SG Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 09.11.2020 - S 20 KR 293/17
Fundstelle
openJur 2020, 77423
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Klägerin an die Beklagte zu entrichtenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung im Rahmen der freiwilligen Mitgliedschaft für den Zeitraum vom 01. September 2015 bis zum 30. November 2016.

Die im März 1959 geborene Klägerin war hauptberuflich selbständig tätig und bei der Beklagten freiwillig kranken- und pflichtig pflegeversichert. Nachdem die Beklagte die Klägerin im September 2016 aufgefordert hatte, ihre Einkommensverhältnisse (erneut) offenzulegen, übersandte die Klägerin neben dem entsprechenden Fragebogen auch den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2014 vom 21. August 2015, dem Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb in Höhe von jährlich 47.726,00 Euro (monatlich: 3.977,17 Euro) zugrunde lagen, sowie den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2015 vom 16. November 2016, dem Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb in Höhe von jährlich 19.806,00 Euro (monatlich: 1.650,50 Euro) zugrunde lagen.

Mit Bescheid vom 09. Februar 2017 setzte die Beklagte für den Zeitraum vom 01. September 2015 bis zum 31. Dezember 2015 einen Monatsbeitrag in Höhe von insgesamt 686,05 Euro und für den Zeitraum vom 01. Januar 2016 bis zum 30. November 2016 einen Monatsbeitrag in Höhe von insgesamt 694,01 Euro unter Berücksichtigung des sich aus dem Einkommenssteuerbescheid 2014 ergebenden Einkommens der Klägerin in Höhe von 3.977,17 Euro fest. Für den Zeitraum ab dem 01. Dezember 2016 setzte die Beklagte sodann jeweils einen Monatsbeitrag unter Zugrundelegung der jeweiligen Mindestbemessungsgrenzen fest.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 27. Februar 2017 Widerspruch: Aus den Unterlagen sei ersichtlich, dass sie bereits seit dem 01. September 2015 lediglich über Einkünfte in Höhe von 1.950,00 Euro verfügt habe, weshalb bereits seit diesem Zeitpunkt nur noch diese geringeren Einkünfte zu berücksichtigen seien. Im Übrigen sei das Gewerbe zum 31. Juli 2015 abgemeldet worden, weshalb daraus auch keine Einnahmen mehr generiert worden seien.

Nachdem die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2016 vom 02. August 2017, dem Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von jährlich 10.869,00 Euro (monatlich: 905,75 Euro) zugrunde lagen, übersandt hatte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 04. September 2017 die Beiträge ab dem 01. Januar 2017 - erneut - unter Zugrundelegung der Mindestbemessungsgrenze in identischer Höhe wie bereits mit dem Bescheid vom 09. Februar 2017 fest.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Beitragsverfügung vom 09. Februar 2017 als unbegründet zurück. Maßgeblich sei allein der Einkommenssteuerbescheid, wobei jeweils der letzte so lange gelte, bis ein neuer ausgestellt worden sei. Deshalb sei für den Zeitraum vom 01. September 2015 bis zum 30. November 2016 der Steuerbescheid für das Jahr 2014 zugrunde zu legen und ab dem 01. Dezember 2016 der Steuerbescheid für das Jahr 2015. Weil gemäß § 240 Abs 4 SGB V auch zu berücksichtigen sei, dass unabhängig vom tatsächlichen Einkommen ein Mindestbeitrag zu erheben sei, der sich nach der festgelegten Bezugsgröße richte (Verweis auf § 18 SGB IV), sei ab dem 01. Dezember 2016 der Mindestbeitrag zu erheben, weil das tatsächliche Einkommen unter dieser Größe gelegen habe und liege.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 06. November 2017 - bei dem Sozialgericht Neuruppin am gleichen Tage eingegangen - Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren. Darüber hinaus meint sie: Der Beklagten sei bei Änderung der beitragspflichtigen Einnahmen eine vorläufige Entscheidung möglich gewesen, die sie mit der Mitteilung der Abmeldung des Gewerbes habe treffen können. Im Übrigen bestehe die Möglichkeit einer auch rückwirkenden Entscheidung über die bereits beantragte Beitragsentlastung.

Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die mit dem Bescheid der Beklagten vom 09. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2017 verlautbarte Beitragsfestsetzungsverfügung dahin zu ändern, dass die Beiträge für den Zeitraum vom 01. September 2015 bis zum 30. November 2016 nur mit dem Mindestbeitrag festgesetzt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages vertieft sie ihre Ausführungen in den angegriffenen Verfügungen. Sie ergänzt, der Zeitpunkt der Abmeldung des Gewerbes sei unerheblich, weil alleiniger Maßstab der Einkommenssteuerbescheid sei. Für den hier maßgeblichen Zeitraum habe eine gesetzliche Möglichkeit einer vorläufigen Entscheidung nicht vorgelegen, diese sei nach § 32 SGB X ausgeschlossen; die von dem Bundessozialgericht (Verweis auf Urteil vom 22. März 2006 - B 12 KR 14/05 R) zugelassene Ausnahme betreffe eine hier nicht gegebene Fallgestaltung. Dass die gesetzliche Regelung der Beitragsbemessung allein nach Maßgabe des Einkommenssteuerbescheides unter Umständen dazu führe, dass mehr Beiträge zu zahlen seien, als dies den Einnahmen entspreche, habe der Gesetzgeber mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (Verweis auf Beschluss vom 22. Mai 2001 - 1 BvL 4/96) bewusst in Kauf genommen. Auch eine rückwirkende Entscheidung über eine Beitragsentlastung sei nicht möglich.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 29. Juni 2020 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Gründe

Die Klage, über die die Kammer gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit Verfügung vom 29. Juni 2020 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht - ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung - weder zur Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 - B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 R 8/14 R, RdNr 23), hat keinen Erfolg.

1. Das Begehren der Klägerin, das darauf gerichtet ist, die mit dem Bescheid der Beklagten vom 09. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2017 verlautbarte Beitragsfestsetzungsentscheidung für den Zeitraum vom 01. September 2015 bis zum 30. November 2016 unter Berücksichtigung der Mindestbemessungsgrenze abzuändern, ist als isolierte Abänderungsanfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Regelung 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Dass die Beklagte die (weitere) Beitragsfestsetzungsverfügung vom 04. September 2017, die gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden war, weil sie die ursprüngliche Beitragsfestsetzungsverfügung vom 09. Februar 2017 mit Wirkung ab dem 01. Januar 2017 ersetzte, zu Unrecht nicht in ihre Entscheidung über den Widerspruch gegen die ursprüngliche Beitragsfestsetzungsentscheidung vom 09. Februar 2017 einbezogen hat, ändert mit Blick auf eine deshalb möglicherweise vorliegende Unvollständigkeit des Widerspruchsverfahrens (vgl zu den Folgen: B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86, RdNr 5 mwN) nichts an der Zulässigkeit der hier erhobenen Anfechtungsklage. Denn mit dieser greift die Klägerin - in sinnentsprechender Auslegung ihres Vorbringens (vgl § 123 SGG) - nur die Beitragsfestsetzungsverfügung für den Zeitraum vom 01. September 2015 bis zum 30. November 2016 an, weil die Beklagte nur insoweit nicht die Mindestbemessungsgrenze zugrunde gelegt hat.

2. Die danach zulässige Klage ist jedoch unbegründet, weil die angegriffene Verfügung rechtmäßig ist und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).

a) Die Beklagte hat - der Sache nach - seine bisherige den hier streitgegenständlichen Zeitraum betreffende Beitragsfestsetzungsentscheidung nach Maßgabe der Regelung des § 48 Abs 1 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) für die Zukunft mit Wirkung ab dem 01. September 2015 wegen der durch die Vorlage weiterer Einkommenssteuerbescheide nachgewiesener Änderungen in den Einkommensverhältnissen (vgl zu dem insoweit maßgeblichen Anknüpfungspunkt: Bundessozialgericht, Urteil vom 02. September 2009 - B 12 KR 21/08 R, RdNr 19) der Klägerin aufgehoben und die Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Kranken- sowie zur sozialen Pflegeversicherung zu Recht neu festgesetzt und hierbei die rechtlichen Grundlagen hierfür in nicht zu beanstandender Weise angewandt.

