LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.09.2020 - L 8 R 273/17
Fundstelle
openJur 2020, 77569
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7.3.2017 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind die Aufhebung der Bewilligung einer Halbwaisenrente und die dem folgende Erstattungsforderung streitig.

Die Klägerin ist am 00.02.2005 in E geboren. Nach dem Tod des bei der Beklagten versicherten Herrn N C (im Folgenden: Versicherter) am 25.5.2014 beantragte die Mutter der Klägerin, Frau T K (im Folgenden: K) für sich selbst die Gewährung von Witwenrente aufgrund der Eheschließung mit dem Versicherten am 00.00.2011 sowie (Halb-)Waisenrente für die Klägerin und die Kinder C1 C, N1 C und T1 K.

In dem von K unterschriebenen Antragsformular für die als "T2 C" bezeichnete Klägerin sind als deren Geburtstag der 00.8.2005 und als ihr Geburtsort "C2, Türkei" eingetragen. Mit dem Antrag überreichte K die Kopie eines am 29.7.2011 ausgestellten türkischen Personalausweises ("Nüfus Cüzdani") der Klägerin, der eben diese Daten aufweist und in dem als Vorname des Vaters "N" eingetragen ist. Eine Geburts- bzw. Abstammungsurkunde fügte sie trotz entsprechender Aufforderung im Vordruck hingegen nicht bei. Die Unterschrift der K umfasste ihre im Antragsvordruck unter Nr. 17 abzugebende Erklärung, dass sie versichere, sämtliche Angaben in diesem Vordruck und den dazugehörenden Anlagen nach bestem Wissen gemacht zu haben. Ihr sei bekannt, dass wissentlich falsche Angaben zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen könnten.

Mit Bescheid vom 15.8.2014 gewährte die Beklagte der Klägerin monatliche Halbwaisenrente von 147,55 Euro mit Rentenbeginn am 1.6.2014. Die laufende Zahlung wurde zum 1.10.2014 aufgenommen, die für den Zeitraum vom 1.6.2014 bis zum 30.9.2014 errechnete Nachzahlung in Höhe von 587,79 Euro zunächst im Hinblick auf etwaige Erstattungsansprüche anderer Versicherungsträger einbehalten.

Im Folgenden erinnerte die Beklagte K mehrfach sowohl an die Übersendung der Geburtsurkunde der Klägerin als auch an den Vordruck der Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Am 14.10.2014 übergab K bei einer Vorsprache im Service-Zentrum der Beklagten eine Kopie von zwei deutschen Reisepässen der Klägerin. In diesen sind jeweilig als Geburtstag der 00.02.2005 und als Geburtsort E eingetragen. Der Name der Klägerin lautet in dem am 25.7.2008 ausgestellten Reisepass "T2 E1 A" und in dem am 27.6.2013 ausgestellten Reisepass "T2 E1 K". In der von K ausgefüllten Meldung zur KVdR vom 14.10.2014 benannte sie als Geburtsdatum der Klägerin ebenfalls den 00.02.2005. Deren Namen gab sie hier mit "T2 C K" an.

Die Beklagte teilte der K am 16.10.2014 mit, dass die nachgereichten Unterlagen nicht ausreichten. Es werde erneut um Übersendung einer Geburtsurkunde gebeten, aus der auch der Vater des Kindes hervorgehe. Nach fruchtloser Erinnerung vom 11.11.2014 unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung gem. § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) versagte die Beklagte die Waisenrentenzahlung an die Klägerin mit Bescheid vom 8.12.2014 wegen fehlender Mitwirkung bis zur Nachholung der Mitwirkung zum 31.12.2014.

Die Stadt M meldete bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch wegen gezahlter Unterhaltsvorschussleistungen für die Klägerin, "T2 K", an. Am 22.12.2014 übersandte sie eine Kopie aus dem Geburtenregister der Stadt E, in der die Klägerin als T2 E1 A, geboren am 00.02.2005 in E bezeichnet wird. Als Vater ist im Geburtenregister B A (im Folgenden: A) angegeben, als Mutter T A, geb. K. Vater und Mutter hätten vor dem Standesamt in C2, Türkei, am 00.06.1999 die Ehe geschlossen. Der Nachname der K ist im April 2012, derjenige der Klägerin im August 2012 wirksam auf "K" geändert worden.

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Stadt M ergänzend mit, dass die Klägerin und K vom 17.6.2009 bis 2.2.2011 sowie wieder ab dem 6.2.2011 unter der Anschrift "P 00, M" gemeldet gewesen seien. Eine gemeinsame Anschrift mit dem Versicherten habe lediglich vom 2.2.2011 bis zum 6.2.2011 unter der Anschrift "W. 00, M" bestanden. Der Versicherte sei dort bis zum 15.1.2013 verblieben und anschließend nach E verzogen.

