Hessisches LAG, Urteil vom 26.08.2020 - 2 Sa 119/20
Fundstelle
openJur 2020, 76491
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 05. Dezember 2019, Az. 26 Ca 3842/19, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie und Teil eines internationalen Konzerns, dessen Muttergesellschaft, die A (im Folgenden: die Muttergesellschaft), ihren Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika hat, und der in 15 Ländern mit Produktions- und/oder Vertriebsstandorten vertreten ist. Sie unterhält in B eine Betriebsstätte (im Folgenden: der Betrieb), in der mehr als 250 Mitarbeiter/innen beschäftigt sind. Die Mehrheit der Beschäftigten wird von der Beklagten in der Produktion von Aerosolventilen für Spraydosen bzw. in produktionsnahen Arbeitsbereichen (Einkauf, Supply Chain, Qualitätskontrolle, Instandsetzung und Versand) eingesetzt. Daneben existieren im Betrieb noch weitere Arbeitsbereiche, wie etwa eine für den lokalen Vertrieb der Produkte zuständige Abteilung. Die Beklagte generiert mit dem Verkauf von Produkten einen Anteil von ca. 20% der Umsätze des Konzerns.

Der am XX.XX.1968 geborene, verheiratete und 3 Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist diplomierter Betriebswirt und war zunächst im Zeitraum von 2003 bis 2008 bei der Beklagten beschäftigt. Nach einer mehrjährigen Unterbrechung war er sodann ab dem 1. September 2013 bei der Beklagten zunächst als "Regional Manager Europe" und seit Juni 2015 als "Chief Commercial Officer" (CCO) beschäftigt. Grundlage der Zusammenarbeit war ein schriftlicher Arbeitsvertrag (Bl. 14ff. der Akte), den die Parteien anlässlich des Funktionswechsels des Klägers in puncto Tätigkeit und Vergütung am 21. Oktober 2015 (Bl. 112 der Akte) mit Wirkung zum 23. Juni 2015 sowie erneut in puncto Vergütung am 13. Mai 2016 (Bl. 114 der Akte) mit Wirkung zum 3. Mai 2016 abänderten, nachdem der Kläger diesbezüglich Verhandlungen insb. mit dem damaligen Inhaber des Konzerns geführt und den Wunsch geäußert hatte, im Vertragsverhältnis mit der Beklagten zu bleiben. Gemäß den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen berichtete der Kläger direkt an den Präsidenten und Chief Executive Officer (CEO) der Muttergesellschaft.

Die vom Kläger im Juni 2015 übernommene Funktion des CCO war eine in der globalen, gesellschaftsübergreifenden Matrixorganisation des Konzerns neu geschaffene, mit der eine zentrale Verantwortung für die weltweiten Marketing-, Produktentwicklungs- und Vertriebsaktivitäten des Konzerns verbunden war. Der Kläger hatte als CCO unter anderem folgende Aufgaben:

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die fachliche Führung der weltweiten Marketing- und Vertriebsteams

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die Entwicklung, Koordinierung und Steuerung des weltweiten Markenauftritts und der Marketingstrategie des Konzerns

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die Koordinierung und Steuerung des weltweiten externen Auftritts des Konzerns in den verschiedenen Medien

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die Koordinierung und Steuerung für Messeauftritte weltweit und der messebegleitenden Maßnahmen

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die weltweite Vertriebssteuerung einschließlich Vertriebscontrolling des Konzerns

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die Entwicklung und Implementierung der weltweiten Vertriebs- und Kundenstrategie

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die persönliche Pflege von Kontakten mit den wichtigsten weltweiten Kunden des Konzerns, einschließlich Preisverhandlungen und Behandlung von Beschwerden dieser Schlüsselkunden (C, D u.a.)

Als CCO unterstanden dem Kläger fachlich insgesamt die in diversen Konzerngesellschaften angestellten 15 "Local Sales Manager", unter ihnen der bei der Beklagten beschäftigte Herr E, der wiederum ein 3-köpfiges Team von Verkaufsmitarbeitern der Beklagten führte und den er im Abwesenheitsfalle auch im Verhältnis zu Kunden vertrat. Daneben unterstanden dem Kläger fachlich direkt die bei der Beklagten angestellten Mitarbeiter F ("Director Marketing & Product Development") und G ("Director Global Account Management") sowie eine ihm von der Beklagten zur Seite gestellte Assistentin.

Der Kläger genehmigte Spesenabrechnungen sowie Urlaubsanträge der ihm direkt unterstehenden Mitarbeiter der Beklagten, im Vertretungsfall auch die von Mitgliedern des Verkaufsteams, und führte mit ihnen auch Zielvereinbarungs- sowie Zielerreichungsgespräche. Der Kläger selbst wandte sich mit eigenen Urlaubswünschen an den CEO der Muttergesellschaft. Im Falle einer erfolgreichen Abstimmung der Urlaubswünsche wurden die Urlaubszeiten an die Personalabteilung der Beklagten gemeldet. Eine ausdrückliche Freistellungserklärung durch die Beklagte erfolgte nicht.

