OLG Hamm, Beschluss vom 28.05.2020 - 15 W 374/19
Fundstelle
openJur 2020, 76350
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 III 16/19

Zur Zulässigkeit eines bislang nur als Familienname gebräuchlichen, besonders häufigen Namens (hier: Müller) als weiterer Vorname, falls weitere, zudem geschlechtseindeutige Vornamen beigelegt werden (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 30.04.2008; XII ZB 5/08).

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Das Standesamt wird angewiesen, die Geburt der Tochter der Beteiligten zu 1) und 2) mit den Vornamen " K Müller" zu beurkunden.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.)

Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Eheleute, die bislang keinen gemeinsamen Ehenamen bestimmt haben. Nach der Geburt ihres ersten Kindes im Jahre 2015 bestimmten sie den Nachnamen der Beteiligten zu 1) zum Geburtsnamen des Kindes.

Nachdem am 13.02.2019 ihr zweites Kind, eine Tochter, geboren worden war, wollten sie diesem durch Erklärung vom 14.02.2019 als Vornamen K und den Geburtsnamen Müller, den Nachnamen des Beteiligten zu 2) beilegen. Auf die Bindungswirkung der Geburtsnamensbestimmung für das erste Kind (§ 1617 Abs.1 S.3 BGB) hingewiesen, änderten sie ihre Erklärung dahingehend ab, dass ihre Tochter nunmehr die Vornamen K Müller erhalten solle.

Das Standesamt hat daraufhin mit Schreiben vom 21.03.2019 dem Amtsgericht die Zweifelsfrage vorgelegt, ob die Geburt auch mit dem Vornamen Müller beurkundet werden könne. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.2008 (XII ZB 5/08), nach der die grundsätzliche Eignung auch von Familiennamen als Vornamen nicht für besonders häufige, typische Familiennamen (z.B. Schmitz) gelte, sei für das Standesamt nicht zu klären, ob bei einem Vornamen "Müller" von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen sei.

Das Amtsgericht hat eine Anweisung des Standesbeamten zur Beurkundung der Geburt mit dem Vornamen Müller abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1).

II.)

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Amtsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, das Standesamt zur Beurkundung des Vornamensbestandteils Müller anzuweisen.

Das Recht, einem Kind Vornamen zu geben, steht den Sorgeberechtigten zu (Art. 6 Abs. 2 S.1 GG, § 1626 BGB; vgl. hierzu Diederichsen, NJW 1981, 705). Allgemein verbindliche Vorschriften über die Wahl und die Führung von Vornamen gibt es nicht. Die freie Wahl der Vornamen ist zuvörderst Aufgabe der Eltern, die sie allerdings im Sinne des Kindeswohls auszuüben haben (BVerfG, 1 BvR 994/98, Beschluss vom 28.01.2004, StAZ 2004, 109 = FamRZ 2004, 522, sowie BVerfG, 1 BvR 576/07, Beschluss vom 05.12.2008, NJW 2009, 663f = StAZ 2009, 76ff). Nur wenn letzteres bedroht erscheint, sind die staatlichen Stellen in Ausübung ihrer Aufgaben nach Art. 6 Abs. 2 S.2 GG befugt und verpflichtet, der elterlichen Entscheidung die Anerkennung zu verweigern.

Hierbei wirkt das Persönlichkeitsrecht des Kindes auf das als treuhänderisch zu verstehende Elternrecht dergestalt ein, dass die Namensgebung die Funktion des Vornamens für das Kind, seine Identität zu finden und seine Individualität zu entwickeln, nicht beeinträchtigen darf (BVerfG NJW 2009, 663, 664). Die aus Art. 6 Abs. 2 S.2 GG folgende Befugnis staatlicher Stellen, der Namenswahl der Eltern die Anerkennung zu verweigern, setzt dabei allerdings die konkrete, d.h. im jeweiligen Einzelfall begründbare, höchstwahrscheinliche Gefahr voraus, dass der gewählte Vorname bei normalem Verlauf der Dinge, das Kind nicht zu einer Identitätsfindung befähigen wird (BGH, Beschluss vom 30.04.2008, XII ZB 5/08, NJW 2008, 2500ff, Rz.20). Dies kann zum einen darauf beruhen, dass der erteilte Vorname zu einer kindlichen Identitätsfindung schlicht ungeeignet ist, etwa weil er kaum aussprechbar ist. Zum anderen kann solchen Namen die Anerkennung verweigert werden, die nach ihrem Bedeutungsgehalt oder ihrem geschichtlichen Hintergrund mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass dieser Name Anlass für Anfeindungen oder Belästigungen des Kindes in seinen Sozialkontakten sein wird.