Nach Anhörung der K am 17.4.2015 hob die Beklagte den Bescheid vom 15.8.2014 über die Bewilligung der Halbwaisenrente für die Klägerin mit Bescheid vom 22.5.2015 gem. § 45 Abs. 4 S. 1, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung ab 1.6.2014 auf. Der Bescheid vom 15.8.2014 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da die Voraussetzungen für die Gewährung einer Waisenrente nicht vorgelegen hätten. Bei Antragstellung habe K einen "Nüfus" eingereicht, der den Versicherten als Vater des Kindes "T2 E1, geb. 00.08.2011 (?)" darstelle. Nach dem nun vorliegenden Auszug aus dem Geburtsregister sei die Klägerin am 00.02.2005 geboren und A als ihr Vater registriert. Die Klägerin sei somit kein leibliches Kind des verstorbenen Versicherten. Auch eine Stief- oder Pflegekindeigenschaft habe nicht vorgelegen, da sie laut Einwohnermeldeamt nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Die K habe zum Zeitpunkt der Antragstellung wissentlich falsche Angaben gemacht und auch die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides kennen müssen, da die Waise kein Kind des Verstorbenen gewesen sei. Sie habe daher nicht auf den Bescheid vertrauen dürfen. Der Bescheid sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens gem. § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X für die Vergangenheit zurückzunehmen. K habe keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine anders lautende Entscheidung rechtfertigten. Die entstandene Überzahlung in Höhe von 442,65 Euro sei gem. § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Gegen den Bescheid vom 22.5.2015 legte die Klägerin am 15.6.2015 Widerspruch ein. Als Adressat einer möglichen Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidung komme nicht K, sondern nur sie selbst in Betracht. Sie sei ferner sehr wohl die leibliche Tochter des verstorbenen Versicherten. Den Eintrag des A in die Geburtsurkunde der Stadt M könne sie nicht aufklären.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.8.2015 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.5.2015 zurück. Der Klägerin sei auf der Grundlage des übersandten türkischen Passes mit Bescheid vom 15.8.2014 Halbwaisenrente nach dem Versicherten bewilligt worden. Aus der nunmehr vorliegenden Geburtsurkunde gehe jedoch A als Vater hervor. Sollte zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt worden sein, dass der verstorbene Versicherte der leibliche Vater sei, müsse dies durch entsprechende amtliche Urkunden nachgewiesen werden. K habe im Rahmen der Antragstellung falsche Angaben gemacht. Im Rahmen der Ermessensausübung gem. § 45 SGB X sei ihr auf jeden Fall grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Ob nicht evtl. sogar Vorsatz vorliege, habe die Widerspruchsstelle nicht weiter verfolgt. Für Letzteres spreche, dass K ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei und auch ihr Anwalt nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen habe. Im Interesse der Versichertengemeinschaft seien rechtswidrige Begünstigungen zu korrigieren. Insofern überwiege das Interesse an der Rücknahme der fehlerhaften Waisenrentenbewilligung gegenüber dem Interesse am Behalt der Rente. Zusätzlich zu berücksichtigende Umstände, die gegen eine Rücknahme sprächen, lägen nicht vor. Gem. § 50 Abs. 1 SGB X seien zu Unrecht erbrachte Leistungen nach Aufhebung des diesen zugrunde liegenden Verwaltungsakts zu erstatten.

Gegen den Bescheid vom 22.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2015 hat die Klägerin am 25.8.2015 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Sie sei eine leibliche Tochter des verstorbenen Versicherten und als solche anspruchsberechtigt hinsichtlich der bewilligten Waisenrente. Die Ehe ihrer Mutter und des K sei geschieden worden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 22.5.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2015 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass es bisher am Nachweis der Vaterschaft des Versicherten fehle. Gem. § 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei Vater eines Kindes der Mann, der

1. zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet sei, 2. die Vaterschaft anerkannt habe oder 3. dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB oder § 182 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) gerichtlich festgestellt sei. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin am 00.02.2005 habe eine Ehe zwischen K und dem Versicherten nicht bestanden. Hinweise für eine Anerkennung der Vaterschaft zu Lebzeiten fehlten. Gegen eine solche Annahme spreche, dass am 27.6.2013 ein Reisepass für die Klägerin auf den Nachnamen K ausgestellt worden sei. Auch gegenüber dem Jobcenter M sei der Nachname der Klägerin von deren Mutter mit K angegeben worden. Eine amtliche Feststellung, dass der verstorbene Versicherte der Vater der Klägerin sei, fehle ebenfalls bislang. Ein Anspruch auf Waisenrente könne nach § 1600d Abs. 4 BGB frühestens mit Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung geltend gemacht beziehungsweise bewilligt werden. Auch wenn Zweifel an der Vaterschaft des A bestünden, reichten diese nicht aus, um zu der Feststellung der Vaterschaft des Versicherten zu gelangen.

Das SG hat eine Auskunft des Standesamtes der Stadt E vom 2.11.2015 eingeholt. Hiernach ist bei Beurkundung der Geburt das Stammbuch der Familie vorgelegt worden. Vermutlich habe es sich um das türkische Familienbuch gehandelt; eine Kopie befinde sich nicht in der Akte. Die K sei am 2.3.2005 aufgefordert worden, das Scheidungsurteil mit Rechtskraftvermerk aus der Türkei vorzulegen. Außerdem habe der geschiedene Mann in der Türkei zum Notar gehen und eine Rechtswahl zum Namen des Kindes abgeben sollen. K habe diese Unterlagen jedoch nicht nachgereicht. Nach Auskunft des türkischen Konsulats gelte der geschiedene Mann nach türkischem Recht bei einer weniger als 300 Tage rechtskräftigen Scheidung weiterhin als Vater des Kindes. Entsprechend sei die Klägerin am 20.4.2005 als eheliches Kind beurkundet worden.

Im Erörterungstermin am 10.1.2017 hat die als Zeugin vernommene K ausgesagt, A sei Anfang 2000 in die Türkei zurückgekehrt. Sie habe im Jahr 2001 den verstorbenen Versicherten kennen gelernt und von ihm im Februar 2005 die Klägerin geboren. Nach der Scheidung habe sie versucht, in der Türkei die Feststellung zu erreichen, dass die Klägerin nicht die Tochter ihres geschiedenen Ehemannes gewesen sei. Da dieser und seine Verwandten aber jede Mitarbeit verhindert hätten, sei ihr der Nachweis in der Türkei nicht gelungen. Auch die Übertragung des alleinigen Sorgerechts habe sich als schwierig erwiesen; sie habe dies praktisch über eine öffentliche Zustellung in der Türkei erreichen müssen. Ergänzend hat K eine Übersetzung des türkischen Scheidungsurteils vom 00.06.2004 eingereicht, mit der ihre am 00.06.1999 mit A geschlossene Ehe wegen Zerrüttung geschieden worden ist. Die Eheleute hätten nach Angaben des Prozessbevollmächtigten seit Februar 2000 getrennt gelebt. Nach dem Auszug aus dem Standesregister sei aus der Ehe kein Kind hervorgegangen.

