SG Hildesheim, Urteil vom 03.09.2020 - S 12 AS 13/19
Fundstelle
openJur 2020, 76424
  • Rkr:

1. Ein Leistungsträger hat seit dem 01.01.2018 über die Möglichkeit, einen Widerspruch in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 SGB I einzureichen, in der Rechtsbehelfsbelehrung zu belehren.

2. Die Eröffnung eines Zugangs zur Übermittlung elektronischer Dokumente an den Leistungsträger (§ 36a Abs. 1 SGB I) kann auch durch die Setzung eines Rechtsscheins erfolgen, etwa dadurch, dass im Briefkopf des Bescheides eine eMail-Adresse angegeben wird.

3. Ein nachträglich gegebener individueller Hinweis an den Widerspruchsführer reicht zur Auflösung des Rechtsscheins nicht aus, weil auf eine abstrakte Betrachtungsweise vor Einlegung des Rechtsbehelfs abzustellen ist und unerheblich ist, ob eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung konkret ursächlich für eine Fristversäumnis ist.

4. Unabhängig von der Verpflichtung zur Belehrung über die Möglichkeit der elektronischen Einlegung von Rechtsbehelfen ist eine Rechtsbehelfsbelehrung auch dann unrichtig, wenn durch die Angabe einer eMail-Adresse im Briefkopf des Bescheides der Eindruck für den Bescheidadressaten entstehen konnte, dass die Einlegung des Widerspruches durch einfache eMail möglich sei. Durch eine einfache eMail wird die elektronische Form im Sinne des § 36a Abs. 2 SGB I nicht gewahrt.

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung der Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 04.02.2019 verurteilt, dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens hinsichtlich des Widerspruchs vom 25.01.2019 gegen den Aufhebungs- und Erstattungs-bescheid vom 14.12.2018 zu erstatten und die Hinzuziehung des Prozess-bevollmächtigten in diesem Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens für den Kläger zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der dem Kläger in einem Widerspruchsverfahren (Widerspruch vom 25.01.2019) entstandenen Rechtsanwaltskosten durch den Beklagten.

Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau J. und dem gemeinsamen Kind K. in einer Bedarfsgemeinschaft und bezieht laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten als zuständigem Leistungsträger.

Mit Bescheid vom 17.01.2018 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis 30.11.2018. Mit den weiteren Bescheiden vom 15.03.2018 und 17.05.2018 änderte der Beklagte seine frühere Leistungsbewilligung teilweise ab.

In der Folgezeit erfuhr der Beklagte durch einen Datenabgleich mit der Rentenversicherung, dass der Kläger in der Zeit vom 30.04.2018 bis 08.05.2018 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei der Firma „L.“ ausgeübt hatte. Im Hinblick auf eine Überzahlung von SGB II-Leistungen hörte der Beklagte den Kläger am 06.11.2018 zur beabsichtigten Rückforderung von Leistungen an. Nachdem keine Reaktion des Klägers auf das Anhörungsschreiben erfolgte, erließ der Beklagte schließlich am 14.12.2018 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem er für den Monat Juni 2018 vom Kläger überzahlte SGB II-Leistungen in Höhe von 59,62 € zurückforderte. Der Bescheid enthielt über der Betreffzeile im „Kontaktblock“ auf der rechten Seite die Angabe einer eMail-Adresse der Sachbearbeiterin. Im Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, in der auf die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruches hingewiesen wurde. Ferner hieß es in der Rechtsbehelfsbelehrung weiter (vgl. Bl. 4 der Gerichtsakte):

„Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle einzulegen.“

Der Kläger ließ am 25.01.2019 durch seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid Widerspruch einlegen. Der Widerspruch wurde damit begründet, dass der Beklagte von einem unzutreffenden Mehrbedarf für die Warmwasserversorgung ausgehe. Die Pauschale hätte vom Beklagten in Gesamthöhe berücksichtigt werden müssen, so dass sich der Erstattungsanspruch entsprechend verringert hätte.

Den Widerspruch des Klägers verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2019 als unzulässig und lehnte eine Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Widerspruch verfristet sei: Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14.12.2018 sei an demselben Tage zur Post aufgegeben worden und gelte daher nach § 37 Abs. 2 SGB X folglich am 17.12.2018 als bekanntgegeben. Deshalb habe die Widerspruchsfrist am 17.01.2019 geendet. Gründe für die Fristversäumnis oder für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht erkennbar, so dass der Widerspruch unzulässig sei. Dem Widerspruchsbescheid war am Ende ein Hinweis beigefügt, dass der verfristete Widerspruch als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gewertet werde.

