung zurückgeführt werden. Dies käme zum Beispiel in Betracht, wenn der behandelnde Arzt im rechtzeitigen Zeitraum fälschlicherweise nicht von einem Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit ausgegangen wäre und es deshalb an einer rechtzeitigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung fehlen würde. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die Beklagte trifft indes kein Verschulden dafür, dass die Klägerin erst am 12. September 2018 bei einem Arzt vorstellig wurde.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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