Das SG hat der Klage im Einverständnis der Beteiligten mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 7.3.2017 stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 22.5.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2015 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Beklagte im Bescheid vom 25.5.2014 von der Vaterschaft des Versicherten ausgegangen sei und sich aus der Beweisaufnahme nichts Gegenteiliges ergebe. K habe bekundet, dass sie von dem verstorbenen Versicherten im Februar 2005 die Klägerin geboren habe. Das Gericht habe keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Die Eintragungen im Geburtenregister besagten nichts über die tatsächliche Abstammung der Klägerin.

Gegen das ihr am 14.3.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4.4.2017 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren und trägt vor, es überzeuge in keiner Weise, wenn das SG allein auf Basis der Bekundung der K, die Klägerin im Februar 2005 von dem Versicherten geboren zu haben, die Vaterschaft bejahe und einen Halbwaisenrentenanspruch für gegeben halte. Nicht die Beklagte müsse nachweisen, dass die Klägerin nicht das Kind des verstorbenen Versicherten sei, sondern es stehe umgekehrt die K als deren gesetzliche Vertreterin in der Beweispflicht. Bereits vor Bescheiderteilung habe sie, die Beklagte, eine Geburtsurkunde der Klägerin angefordert. Dieser Aufforderung sei die K nicht nachgekommen und die Rentenzahlung wegen fehlender Mitwirkung eingestellt worden. Danach habe die Ermittlung ergeben, dass es an einer Feststellung der Vaterschaft des Versicherten fehle. Da die Voraussetzungen der Leistungsgewährung nicht nachgewiesen worden seien, bestehe für die Beklagte keine Verpflichtung, einen gegenteiligen Beweis anzutreten. Die K habe bewusst keine deutsche Geburtsurkunde der Klägerin vorgelegt, sondern stattdessen andere (türkische) Unterlagen über eine vermeintliche Abstammung der Klägerin von dem verstorbenen Versicherten. Ihr sei bei Antragstellung bewusst gewesen, dass es bei der Vorlage der deutschen Geburtsurkunde nicht zu einer Bewilligung der Waisenrente gekommen wäre. K habe bei Bescheiderteilung die Unrichtigkeit der Bewilligung erkennen können bzw. erkennen müssen. Diese Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis ihrer gesetzlichen Vertreterin sei der Klägerin rechtlich zuzurechnen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7.3.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten werde auf die bestrittene Tatsache gestützt, dass sie nicht Tochter des Versicherten sei. Den Beweis für diese Tatsache müsse die Beklagte erbringen. K habe die Vaterschaft des Versicherten im Rahmen ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung glaubhaft bekundet. Die allein aufgrund des türkischen Abstammungsrechts vorgenommene Eintragung des A als Vater sei damit widerlegt. Die Aussage der K werde zudem bestätigt durch die Bekundungen ihres geschiedenen Ehemannes im Scheidungsverfahren. Der verstorbene Versicherte habe die Vaterschaft nach türkischem Recht anerkannt. Entsprechend des Anerkenntnisses sei sein Name als Vater in ihren türkischen Ausweis eingetragen worden. K habe keine Kenntnis von der vermeintlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Auch eine fahrlässige Unkenntnis sei nicht gegeben. Niemand anderes komme als Vater in Betracht. Selbst heute noch würden K und sie, die Klägerin, den Bescheid als rechtmäßig ansehen. Ein biologisches Abstammungsgutachten könne die Vaterschaft beweisen. Auch habe sie den Versicherten ausweislich des (von ihr überreichten) Erbscheins vom 8.8.2014 als seine Tochter anteilig beerbt und werde dort als "Tochter von N und T" bezeichnet.

Auf Anforderung des Senats hat die Klägerin das türkische Familienbuch des Versicherten und der K vorgelegt.

Im Erörterungstermin vom 18.12.2019 ist das Verfahren durch Beschluss ausgesetzt worden, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, die Vaterschaft des Versicherten durch das zuständige Familiengericht klären zu lassen. Es ist wiederaufgenommen worden, nachdem die Klägerin mitgeteilt hat, die Durchführung eines familienrechtlichen Abstammungsverfahrens nicht für aussichtsreich zu halten, weil ihr leiblicher Vater verstorben und der aus rechtlichen Gründen ebenfalls zu beteiligende A nicht erreichbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 7.3.2017 ist zulässig und begründet. Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht aufgehoben. Der Bescheid vom 22.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2015, mit dem die Beklagte den vorigen Bescheid über die Bewilligung von Halbwaisenrente vom 15.8.2014 aufgehoben und die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Waisenrente geltend gemacht hat, ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht gem. § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Rechtsgrundlage für die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung ist § 45 i.V.m. § 50 SGB X.

I. Der die Klägerin belastende Bescheid vom 22.5.2015 ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist sie vor seinem Erlass mit Schreiben vom 17.4.2015 gemäß § 24 SGB X ordnungsgemäß angehört worden.