Unter dem 15.02.2019 übersandte der Beklagte an die Ehefrau des Klägers als Vorstand der Bedarfsgemeinschaft, einen Überprüfungsbescheid. Mit dem Überprüfungsbescheid entsprach der Beklagte teilweise einem Überprüfungsantrag und teilte hierzu mit, dass eine Überprüfung der Leistungsbescheide für den Leistungszeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 ergeben habe, dass ab dem 01.01.2018 die vollen Mehrbedarfe gemäß der Pauschale nach § 21 Abs. 7 SGB II pro Person zu berücksichtigen seien. Für die Monate Januar bis September 2018 und Dezember 2018 komme es zu entsprechenden Nachzahlungen an die Bedarfsgemeinschaft, für die übrigen Monate finde eine Verrechnung mit Leistungsrückforderungen statt.

Am 25.02.2019 hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigte Klage vor dem hiesigen Sozialgericht gegen den Widerspruchsbescheid erhoben.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 63 Abs. 1 SGB X für die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Beklagten zustehe. Der Beklagte habe seinem Widerspruchsbegehren letztlich durch den Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 entsprochen, so dass der Widerspruch erfolgreich im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewesen sei. Der Beklagte habe den Widerspruch vom 25.01.2019 zu Unrecht als unzulässig verworfen. So sei die Rechtsbehelfsbelehrung im angegriffenen Bescheid vom 14.12.2018 unvollständig gewesen, da kein Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruches auf elektronischem Wege in der Rechtsbehelfsbelehrung enthalten gewesen sei. Seit 01.01.2018 sei in § 84 Abs. 1 SGG ausdrücklich geregelt, dass ein Widerspruch auch auf elektronischem Wege eingereicht werden könne. Darüber hinaus sei eine Rechtsbehelfsbelehrung auch unrichtig, wenn sie geeignet sei, einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfes hervorzurufen und den Rechtsbehelfsführer dadurch abhalte, den Rechtsbehelf in der richtigen Form einzulegen: Durch die Angabe einer eMail-Adresse im Briefkopf des angegriffenen Bescheides habe der Beklagte den Eindruck erweckt, dass man gegen den Bescheid auch per eMail Widerspruch einlegen könne. Dies sei allerdings nicht möglich, da die eMail mangels Signatur formunwirksam sei. Der Beklagte habe also zumindest in der Rechtsbehelfsbelehrung den Hinweis aufnehmen müssen, dass eine Widerspruchseinlegung bei ihm derzeit per eMail nicht möglich sei. Wenn der Beklagte zudem in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die „im Briefkopf angegebene Stelle“ verweise, sei hierdurch auch auf die entsprechende eMail-Adresse verwiesen worden, die sich im Briefkopf befinde. Unter Briefkopf müsse jeder verständige Leser des Bescheides alles verstehen, was sich oberhalb der Überschrift „Bescheid zur Aufhebung, Erstattung und Zahlungsaufforderung“ befinde. Letztlich verleitete die eMail-Angabe zur Einlegung des Widerspruches per eMail. Dem Beklagten sei diese Gefahr auch bewusst, weil er in anderen Verfahren in der Vergangenheit stets Widerspruchsführer, die einen Widerspruch per eMail eingelegt hätten, über die Formunwirksamkeit informiert habe. Dies sei ein hinreichender Beleg, dass die eMail-Angabe für Adressaten verwirrend sei. Sofern der Beklagte zwischen dem Briefkopf und einem Informationsblock auf der rechten Seite unterscheiden wolle, werde bezweifelt, dass Adressaten diese Differenzierung ebenfalls vornehmen würden. Aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung habe deshalb gemäß § 66 SGG die Jahresfrist mit der Folge gegolten, dass der Widerspruch nicht verfristet gewesen sei und deshalb ein Kostenerstattungsanspruch bestehe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2019 dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für den Widerspruch vom 25.01.2019 gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 14.12.2018 zu erstatten und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgenannten Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. für den Fall der Stattgabe der Klage, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen.