b) Gemäß § 220 Abs 1 S 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) - in der Fassung, die die genannte Vorschrift im streitgegenständlichen Zeitraum hatte, weil in Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist, was auch für die weiteren zitierten Vorschrift gilt <sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu aus dem Rechtskreis des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) nur etwa: Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2020 - B 4 AS 1/20 R, RdNr 13 mwN) - werden die Mittel der Krankenversicherung unter anderem durch Beiträge aufgebracht. Nach § 223 Abs 2 SGB V werden die Beiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen (Satz 1). Für die Berechnung ist die Woche zu sieben, der Monat zu dreißig und das Jahr zu dreihundertsechzig Tagen anzusetzen (Satz 2). Beitragspflichtige Einnahmen sind gemäß § 223 Abs 3 SGB V bis zu einem Betrag von einem Dreihundertsechzigstel der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 7 SGB V für den Kalendertag zu berücksichtigen (Beitragsbemessungsgrenze; Satz 1). Einnahmen, die diesen Betrag übersteigen, bleiben außer Ansatz, soweit das SGB V nichts Abweichendes bestimmt (Satz 2).

Die beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder werden in § 240 SGB V bestimmt. Gemäß § 240 Abs 1 S 1 SGB V wird diese Beitragsbemessung - im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben in den weiteren Bestimmungen des § 240 SGB V - einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt, der hierzu die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" vom 27. Oktober 2008 (eBAnz VB 4.11.2008; hier idF der Sechsten Änderung vom 10. Dezember 2014, eBAnz VB 15.12.2014) erlassen hat, die als untergesetzliche Normen auch die Versicherten binden und als solche grundsätzlich verfassungsgemäß sind (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Dezember 2012 - B 12 KR 20/11 R, RdNr 21ff). Gemäß § 240 Abs 1 S 2 Hs1 SGB V ist bei der Beitragsbemessung sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Gemäß § 240 Abs 2 S 1 SGB V sind bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Allerdings gibt das Gesetz in § 240 Abs 4 S 1 SGB V eine verbindliche Bestimmung über die beitragspflichtigen Einnahmen für freiwillige Mitglieder vor, wonach als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße gilt. Als beitragspflichtige Einnahmen sind das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen (§ 3 Abs 1 S 1 BeitrVerfGrsSz). Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, sind entsprechend den für die Sachbezüge geltenden Regelungen der Sozialversicherungsentgeltordnung zu bewerten (§ 3 Abs 1 S 2 BeitrVerfGrsSz). Gemäß § 243 S 1 SGB V sowie gemäß § 243 S 3 SGB V gilt für Mitglieder, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben, ein ermäßigter Beitragssatz. Zusätzlich können die Krankenkassen nach § 242 SGB V einen Zusatzbeitrag verlangen.

Die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung werden nach § 57 Abs 4 S 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) iVm § 240 SGB V bemessen. Der Beitragssatz für die Pflegeversicherung wird nach § 55 Abs 1 SGB XI bundeseinheitlich durch Gesetz festgesetzt. Für Personen, bei denen § 28 Abs 2 SGB XI Anwendung findet, beträgt nach § 55 Abs 1 S 2 SGB XI der Beitragssatz die Hälfte des Beitragssatzes nach Satz 1. Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit und Pflege Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben, erhalten nach § 28 Abs 2 SGB XI die jeweils zustehenden Leistungen zur Hälfte; dies gilt auch für den Wert von Sachleistungen.

Dies konkretisierend bestimmt die Regelung des § 3 Abs 1 BeitrVerfGrsSz, dass der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen sind. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit umfasst dabei im Wesentlichen Einnahmen aus einer beruflichen Tätigkeit wie Arbeitsentgelt <§ 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV)> oder Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV). Gemäß § 6 Abs 3 S 3 Nr 1 BeitrVerfGrsSz iVm § 7 Abs 7 S 1 BeitrVerfGrsSz iVm § 7 Abs 3 S 2 BeitrVerfGrsSz ist insbesondere bei hauptberuflich Selbständigen der Nachweis über die Einkünfte über den Einkommenssteuerbescheid zu führen.