Der Bescheid ist entgegen der im Widerspruchsverfahren von der Klägerin vertretenen Auffassung auch an die zutreffende Adressatin gerichtet. Maßstab für die inhaltliche Auslegung eines Verwaltungsaktes ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar einbezogen hat (vgl. z.B. Senatsurt. v. 26.2.2020 - L 8 BA 121/19 - juris Rn. 36 m.w.N.; BSG Urt. v. 24.1.2018 - B 6 KA 48/16 R - juris Rn. 21). Aus dem Bescheid vom 22.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2015, jeweils gerichtet an die K, ergibt sich klar, dass dieser an K nur in ihrer Eigenschaft als Vertreterin der minderjährigen Klägerin (§ 1629 BGB) adressiert worden ist. So wurde hier ausdrücklich "die Bewilligung der Waisenrente für T2 C" (Bescheid vom 22.5.2015) bzw. die "Halbwaisenangelegenheit Ihrer Tochter T2 C" (Widerspruchsbescheid vom 20.8.2015) geregelt. Zudem erhielt die K den Widerspruchsbescheid ausdrücklich "als gesetzliche Vertreterin" für die zu diesem Zeitpunkt mit 10 Jahren minderjährige und auch auf dem Gebiet des Sozialrechts gem. § 36 SGB I noch nicht handlungsfähige Klägerin.

II. Der angefochtene kombinierte Rücknahme- und Erstattungsbescheid ist auch in materiellrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

1.) Gem. § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nach seiner Unanfechtbarkeit nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Eine Rücknahme scheidet nach Abs. 2 S. 1 aus, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist gem. § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X). Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Bei dem von der Beklagten zurückgenommenen Bescheid vom 15.8.2014 handelt es sich aufgrund der Bewilligung von Halbwaisenrente um einen begünstigenden Verwaltungsakt i.S.d. § 45 Abs. 1 SGB X. Dieser Bescheid war von Anfang an rechtswidrig, da die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Halbwaisenrente nicht erfüllt.

aa) Anspruch auf Halbwaisenrente haben gem. § 48 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Kinder nach dem Tod eines Elternteils, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die Klägerin ist kein Kind des verstorbenen Versicherten im Sinne der Vorschrift und dieser nicht ihr Elternteil.

Die Begriffe "Kind" bzw. "Elternteil" sind privatrechtliche Begriffe. Im deutschen öffentlichen Recht werden diese ohne eigene Bestimmung verwendet, so dass regelmäßig auf die maßgebenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zurückzugreifen ist (vgl. Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, § 48 SGB VI Rn. 20 f.; Ringkamp in: Hauck/Noftz, SGB, 02/16, § 48 SGB VI Rn. 3; vgl. zum Begriff der Minderjährigkeit BSG Urt. vom 2.10.1979 - 7 RAr 96/78 - juris Rn. 16). In Fällen mit Drittstaatenbezug kann sich das familienrechtliche Kindschaftsverhältnis auch aus den Rechtsvorschriften eines anderen Staates ergeben. So ist das anwendbare Recht gem. Art. 3 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat nach den Vorschriften des Internationalen Privatrechts, ggf. unter anschließender Beachtung von § 34 Abs. 1 SGB I zu bestimmen.

Der vorliegende Sachverhalt weist aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit insbesondere auch des verstorbenen Versicherten eine Verbindung zum türkischen Recht auf. Da vorrangig geltende Kollisionsnormen aus unmittelbar anwendbaren Regelungen der Europäischen Gemeinschaft bzw. völkerrechtlichen Vereinbarungen mit der Türkei zur Regelung der Abstammung als solcher nicht bestehen, bestimmt sich die Frage, welches Recht für die Feststellung des Kindschaftsverhältnisses der Klägerin anzuwenden ist, gem. Art. 3 EGBGB nach den Vorschriften des Zweiten Kapitels des EGBGB, d.h. nach Art. 19 ff. EGBGB.

Gem. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegt die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Aufenthaltsstatut). Sie kann gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staates bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört (Personalstatut), oder, wenn die Mutter verheiratet ist, gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 EGBGB nach dem Recht, dem die allgemeinen Wirkungen ihrer Ehe bei der Geburt nach Art. 14 Abs. 2 EGBGB unterliegen (Ehewirkungsstatut). Alle drei Statute sind grundsätzlich gleichwertige Anknüpfungen (vgl. BGH Beschl. v. 19.7.2017 - XII ZB 72/16 - juris Rn. 12 m.w.N.). Die statusrechtliche Vater-Kind-Zuordnung ist dabei bereits mit der Geburt des Kindes als dem Zeitpunkt, in dem das Kind die Rechtsfähigkeit erlangt, festzustellen. Sinn und Zweck der mehrfachen Anknüpfung nach Art. 19 EGBGB bestehen darin, dem Kind nach Möglichkeit zu einem rechtlichen Vater zu verhelfen (vgl. BGH a.a.O. - juris Rn. 19 m.w.N.). Ist dem Kind schon bei der Geburt nach einer der von Art. 19 Abs. 1 EGBGB alternativ berufenen Rechtsordnungen ein Vater zugeordnet, so steht dieser jedenfalls grundsätzlich als rechtlicher Vater des Kindes fest (BGH a.a.O. - juris Rn. 20).

Der Versicherte ist weder nach dem Ehestatut (hierzu unter (1)) noch nach dem unter Berücksichtigung des Personalstatuts anwendbaren türkischen Recht (hierzu unter (2)) und auch nicht nach dem bei Heranziehung des Aufenthaltsstatuts anwendbaren deutschen Recht (hierzu unter (3)) Vater der Klägerin.

