LAG Düsseldorf, Beschluss vom 21.09.2020 - 4 Ta 284/20
Fundstelle
openJur 2020, 77491
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 BV 28/20

1) Der Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist in der Regel gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG mit dem Auffangwert zu bewerten (LAG Düsseldorf 12.12.2016 - 4 Ta 529/16, juris). Bei einer bis zu drei Monate befristeten personellen Maßnahme erscheint eine Kürzung dieses Werts um 50 % angemessen.

2) Sind neben dem Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG die Anträge nach § 100 BetrVG und nach § 101 BetrVG (als Widerantrag) im selben Verfahren anhängig, sind diese jeweils mit 50 % des Antrags nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu bewerten (so auch Streitwertkatalog Ziffer II 14.5 und II 14.6).

3) Für die Bewertungen massenhaft in objektiver Antragshäufung gestellter Zustimmungsersetzungsanträge folgt die Kammer der vom Streitwertkatalog empfohlenen Staffelung des Wertes (Ziffer II 14.7).

Tenor

Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats gegen den Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 08.07.2020 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat Gerichtskosten in Höhe von 50,00 Euro zu tra-gen.

Gründe

I.

Streitig ist die Festsetzung des Gegenstandswertes für die Rechtsanwaltsvergütung des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in einem Beschlussverfahren mit den Anträgen auf

?Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung von bis zu 31 Leiharbeitnehmern für die Dauer von ca. einem Monat in Teilzeit von bis zu sechs Stunden/tgl. (§ 99 BetrVG),

?Feststellung der Dringlichkeit der vorläufig vorgenommenen Einstellungen (§ 100 BetrVG) und

dem Widerantrag des Betriebsrats,

?der Arbeitgeberin aufzugeben, die Einstellungen der Arbeitnehmer aufzuheben (§ 101 BetrVG).

Das Verfahren erledigte sich durch Zeitablauf.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 08.07.2020 auf Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats den Gegenstandswert auf 17.812,50 Euro festgesetzt. Dabei hat es für den Antrag auf Zustimmungsersetzung für den 1. Arbeitnehmer ¼ des Hilfswerts nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG angesetzt, da es sich lediglich um einen einmonatigen Einsatz in Teilzeit handele (1.250,00 Euro). Für den Feststellungsantrag zur Dringlichkeit der vorläufig durchgeführten Maßnahme und für den Widerantrag hat es jeweils die Hälfte dieses Wertes angesetzt, mithin für den 1. Arbeitnehmer insgesamt 2.500,00 Euro. Hiervon ausgehend hat es für den 2.-20. Leiharbeitnehmer in Anlehnung an die im Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit empfohlene Staffelung jeweils 25 % des Ausgangswerts (625,00 Euro x 19 = 11.875,00 Euro) und für den 21.-31. Leiharbeitnehmer jeweils 12,5 % des Ausgangswertes angesetzt (312,50 Euro x 11 = 3.437,50 Euro).

Gegen den am 17.07.2020 zugestellten Beschluss wendet sich die am 31.07.2020 beim Arbeitsgericht eingegangene Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats. Danach betrage der Streitwert mindestens 33.305,00 Euro nach Maßgabe der Berechnung vom 06.07.2020 (Bl. 40-42 GA). Die Beschwerde führt an, dass die Begründung des Arbeitgebers für den einmonatigen Einsatz der 31 Arbeitnehmer in Teilzeit auf unterschiedliche Gründe gestützt werde, nämlich den vorübergehenden Arbeitsbedarf aufgrund von Krankheit, Urlaub oder weiteren Umständen. Eine Herabsetzung des Auffangwertes aus § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von 5.000,00 Euro auf lediglich 1.250,00 Euro (25 %) sei unverhältnismäßig. Die Maßnahmen seien zwar auf ca. einen Monat befristet, jedoch seien die Teilzeitarbeitnehmer in den Einsatzplänen tatsächlich mit 7,8 Stunden und damit in Vollzeit eingeplant worden. Zu berücksichtigen sei schließlich die Bedeutung der betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit für den Betriebsrat, der wiederholt gegen eine Verletzung seines Beteiligungsrechts gerichtlich vorgegangen sei. Aus dem wiederholten Einsatz von Leiharbeitnehmern seien Konsequenzen für die Stammbelegschaft zu befürchten.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß § 33 Abs. 3 RVG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist unbegründet.

1.Das Arbeitsgericht ist zutreffend von der Rechtsprechung der Beschwerdekammer ausgegangen, wonach der Gegenstandswert eines Zustimmungsersetzungsantrags nach § 99 BetrVG als nicht vermögensrechtliche Streitigkeit in der Regel ausgehend von dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von derzeit 5.000,00 Euro und nicht unter Heranziehung des zu zahlenden Entgelts zu bewerten ist (LAG Düsseldorf 12.12.2016 - 4 Ta 529/16, juris mwN).

