LG Hamburg, Urteil vom 15.11.2019 - 313 O 68/19
Fundstelle
openJur 2020, 77497
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.902,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.03.2019 zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Erstattung von Ausschüttungen in Anspruch.

Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 25.02.2014 (Anlage K 3) zum Sachwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der MS „H. C.“ Schiffahrts GmbH & Co. KG (nachfolgend: „die Insolvenzschuldnerin“) bestellt.

Die Insolvenzschuldnerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 12.07.1994 gegründet. Der Beklagte trat der Insolvenzschuldnerin mit einer Einlage von 40.903,35 € bei. Er zahlte die Kommanditeinlage zunächst in voller Höhe auf das Konto der Insolvenzschuldnerin ein. Die Summe aller Hafteinlagen der im Handelsregister eingetragenen Kommanditisten beträgt 20.207.321,19 €.

Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde mit Beschluss vom 25.02.2014 (Anlage K 3) wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren unter Anordnung der Eigenverwaltung eröffnet. Die Auflösung der Gesellschaft aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde am 04.03.2014 in das Handelsregister eingetragen. Im Insolvenzverfahren wurde ein Prüfungstermin durchgeführt. Die Führung der Tabelle nach § 175 InsO ist auf das Insolvenzgericht übergegangen. Das Insolvenzgericht beglaubigte am 05.06.2019 die als Anlage K 9 vorgelegte Tabelle für das Insolvenzverfahren der Insolvenzschuldnerin.

Der Kläger macht einen Anspruch aus §§ 171 Abs.1, 2 i.V.m. § 172 Abs.4 HGB gegen den Beklagten als Kommanditisten der Insolvenzschuldnerin geltend. Er trägt vor, die Einlage des Beklagten sei im Rechtssinne nicht geleistet, weil sie an den Beklagten zurückgezahlt worden sei.

Der Kläger behauptet, der Beklagte habe in den Jahren 2008 und 2009 Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 6.902,44 € erhalten (vgl. Seite 3 der Klagschrift). Die Ausschüttungen in den Jahren 2008 und 2009, die der Klagforderung entsprächen, seien zu einem Zeitpunkt erfolgt, als das Kommanditkapital des Beklagten unter den Betrag seiner Hafteinlage herabgemindert gewesen seien. Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang, das Kapitalkonto des Beklagten habe per 31.12.2007 einen Stand von 1.463,34 €, zum 31.12.2008 einen Stand von 2.577,99 € und zum 31.12.2009 einen Stand von minus 5.841,76 € aufgewiesen (vgl. Seite 4 der Klagschrift).

Der Kläger macht sodann geltend, die Inanspruchnahme des Beklagten durch den Insolvenzverwalter sei zur Befriedigung der Gläubiger der Insolvenzschuldnerin erforderlich.

Der Kläger behauptet, im Insolvenzverfahren seien Gläubigerforderungen in Höhe von 1.516.955,84 € festgestellt worden. Hiervon entfielen auf Gläubiger der Rangklasse des § 38 InsO 1.343.129,55 € und auf Gläubiger der Rangklasse des § 39 InsO weitere 173.826,29 €. Diese Beträge ergäben sich mit bindender Wirkung aus der als Anlage K 9 vorgelegten gerichtlich beglaubigten Tabelle. Der Kläger macht geltend, die Tabellenforderungen Nr. 40, 47 und 48 seien als Insolvenzforderungen zu berücksichtigen. Es handele sich um Gewerbesteuerforderungen, die Zeiträume vor Insolvenzeröffnung beträfen und daher nicht als Masseforderungen zu berücksichtigen seien.

Der Kläger behauptet weiter, die allgemeine Insolvenzmasse belaufe sich zum Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, auf 437.254,91 € (vgl. Anlage zum Terminsprotokoll vom 12.09.2019, Bl. 63 d.A.). Sie stehe nicht zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger zur Verfügung, da aus ihr zum einen die Verfahrenskosten zu bedienen seien und zum anderen Masseverbindlichkeiten in entsprechender Höhe bestünden. Der Kläger behauptet, das Fondsschiff sei für 3,7 Mio € verkauft worden. Der Erlös sei ganz überwiegend an die besicherten Gläubiger, d.h. namentlich die Schlüssel Reederei KG, geflossen. In die Insolvenzmasse gelangt seien lediglich 65.217,39 € als Massekostenbeitrag (vgl. Anlage K 7).