Der Beklagte hält einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 63 Abs. 1 SGB X für nicht gegeben. Dem klägerischen Begehren nach Bewilligung eines höheren Mehrbedarfs gem. § 21 Abs. 7 SGB II sei im Bescheid vom 15.02.2019 nicht aufgrund des Widerspruches, sondern aufgrund einer Entscheidung des Beklagten über einen Überprüfungsantrag entsprochen worden. So habe der Beklagte das klägerische Vorbringen im verfristeten Widerspruch als einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gewertet. Es fehle also bereits an der Kausalität zwischen der stattgebenden Entscheidung vom 15.02.2019 und dem verfristeten Widerspruch des Klägers. Im Übrigen sei die Rechtsbehelfsbelehrung nicht fehlerhaft, so dass anstelle der vom Kläger behaupteten Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG weiterhin die grundsätzliche Monatsfrist nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG für die Einlegung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 14.12.2018 gegolten habe und deshalb der Widerspruch verfristet gewesen sei. Zwar könne seit dem 01.01.2018 ein Widerspruch grundsätzlich auch in elektronischer Form erhoben werden, allerdings sei hierfür ein Zugang zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach § 36a Abs. 1 SGB I erforderlich. Ein derartiger Zugang sei durch den Beklagten im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14.12.2018 nicht eröffnet gewesen, weshalb auch keine Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruches auf elektronischem Wege habe erfolgen müssen. Vielmehr hätte die zusätzliche Aufnahme der Möglichkeit einer elektronischen Widerspruchseinlegung in die Rechtsbehelfsbelehrung gerade zu einer Verwirrung bei rechtsunkundigen Personen geführt, da die Einlegung auf elektronischem Wege gerade zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen sei. Die Angabe einer eMail-Adresse im Informationsblock auf der rechten Seite unterhalb des Briefkopfes habe ebenfalls nicht zu einer unvollständigen bzw. unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung geführt. Zum einen werde in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Einlegung des Widerspruches bei der „im Briefkopf genannten Stelle“ verwiesen. Die Angabe der eMail-Adresse sei aber nicht im Briefkopf, sondern im Informationsblock erfolgt. Zum anderen ergebe sich aus der Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen sei, gerade das eine bloße eMail zur Einlegung des Widerspruches mangels Schriftform gerade nicht genüge. Ein zusätzlicher Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass die Widerspruchseinlegung per eMail nicht möglich sei, hätte den Adressaten des Bescheides erst recht verwirrt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung solle nicht mit zusätzlichen Informationen überladen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der ihm im Widerspruchsverfahren zum Widerspruch vom 25.01.2019 (gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14.12.2018) entstandenen Kosten nach § 63 Abs. 1 SGB X sowie auf die Erklärung, dass die Hinzuziehung seines Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen ist (§ 63 Abs. 2 SGG).

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Ein Widerspruch hat im Grundsatz dann Erfolg im Sinne des Gesetzes, wenn die Behörde ihm stattgibt bzw. abhilft (vgl. Bundessozialgericht - BSG – Urteil vom 21.07.1992 – 4 RA 20/91 = SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 m.w.N.; Roos in: von Wulffen, SGB X, 8. Aufl., § 63, Rn. 18). Dies ist der Fall, wenn die Behörde dem Widerspruch abhilft (hierzu unter 1.) und der Widerspruch für die Abhilfe kausal ist (hierzu unter 2.).

Im Einzelnen:

1. Dem Widerspruch des Klägers vom 25.01.2019 wurde inhaltlich abgeholfen.

Als Abhilfe versteht man jeden Verwaltungsakt, mit dem dem Widerspruchsführer ein weiteres oder ein erweitertes Recht zugestanden wird. Die Abhilfe muss nicht zwingend in einem Abhilfe- bzw. Widerspruchsbescheid erfolgen, sie kann auch in der Rücknahme oder Verpflichtung zur Neubescheidung liegen. Dabei ist für das Vorliegen einer Abhilfe ohne Belang, was der Widerspruchsführer zur Begründung seines Rechtsbehelfs vorgebracht hat und welche Gründe zum Stattgeben des Widerspruchs geführt haben (vgl. BSG, Urteil vom 08.10.1987 – 9a RVs 10/87 -, juris).

Eine inhaltliche Abhilfe des Widerspruches ist darin zu erblicken, dass der Beklagte mit dem Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft die vollständige Pauschale nach § 21 Abs. 7 SGB II rückwirkend ab dem 01.01.2018 bewilligt und die entsprechende Umsetzung in Änderungsbescheiden angekündigt hat. Hierin liegt auch für den Kläger ein weiteres bzw. erweitertes Recht. Der Umstand, dass der Beklagte die Abhilfe vom 15.02.2019 nicht in einem Bescheid mit der Überschrift „Abhilfebescheid“, sondern in einem Überprüfungsbescheid für die gesamte Bedarfsgemeinschaft, der an die Ehefrau des Klägers als Vorstand der Bedarfsgemeinschaft (§ 38 SGB II) gerichtet wurde, vorgenommen hat, ist für das Vorliegen einer inhaltlichen Abhilfe unbeachtlich. In jedem Falle ist dem Begehren des Klägers aus seinem Widerspruch vom 25.01.2019 inhaltlich entsprochen worden.

2. Es besteht zwischen dem Widerspruch des Klägers vom 25.01.2019 und der Abhilfe im Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 eine hinreichende Kausalität.