2.Ebenfalls zutreffend hat das Arbeitsgericht den Wert eines im gleichen Verfahren anhängigen Antrags nach § 100 BetrVG bzw. Widerantrags des Betriebsrats nach § 101 BetrVG mit jeweils 50 % dieses Ausgangswertes angesetzt. Dies entspricht der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit idF vom 09.02.2018 (dort in Ziff. II.14.5 und II.14.6) und soweit ersichtlich auch der einheitlichen Rechtsprechung Landesarbeitsgerichte (vgl. etwa LAG Köln 26.08.2019 - 2 Ta 147/19, juris Rn. 7; LAG Hamm 29.08.2014 - 13 Ta 402/14, juris Rn. 9). Es erscheint sachgerecht, weil der Antrag nach § 100 BetrVG weniger weit reicht als der nach § 99 Abs. 4 BetrVG und der Antrag nach §101 BetrVG im Wesentlichen dieselben Sach- und Rechtsfragen betrifft wie der Antrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Hinzu tritt der Aspekt der Rechtssicherheit durch leichtere und gleichmäßige Handhabung der Streitwerte in Anlehnung an den Streitwertkatalog.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde nicht.

3.Soweit das Arbeitsgericht den Ausgangswert von 5.000,00 Euro für den ersten betroffenen Arbeitnehmer im vorliegenden Fall auf 1.250,00 Euro und damit auf ¼ gekürzt hat, ist dies beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.

Die Beschwerdekammer hat darauf hingewiesen, dass der Auffangwert aus § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG nur im "Regelfall" als Ausgangswert für das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG anzusehen ist und den Umständen des Einzelfalles wie insbesondere einer kurzfristigen oder geringfügigen Beschäftigung des einzustellenden Arbeitnehmers Rechnung zu tragen ist (LAG Düsseldorf 12.12.2016 - 4 Ta 529/16, juris Rn. 34 u. 39). Derartige Umstände des Einzelfalls werden in der Rechtsprechung durchweg berücksichtigt (vgl. etwa LAG Köln 26.08.2019 - 2 Ta 147/19, Rn. 6; LAG Nürnberg 15.01.2016 - 7 Ta 123/15; LAG Hamburg 20.05.2016 - 5 Ta 7/16; LAG Hamm 15.10.2015 - 13 Ta 52/15, Rn. 14). Dem hat das Arbeitsgericht im Rahmen seines Ermessens im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise Rechnung getragen.

a.Zunächst ist es angemessen, wegen der Kurzfristigkeit einer beabsichtigten personellen Maßnahme, die die Dauer von drei Monaten nicht überschreitet, einen reduzierten Ausgangswert zugrunde zu legen. Bei der gebotenen pauschalierenden Betrachtung hat eine derart kurzzeitige personelle Maßnahme sowohl für den antragstellenden Arbeitgeber als auch für den Betriebsrat nicht dieselbe Bedeutung wie etwa eine sechsmonatige oder unbefristete Maßnahme (ebenso u.a. LAG Köln 26.08.2019 - 2 Ta 147/19, Rn. 6; LAG Nürnberg 15.01.2016 - 7 Ta 123/15 [Herabsetzung auf ein Drittel]; LAG Hamburg 20.05.2016 - 5 Ta 7/16; LAG Hamm 15.10.2015 - 13 Ta 52/15, Rn. 14, alle juris). Eine pauschale Kürzung um 50 % für diesen Aspekt ist angemessen, zumal sie zu größerer Transparenz und leichterer Handhabbarkeit führt und in Einklang mit der angeführten Rechtsprechung steht.

Dies führt für die erste personelle Maßnahme in einem ersten Schritt zu einem Gegenstandswert des Zustimmungsersetzungsantrages von 2.500,00 Euro, unter Einbezug des Antrags betreffend die Dringlichkeit der vorläufigen Maßnahme und des Widerantrages zu einem Wert von zunächst 5.000,00 Euro. Unstreitig betrafen die Maßnahmen lediglich die befristete Einstellung von Leiharbeitnehmern für die Dauer von etwa einem Monat.

b.Keine weitere Kürzung des Gegenstandswertes rechtfertigt der Umstand, dass die personelle Maßnahme nur auf eine Teilzeitbeschäftigung gerichtet war. Hier ist die grundsätzliche Wertung des Betriebsverfassungsgesetzes zu beachten, das für die Größe des Betriebsrats sowie für die verschiedenen Schwellenwerte (etwa in §§ 99, 111 BetrVG) stets auf die Kopfzahl der Arbeitnehmer abstellt (keine Rücksicht auf eine Teilzeittätigkeit bei der Wertfestsetzung nehmen auch LAG Köln 15.12.2016 - 2 Ta 297/16 und 11.11.2008 - 13 Ta 368/08, beide juris). Ob hiervon im Falle geringfügig Beschäftigter, also von 450,00-Euro-Kräften, abzuweichen ist, wofür viel spricht (in diese Richtung LAG Düsseldorf 12.12.2016 - 4 Ta 529/16, juris Rn. 34 u. 39 und LAG Berlin 19.09.2002 - 17 Ta (Kost) 6081/02, juris), kann dahin stehen. Die hier beabsichtigte Arbeitszeit von sechs Stunden täglich fällt nicht darunter.