Der Kläger verfügte - wie bereits in seiner früheren Position und ebenso wie die ihm direkt zugeordneten Mitarbeiter der Beklagten - in den Räumen des Betriebs über ein Büro, konnte aber auch von zu Hause aus arbeiten. Die Tätigkeit des Klägers war in erheblichem Umfang (mehr als ein Drittel der Arbeitstage) mit weltweiten Dienstreisen verbunden.

Als CCO erhielt der Kläger keine fachlichen Weisungen vom Geschäftsführer der Beklagten. Er nahm regelmäßig persönlich an Sitzungen des "Board of Directors" der Muttergesellschaft teil. An den Sitzungen des lokalen Managementteams der Beklagten war er seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses nicht beteiligt.

Die Beklagte rechnete das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der vom Kläger der Personalabteilung mitgeteilten Abwesenheitszeiten (Urlaub und Krankheit) entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen (Jahresfestgehalt in Höhe von zuletzt 250.000,- EUR, Jahreszielgehalt in Höhe von zuletzt 312.500,- EUR) ab und zahlte ihm die sich ergebenden Beträge aus. Jedenfalls einen Teil der damit einhergehenden Kosten stellte sie der Muttergesellschaft in Rechnung.

Im August 2018 wurde die Muttergesellschaft von einem Investor übernommen.

Nach vorsorglicher Anhörung des im Betrieb gewählten Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 29. Mai 2019 (Bl. 23 der Akte) ordentlich zum nächst möglichen Termin, den sie mit dem 30. November 2019 bezeichnete, widerrief die dem Kläger erteilte Gesamtprokura und stellte ihn mit sofortiger Wirkung von der Erbringung seiner Arbeitspflicht frei. Im zeitlichen Zusammenhang hiermit kündigte die Beklagte auch die Arbeitsverhältnisse der Assistentin des Klägers sowie des Herrn F ("Director Marketing & Product Development").

Zum 1. Juni 2019 vergab die Beklagte eine in ihrem Betrieb nachzubesetzende, intern jedoch nicht ausgeschriebene Stelle eines Produktionscontrollers an einen externen Bewerber, der über einen universitären betriebswirtschaftlichen Abschluss mit Schwerpunkt Finance und Controlling und eine ca. 3-jährige Berufserfahrung als Controller verfügt. Zum Aufgabengebiet dieser Position zählen die Kosten-Mengenkalkulation für internationale Kundenausschreibungen, teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Schwestergesellschaften, die regelmäßige Nachkalkulation für Produkte aus dem Portfolio für die Erstellung neuer Kundenangebote, die Erstellung von Make-or-Buy Analysen, die Erstellung von Investitionsrechnungen und Rentabilitätsanalysen, die Überwachung von ERP-Stammdaten und Prozesse sowie Pflege von planungsrelevanten Inhalten, die Kommentierung, Weiterentwicklung und Optimierung eines europaweiten, standardisierten Informations- sowie Datenbanksystems. Wegen des Inhalts der Stellenbeschreibung wird auf Bl. 293 der Akte verwiesen.

Zum 1. Oktober 2019 besetzte die Beklagte zudem die Position eines "European Finance Director".

Mit seiner am 17. Juni 2019 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage, deren Zustellung das Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 28. Juni 2019 veranlasst hat und auf die die Beklagte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2019 mittels anwaltlicher Vertretungsanzeige reagierte, setzt sich der Kläger gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zur Wehr.

Der Kläger hat insb. die mangelnde soziale Rechtfertigung der Kündigung gerügt. Er hat behauptet, dem Betrieb der Beklagten anzugehören. Er habe dort nicht nur den Bereich Marketing und Vertrieb, sondern auch bis ins Jahr 2018 die Entwicklungsabteilung geleitet. Er selbst habe auch von dem CEO der Muttergesellschaft keine Weisungen erhalten. Durch die Übernahme der CCO-Funktion sei sein Arbeitsbereich gegenüber der zuvor ausgeübten Tätigkeit lediglich partiell erweitert worden.

Der Kläger hat auch behauptet, dass ein Großteil der Tätigkeit, die er zuvor als "Regional Manager Europe" ausgeübt hatte, noch im Betrieb der Beklagten vorhanden sei. Die Beklagte habe ihn im Übrigen auch als Produktionscontroller weiter beschäftigen können.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2019 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei kein Arbeitnehmer. Jedenfalls könne er nicht ihrem Betrieb zugeordnet werden. Sie hat behauptet, die Arbeitgeberfunktionen habe der jeweilige CEO der Muttergesellschaft gegenüber dem Kläger wahrgenommen. Den weit überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit habe der Kläger nicht für den Betrieb bzw. dessen Zweck, sondern für die globalen Vertriebsaktivitäten des Konzerns aufgewendet. Die durch die Tätigkeit des Klägers entstandenen Kosten seien ebenso wie insbesondere die Kosten des Teams "Global Key Account Sales" konzernintern verrechnet und von der Muttergesellschaft getragen worden.