Weder beruhte die Abhilfe vom 15.02.2019 auf anderen, kausalitätsausschließenden Umständen (hierzu unter a.), noch war der Widerspruch vom 25.01.2019 unzulässig, was eine Kausalität ebenfalls ausschließen könnte (hierzu unter b.).

Im Einzelnen:

a.

Die Abhilfeentscheidung im Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 beruhte nicht auf anderen, kausalitätsausschließenden Umständen.

Ein Widerspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dann nicht erfolgreich im Sinne des § 63 SGB X, wenn die abhelfende Entscheidung des Rechtsträgers – hier der Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019– nicht dem Widerspruch, sondern einem anderen Umstand – zum Beispiel der Nachholung von Mitwirkungspflichten oder eigenständigen behördlichen Ermittlungen – zuzurechnen ist, es also gänzlich an einer Kausalität zwischen den Widerspruch und der Abhilfe fehlt (vgl. BSG, Urteile vom 21.07.1992 a.a.O., vom 18.12.2001 – B 12 KR 42/00 R – und vom 25.03.2004 – B 12 KR 1/03 R = SozR 4-1300 § 63 Nr. 1).

Für eine Kausalität zwischen Widerspruch und Abhilfeentscheidung genügt grundsätzlich auch eine Mitursächlichkeit des Widerspruchs (neben weiteren Ursachen) für die Abhilfeentscheidung. Diese Auffassung lässt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Kausalitätserfordernis zumindest indirekt entnehmen:

Wenn es nämlich bereits ohne Belang sein soll, was der Widersprechende zur Begründung seines Rechtsbehelfs vorgebracht hat und welche Gründe zum Stattgeben des Widerspruchs geführt haben (vgl. BSG, Urteil vom 08.10.1987 – 9a RVs 10/87 -, juris), macht dies deutlich, dass es genügt, dass der Widerspruchsführer durch seinen Widerspruch und seine Rechtsargumente die Behörde zu einer erneuten Auseinandersetzung mit der Richtigkeit der getroffenen Verwaltungsentscheidung und der abgegebenen Begründung hierzu bringt. Die Behörde muss nicht zwingend jedem vom Widerspruchsführer vorgetragenen Argument folgen (vgl. hierzu auch SG A-Stadt, Urteile vom 05.04.2016 – S 12 AS 585/14 und vom 04.09.2018 – S 12 KR 8001/18).

So liegt der Fall auch hier: Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers vom 25.01.2019 zum Anlass genommen, die Bewilligung des Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwasserversorgung nach § 21 Abs. 7 SGB II in seinen früheren Leistungsbewilligungen für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018 zu überprüfen.

Der Verweis des Beklagten darauf, dass die Abhilfe aufgrund eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X und nicht aufgrund des Widerspruchs des Klägers erfolgt sei, ist nicht geeignet, die Mitursächlichkeit des Widerspruches vom 25.01.2019 in Zweifel zu ziehen: So hat der Beklagte selbst am Ende des streitbefangenen Widerspruchsbescheides vom 04.02.2019 darauf hingewiesen, dass er den verfristeten Widerspruch als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X werten werde. Genau damit hat er aber selbst die Mitursächlichkeit des Widerspruchs für die Abhilfeentscheidung im Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 hinreichend belegt. Selbst wenn aber mit dem im Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 genannten Überprüfungsantrag vom 28.01.2019 nicht der verfristete Widerspruch des Klägers vom 25.01.2019 gemeint gewesen sein sollte – dies ließ sich in der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2020 nicht zweifelsfrei klären – würde für eine Mitursächlichkeit des Widerspruches aber schon der Umstand genügen, dass der Beklagte sich inhaltlich mit der Frage der ausreichenden Bewilligung des Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwasserversorgung aufgrund des Widerspruches auseinandergesetzt und dann für die gesamte Bedarfsgemeinschaft eine Korrektur des Mehrbedarfs im Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 vorgenommen hat.

b. Der Widerspruch des Klägers vom 25.01.2019 war auch nicht unzulässig.

Eine Kausalität zwischen Widerspruch und abhelfender Entscheidung der Behörde würde grundsätzlich auch dann fehlen, wenn der Widerspruch unzulässig oder unbegründet gewesen wäre und bereits aus diesem Grund nicht kausal für die Abhilfe hätte sein können.

Dies ist allerdings nicht der Fall: Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten im angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 04.02.2019 und im hiesigen Klageverfahren war der Widerspruch des Klägers gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 14.12.2018 nicht verfristet, da infolge einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid des Beklagten vom 14.12.2018 nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 SGG eine Jahresfrist für den Widerspruch galt.

§ 84 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestimmt für den nötigen Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist,

„schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen“ (Hervorhebung durch Uz.)

ist, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Absatz 2 Satz 3 der Vorschrift verweist auf die entsprechende Geltung der §§ 66, 67 SGG.

Nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt für den Fall, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben ist oder unrichtig erteilt wurde, für die Einlegung des Rechtsbehelfs eine Jahresfrist ab Zustellung, Eröffnung oder Verkündung.

Dabei bestimmt sich die richtige Erteilung der Rechtsbehelfsbelehrung nach Absatz 1 der Vorschrift: § 66 Abs. 1 SGG fordert die Angabe des Rechtsbehelfs, das Gericht oder die Verwaltungsstelle, bei dem dieser einzulegen ist, und die einzuhaltende Frist. Die Belehrung muss vollständig und richtig sein, sonst setzt sie die Frist nicht in Lauf. Sie muss formal und inhaltlich geeignet sein, dem Beteiligten die Entscheidung über die Einlegung des geeigneten Rechtsbehelfs zu ermöglichen (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11.03.2015 – 9 B 5/15; ferner: Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 66 SGG, Rn. 5d).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum muss die Rechtsbehelfsbelehrung auch den Hinweis auf zwingende Formvorschriften enthalten (vgl. BSG, Urteil vom 14.03.2013 – B 13 R 19/12 R; vgl. ferner Keller, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 66 SGG, Rn. 10d).

Der Beklagte hat in seinem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14.12.2018 zwar über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs auf schriftlichem Wege bzw. zur Niederschrift bei dem Beklagten belehrt, jedoch nicht über die Einlegung des Widerspruches in elektronischer Form.

Während das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 14.03.2013 (B 13 R 19/12 R) noch die Auffassung vertreten hatte, dass auf die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs in elektronischer Form nicht zwingend hingewiesen werden müsse, da es sich nicht um einen gleichwertigen Regelweg handele und die elektronische Form noch keine derartige praktische Bedeutung erlangt habe, dass es geboten wäre, die Beteiligten zum Schutz vor Rechtsnachteilen durch Unwissenheit auf diese Form aufmerksam zu machen, dürfte sich die Rechtslage seit dem 01.01.2018 entscheidend verändert haben. Das Bundessozialgericht hatte in seiner Entscheidung vom 14.03.2013 noch offengelassen, ob eine Änderung seiner Rechtsprechung erforderlich werden könnte, wenn die elektronische Form eine weitere Verbreitung gefunden haben wird.

Der Auffassung des Bundessozialgerichts dürfte mittlerweile nicht mehr zu folgen sein, weil der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2018 die Vorschrift des § 84 Abs. 1 SGG novelliert und mittlerweile die Einlegung des Widerspruches „in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch“ ausdrücklich vorgesehen hat. Die elektronische Form hat nämlich mittlerweile eine weitere Verbreitung gefunden, was die zahlreichen gesetzgeberischen Bemühungen zu Einführung eines elektronischen Rechtsverkehrs und einer elektronischen Aktenführung hinreichend belegen.

Wenn also die Behörde nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.03.2013 einerseits zwingend über die einzuhaltende Form bei der Einlegung eines Rechtsbehelfes zu belehren hat, andererseits der Gesetzgeber als zusätzliche Form der Widerspruchseinlegung mittlerweile ausdrücklich auch die elektronische Form vorsieht, muss die Behörde zwingend auch über diese Einlegungsform belehren (vgl. etwa Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.12.2018 – L 6 AS 202/18 B ER; SG Darmstadt, Beschluss vom 23.05.2018 – S 19 AS 309/18 ER, vgl. ferner Keller, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 66 SGG, Rn. 10; ferner B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 84 SGG, Rn. 4e).

Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein führt hierzu in seinem Beschluss vom 20.12.2018 (L 6 AS 202/18 B ER – juris, Rn. 19) aus:

„Der Senat weist darüber hinaus auf Folgendes hin: Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf es auch einer Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften (BSG, Urteil vom 14. März 2013 – B 13 R 19/12 R – juris). Seit dem 1. Januar 2018 ist in § 84 Abs. 1 SGG (Art. 18 Nr. 3 i.V. m. Art. 33 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017, BGBl. I 2208, 2222, 2228) ausdrücklich bestimmt, dass der Widerspruch „…in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Sozialgesetzbuch…“, eingereicht werden kann. Damit wird deutlich, dass die elektronische Form zumindest seit dem 1. Januar 2018 neben der Schriftform und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleich gewichtige Form sowie als weiterer Regelweg zu sehen ist (anders noch zur alten Rechtslage BSG, a.a.O. – juris Rn. 21) und in die Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich aufzunehmen ist.“

Mangels Belehrung über die Einlegung des Widerspruchs in elektronischer Form ist die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid des Beklagten vom 14.12.2018 unrichtig.