c) Die angegriffene Beitragsfestsetzungsverfügung der Beklagten ist unter Berücksichtigung dieser Maßgaben nicht zu beanstanden, sie ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - insbesondere nicht deshalb rechtswidrig, weil sie die Beiträge erst zum 01. Dezember 2016 unter Berücksichtigung der geringeren Einnahmen der Klägerin, mithin erst ab dem Monat, der auf die Vorlage des Einkommensteuerbescheides folgte, neu berechnet hat. Denn diese Verfahrensweise folgt aus § 7 Abs 7 BeitrVerfGrsSz: Gemäß § 7 Abs 7 S 3 BeitrVerfGrsSz ist der neue Einkommensteuerbescheid ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Legt das Mitglied den Einkommensteuerbescheid später vor und ergäbe sich eine günstigere Beitragsbemessung, sind die Verhältnisse erst ab Beginn des auf die Vorlage dieses Einkommensteuerbescheids folgenden Monats zu berücksichtigen (§ 7 Abs 7 S 4 BeitrVerfGrsSz). Diese Regelung entspricht im Wesentlichen der gesetzlichen Vorgabe in § 240 Abs 4 S 6 SGB V. Danach können Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden.

Die Klägerin hat den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 vom 16. November 2015, der niedrigere Einkünfte aus ihrem Gewerbebetrieb ausweist als zuvor, zwar unverzüglich vorgelegt. In Anwendung der obigen Grundsätze durfte die Beklagte diese Veränderung schon nach der Grundregel des § 7 Abs 7 S 3 BeitrVerfGrsSz allerdings erst mit dem Folgemonat - also zum 01. Dezember 2016 - berücksichtigen; eine frühere Berücksichtigung, insbesondere für den hier streitgegenständlichen Zeitraum, ist nach dem dargestellten Regelungsgefüge nicht möglich, weshalb - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch für eine rückwirkende Beitragsentlastung kein Raum verbleibt, worauf auch die Beklagte zu Recht hingewiesen hat.

d) Die Beklagte war - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch nicht zu einer vorläufigen Festsetzung der Beiträge verpflichtet. Dafür bestand mit Blick auf die Regelung des § 32 SGB X keine gesetzliche Grundlage und im Übrigen auch schon deshalb kein Anlass, weil die Klägerin bereits zuvor ihrer hauptberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit nachging, so dass die bis dahin erteilten Einkommenssteuerbescheide eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung der zu erwartenden Einnahmen abgab.

e) Schließlich hilft der Klägerin auch die Regelung des § 6 Abs 3a BeitrVerfGrds SelbstZ nicht weiter. Danach ist abweichend von § 6 Abs 3 S 3 Nr 1 BeitrVerfGrds SelbstZ, wonach für das Arbeitseinkommen auf den (letzten) aktuellen Einkommenssteuerbescheid abzustellen ist, auf Antrag ein Vorauszahlungsbescheid zur Einkommenssteuer zu berücksichtigen, wenn das dort angenommene Arbeitseinkommen um mehr als ein Viertel gegenüber dem im Einkommenssteuerbescheid zuletzt festgestellten Arbeitseinkommens reduziert ist. Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin für den hier interessierenden Zeitraum einen entsprechenden Vorauszahlungsbescheid nicht vorgelegt hat.

f) Dass die Orientierung der Beitragshöhe an den tatsächlichen Einkünften nur zeitversetzt und abhängig von dem Datum der Erstellung des Einkommenssteuerbescheides erfolgen konnte, ist die Folge davon, dass das Gesetz in der für den vorliegenden Sachverhalt anwendbaren Fassung noch zwingend die endgültige Festlegung der Beiträge im Voraus vorsah und außer einem vorliegenden Einkommenssteuerbescheid keine geeignete Erkenntnisquelle für die Höhe der Einkünfte ersichtlich ist (vgl hierzu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2020 - L 1 KR 336/18, achter Absatz der Entscheidungsgründe). Die dadurch möglichen Unzuträglichkeiten, dass die zu zahlenden Beiträge und das zur Verfügung stehende aktuelle Einkommen auseinanderfallen, waren nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, weil sie sie für überzeugend hält, hinzunehmen, weil jedenfalls auf längere Sicht wieder mit einem Ausgleich zu rechnen war (vgl Urteil vom 22. März 2006 - B 12 KR 14/05 R, Rn 16; vgl zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit insoweit auch den von der Beklagten zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2001 - 1 BvL 4/96, RdNr 23ff).