(1) Die Voraussetzungen für das Ehewirkungsstatut liegen im hier zugrundeliegenden Fall nicht vor. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin am 00.02.2005 war ihre Mutter, die K, nicht verheiratet. Die Ehe mit A war seit dem 00.06.2004 geschieden; den Versicherten heiratete die K erst am 00.00.2011.

(2) Die Bestimmung der Abstammung nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB, d.h. dem Recht des Staates, dem der zu beurteilende Elternteil angehört (Personalstatut), führt zur Anwendbarkeit türkischen Rechts. Dies gilt sowohl im Verhältnis der Klägerin zum Versicherten als auch zum A, da beide eventuellen Väter die türkische Staatsangehörigkeit besaßen.

Nach türkischem Recht ist - wie auch das türkische Konsulat im Verfahren auf Nachfrage der Beklagten mitgeteilt hat - A als Vater der Klägerin zu betrachten. Nach Art. 285 türk. ZGB gilt ein 300 Tage nach Rechtskraft einer Ehescheidung geborenes Kind als Kind des geschiedenen Ehemannes (vgl. z.B. auch OLG Düsseldorf Beschl. v. 16.5.2018 - I-3 Wx 76/18- juris Rn. 27; OLG Hamm Beschl. v. 27.3.2014 - I 15 W 421/13 - juris Rn. 13 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin wurde am 20.2.2005 und somit weit innerhalb der Frist von 300 Tagen nach Scheidung der Ehe von A und K am 00.06.2004 geboren.

Die entsprechend begründete rechtliche Vaterschaft des A ist auch nicht nachträglich beseitigt worden. Gem. Art. 20 S. 1 EGBGB kann die Abstammung nach jedem Recht angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben. Da sich die Voraussetzungen der Abstammung des A aus dem türkischen Recht ergeben, ist auch eine eventuelle Beseitigung hiernach zu beurteilen. Dass A die nach türkischem Recht insoweit mögliche Anfechtungsklage gem. Art. 286 türk. ZGB erhoben hat, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die von der Klägerin vorgebrachte Auffassung, der Versicherte sei durch Vaterschaftsanerkennung ihr Vater geworden, ist unzutreffend. Dies gilt schon deshalb, weil nach Art. 295 Abs. 3 türk. ZGB ein Kind, das von einem anderen Mann abstammt, schon grundsätzlich nicht anerkannt werden kann, wenn die Abstammung - wie hier - nicht für ungültig erklärt worden ist (vgl. zur bereits grundsätzlich notwendigen Beseitigung der rechtlichen Vaterschaft auch z.B. OLG Düsseldorf Beschl. v. 16.5.2018 - I-3 Wx 76/18- juris Rn. 30 m.w.N.; BGH Beschl. v. 13.9.2017 - XII ZB 403/16 - juris Rn. 15 m.w.N.).

Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass eine Anerkennung der Vaterschaft durch den Versicherten auch in keiner Weise substantiiert dargelegt bzw. sonst erkennbar ist.

Eine solche ergibt sich entgegen dem Vortrag der Klägerin insbesondere nicht allein aus dem Eintrag des Vornamens des Vaters als "N" in ihrem türkischen Personalausweis.

Bereits nicht nachgewiesen ist, dass der Versicherte überhaupt selbst den türkischen Ausweis für die Klägerin beantragt hat und erst recht nicht, dass er mit einem solchen einfachen Antrag auf Ausstellung eines Personenstandsdokuments noch weitergehende Erklärungen zur Anerkennung einer Vaterschaft verbunden hat. Der türkische Personalausweis selbst vermag eine Erklärung solchen Inhalts nicht zu belegen. Andere Dokumente der ausstellenden türkischen Behörde hat die Klägerin weder beigebracht noch deren Existenz auch nur behauptet. Hinzu kommt, dass der Versicherte allein durch die Angabe des Vornamens "N" im Ausweis der Klägerin nicht einmal eindeutig zu identifizieren ist. Schließlich beruht dieser Ausweis ganz offenkundig auf falschen Angaben seitens des Antragstellers bzw. der Antragstellerin zum Namen der Klägerin, zu ihrem Geburtsort und zu ihrem Geburtsdatum. Einer derart falschen Urkunde kann schon grundsätzlich keinerlei Beweiswert zugemessen werden. Im Übrigen aber führt die Unrichtigkeit aller genannten wesentlichen Daten auch zu erheblichen Zweifeln am eingetragenen Vornamen des Vaters.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auch nicht als Kind des Versicherten (und der K) in dessen gemeinsamem Familienbuch mit der K eingetragen ist. Im Übrigen hat K noch im Herbst 2012 bei der Stadt M eine Änderung des Nachnamens der Klägerin erreicht; dies jedoch nicht - wie bei einer zwischenzeitlich erfolgten Vaterschaftsanerkennung durch den Versicherten zu erwarten gewesen wäre - auf dessen Namen "C", sondern vielmehr auf "K", den Mädchennamen der K. Entsprechend ist auch der Reisepass der Klägerin im Jahr 2013 ausgestellt worden.

Auch die Eintragung der Klägerin im türkischen Erbschein des Versicherten vom 18.8.2014 belegt entgegen ihrer Auffassung die Anerkennung der Vaterschaft durch den Versicherten nicht. Dies gilt schon deshalb, weil im Erbschein keinerlei Erklärungen zu einer eventuellen Anerkennung der Vaterschaft enthalten sind. Entsprechend kann auch dahinstehen, welche Umstände zur Eintragung der Klägerin geführt haben. Der Senat hält es für denkbar, dass auch im dortigen Verfahren der mit falschen Angaben versehene türkische Personalausweis der Klägerin vorgelegt worden ist.