Die Beklagte hat zudem behauptet, eine unternehmerische Entscheidung der Muttergesellschaft, die Position des CCO zu streichen, habe zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs des Klägers geführt, da auch kein anderer freier Arbeitsplatz bestanden habe, auf dem er hätte weiterbeschäftigt werden können. Der Kläger verfüge nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für einen Einsatz im Bereich des Controllings. Ein abgeschlossenes BWL-Studium sei für eine Beschäftigung als Produktionscontroller oder "European Finance Director" nicht ausreichend.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 17. Juni 2019 (Bl. 13ff. der Akte, 23. September 2019 (Bl. 87ff. der Akte), 1. November 2019 (Bl. 128 ff. der Akte), 27 der November 2019 (Bl. 154 ff. der Akte) sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 5. Dezember 2019 (Bl. 205 der Akte) verwiesen.

Mit Urteil vom 5. Dezember 2019 hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Der Kläger sei Arbeitnehmer der Beklagten. Der Arbeitsvertrag der Parteien unterliege deutschem Recht. Der Kläger gehöre dem Betrieb an. Die streitgegenständliche Kündigung sei jedenfalls unverhältnismäßig, da die Beklagte trotz freier Weiterbeschäftigungsmöglichkeit statt einer Änderungskündigung eine Beendigungskündigung ausgesprochen habe. Wegen der Einzelheiten des Urteils des Arbeitsgerichts wird auf Bl. 207 ff. der Akte verwiesen.

Gegen dieses ihr am 3. Januar 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit ihrem am 3. Februar 2020 vorab per Telefax beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis zum 3. April 2020 hat die Beklagte die Berufung mit ihrem am 3. April 2020 beim Hessischen Landesarbeitsgericht per beA eingegangenen, auf den 3. Februar 2020 datierten, Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behauptet, der Kläger habe seine Tätigkeit im Wesentlichen mit dem CEO der Muttergesellschaft abgestimmt und von diesem, sofern erforderlich, auch Weisungen erhalten. Er habe frei entscheiden konnten, ob er von zu Hause aus arbeitet. Sein Gehalt habe das ihres Geschäftsführers deutlich überstiegen. Die auf den Kläger entfallenen Personalkosten seien ihr von der Muttergesellschaft vollumfänglich erstattet worden. Die Beklagte behauptet auch, der Kläger sei nicht in ihren Betrieb oder ein lokales Team eingegliedert gewesen. Er habe auch dessen arbeitstechnischen Zweck, der in der Produktion und produktionsnahen Arbeiten liege, nicht unmittelbar gefördert. Auch im Organigramm der Beklagten sei die Funktion des Klägers nicht enthalten. Sie ist der Ansicht, ihr stehe nach der Vertragsänderung im Jahr 2015 auch kein Versetzungsrecht gegenüber dem Kläger mehr zu.

Die Beklagte behauptet auch, dem Kläger habe nicht die Direktbetreuung von Kunden oblegen. Er habe auch nicht das operative Tagesgeschäft mit den Kunden betreut. Dies sei Aufgabe der Vertriebsmitarbeiter gewesen. Der Kläger habe sich auch nicht mit dem Geschäftsführer der Beklagten abgestimmt.

Die Beklagte behauptet darüber hinaus, der Kläger habe im Dezember 2018 mit dem Geschäftsführer der Beklagten an Terminen mit dem Bürgermeister der Stadt B als Repräsentant des Managements der Muttergesellschaft teilgenommen. Der Kläger habe auch keine Aufgaben als Teil der Geschäftsleitung der Beklagten wahrgenommen. Mitarbeiterinformationen habe er im Betrieb als Repräsentant der Muttergesellschaft kommuniziert.

Die Beklagte behauptet auch, die Muttergesellschaft habe am 26. Februar 2019 die unternehmerische Entscheidung getroffen die globale Sales- und Marketingorganisation des Konzerns insgesamt neu zu strukturieren. So sei die personelle Führung der Bereiche Marketing, Produktentwicklung und Verkauf getrennt worden. Die lokalen Verkaufsorganisationen würden nunmehr jeweils durch den für sie zuständigen "Regional Sales Manager" geführt, dessen Vorgesetzter ein bei einer französischen Schwestergesellschaft angestellter "Global Sales Director" sei. Der Bereich der Produktentwicklung werde nunmehr von einem bei der Muttergesellschaft angestellten "Global Director of Engineering" geführt, der Bereich Marketing durch einen ebenfalls bei einer französischen Schwestergesellschaft beschäftigten "Global Director of Marketing, Strategy and Business Development". Alle drei "Global Director" berichteten direkt an den CEO der Muttergesellschaft. Damit sei der Beschäftigungsbedarf für einen CCO im Konzern entfallen.