Als Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist aus Sicht des Senats danach festzuhalten, dass es keine Namen oder - um es auf den Punkt zu bringen - Wortschöpfungen gibt, die als Vorname schlechthin unzulässig wären. Phantasienamen sind danach ebenso zulässig, wie solche, die nicht geschlechtseindeutig sind, oder solche, die üblicherweise als Familiennamen in Gebrauch sind. Vorliegend ist das Amtsgericht von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat jedoch gemeint, dass sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.2008 (XII ZB 5/08, a.a.O.) ergebe, dass jedenfalls ein bislang nur als Familienname gebräuchlicher, besonders häufiger Name als Vorname ausscheide.

Hintergrund ist, dass der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung in einem obiter dictum in Bezug auf eine Entscheidung des OLG Köln (Beschluss vom 05.11.2001, 16 Wx 239/01, StAZ 2002, 43) ausgeführt hat, es könne im Einzelfall ein hinreichender Grund für die Verweigerung der Anerkennung sein, dass ein solcher Name (im Fall des OLG Köln "Schmitz") dem Kind nicht die notwendige Identitätsfindung ermöglichen könne. In Rechtsprechung und Literatur ist diese nicht tragende Anmerkung wohl überwiegend dahingehend verstanden worden, der Bundesgerichtshof habe damit sog. "Allerweltsnachnamen" die Eignung als potentielle Vornamen abgesprochen (OLG Frankfurt NJW-RR 2011, 1013; OLG Karlsruhe BeckRs 2013, 18006 = StAZ 2014,51; MK-BGB/v.Sachsen Gessaphe, 8.Aufl., Anh. § 1618 Rdn.13; Döll in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1616 BGB Rdn.20; Staudinger/Lugani (2015) BGB § 1616 Rn.65).

Im vorliegenden Fall kommt es hierauf an, da Müller zweifellos ein sog. Allerweltsname ist. Der Senat teilt jedoch die vorgenannte Auffassung nicht. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung (Rz.20) in tragender Begründung darauf abgestellt, dass auch die Verwendung des Nachnamens eines nicht den Familiennamen stiftenden Elternteils in besonderer Weise zur Identitätsfindung des Kindes beitragen könne. Weiter hat er ausgeführt (Rz.22), dass mögliche Beeinträchtigungen dann an Gewicht verlieren, wenn dem Kind mehrere Vornamen beigelegt werden, und es dem Kind (bzw. in seinen jungen Jahren den Eltern) unschwer möglich sei, drohenden Beeinträchtigungen dadurch vorzubeugen, dass im sozialen Kontakt einer der weiteren (dann aber unproblematischen) Vornamen benutzt werde.

Nach Auffassung des Senats wird angesichts dieser tragenden Argumente des Bundesgerichtshofs die oben genannte Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Köln überinterpretiert. Hierfür sind die folgenden Überlegungen maßgebend:

Die wesentliche Funktion von Vornamen, eine Individualisierung auch für den (kindlichen) Namensträger selbst zu ermöglichen, vollzieht sich nicht allein im Gebrauch des Vornamens im sozialen Kontakt. In vielen Kultur- und Sprachkreisen, so auch dem deutschen, besteht vielmehr eine Tradition, die Person des Kindes durch die Vergabe mehrerer Vornamen an bestimmte Personen, z.B. Großeltern oder Taufpaten "anzubinden". Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass derartige Vornamen eben nicht als "Rufnamen" im sozialen Kontakt genutzt, aber durchaus mit einem Bewusstsein der eigenen sozialen und familiären Einbindung getragen werden. Auch dies ist ein Bestandteil der Identitätsfindung und Individualisierung. Diese Überlegung trifft - jedenfalls in der hier in Frage stehenden familiären Situation - auch auf die Verwendung eines Namens zu, der üblicherweise nur als Nachname in Gebrauch ist, wie auch der Bundesgerichtshof ausgeführt hat.