(3) Auch unter Berücksichtigung des Aufenthaltsstatuts gem. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist der Versicherte nicht Vater der Klägerin. Ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte die Klägerin, abgeleitet von ihrer Mutter K, mangels anderer Anhaltspunkte zum Zeitpunkt der Geburt und fortlaufend in der Bundesrepublik Deutschland. Entsprechend ist hiernach deutsches Recht für deren Abstammung anzuwenden.

(a) Die Klägerin ist nach deutschem bürgerlichem Recht kein Kind des Versicherten. Maßgeblich ist nach den Regelungen des BGB nicht die biologische Abstammung, sondern der rechtliche Status (vgl. z.B. Hammermann in Ermann BGB, Kommentar, 16. Aufl. 2020, § 1592, Rn. 12 m.w.N.).

Gem. § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der

1. zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, 2. die Vaterschaft anerkannt hat oder 3. dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB oder § 182 Abs. 1 Familienverfahrensgesetz (FamFG) gerichtlich festgestellt worden ist.

(aa) Die Voraussetzungen für eine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB liegen nicht vor, da der Versicherte und die Mutter der Klägerin, K, erst im Jahr 2011, somit über 6 Jahre nach deren Geburt, geheiratet haben.

(bb) Der Versicherte hat auch nicht die Vaterschaft für die Klägerin gem. § 1592 Nr. 2 BGB anerkannt.

Die Vaterschaftsanerkennung ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. zB Jauernig/Budzikiewicz, BGB § 1598 Rn. 2; Wellenhofer in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1594 Rn. 7), die gem. § 1595 Abs. 1 BGB der Zustimmung der Mutter bedarf. Anerkennung und Zustimmung müssen öffentlich beurkundet werden (§ 1597 Abs. 1 BGB). Zuständig für die öffentliche Beurkundung sind wahlweise der Notar (§ 20 Abs. 1 S. 1 Bundesnotarordnung), das Amtsgericht (§ 67 Abs. 1 Beurkundungsgesetz [BeurkG]), der Standesbeamte (§ 44 Personenstandsgesetz, § 64 BeurkG) die Urkundsperson beim Jugendamt (§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch) oder das Gericht, bei dem eine Abstammungssache anhängig ist (§ 180 FamFG). Im Ausland ist der deutsche Konsularbeamte zuständig (§§ 2, 10 Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse) (vgl. Hammermann in Erman, BGB Kommentar, 16. Aufl. 2020, § 1597 Rn. 3 m.w.N.). Es ist von der Klägerin weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass der Versicherte die Anerkennung der Vaterschaft vor einer der genannten Stellen erklärt hat.

Soweit Art. 3 Nr. 2 EGBGB i.V.m. Art. 4 des CIEC-Übereinkommens vom 14.9.1961, dem die Türkei und Deutschland beigetreten sind bzw. Art. 11 Abs. 1 EGBGB eine Erweiterung hinsichtlich der Zuständigkeit für bzw. der Formwirksamkeit von Anerkennungen vorsehen (vgl. z.B. BGH Beschl. v. 5.7.2017 - XII ZB 277/16 - juris Rn. 19 m.w.N.), greifen diese Vorschriften schon deshalb nicht, weil eine Vaterschaftsanerkennung des Versicherten - wie bereits ausgeführt - überhaupt nicht und damit auch nicht außerhalb der o.g. Behörden vorliegt.

Unabhängig davon wäre aber - wie auch nach türkischem Recht - die Anerkennung einer Vaterschaft durch den Versicherten nicht wirksam, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes, hier wie dargelegt des A, besteht (§ 1594 Abs. 2 BGB; vgl. auch OLG Düsseldorf Beschl. v. 16.5.2018 - I-3 Wx 76/18- juris Rn. 30 m.w.N.; BGH Beschl. v. 13.9.2017 - XII ZB 403/16 - juris Rn. 15 m.w.N.).

(cc) Schließlich fehlt es auch an einer gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 3 BGB. Entgegen der Auffassung des SG kann eine Vaterschaft nicht durch ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit festgestellt werden. Hierfür sind vielmehr gem. §§ 1592 Nr. 3, 1600d BGB i.V.m. §§ 23a Abs. 1 Nr. 1, 23b Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz und §§ 111 Nr. 3, 169 Nr. 1 FamFG ausschließlich die Familiengerichte zuständig (vgl. z.B. auch Hammermann in Ermann BGB, Kommentar, 16. Aufl. 2020, § 1600d, Rn. 1g; Wellenhofer in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1600d Rn. 11). Obwohl die Klägerin mehrfach betont hat, die biologische Vaterschaft des Versicherten lasse sich durch ein Abstammungsgutachten klären, hat sie ein solches Verfahren nicht veranlasst. Vielmehr hat sie, nachdem das hier anhängige Verfahren durch den Senat im Dezember 2019 gerade zu dem Zweck ausgesetzt worden ist, ihr Gelegenheit zu geben, die Frage des Vaterschaftsverhältnisses vor dem Familiengericht zu klären, von dieser Möglichkeit zuletzt ausdrücklich Abstand genommen.

bb) Wie die Beklagte zutreffend entschieden hat, kommt auch eine Berücksichtigung der Klägerin als Stief- oder Pflegekind des Versicherten gem. § 48 Abs. 3 SGB VI mangels Aufnahme in dessen Haushalt nicht in Betracht. Das durch die Haushaltsaufnahme begründete Band muss während des letzten Dauerzustandes vor dem Tod des Versicherten von in der Regel einem Jahr fortbestanden haben (vgl. z.B. Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, § 48 SGB VI Rn. 48). Dies war ausweislich der Auskünfte des Einwohnermeldeamtes der Stadt M nicht der Fall.

b) Die Klägerin kann sich nicht gem. § 45 Abs. 2 SGB X auf schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf den Bestand des von der Beklagten aufgehobenen Bewilligungsbescheides vom 15.8.2014 berufen, da die einen Vertrauensschutz ausschließenden Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X vorliegen. Die Bewilligung der Halbwaisenrente beruhte auf vorsätzlich, mindestens jedoch fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben.