Die Beklagte behauptet auch, ein Produktionscontroller müsse nach dem Anforderungsprofil für die Stelle über eine mehrjährige Berufserfahrung als Controller und einen universitären betriebswirtschaftlichen Abschluss mit Schwerpunkt Finance und Controlling verfügen. Zur Erledigung der mit der Position verbundenen Aufgaben seien fundierte theoretische Kenntnisse und mehrjährige praktische Erfahrungen im Bereich Finance und Controlling essenziell. Der Kläger habe bisher keinen engen Bezug zum Bereich Controlling gehabt. Er habe auch nicht die Erstellung von Reports- und Budgetplanung bezogen auf Produkt- und Kundenebene persönlich verantwortet. Er habe allenfalls die aus seinem Geschäftsbereich notwendigen Angaben an das Controlling mitgeteilt, damit die Mitarbeiter aus dem Controlling die Budgetplanung vornehmen konnten.

Die Beklagte ist zu dem der Ansicht, sondern Stelle eines Produktionscontrollers habe den Kläger auch deshalb nicht angeboten werden müssen, weil er sich trotz entsprechender Kenntnis von der Stelle nicht um diese bemüht habe und die Stelle zudem hinsichtlich Hierarchie und Vergütung deutlich geringwertiger sei als die eines CCO.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2019 zum Aktenzeichen 26 Ca 3842 / 19 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger behauptet, er habe zu keiner Zeit Weisungen erhalten, auch nicht vom CEO der Muttergesellschaft. Mit diesem habe er wesentliche Entscheidungen ebenso abgestimmt wie mit dem Geschäftsführer der Beklagten. Insbesondere habe er nie Preise und Konditionen freigegeben, die nicht entweder vom Controlling der Beklagten in einem Standardprozess vorher ermittelt oder mit dem Geschäftsführer der Beklagten bzw. dem CEO der Muttergesellschaft abgestimmt worden seien. Wenn er ausnahmsweise einmal im Home-Office gearbeitet habe, habe er die Personalabteilung der Beklagten, seine Assistentin sowie, je nach Terminen, den Geschäftsführer der Beklagten oder den Vertriebsleiter, Herrn E, unterrichtet. Die Beklagte trage auch einen signifikanten Anteil an den Kosten seines Gehalts und seines Teams. Die ihm zugeordnete Assistentin habe im Übrigen im Umfang von ca. 50% ihrer Arbeitszeit auch für Herrn E gearbeitet. Er behauptet auch, Mitarbeiter an anderen Vertriebsstandorten des Konzerns seien ihm weder disziplinarisch noch personell unterstellt gewesen.

Der Kläger behauptet auch, er habe die Geschäftsleitung der Beklagten bei Mitarbeiterinformationen, Treffen mit dem Arbeitgeberverband H und auch in Personalfragen unterstützt, indem er mit dem Personalleiter der Beklagten Themen wie Personaleinsatz Produktion und Serviceabteilungen, Resturlaubsstände u.a. besprochen habe.

Der Kläger behauptet auch, er habe als CCO zuletzt noch 6 bedeutende Kunden der Beklagten persönlich betreut und einen weiteren gemeinsam mit dem Zeugen E. Diese Betreuung sei nach dem Ausspruch der Kündigung auf Herrn G und Herrn E aufgeteilt worden, obwohl beide mit ihren bisherigen Tätigkeiten bereits vollständig ausgelastet gewesen seien. Aufgrund der sich ergebenden überobligatorischen Mehrbelastung seien bei beiden Mitarbeitern Ende 2019 bzw. im Mai 2020 erhebliche gesundheitliche Probleme eingetreten.

Der Kläger behauptet zudem, er sei während seiner Tätigkeit für die Beklagte im Zeitraum von 2003 bis 2008 unter anderem für die Erstellung von Reports- und Budgetplanungen bezogen auf Produkt- und Kundenebene zuständig gewesen. Die Übernahme dieser Zuständigkeit sei erforderlich gewesen, weil die Stelle eines Produktionscontrollers seinerzeit noch nicht existiert habe. Er ist der Ansicht, diese Stelle habe ihm als Weiterbeschäftigungsmöglichkeit angeboten werden müssen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze vom 3. Februar 2020 (Bl. 279 ff. der Akte), 17. Juni 2020 (Bl. 304 ff. der Akte), 29. Juni 2020 (Bl. 43 ff. der Akte), und 29. Juli 2020 (Bl. 383 ff. der Akte) verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2019, Az. 26 Ca 3842/19, ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft, da die Parteien über die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses streiten. Die Berufung der Beklagten ist fristgerecht im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1, 2 ArbGG. Die Berufungsschrift ist am 3. Februar 2020 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt lief die einmonatige Berufungsfrist noch, da das angegriffene Urteil der Beklagten am 3. Januar 2020 zugestellt worden war. Die Beklagte hat die Berufung fristgerecht im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1, 2 ArbGG begründet. Die Berufungsbegründung ist am letzten Tag der gemäß § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG bis zum 3. April 2020 verlängerten Begründungsfrist per beA beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Sie erfüllt die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst. Die Kündigung gilt nicht als von Anfang an rechtswirksam. Vielmehr ist sie rechtsunwirksam, da es ihr an der erforderlichen sozialen Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG mangelt.

1. Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung. Zwischen den Parteien bestand im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung ein Arbeitsverhältnis.

a) Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 HGB). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgeblich, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben. Die Vorschrift des § 611 a BGB spiegelt diese Rechtsgrundsätze wider (BAG, Urteil v. 21. Mai 2019 - 9 AZR 295/18, NZA 2019, 1411 Rz. 13 m.w.N.).

b) Hiernach besteht vorliegend ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien.

aa) Die von ihnen getroffenen Zusatzvereinbarungen vom 21. Oktober 2015 und 13. Mai 2016 beziehen sich ausdrücklich auf einen bestehenden Arbeitsvertrag mit Gültigkeit ab 1. September 2013. Hierbei handelt es sich erkennbar um den zwischen den Parteien anlässlich der Anstellung des Klägers im Jahre 2013 schriftlich geschlossenen Vertrag. Dieser sieht unter § 1 eine Weisungsunterworfenheit des Klägers in der Erbringung seiner Tätigkeit vor.

Soweit die Zusatzvereinbarung vom ein 21. Oktober 2015 den bestehenden Arbeitsvertrag unter § 1 ändert, ergibt sich daraus kein Wegfall der Weisungsgebundenheit des Klägers. Denn sein bisheriger direkter Berichtsweg wurde ausdrücklich aufrechterhalten.

Für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist es nicht entscheidend, dass der Berichtsweg zu einer nicht bei der Beklagten beschäftigten Person, nämlich dem CEO der Muttergesellschaft, führt. Denn das Weisungsrecht des Arbeitgebers kann im Wege der Stellvertretung bzw. der Ermächtigung durch Dritte ausgeübt werden (s. Maschmann, NZA 2017, 1557, 1558).

bb) Aus der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines freien Dienstverhältnisses. Der Kläger war in der Ausübung seiner Tätigkeit in eine vorgegebene Arbeitsorganisation eingegliedert. In der Gestaltung seiner Arbeitszeit war er nicht im Wesentlichen frei. Das Fernbleiben von der Arbeit erforderte die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen.

2. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien gilt nicht gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Frist des § 4 S. 1 KSchG gilt gemäß § 167 ZPO gewahrt. Sie lief am 19. Juni 2019 ab. Dies folgt aus § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Kündigungsschreiben dem Kläger am 29. Mai 2019 zugegangen ist. Die Kündigungsschutzklage ist am 17. Juni 2019 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangen. Deren Zustellung an die Beklagte gilt gemäß § 189 ZPO als bis zum 1. Juli 2019 erfolgt. Die Beklagte hat nicht behauptet, die vom Arbeitsgericht mit Zustellungsabsicht versendete Klageschrift nicht vor Veranlassung einer anwaltlichen Vertretungsanzeige erhalten zu haben. Eine Zustellung der Klageschrift am 1. Juli 2019 ist noch "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO. Zwischen Fristablauf und Zustellung liegen keine zwei Wochen.

3. Die Kündigung ist rechtsunwirksam, da es ihr an der erforderlichen sozialen Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG mangelt.

a) Der allgemeine Kündigungsschutz des § 1 Abs. 1, 2 KSchG findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Das Arbeitsverhältnis hat im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden. In dem Betrieb sind unstreitig mehr als 10 Arbeitnehmer/innen im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 3-5 KSchG beschäftigt. Der Kläger war in dem Betrieb beschäftigt.

aa) § 23 Abs. 1 KSchG enthält ebenso wie das gesamte Kündigungsschutzgesetz keine eigene Definition des Betriebsbegriffs. Es gilt daher im Wesentlichen derjenige des § 1 BetrVG. Danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mithilfe von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt. Dies setzt einen einheitlichen organisatorischen Einsatz der Sachmittel und Personalressourcen voraus. Die einen Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dabei dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden. Entsprechend der Unterscheidung zwischen "Betrieb" und "Unternehmen" in § 1 Abs. 1 KSchG ist der Betriebsbegriff auch in § 23 Abs. 1 KSchG nicht mit dem des Unternehmens gleichzusetzen (BAG, Urteil v. 2. März 2017 - 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859 Rn. 15 m.w.N.).