Soweit sich der Beklagte zur Verteidigung seiner Rechtsbehelfsbelehrung darauf beruft, dass er zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides am 14.12.2018 tatsächlich den Zugang zur Einreichung elektronischer Widersprüche noch nicht eröffnet hatte und deshalb zu einer entsprechenden Belehrung auch nicht verpflichtet gewesen sei bzw. eine derartige Belehrung für Bescheidadressaten verwirrend gewesen wäre, ist dieser Einwand aus Sicht der Kammer aus mehreren Gründen nicht überzeugend bzw. relevant:

- Die seit 01.01.2018 geltende Fassung des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG verweist lediglich auf die Rechtsfolge (der Einführung) der elektronischen Form nach § 36a Abs. 2 SGB I. Sie verweist hingegen nicht auf den ersten Absatz des § 36a SGB I, wonach die Behörde freiwillig entscheiden kann, ob sie einen Zugang zur Einreichung von elektronischen Dokumenten eröffnet oder nicht. In § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist also keine Rechtsgrundverweisung, sondern nur eine Rechtsfolgenverweisung im Hinblick auf die Möglichkeit der Einreichung elektronischer Dokumente enthalten. Somit steht es nicht (mehr) im Ermessen der Behörde, ob sie einen elektronischen Zugang eröffnet oder nicht. Nach der Vorstellung des Reformgesetzgebers des § 84 SGG hat die Behörde also zwingend einen elektronischen Zugang zu eröffnen (vgl. auch B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 84 SGG, Rn. 3). Darüber hinaus stellt die Vorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG kein für den Beklagten disponibles Recht dar, da der Verweis auf § 36a Abs. 1 SGB I ausdrücklich fehlt.

- Unabhängig von der durch § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG angenommenen Verpflichtung zur Schaffung eines elektronischen Zugangs, kann offenbleiben, ob der Beklagte auch durch bundesrechtliche Regelungen im „Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung - E-Government-Gesetz“ vom 01.08.2013 (EGovG) oder landesrechtliche Regelungen im „Niedersächsischen Gesetz über digitale Verwaltung und Informationssicherheit“ (NDIG) vom 24.10.2019 (Nds. GVBl., S. 291) zur Schaffung eines elektronischen Zuganges bereits zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 14.12.2018 verpflichtet war: § 2 Abs. 1 EGovG sieht zwar für die Bundesbehörden eine Pflicht zur Schaffung eines elektronischen Zugangs seit dem 01.07.2014 vor und hat insoweit das Freiwilligkeitsprinzip in § 36a Abs. 1 SGB I für Bundesbehörden abgeschafft (vgl. Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 36a SGB I (Stand: 18.12.2019), Rn. 28-30). Allerdings ist die Verwaltungstätigkeit im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II nach § 1 Abs. 5 Nr. 3 EGovG gerade vom Geltungsbereich ausgenommen. Dies beruht aber offensichtlich alleine auf dem Umstand, dass der Bundesgesetzgeber der besonderen Form der Mischverwaltung nach Art. 91e GG Rechnung tragen wollte, um eine einheitliche Regelung für alle das SGB II ausführenden gemeinsamen Einrichtungen und zugelassenen kommunalen Träger zu gewährleisten (BT-Drucks. 17/11473, 33). Dabei ist der Bundesgesetzgeber aber offenbar von der Anwendbarkeit der E-Government-Gesetze der Länder ausgegangen (vgl. hierzu auch LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.12.2018 (L 6 AS 202/18 B ER – juris, Rn. 22). Der Beklagte als „gemeinsame Einrichtung“ der Bundesagentur für Arbeit und dem Landkreis A-Stadt ist also zumindest durch § 2 EGovG nicht unmittelbar zur Schaffung eines elektronischen Zuganges verpflichtet, auch wenn der Bundesgesetzgeber etwa in § 84 SGG von der Schaffung eines solchen Zuganges ausgeht. In Niedersachsen werden die Landesbehörden und Kommunen durch § 4 Abs. 1 NDIG erst seit dem 02.11.2019 unmittelbar zur Schaffung eines elektronischen Zugangs verpflichtet.