Der Kläger behauptet sodann, die Sondermasse zur Begleichung der Insolvenzforderungen belaufe sich zum Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, auf 832.698,32 €, die sich auf einem entsprechenden Treuhandkonto des Klägers befänden (vgl. Anlage zum Terminsprotokoll vom 12.09.2019, Bl. 63 d.A., Rückseite) zzgl. eines weiteren Betrages von 85.393,80 € auf einem Anderkonto des Klägervertreters (vgl. Terminsprotokoll vom 12.09.2019, Bl. 64 d.A.), mithin zusammengerechnet 918.092,12 €.

Der Kläger macht schließlich geltend, die Voraussetzungen für einen gutgläubigen Gewinnbezug lägen nicht vor. Der klägerische Anspruch sei nicht verjährt. Die Nachhaftungsforderung verjähre nach § 159 HGB innerhalb von fünf Jahren nach Eintragung der Insolvenzeröffnung in das Handelsregister.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 6.902,44 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, der klägerische Anspruch bestehe nicht. Die - vorsorglich bestrittenen - Ausschüttungen in 2008 und 2009 seien aus Gewinnen erfolgt. Eine Reduzierung des Eigenkapitals durch frühere Ausschüttungen sei in diesem Zusammenhang irrelevant.

Der Beklagte macht sodann geltend, es fehle auch an der Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Beklagten.

Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger hätte jede einzelne Gläubigerforderung substantiieren müssen. Daran fehle es, sowie insbesondere an einer wirksamen Anmeldung der Forderungen zur Insolvenztabelle. Die vorliegenden Tabelleneinträge ließen keine konkreten Angaben über die Forderung erkennen. Einige Anmeldungen seien nicht in deutscher Sprache erfolgt. Einige Forderungsanmeldungen seien zurückgenommen worden. Etliche Anmeldungen seien unzulässige Sammelanmeldungen. Die Gewerbesteuerforderungen (Nr. 40, 47,48) seien keine Insolvenzforderungen.

Der Beklagte meint ferner, es fehle an einer Darstellung der Entwicklung der Masse seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Außerdem habe der Kläger nicht alle Kommanditisten gleichmäßig in Anspruch genommen. Aus der Sondermasse seien in unzulässiger Weise Verfahrenskosten entnommen worden. Der Beklagte behauptet in diesem Zusammenhang, der Erlös aus der Veräußerung des Fondsschiffs im Mai 2014 habe sich auf 5,23 Mio US-$, d.h. 7,21 Mio € brutto belaufen, nach Abzug der Mehrwertsteuer also auf 6,05 € Mio €. Dieser Betrag, so meint der Beklagte, sei Teil der Insolvenzmasse geworden.

Der Beklagte macht sodann geltend, seiner Rückzahlungspflicht stehe auch die Regelung des § 172 Abs.5 HGB entgegen. Eine Rückforderung der Ausschüttungen scheide aus, weil der Beklagte die Ausschüttungen im guten Glauben an ein Behaltendürfen erhalten habe. Aus der Bilanz 2007 sei erkennbar gewesen, dass die Gesellschaft finanziell gesund gewesen sei. Gleiches gelte für die Gewinn- und Verlustrechnung 2008. Der Beklagte habe daher nicht damit rechnen müssen, die von einer schuldenfreien Gesellschaft erhaltenen Ausschüttungen zurückzahlen zu müssen. Die Verbindlichkeiten, die zur Schieflage der Insolvenzschuldnerin geführt hätten, seien nach 2008/2009 ohne Zustimmung des Beklagten eingegangen worden.