Es spricht nicht gegen das Vorliegen eines einheitlichen Betriebs, dass in diesem unterschiedliche arbeitstechnische verfolgt werden (s. Düwell-Kloppenburg, BetrVG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rz. 25 m.w.N.).

bb) Im Betrieb der Beklagten werden mit einer organisatorischen Einheit von materiellen und immateriellen Mitteln sowie Arbeitnehmern mehrere arbeitstechnische Zwecke verfolgt. Einer dieser arbeitstechnischen Zwecke liegt in der Produktion von Ventilen für Sprühdosen. Zur Erreichung dieses Zwecks sind materielle und personelle Mittel organisatorisch so zusammengefasst, dass eine Produktion erfolgen kann. Ein weiterer im Betrieb verfolgter arbeitstechnischer Zweck liegt im Vertrieb der hergestellten Produkte. Unstreitig sind ein "Local Sales Manager", Herr E, und sein 3-köpfiges Team, die bei der Beklagten im Betrieb beschäftigt sind, hierfür in einem vorgegebenen Rahmen zuständig. Im Betrieb wurde mit dem Vertrieb der hergestellten Produkte Umsatz für die Beklagte generiert.

cc) Der Kläger war im Zeitpunkt der Kündigung Teil der organisatorischen Einheit, mit der der arbeitstechnische Zweck des Vertriebs von Produkten der Beklagten verfolgt wird.

Der Kläger war fachlicher Vorgesetzter des Herrn E und vertrat diesen in Abwesenheitsfällen, auch gegenüber Kunden der Beklagten. Der entsprechende Vortrag der Beklagten gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Die Beklagte hat ihn nicht substantiiert bestritten. Zudem war der Kläger fachlicher Vorgesetzter des bei der Beklagten beschäftigten "Director Marketing & Product Development", dessen Tätigkeit dem Titel nach insbesondere auf die Vermarktung von Produkten der Beklagten, mithin die Verkaufsförderung, abzielte. Der Kläger nutzte hierbei materielle Betriebsmittel der Beklagten. So verfügte er über ein eingerichtetes Büro im Betrieb. Die Beklagte stellte ihm eine Assistentin zur Seite. Die Personalabteilung der Beklagten stand ihm als Ansprechpartnerin im Falle von Krankmeldungen und bei der Verbuchung von Urlaubszeiten zur Verfügung und erledigte die Abrechnung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger hat zudem die Personalabteilung des Betriebs in ihrer Tätigkeit unterstützt. Er war jedenfalls punktuell Ansprechpartner des Personalleiters für Themen wie Personaleinsatz Produktion und Serviceabteilungen, Resturlaubsstände. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers, der durch die Vorlage einer E-Mail des Personalleiters konkretisiert worden ist, gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO mangels substantiierten Bestreitens durch die Beklagte als zugestanden.

Unerheblich ist es, dass der Kläger einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit mit Dienstreisen verbracht hat. Eine Eingliederung in einen Betrieb setzt keine Mindestanwesenheitszeiten in diesem Betrieb voraus (s. LAG Düsseldorf, Beschluss v. 20. Dezember 2017 - 12 TaBV 66/17, NZA-RR 2018, 298 Rz. 45).Unerheblich für eine Eingliederung in einen Betrieb ist es außerdem, wie häufig die zur Verwirklichung des Betriebszwecks durchgeführten Tätigkeiten erfolgen oder wie viel Zeit sie in Anspruch nehmen (BAG, Beschluss v. 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 23). Überzeugende Gründe, die Eingliederung in einen Betrieb im Rahmen des § 23 KSchG anders zu bewerten als im Falle des § 99 BetrVG sind nicht ersichtlich.

Der Umstand allein, dass der Kläger in der Ausübung seiner Funktion als CCO auch arbeitstechnische Zwecke der Muttergesellschaft verfolgte, nämlich das Aufrechterhalten und die Förderung einer konzernweit einheitlichen Marketing-, Entwicklungs- und Vertriebsorganisation, steht einer Zuordnung des Klägers zum Betrieb der Beklagten nicht entgegen. Bei sog. Mischform-Konstellationen, in denen von einem Arbeitnehmer Betriebszwecke des eigenen Arbeitgebers und eines externen Dritten erfüllt werden, ist in der Matrixstruktur eine Zurechnung sowohl zum Betrieb des Vertragsarbeitgebers wie auch zum Betrieb der steuernden Einheit möglich (s. Bachner, NZA 2019, 134, 137).

dd) Der Kläger war auch der betrieblichen Leitungsmacht der Beklagten unterworfen.

Wesentliche personelle Entscheidungen sind ihm gegenüber direkt von der Beklagten als Inhaberin des Betriebs getroffen worden. So hat die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen und den Kläger für den Lauf der Kündigungsfrist von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt.

