OLG Hamm, Urteil vom 26.02.2019 - 26 U 136/18
Fundstelle
openJur 2020, 77184
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 02. Juli 2018 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld sowie Schadensersatz aufgrund eines Unfallgeschehens vom 00.04.2016.

Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei der Firma V Vertriebs GmbH als LKW-Fahrer angestellt und sollte bei der Beklagten zu 1 mit einem Sattelzug Gitterboxen abholen, die vom Beklagten zu 2 per Gabelstapler auf den LKW verladen wurden. Der Beklagte zu 2 war damals als Leiharbeiter für die Beklagte zu 1 tätig. Im Rahmen der Beladung erfasste eine Windboe die auf dem Gabelstapler befindlichen Gitterboxen, die daraufhin umkippten. Dabei erfasste eine Box den Kläger am rechten Bein. Der Kläger wurde erheblich verletzt und leidet noch heute unter Beschwerden.

Der Kläger hat sodann ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000 €, einen Verdienstausfallschaden von 2.055,90 €, einen Haushaltsführungsschaden von 12.445,29 €, sowie Erstattung vorgerichtlicher Kosten von 989,13 € geltend gemacht und die Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass er den Beklagten zu 2 darauf hingewiesen habe, dass er zur weiteren Beladung die Plane nunmehr vorziehe und die vorgenommene Ladung sichern wolle. Dabei habe er den herannahenden Beklagten zu 2 wegen der herrschenden Wetterverhältnisse nicht bemerken können. Eine über den Anmeldeschein hinausgehende Belehrung habe er auch nicht erhalten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Haftung an §§ 106,104,105 SGB VII scheitere, weil eine gemeinsame Betriebsstätte sowie eine Gefahrengemeinschaft vorgelegen habe.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht geltend, das Landgericht habe nicht in ausreichender Weise berücksichtigt, dass wegen der weit reichenden Konsequenzen dieses Haftungsausschlusses von den Vorschriften nur in einem sehr eng begrenzten Raum Gebrauch gemacht werden dürfe. Bei einer gemeinsamen Betriebsstätte komme es entscheidend darauf an, dass typischerweise infolge der engen Berührung der Werktätigen gleichermaßen Versicherte unterschiedlicher Unternehmen geschädigt werden könnten. Nur wenn eine solche Gefahrengemeinschaft bestehe, sei es gerechtfertigt, die Nachteile des Haftungsausschlusses auch in Kauf zu nehmen. Hier seien aber die Tätigkeiten der beiden Beteiligten so voneinander abzugrenzen, dass jeweils kein gleich gelagertes Risiko bestehe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 02.07.2018, Aktenzeichen 2 O

93/18 aufzuheben (richtig: abzuändern) und wie folgt zu erkennen:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an ihn Schadensersatz in Höhe von 14.501,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2016 sowie weitere 989,13 € zu zahlen;

2. die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, das der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, den Betrag von 40.000 € aber nicht unterschreiten sollte, zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2016;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Schadensereignis vom 26.04.2016 auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1 zu erstatten, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat den Kläger nochmals angehört. Diesbezüglich wird auf den Berichterstattervermerk vom 26.02.2019 verwiesen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht einen Haftungsausschluss nach §§ 106 Abs. 3 , 104, 105 SGB VII angenommen, so dass dem Kläger die hier geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen; denn der Haftungsausschluss erfasst sämtliche Ansprüche des bürgerlichen und öffentlichen Rechts mit Ausnahme vertraglicher Erfüllungsansprüche, um die es hier ersichtlich nicht geht.

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 2 waren gesetzlich Versicherte zweier Unternehmen. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger lediglich als sog. 450 €-Kraft beschäftigt war, weil auch für ihn als Beschäftigten eine gesetzliche Unfallversicherungspflicht bestand, ebenso wie für den Beklagten zu 2 als Leiharbeitnehmer. Beide haben eine betriebliche Tätigkeit ausgeführt, wobei eine vorsätzliche Haftung nicht vorliegt.

Wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, liegen hier die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss vor, weil beide Arbeitnehmer eine gemeinsame Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet haben, die nicht lediglich parallel nebeneinander herlief oder zufällig zusammentraf.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung meint § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das zwar nicht nach einer rechtlichen Verfestigung oder auch nur ausdrücklichen Vereinbarung verlangt, sich aber zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches

Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Haftungsfreistellung erfasst damit über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung

stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt (BGH VersR 2001, 336, 337; 2008, 642, 643). Die Vorschrift ist jedenfalls immer dann denkbar, wenn zwischen den Tätigkeiten in der konkreten Unfallsituation eine gewisse Verbindung besteht, die über eine beziehungslos nebeneinander herlaufende parallele Tätigkeit hinausgeht (BGH VersR 2001, 372, 373; VersR 2004, 1604 f; NJW 2013, 2031, juris 16). Die notwendige Arbeitsverknüpfung kann im Einzelfall sogar dann bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen oder unterstützen, die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe aber eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordert, etwa wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (vgl. BGH, Urteile vom 22.01.2008 - VI ZR 17/07 - NJW 2008, 2116, 2117 Tz. 13; vom 17. Juni 2008 - VI ZR 257/06, juris Rn. 19; vom 8.April 2003 - VI ZR 251/02, VersR 2003, 904, 905; vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05, juris Rn. 22; vom 8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, juris Rn. 16; vom 1. Februar 2011 - VI ZR 227/09, juris Rn. 10; Beschluss vom 23. Juli 2002 - VI ZR 91/02, BGHZ 152, 7, 9, juris Rn.9; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Januar 2001 - 7 U 104/99 - RuS 2001, 197 f., juris Rn. 24 mit Nichtannahme-Beschluss des BGH v. 10. 7. 2001 - VI ZR 53/01 -).

Nach diesen Voraussetzungen kann kein Zweifel an einer gemeinsamen Betriebsstätte bestehen.

Der Kläger und der Beklagte zu 2 haben zwar bei dem eigentlichen Beladevorgang nicht zusammengearbeitet, aber der Kläger musste für die mögliche Beladung durch den Beklagten zu 2 jeweils die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, indem er die Plane wegzog und die Beladungsbereiche durch Rungen und Quertraversen stabilisierte und sicherte. Zur ordnungsgemäßen Beladung waren daher entsprechende - auch stillschweigende - Absprachen zwischen den beiden Arbeitnehmern erforderlich. Nur auf diese Art konnte die notwendige Sicherheit gewährleistet werden. Der Beklagte zu 2 hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht angegeben, dass man sich immer mit dem Fahrer über logistische Dinge unterhält, insbesondere darüber, wann die Plane vorgezogen wird und die Quertraversen eingesetzt werden. Das hat der Kläger auch nicht in Abrede gestellt, sondern ein solch abgestimmtes Vorgehen schriftsätzlich sogar ausdrücklich bestätigt. Er hat weiter angegeben, dass er als Fahrer darauf zu achten habe, dass die Ladung durch den Staplerfahrer formschlüssig sei, da er ansonsten den Fahrer darauf hinweisen müsse, die Ladung zu verschieben. Er will sich auch während des Beladungsvorgangs immer im sicheren Bereich aufgehalten und dann dem Beklagten zu 2 erklärt haben, dass er schon die Vorbereitungen zur weiteren Beladung treffen wolle. Das hat dieser möglicherweise wegen des sehr schlechten Wetters mit Sturmböen ebenso wenig mitbekommen wie der Kläger das Herannahen des Beklagten zu 2 mit den weiteren Gitterboxen.

Dieses notwendige beiderseitige Zusammenwirken zur ordnungsgemäßen und auch sicheren Beladung rechtfertigt die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte i.s.d. § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII, weil insoweit die Arbeitnehmer eine Gefahrengemeinschaft bilden, denn der Aufenthalt im Gefahrenbereich des Staplers, der ja mit Beladung keinen ausreichenden Überblick nach vorn hat, ohne entsprechende Absprache untereinander, stellt nicht nur für betriebsfremde Mitarbeiter sondern für jeden dort tätigen Arbeitnehmer eine nicht unerhebliche Gefahr dar.

Dies begründet dann auch den Haftungsausschluss, der auf der einen Seite Nachteile für den Geschädigten bringen kann, auf der anderen Seite aber auch Vorteile infolge der Einschaltung der Berufsgenossenschaft mit entsprechend besonderen Heilbehandlungsmaßnahmen und der Unfallrente.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.

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