- Unabhängig von der tatsächlichen Existenz eines elektronischen Zugangs beim Beklagten oder der Verpflichtung zur Schaffung eines solchen Zuganges hat der Beklagte allerdings den Rechtsschein für die Eröffnung eines elektronischen Zuganges gesetzt und damit nach Auffassung der Kammer eine konkludente Zugangseröffnung vorgenommen, als er im Bescheid vom 14.12.2018 oberhalb der Betreffzeile im Briefkopf des Bescheides neben Namen und Telefonnummer des Sachbearbeiters für Kommunikationszwecke eine eMail-Adresse angegeben hat. Hierdurch hat der Beklagte nämlich den Eindruck erweckt, dass der Kläger gegen den Bescheid auch per eMail Widerspruch einlegen könne. Dabei geht die Kammer davon aus, dass zum Briefkopf nicht nur die oberste Zeile des Bescheides mit der Bezeichnung des Beklagten und den Adressdaten, sondern auch der sog. „Informationsblock“ auf der rechten Seite mit Namen und Telefonnummer des jeweiligen Sachbearbeiters sowie der eMail-Adresse gehört. Da in der Rechtsbehelfsbelehrung angeführt ist, dass der Widerspruch bei der „im Briefkopf genannten Stelle“ einzulegen ist, kann ein rechtlich unerfahrener Adressat des Bescheides annehmen, dass eben auch die im Briefkopf genannte eMail-Adresse zur Widerspruchseinlegung genutzt werden kann. Ein rechtlich unerfahrener Adressat wird zudem die rechtlichen Unterschiede zwischen einer Schriftform, einer Textform und einer elektronischen Einlegung von Rechtsbehelfen nicht kennen und im Zweifel davon ausgehen, dass auch die Einlegung durch eMail der in der Rechtsbehelfsbelehrung erwähnten „Schriftform“ genügt. Dies reicht für die Annahme eines Rechtsscheins der Zugangseröffnung bzw. eine konkludente Zugangsöffnung aus (vgl. hierzu auch SG Darmstadt, Beschluss vom 23.05.2018 – S 19 AS 309/18 ER – juris, Rn. 19).

Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein hat selbst einen Hinweis der Behörde auf seiner Internetseite, dass Rechtsbehelfe nicht per eMail rechtswirksam eingereicht werden könnten, für nicht ausreichend erachtet, den Eindruck zu widerlegen, dass die Behörde nach § 36a Abs. 1 SGB I den Zugang zur Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet habe (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.12.2018 (L 6 AS 202/18 B ER – juris, Rn. 20). Der Beklagte hat einen derartigen Versuch nicht unternommen, kannte aber sehr wohl die Problematik formunwirksamer Widerspruchseinlegungen durch E-Mail und damit den verursachten Rechtsschein einer elektronischen Zugangseröffnung. Insoweit hat der Beklagtenvertreter im mündlichen Verhandlungstermin vom 03.09.2020 selbst eingeräumt, dass der Beklagte in der Vergangenheit Widerspruchsführer angeschrieben habe, die durch eine bloße eMail Widerspruch eingelegt hätten. Der Beklagte habe die Widerspruchsführer dann in einem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Widerspruchseinlegung formunwirksam sei und ihnen eine Nachfrist zur Einlegung des Widerspruchs auf schriftlichem Wege gegeben. Allerdings reicht ein nachträglich gegebener individueller Hinweis an den betroffenen Widerspruchsführer zur Auflösung des Rechtsscheins nicht aus, weil insoweit auf eine abstrakte Betrachtungsweise vor Einlegung des Rechtsbehelfs abzustellen ist und unerheblich ist, ob eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung konkret ursächlich für eine Fristversäumnis ist (vgl. BSGE 114, 69; BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 14 AS 55/15 – juris, Rn. 15). Die Vorschriften über die notwendigen Inhalte einer Rechtsbehelfsbelehrung und die Folgen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung stellen nicht darauf ab, ob ein Widerspruchsführer konkret an der Widerspruchseinlegung gehindert war, sondern ob die Gesamtheit potentieller Widerspruchsführer objektiv und generell an der korrekten Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert sein könnte (vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 66 SGG, Rn 12d).

- Da der Beklagte zumindest den Rechtsschein der Eröffnung des Zugangs zur Übermittlung elektronischer Dokumente an ihn gesetzt hat, wäre es treuwidrig, wenn sich der Beklagte zur Verteidigung seiner Rechtsbehelfsbelehrung auf die fehlende tatsächliche Eröffnung des Zugangs berufen könnte.

Das vom Beklagten argumentativ beschriebene Dilemma, nämlich einerseits zur Belehrung über die Einlegung von Rechtsbehelfen in elektronischer Form verpflichtet zu sein, andererseits aber keinen tatsächlichen Zugang zur Übermittlung eröffnet zu haben, hätte sich durchaus lösen lassen,

- entweder dadurch, dass bereits zum 01.01.2018 ein entsprechender Zugang vom Beklagten eröffnet worden wäre (wie ihn § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG letztlich voraussetzt),

- oder dadurch, dass zusätzlich zu der nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG notwendigen Belehrung über die grundsätzliche Möglichkeit der Einlegung des Widerspruches in elektronischer Form ein Zusatz in die Belehrung mit aufgenommen worden wäre, dass beim Beklagten gegenwärtig eine Widerspruchseinlegung auf elektronischem Wege und insbesondere auch durch eMail noch nicht möglich ist. Ein solcher Zusatz dürfte nach Auffassung der Kammer auch nicht zur Überfrachtung der Rechtsbehelfsbelehrung geführt haben und hätte geholfen, Missverständnisse bei potentiellen Widerspruchsführern zu vermeiden.