Der Umstand, dass der Kläger direkt an den CEO der Muttergesellschaft berichtete und unstreitig mit diesem auch seine Urlaubszeiten abzustimmen hatte, steht seiner Eingliederung in den Betrieb nicht entgegen. Denn das Verhalten des CEO der Muttergesellschaft ist der Beklagten als Leiterin des Betriebs zuzurechnen. Die Beklagte hat ihm eine entsprechende Vollmacht erteilt. Die entsprechende Erklärung der Beklagten gegenüber dem Kläger, dem gegenüber die Vertretung stattfinden sollte (§ 167 Abs. 1 2. Alt. BGB), findet sich in § 1 des Arbeitsvertrags in der Fassung der ersten Zusatzvereinbarung. Für den Kläger war auch jedenfalls dann, wenn es um die Erteilung von Urlaub ging, erkennbar, dass der CEO der Muttergesellschaft ihm gegenüber im Namen der Beklagten handelte (§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB). Eine andere Rechtsgrundlage für das Auftreten des CEO ihm gegenüber als der Arbeitsvertrag der Parteien war für ihn aus objektiver Perspektive nicht ersichtlich.

Aber auch in fachlicher Hinsicht ist das Verhalten des CEO der Muttergesellschaft gegenüber dem Kläger der Beklagten als Leiterin des Betriebs zuzurechnen, soweit es für den Kläger erkennbar die im Betrieb mit den dort vorhandenen Mitteln verfolgten arbeitstechnischen Zwecke Produktion und Vertrieb betraf. Sofern der CEO der Muttergesellschaft dem Kläger gegenüber nicht ausschließlich zur Verfolgung dieser Betriebszwecke, sondern auch zur Verfolgung von eigenen Zwecken der Muttergesellschaft tätig geworden ist, steht dies einer Zurechnung seines Handelns zur Beklagten als Leiterin des Betriebs nicht entgegen. Ein Handeln zugleich im fremden und im eigenen Namen ist rechtlich möglich und hindert nicht die Zurechnung zum Vertretenen (s BGH, Urteil v. 15. Juli 2009 - VIII ZR 307/08, NJW 2009, 3506).

b) Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Hierbei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Beschäftigungsbedarf für einen CCO im Betrieb mit Ablauf der Kündigungsfrist dauerhaft entfallen ist, weil die Muttergesellschaft die konzernweite Steuerung von Marketing-, Entwicklungs- und Vertriebsaktivitäten außerhalb des Betriebs und des Unternehmens der Beklagten neu organisiert hat. Denn die Kündigung ist unverhältnismäßig.

aa) Eine Kündigung ist nur dann i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG durch "dringende" betriebliche Erfordernisse "bedingt", wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, dem bei Ausspruch der Kündigung absehbaren Wegfall des bisherigen Beschäftigungsbedarfs durch andere Maßnahmen - technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art - als durch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu entsprechen. Die Merkmale der "Dringlichkeit" und des "Bedingtseins" der Kündigung sind Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Er gebietet dem Arbeitgeber, vor einer Beendigungskündigung dem Arbeitnehmer von sich aus eine mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, gegebenenfalls zu geänderten (gleichwertigen oder schlechteren) Bedingungen, anzubieten. Entsprechendes gilt, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist. Diese in § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Buchst. b, S. 3 KSchG konkretisierte Kündigungsschranke gilt unabhängig davon, ob in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht und dieser der Kündigung widersprochen hat (BAG, Urteil v. 26. März 2015 - 2 AZR 417/14, NZA 2015, 1083 Rz. 26 m.w.N.).

(1) Als "frei" sind grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, wenn ein Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird. Die Einbeziehung in der Vergangenheit liegender Umstände ist dann geboten, wenn der Arbeitgeber durch zweckvolle Festlegung des Kündigungszeitpunkts anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten, die noch kurze Zeit vorher auf der Hand lagen, durch eigenes Handeln ausschließt und dadurch den Kündigungsgrund selbst herbeiführt. Es ist dem Arbeitgeber nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde. Ein treuwidriges, weil rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt einer Stellenbesetzung das Auslaufen der Beschäftigungsmöglichkeiten für den später gekündigten Arbeitnehmer bereits absehbar war (BAG, Urteil v. 26. März 2015 - 2 AZR 417/14, NZA 2015, 1083 Rz. 27 m.w.N.).