Soweit die Klägerin als minderjähriges Kind nicht selbst den Antrag auf Bewilligung von Halbwaisenrente gestellt und die dortigen Angaben gemacht hat, ist ihr als Begünstigter des Bewilligungsbescheides die Kenntnis ihrer Mutter, der K, als gesetzlicher Vertreterin gem. §§ 166, 1629 BGB zuzurechnen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 24.6.2020 - B 4 AS 10/20 R - juris Rn. 32; auch schon BSG Urt. v. 31.8.1976 - 7 RAr 112/74 - juris Rn. 18; Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rn. 59).

Im Antragsformular der Halbwaisenrente hat K falsche Angaben sowohl zum Namen der Klägerin ("T2 C" anstatt zum damaligen Zeitpunkt "T2 K"), zu deren Geburtstag ("00.08.2005" statt "00.02.2005") und zu deren Geburtsort ("C2, Türkei" statt "E") gemacht. Als Vater ist von ihr der Versicherte eingetragen worden, obwohl dieser rechtlich nicht der Vater der Klägerin war.

Diese falschen Angaben hat K - in Kenntnis der von ihr im Antragsformular unterzeichneten Wahrheitspflicht - zur Überzeugung des Senats vorsätzlich getätigt, um für die Klägerin eine Halbwaisenrente nach dem Versicherten zu erlangen.

Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich unrichtige bzw. unvollständige Angaben macht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 19.3.1998 - B 7 AL 44/97 R - juris Rn. 34; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 04/18, § 45 SGB X, Rn. 64). Hat die Behörde - wie hier - im Antragsformular deutlich und verständlich auf die Pflicht zur Mitteilung sämtlicher für die Leistungsbewilligung erheblicher Tatsachen hingewiesen, so kann dem Betroffenen im Regelfall Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden (vgl. BSG Urt. v. 24.4.1997 - 11 RAr 89/96 - juris Rn. 23 m.w.N.; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 04/18, § 45 SGB X, Rn. 65 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Ein entsprechender Vorsatz der K ergibt sich darüber hinaus auch nach Würdigung der gesamten Umstände des vorliegenden Einzelfalls (vgl. zur entsprechenden Prüfnotwendigkeit BSG Urt. v. 24.4.1997 - 11 RAr 89/96 - juris Rn. 23).

Dass K der tatsächliche Geburtstag und Geburtsort ihrer Tochter nicht bekannt sind, ist fernliegend und entbehrt auch jeglicher konkreter Anhaltspunkte. So hat sie sowohl in der im Oktober 2014 erfolgten Meldung der Klägerin zur Krankenversicherung der Rentner das zutreffende Geburtsdatum angeben können, als auch bei ihrer Vernehmung als Zeugin im Erörterungstermin des SG vom 10.1.2017 problemlos geschildert, dass sie die Klägerin "im Februar 2005" geboren habe.

Ebenso hat K zur Überzeugung des Senats bewusst und gewollt den Nachnamen der Klägerin mit "C" falsch angegeben, um den von ihr gewünschten Eindruck, der Versicherte sei der Vater der Klägerin und dieser stünde ein Leistungsanspruch zu, zu untermauern. Tatsächlich hat die Klägerin nach dem deutschen Personenstandsregister sowie den von der K (später im Verfahren) eingereichten Reisepässen zu keinem Zeitpunkt den Namen des Versicherten getragen. Dass dies der K bekannt und bewusst war, ergibt sich schon daraus, dass der Nachname der Klägerin auf ihre Veranlassung im Herbst 2012, also nur etwa anderthalb Jahre vor dem Tod des Versicherten bei den deutschen Behörden von zuvor A auf nunmehr K - nicht hingegen C - geändert wurde. Auch hat K nach dem von der Stadt M angemeldeten Erstattungsanspruch von dort Unterhaltsvorschuss und nach den Angaben der Beklagten vom Jobcenter M dortige Sozialleistungen für die Klägerin jeweils unter deren richtigem Namen "T2 K" bezogen.

Schließlich hat K den Versicherten rechtlich unzutreffend als Vater der Klägerin in das Antragsformular eingetragen. Soweit die Klägerin im Verfahren behauptet hat, der Versicherte sei ihr biologischer Vater und K habe ihn deshalb auch für ihren rechtlichen Vater gehalten, kann dahinstehen, ob dies zutreffend ist. Ob die Klägerin erkannt hat oder hätte erkennen können, dass die Beklagte die beantragten Leistungen zu Unrecht bewilligen werde, ist ohne Relevanz. Denn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit beziehen sich allein auf die im Rahmen der Antragstellung wesentlichen Angaben, die dem Antragsteller im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht gem. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I obliegen (vgl. BSG Urt. vom 19.3.1998 - B 7 AL 44/97 R - juris Rn. 34).

Unabhängig von der behaupteten laienhaft rechtsirrigen Auffassung der K über die rechtliche Vaterschaft des Versicherten ist zur Überzeugung des Senats nach den gesamten Umständen der Vorsatz ihres Handelns in Bezug darauf, die begehrte Leistung durch falsche Angaben zu sichern, offenkundig.