Selbst wenn man allerdings die Auffassung vertritt, dass der Beklagte nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zur Belehrung über die generelle Möglichkeit der Einlegung des Widerspruches auch in elektronischer Form verpflichtet gewesen wäre, weil er weder einen tatsächlichen Zugang zur Übertragung elektronischer Dokumente eröffnet hatte, noch einen entsprechenden Rechtsschein in diesem Sinne gesetzt hatte, dürfte die Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Gesichtspunkt unrichtig bzw. unvollständig gewesen sein, dass durch die Angabe der eMail-Adresse im Briefkopf des Bescheides der (bereits oben beschriebene) Eindruck für einen Adressaten des Bescheides entstehen konnte, dass die Einlegung des Widerspruches durch eMail möglich sei.

Durch eine einfache eMail wird allerdings die elektronische Form im Sinne des § 36a Abs. 2 SGB I gerade nicht gewahrt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 84 SGG, Rn. 3a). Insoweit hätte es – unabhängig von der Notwendigkeit zur Belehrung über die generelle Möglichkeit der Widerspruchseinlegung in elektronischer Form – zumindest des (bereits oben genannten) aufklärenden Zusatzes bedurft, dass gegenwärtig beim Beklagten eine Widerspruchseinlegung auf elektronischem Wege und insbesondere durch eine einfache eMail nicht möglich ist.

Aufgrund der in mehrfacher Hinsicht unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 14.12.2018 lief die Widerspruchsfrist gemäß § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr lang, so dass der Widerspruch vom 25.01.2019 nicht verfristet und damit zulässig war.

Folglich liegt auch eine hinreichende Kausalität zwischen dem Widerspruch vom 25.01.2019 und der Abhilfeentscheidung im Überprüfungsbescheid vom 15.02.2019 vor, so dass der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung der ihm im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten nach § 63 Abs. 1 SGB X hat.

Darüber hinaus hat der Kläger auch Anspruch darauf, dass die Hinzuziehung seines Prozessbevollmächtigten für notwendig erklärt wird (§ 63 Abs. 2 SGB X) und in der Folge die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren für die Vertretung des Klägers im Widerspruchsverfahren vom Beklagten zu erstatten sind.

Die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren ist nicht nur bei schwierigen und umfangreichen Sachverhalten für notwendig zu erklären. In der Regel ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung zu bejahen – aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit (vgl. hierzu Roos, in: v. Wulffen/Schütze, § 63 SGB X, Rn. 26). Ausnahmsweise kann eine Hinzuziehung dann nicht notwendig sein, wenn die Behörde bereits in der angegriffenen Entscheidung zu erkennen gegeben hat, dass sie die Änderung in den Verhältnissen direkt von Amts wegen korrigieren werde, wenn bestimmte Unterlagen vorgelegt werden (vgl. SG A-Stadt, Urteil vom 25.05.2016 – S 12 SO 117/14).

Diese Ausnahme liegt im Falle des Klägers nicht vor: Die Frage der Geltendmachung der vollständigen Pauschale für die dezentrale Warmwasserversorgung gem. § 21 Abs. 7 SGB II ist nicht mit der bloßen Einreichung von fehlenden Unterlagen beim Beklagten vergleichbar, weil insoweit eine tatsächliche und rechtliche Klärung der Voraussetzungen für die Bewilligung der Pauschale im Widerspruchsverfahren zu erfolgen hatte, die der Kläger ohne anwaltliche Hilfe nicht alleine für sich vornehmen konnte. Somit ist von einer generellen Notwendigkeit der Hinzuziehung auszugehen.

Nach alledem ist der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung gegen dieses Urteil bedarf gem. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes, nämlich die Kosten des Klägers im Widerspruchsverfahren, den Betrag von 750,00 € voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat:

Die Rechtsfrage der Belehrung über die generelle Möglichkeit zur Einlegung eines Widerspruches auf elektronischem Wege nach § 36a Abs. 2 SGB I trotz eines tatsächlich noch nicht eröffneten Zugangs zur Übertragung elektronischer Dokumente und die weitere Rechtsfrage, ob durch die Angabe einer eMail-Adresse im Briefkopf eines Bescheides eine Belehrung unrichtig oder verwirrend sein kann oder den Rechtsschein einer Zugangseröffnung setzen kann, ist zumindest für die SGB II-Träger im Zuständigkeitsbereich des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen noch nicht hinreichend obergerichtlich geklärt.