(2) Erfüllt der Arbeitnehmer das Anforderungsprofil der fraglichen Stelle, bedarf es grundsätzlich keiner weitergehenden Prüfung, ob ihm die Tätigkeit zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn die Zuweisung eine Vertragsänderung erforderlich machen würde. Auch eine dann notwendige Änderungskündigung darf nur in "Extremfällen" unterbleiben. Wenn dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit auf dem freien Arbeitsplatz nicht objektiv schlechthin unzumutbar ist, soll grundsätzlich er selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter veränderten, möglicherweise erheblich schlechteren Arbeitsbedingungen akzeptiert oder nicht. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine ihm bekannte Beschäftigungsmöglichkeit aber nicht zeitnah, spricht vieles dafür, dass auch er selbst darin keine zumutbare Beschäftigungsperspektive sieht und der Arbeitgeber ein entsprechendes Änderungsangebot nicht unterbreiten musste. Es spricht dann viel für die Annahme, dass der Arbeitnehmer das betreffende Angebot auch mit Blick auf eine drohende Beendigungskündigung nicht angenommen hätte (BAG, a.a.O, Rz. 28 m.w.N.).

(3) Darlegungs- und beweisbelastet für das Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten ist gem. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG der Arbeitgeber. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine andere Möglichkeit der Weiterbeschäftigung, muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine Umsetzung nicht in Betracht kam (BAG, a.a.O., Rz 29 m.w.N.).

bb) Hiernach ist die streitgegenständliche Beendigungskündigung unverhältnismäßig.

(1) Im Juni 2016 hat die Beklagte die Stelle eines Produktionscontrollers an einen externen Bewerber vergeben. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass bei der Neubesetzung der Stelle das Auslaufen des Beschäftigungsbedarfs für den Kläger zu den bisherigen Bedingungen unabsehbar gewesen ist. Angesichts des Umstands, dass sich die Beklagte auf eine Entscheidung des Mutterkonzerns bereits aus dem Februar 2019 beruft, hätte hierzu Veranlassung bestanden.

(2) Die Behauptung der Beklagten, der Kläger erfülle nicht ein bestimmtes Anforderungsprofil an die Stelle eines Produktionscontrollers, ist unbeachtlich. Die Beklagte hat nicht dargelegt, wann sie ein solches mit dem von ihr behaupteten Inhalt festgelegt haben will. In der von der Beklagten vorgelegten Stellenbeschreibung finden sich keine Anforderungen an Berufserfahrung und Studienschwerpunkt. Die Vernehmung des von der Beklagten angebotenen Zeugen ist wegen des zivilprozessualen Verbotes des Ausforschungsbeweises nicht statthaft.

(3) Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass ihr die Weiterbeschäftigung des Klägers als Produktcontroller nicht möglich ist.

Der Kläger verfügt unstreitig über ein abgeschlossenes Studium der Betriebswirtschaftslehre. Auch wenn dieses bereits 20 Jahre zurückliegt und der Kläger einen anderen Studienschwerpunkt als Finanzen und Controlling gewählt hatte, ist eine einschlägige Grundvorbildung vorhanden. Zudem ist die Beklagte dem Vorbringen des Klägers zu seinen Tätigkeiten für sie in den Jahren 2003 bis 2008 nicht substantiiert entgegengetreten. Sie hat nicht konkret dargelegt, wer, wenn nicht der Kläger, die Erstellung von Reports bezogen auf Produkt- und Kundenebene seinerzeit vorgenommen und verantwortet hat. Dass die Stelle eines Produktcontrollers damals nicht existierte, gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Die Beklagte hat die entsprechende Behauptung des Klägers nicht substantiiert bestritten.

Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass insb. binnen der 6-monatigen Kündigungsfrist die Durchführung von Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen zur Vermittlung der dem Kläger aus ihrer Sicht fehlenden Fähigkeiten im Bereich Produktcontrolling unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre.

(4) Es ist auch kein Extremfall gegeben, in dem eine Änderungskündigung entbehrlich gewesen wäre. Selbst wenn die Stelle eines Produktcontrollers in der Hierarchie des Konzerns der Beklagten und auch finanziell deutlich geringwertiger sein dürfte als die eines CCO, ist die Übernahme der Stelle dem Kläger nicht schlechthin unzumutbar. Immerhin besteht auch für diese Stelle nach Angaben der Beklagten das Erfordernis, ein Studium der Betriebswirtschaftslehre erfolgreich absolviert zu haben.

Der Umstand, dass der Kläger sich auf diese konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst im Schriftsatz vom 1. November 2019 berufen hat, spricht vorliegend nicht dafür, dass auch er selbst darin keine zumutbare Beschäftigungsperspektive sieht. Denn die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass der Kläger deutlich früher positive Kenntnis von der Vakanz dieser Stelle hatte. Die Stelle wurde unstreitig nicht ausgeschrieben. Ihre Vakanz war für den Kläger auch nicht aus dem Widerspruch des Betriebsrats gegen seine Kündigung erkennbar.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf folgenden Erwägungen:

1. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Berufung ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die vorliegend entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Auswirkungen der Existenz einer konzernweiten Matrixstruktur auf die Zuordnung von Mitarbeitern zu einem bestimmten Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne berührt insbesondere angesichts der weiteren Verbreitung solcher Strukturen die Interessen eines größeren Teils der Allgemeinheit.

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