Die bewusste Angabe des falschen Geburtsdatums und Geburtsorts im Antragsformular erfolgte durch K ersichtlich im Hinblick darauf, die Klägerin durch Beifügung des die gleichen falschen Angaben enthaltenden türkischen Personalausweises (Nüfüs) gegenüber der Beklagten als Tochter des Versicherten zu dokumentieren. Dem entspricht, dass K trotz der entsprechenden Aufforderung im Antragsformular weder zusammen mit diesem Formular noch auf die in der Folge mehrfachen Erinnerungen der Beklagten die (für einen etwaigen Anspruch nachteilige) deutsche Geburtsurkunde der Klägerin vorgelegt hat. Auch hat sie die ihr vorliegenden Reisepässe der Klägerin zurückgehalten, die wegen der abweichenden Daten bei der Beklagten jedenfalls unmittelbar Zweifel hätten aufkommen lassen. Auch ein derartiges Verschweigen relevanter erheblicher Tatsachen stellt eine falsche Angabe dar (vgl. z.B. LSG Saarland Urt. v. 26.4.2018 - L 11 SO 8/17 - juris Rn. 29 m.w.N.; Padé in jurisPK-SGB X, § 45 Rn. 84 m.w.N.; Schütze in Schütze SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rn. 56 m.w.N.; BSG Urt. v. 9.4.1987 - 5b RJ 36/86 - juris Rn. 14).

Die Gesamtumstände lassen auch nicht die Einschätzung zu, K habe die Bedeutung des Namens der Klägerin oder die Problematik der Vaterschaft des Versicherten nicht hinreichend erfasst. Im Gegenteil wird die Überzeugung, dass K die Leistungsbewilligung mit falschen Angaben zugunsten der Klägerin befördern wollte, vielmehr durch ihre eigene Darstellung bei der Zeugenvernehmung im Erörterungstermin des SG verstärkt. Die dortigen Angaben zeigen die vorige bereits sehr eingehende Befassung der K mit der Frage der rechtlichen Vaterschaft der Klägerin. So hat sie ausdrücklich geschildert, sich (in der Türkei) intensiv darum bemüht zu haben, (jedenfalls) die Feststellung zu erreichen, dass A nicht Vater der Klägerin sei. Diesen Nachweis habe sie letztlich aber nicht führen können. Der Eindruck eines durchaus bei K vorliegenden vertieften Verständnisses der Namens- und Vaterschaftsproblematik wird durch weitere Umstände erhärtet. So hat K für die Klägerin noch im Jahr 2012 bei der Stadt M eine Namensänderung für sich selbst und auch für die Klägerin erwirkt, sich also auch noch etwa anderthalb Jahre vor dem Tod des Versicherten mit dem (deutschen) Namensrecht auseinandergesetzt. Ebenso ist auffällig, dass K die Klägerin im KVdR-Vordruck, also zu einem Zeitpunkt, als der auf den Namen K für die Klägerin ausgestellte Reisepass vorgelegt wurde, nicht wie zuvor mit "C", sondern nunmehr (ebenfalls fehlerhaft aber zum vorgelegten Dokument passender) mit "C K" eingetragen hat.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst dann, wenn kein Vorsatz anzunehmen wäre, K zumindest grob fahrlässig im Sinn von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X gehandelt hätte. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist und einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind (vgl. z.B. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 45 SGB X Rn. 91 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor. Es drängt sich jedermann in hohem Maß auf, dass die Eintragung falscher Daten unter Beifügung eines mit entsprechend falschen Angaben versehenen Ausweises statt der - ausdrücklich geforderten - zutreffend anderslautenden Geburtsurkunde wesentlich für die Gewährung der Halbwaisenrente ist.

c) Auch hat die Beklagte das ihr nach § 45 Abs. 1 SGB X zustehende Rücknahmeermessen rechtmäßig ausgeübt.

Im Bescheid vom 22.5.2015 hat sie zunächst erkannt, dass die Rücknahme in ihrem Ermessen steht. Sie hat dargelegt, dass keine Gesichtspunkte vorgetragen worden seien, die eine anders lautende Entscheidung rechtfertigen würden. Im Widerspruchsbescheid hat sie ihr Ermessen dahingehend abgewogen, dass im Interesse der Versichertengemeinschaft, die nur Finanzmittel für berechtigte Rentenleistungen zur Verfügung stelle, rechtswidrige Begünstigungen zu korrigieren seien und dass insofern das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Rücknahme der fehlerhaften Waisenrentenbewilligung gegenüber dem Interesse am Behalt der Rente überwiege. Zusätzlich zu berücksichtigende Umstände, die gegen eine Rücknahme sprechen würden, lägen nicht vor.

d) Schließlich ist die erfolgte Aufhebung des Bescheides vom 15.8.2014 mit Wirkung ab 1.6.2014, also mit Wirkung für die Vergangenheit, nicht zu beanstanden.

Liegt wie hier ein Fall des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vor, so ist der begünstigende Bescheid gem. § 45 Abs. 4 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Rücknahme ist unter Wahrung der (gegenüber der Frist des § 45 Abs. 3 SGB X kürzeren) Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X erfolgt. Die Beklagte hat durch die im Dezember 2014 eingegangene Geburtsurkunde Kenntnis über die Eintragung des A als Vater der Klägerin erlangt. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides ist nach weiteren Ermittlungen und Anhörung der Klägerin bereits ein halbes Jahr danach im Mai 2015 vorgenommen worden.

2.) Auch die Erstattungsverfügung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung hinsichtlich der für die Zeit vom 1.10.2014 bis 31.12.2014 zu Unrecht gezahlten Waisenrente in Höhe von 442,65 Euro ist § 50 Abs. 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die zu erstattende Leistung ist gem. § 45 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen und soll mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden. Dies hat die Beklagte mit Bescheid vom 22.5.2015 beachtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.