Soweit das Bundessozialgericht in diesem Urteil weitergehend Möglichkeiten für einen Ausgleich gesehen hat, betraf dies ausschließlich eine vorläufige Beitragsfestsetzung nach dem Beginn einer selbständigen Tätigkeit (vgl hierzu auch die Regelung in § 7 Abs 7 S 5 BeitrVerfGrsSz). Eine derartige Fallkonstellation lag hier jedoch ersichtlich nicht vor, worauf auch die Beklagte bereits zutreffend hingewiesen hat. Dass die Klägerin die Voraussetzungen der in § 6 Abs 3a BeitrVerfGrsSz angelegten Korrekturmöglichkeit verfehlt hat, muss sie schon deshalb hinnehmen, weil die rechtzeitige Vorlage der entsprechenden Vorauszahlungsbescheide allein in ihrer Sphäre liegt. Jedenfalls liegt eine mit jeder Grenzziehung unvermeidlich einhergehende Pauschalierung vor, welche die für sie eingetretenen Änderungen noch nicht als erheblich erscheinen ließ (vgl hierzu auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2020 - L 1 KR 336/18, achter Absatz der Entscheidungsgründe).

g) Zwar hat der Gesetzgeber mit Artikel 1 Nr 16b. b) des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG) vom 04. April 2017 (BGBl I S 778, 785) - aufgrund von Art 3 Abs 3 des Gesetzes - mit Wirkung ab dem 01. Januar 2018 in § 240 Abs 4a SGB V in Abkehr von dem bisherigen System generell eine vorläufige Festsetzung der auf Arbeitseinkommen entfallenden Beiträge auf der Grundlage des letzten bekannten Einkommenssteuerbescheides eingeführt. Dies ändert aber nichts daran, dass die bisherige Rechtslage für Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Neuregelung - und damit auch hier - maßgeblich bleibt. Gemäß § 240 Abs 4a SGB V in der seit dem 01. Januar 2018 geltenden Fassung, wonach die Beitragsbemessung grundsätzlich anhand der tatsächlichen Einnahmen des jeweiligen Kalenderjahres vorzunehmen ist (BT-Drucks 18/11205, S 71) ist vorliegend nicht anwendbar. Diese Gesetzesänderung trat - wie bereits dargelegt - nach Art 3 Abs 3 des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes erst zum 01. Januar 2018 in Kraft. Nach den Gesetzesmaterialien sollte das neue Verfahren der grundsätzlich zunächst vorläufigen Festsetzung von Beiträgen erstmals Beitragsfestsetzungen für das Kalenderjahr 2018 erfassen (BT-Drucks 18/11205, S 84). Eine rückwirkende Anwendung des § 240 Abs 4a SGB V auf vor dem 01. Januar 2018 liegende Beitragszeiträume ist damit auch dann nicht vorzunehmen, wenn nach dem 01. Januar 2018 erneut oder erstmals über die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung für vorherige Jahre zu entscheiden ist (vgl hierzu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2020 - L 1 KR 336/18, dritter Absatz der Entscheidungsgründe, unter Hinweis auf Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. August 2018 - L 11 KR 2654/18 ER-B, RdNr 24).

h) Soweit die Klägerin - sinngemäß - auch eine Änderung der Festsetzung der Beiträge zur sozialen Pflichtversicherung für den streitgegenständlichen Zeitraum begehrt, kann sie auch hiermit nicht durchdringen. Nach § 57 Abs 4 S 1 SGB XI ist bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung, wie es die Klägerin ist, für die Beitragsbemessung die Regelung des § 240 SGB V entsprechend anzuwenden, was auch dessen Konkretisierung durch die BeitrVerfGrsSz umfasst (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 2013 - B 12 KR 3/12 R, RdNr 31). Die Beklagte war nach § 3 Abs 1 S 1 BeitrVerfGrsSz berechtigt, die Einnahmen der Klägerin aus dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2014 der Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Insofern gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihrem Begehren vollumfänglich unterlag.

4. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).

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