Der Beklagte erhebt die Verjährungseinrede hinsichtlich der zur Tabelle angemeldeten und festgestellten Forderungen. Die ihre Forderungen unter den Nummern § 38 - 21, 23 und 49 anmeldende H. R. GmbH & Co. KG habe spätestens seit 2008 gewusst, dass hinsichtlich des Fondsschiffes ein enormer Wartungsstau eingetreten sei, welcher Reparaturen erforderte, die wiederum zu Liquiditätsausfällen führen würden. Diese Gläubigerin hätte also bereits zu diesem früheren Zeitpunkt die Rückforderung der benötigten Ausschüttungen veranlassen können.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Parteivorbringens auf die von den Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Der Zahlungsanspruch des Klägers als Sachwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin gegen den Beklagten als Kommanditisten der Insolvenzschuldnerin folgt aus §§ 171 Abs.1 und 2, 172 Abs.4 HGB.

1. Der Beklagte hat Ausschüttungen in Höhe der Klagforderung erhalten. Der Beklagte hat den diesbezüglichen präzisen Vortrag des Klägers zu vom Beklagten erhaltenen Zuwendungen in den Jahren 2008 und 2009 in einer nach den Maßstäben des § 138 Abs.2 ZPO unzulässigen Weise bestritten. Sein Bestreiten ist angesichts seiner eigenen Erkenntnismöglichkeiten in Bezug auf an ihn gerichtete Zahlungen unbeachtlich.

2. Die Kammer hat sodann davon auszugehen, dass diese Ausschüttungen aus dem zur Deckung der Hafteinlage des Beklagten erforderlichen Vermögen der Insolvenzschuldnerin erfolgt sind. Der Kläger hat in der Klagschrift unter Bezugaufnahme auf die als Anlage K 2 vorgelegten Bilanzen für 2007 bis 2009 konkret dargelegt, dass das Kapitalkonto des Beklagten unter seine Haftsumme herabgemindert war. Es hätte bei dieser Sachlage dem Beklagten oblegen, die fehlende Haftungsschädlichkeit der von ihm erhaltenen Ausschüttungen zu beweisen (BGH, Urteil vom 22.03.2011, Az. II ZR 271/08, NZG 2011, 588, Rz. 21: K. Schmidt, in: Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl., 2019, §§ 171, 172 HGB, Rn. 76 m.w.N.). An entsprechendem Vorbringen des Beklagten fehlt es hier im Ergebnis, so dass das klägerische Vorbringen zur (fehlenden) Haftungsschädlichkeit zugrunde zu legen ist. Der Beklagte stellt in unzulässigerweise isoliert auf die Jahre der Ausschüttung ab.

3. Die Inanspruchnahme des Beklagten auf Erstattung der Ausschüttungen ist auch zur Gläubigerbefriedigung erforderlich.

a) Der Umfang der zu befriedigenden Insolvenzforderungen (1.516.955,84 €) wurde vom Kläger durch Vorlage der gerichtlich beglaubigten Tabelle (Anlage K 9) ausreichend belegt. Die festgestellten Forderungen als solche können im Hinblick auf die Urteilswirkung der Tabelle (§ 201 Abs.2 InsO) vom Beklagten als Kommanditisten wegen § 129 HGB nicht mehr wirksam bestritten werden (vgl. BGH, Urteil vom 20.02.2018, Az. II ZR 272/16, NZI 2018, 442, Rn. 17). Die Einwendungen des Beklagten zur Wirksamkeit der Forderungsanmeldungen gehen daher ins Leere. Im Übrigen ist es zwar in rechtlicher Hinsicht zutreffend, dass die Kommanditisten über §§ 171 Abs.1 und 2, 172 Abs.4 HGB nicht für Masseverbindlichkeiten haften (vgl. HansOLG, Urteil vom 21.12.2018, Az. 11 U 106/17, ZIP 2019, 79, Rn. 20; OLG Hamm, Urteil vom 21.01.2019, Az. 8 U 62/18, Rn. 21 ff., juris). Hier handelt es sich bei den von Beklagtenseite monierten vermeintlichen Verbindlichkeiten aber tatsächlich nicht um Masseverbindlichkeiten, da die Forderungen des Steuerfiskus jeweils Zeiträume vor Insolvenzeröffnung betreffen, die als einfache Insolvenzforderungen zu behandeln sind.

b) Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung stand für die genannten Insolvenzforderungen keine ausreichende Haftungsmasse zur Verfügung. Der Kläger hat insoweit in Erfüllung seiner diesbezüglichen sekundären Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 20.02.2018, Az. II ZR 272/16, NZI 2019, 442, Rn. 39) die Höhe der von ihm bereits vereinnahmten Zahlungen anderer Kommanditisten dargelegt. Insoweit hat der Kläger im Übrigen für den Schluss der mündlichen Verhandlung einen aktuellen Kontoauszug vorgelegt. Demnach ist aus dieser Sondermasse eine gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzforderungen nicht möglich. Der Beklagte ist dem nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. Die Behauptung, aus der für die einfachen Insolvenzgläubiger gebildete Sondermasse, seien Verfahrenskosten entnommen worden, wurde nicht näher substantiiert. Gleiches gilt für die behaupteten zusätzlichen Zuflüsse aus der Veräußerung des Fondsschiffs. Zu den konkreten Darlegungen des Klägers bezüglich der Auskehrung dieses Erlöses an absonderungsberechtigte Gläubiger der Insolvenzschuldnerin hat der Beklagte jedenfalls nicht mehr in erheblicher Weise erwidert.

4. Der Kommanditistenhaftung des Beklagten steht auch die Regelung des § 172 Abs.5 HGB nicht entgegen. Auch nach dem Vorbringen des Beklagten liegt keine Konstellation vor, die sich unter die genannte Norm subsumieren ließe. Ein Fehler in der Gewinnermittlung in den Jahresabschlüssen wird von der Beklagten ebenso wenig geltend gemacht wie eine nur vermeintliche Schein-Entnahmefähigkeit. Vielmehr trägt der Beklagte letztlich vor, dass er sich falsche Vorstellungen von der Entnahmefähigkeit und der möglichen späteren Haftung für diese Entnahmen gemacht hat, ohne dass objektiv die Bilanzen der Insolvenzschuldnerin unrichtig gewesen wären.

5. Schließlich sind die Ansprüche des Klägers auch nicht verjährt.

a) Die Haftung nach §§ 171 Abs.1,2, 172 Abs.4 HGB unterliegt während des Bestehens der Kommanditmitgliedschaft keiner zeitlichen Begrenzung zugunsten des Kommanditisten. Einer nach § 172 Abs. 4 HGB durch Rückzahlung aufgelebten Haftung können zeitlich unbegrenzt unverjährte Neuverbindlichkeiten der Gesellschaft unterlegt werden. Die Gesellschafterhaftung ist mithin ein „unverjährbarer Haftungsstatus“ (vgl. K.Schmidt, in: MüKoHGB, 4. Aufl., 2019, §§ 171, 172 HGB, Rn. 77).

b) Es ist auch nicht dargetan, dass eine der in der Tabelle festgestellten Insolvenzforderungen ihrerseits verjährt wären. Hinsichtlich der Forderungen der H. R. GmbH & Co. kommt es nicht auf eine 2008/2009 bestehende Kenntnis dieser Gläubigerin an, wenn - wie hier eben nicht vorgetragen - nicht zugleich 2008/2009 die entsprechende Forderung bereits entstanden war.

c) Schließlich ist die hiesige Klage auch noch innerhalb der fünfjährigen Nachhaftungsfrist gemäß § 159 Abs.1 HGB erhoben worden. Entscheidend ist insoweit der Tag der Eintragung der Auflösung (hier durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens) in das Handelsregister. Der Eröffnungsbeschluss stammt zwar vom 25.02.2014 und die Klage ist erst am 01.03.2019 bei Gericht eingegangen. Die Eintragung der Auflösung erfolgte indessen erst am 04.03.2014, so dass die Klagerhebung durch den Kläger noch in unverjährter Zeit erfolgte.

6. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 291, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 91, 709 ZPO.