c.Zutreffend verweist das Arbeitsgericht auch darauf, dass eine etwaige wiederholte Missachtung des Beteiligungsrechts des Betriebsrats beim Einsatz von Leiharbeitnehmern sich nicht - quasi sanktionierend - in einem höheren Gegenstandswert niederschlagen kann.

d.Die Besonderheit des Falles rechtfertigt indessen eine weitere Kürzung des Gegenstandswertes wegen des von vorn herein absehbar nur äußerst geringen Arbeitsaufwands des Verfahrensbevollmächtigten. Dieser Gesichtspunkt ist bei der Wertfestsetzung im Rahmen von § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu berücksichtigen (LAG Düsseldorf 12.12.2016 - 4 Ta 529/16, juris Rn. 11 mwN). Es war von Anfang an abzusehen, dass der Aufwand für den Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wegen Zeitablaufs der personellen Maßnahme von nur einem Monat der personellen Maßnahme gegen null tendieren würde. Demgemäß hat sich der Verfahrensbevollmächtigte auch lediglich bestellt, die Anträge angekündigt und schließlich das Verfahren für erledigt erklärt. Auch auf Seiten der Antragstellerin war abzusehen, dass sich das Verfahren nach der Antragstellung auf diese Weise ohne weiteren Aufwand erledigen würde.

Aus diesem Grund legt die Beschwerdekammer bei der Wertermittlung eine weitere Kürzung des Ausgangswertes für den ersten betroffenen Arbeitnehmer von 50 % zugrunde, so dass der Ausgangswert für alle drei Anträge insoweit 5.000,00 Euro beträgt.

4.Die Beschwerdekammer folgt schließlich mit dem Arbeitsgericht auch der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 09.02.2018 zu einer gestaffelt reduzierten Bewertung von Massenanträgen in objektiver Antragshäufung.

a.Nach Ziff. II.14.7 des Streitwertkatalogs sinkt bei Massenanträgen in objektiver Antragshäufung mit wesentlich gleichem Sachverhalt, insbesondere bei einer einheitlichen unternehmerischen Maßnahme und parallelen Zustimmungsverweigerungsgründen, der Wert der Anträge für den 2. und die folgenden betroffenen Arbeitnehmer "als Anhaltspunkt" nach folgender Staffel:

-beim 2. bis einschließlich 20. parallel gelagerten Fall auf jeweils 25 % des für den Einzelfall ermittelten Ausgangswerts,

-beim 21. bis einschließlich 50. parallel gelagerten Fall auf jeweils 12,5 % des Ausgangswerts und

-ab dem 51. parallel gelagerten Fall jeweils 10 % des Ausgangswerts.

Dem folgt die Beschwerdekammer. Es trägt der Gleichförmigkeit der Anträge sowie der Sach- und Rechtsfragen und damit dem geringeren Arbeitsaufwand für die beteiligten Bevollmächtigten Rechnung und führt zu einer gleichmäßigen und berechenbaren Streitwertrechtsprechung.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde nicht.

b.Auf den vorliegenden Fall angewendet ergibt sich daraus der vom Arbeitsgericht festgesetzte Wert von 17.812,50 Euro.

aa.Der Antrag ist einheitlich gerichtet auf Zustimmungsersetzung für die Einstellung "von bis zu 31 Leiharbeitnehmern". Der Sache nach handelt es sich gleichwohl um eine objektive Antragshäufung von 31 einzelnen Zustimmungsersetzungsanträgen.

bb.Es geht dabei um eine einheitliche unternehmerische Maßnahme, wie schon der einheitliche Antrag der Arbeitgeberin an den Betriebsrat dokumentiert. Auch liegt ein im Wesentlichen gleicher Sachverhalt vor. Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, dass die einzelnen Maßnahmen unterschiedlich begründet worden seien (Urlaub, Krankheit, Sonstiges), liegt doch der jeweils gleiche und letztlich maßgebende Grund in dem vorübergehenden Beschäftigungsbedarf. Der Betriebsrat hat aus diesem Grund allen Maßnahmen mit einem einheitlich begründeten Schreiben die Zustimmung verweigert.

cc.Soweit die Beschwerde bei der oben unter Ziff. I. mitgeteilten Berechnung des Arbeitsgerichts einen Rechenfehler rügt, ist dieser weder näher dargelegt noch sonst erkennbar.

III.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats hat wegen der Erfolglosigkeit seiner Beschwerde gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 GKG iVm. Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG eine Gebühr von 50,00 Euro zu tragen.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Quecke