Sind unter den genannten Voraussetzungen weitere Vornamen vorhanden, die im sozialen Kontakt eine "Ich-Findung" unschwer ermöglichen, so ist für den Senat nicht ersichtlich, welche Bedeutung der Häufigkeit des üblicherweise als Nachnamen benutzten Vornamens zukommen soll. Die identitätsstiftende Wirkung eines solchen Vornamen vollzieht sich nicht über seinen Gebrauch im sozialen Kontakt, sondern über innerfamiliäre Kommunikation. Der Senat kann sich insoweit auch nicht der Ansichten von Sachsen Gessaphe (a.a.O.) anschließen, dass bereits die Häufigkeit des Namens Anlass für Spott und Hänseleien sein könne. Legt man die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (XII ZB 5/08, a.a.O.) zugrunde, so ist diese Gefahr bei mehreren Vornamen regelmäßig nicht mit dem notwendigen Grad an Wahrscheinlichkeit feststellbar, weil das Kind in seinem weiteren Lebensweg nicht gezwungen ist, in sozialen Kontakten diesen Vornamen auch nur mitzubenutzen. Im Übrigen würde, wollte man die lediglich abstrakte Möglichkeit ausreichen lassen, dass der Name Anlass zu Spott geben könnte, der vom BGH als Vorname zugelassene Familienname "Lütke" einem Westfalen oder Niedersachsen wohl problematischer erscheinen als der Name Müller; denn "Lütke", "Lüttke" bzw. "Lüttje" steht im Plattdeutschen für "der, die das Kleine".

Die Möglichkeit, eventuelle Beeinträchtigungen bei mehreren Vornamen durch die tatsächliche Ausgestaltung des Namensgebrauchs zu begegnen, verliert auch durch die Möglichkeit der Umsortierung von Vornamen nach § 45a PStG nicht an Gewicht. Zunächst handelt es sich insoweit um eine abstrakte Möglichkeit, die eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls nicht zu begründen vermag. Eine ungewollte Belastung für das Kind könnte im Übrigen insoweit nur entstehen, wenn die Eltern eines noch minderjährigen Kindes versuchen würden, die Vornamen so umzusortieren, dass der als Nachname gebräuchliche Vorname an die erste Stelle rückt und damit nach der sozialen Übung - rein faktisch - als "Rufname" erscheint. Dieser Gefahr könnte dann aber immer noch dadurch begegnet werden, dass man der Umsortierungserklärung die Anerkennung verweigert.

Umgekehrt ist zu fragen, wie eine dem Gleichbehandlungsgebot genügende, sachlich begründbare Grenzziehung aussehen soll. Aus der Häufigkeit eines (Nach-)Namens als rein statistischer Größe lässt sich eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte nicht ableiten. Einen sachlichen Ansatzpunkt dafür, welche Häufigkeit noch tolerabel erscheint und welche nicht mehr, vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Zudem ist fraglich, was die maßgebende Bezugsgruppe für die Ermittlung dieser Häufigkeit darstellen soll. Insoweit kann man sowohl auf die in Deutschland lebende Bevölkerung abstellen, die dem Sprachkreis angehört, aus dem der jeweilige Namen stammt, man kann aber auch auf die Gesamtbevölkerung abstellen oder im Hinblick auf die zunehmende Internationalisierung auf die Sprachgruppe als solche. Nach Auffassung des Senats zeigen alleine diese Überlegungen, dass die Häufigkeit eines üblicherweise als Nachname gebräuchlichen Namens kein Ausschlusskriterium für seine Eignung als Vorname sein kann.

Nach Auffassung des Senats ist daher auch der Name Müller ein zulässiger Vorname, wenn - wie hier - zwei weitere, zudem geschlechtseindeutige Vornamen beigelegt werden. Der Name Müller als solcher hat weder eine historische Vorbelastung noch eine alternative Wortbedeutung o.ä., die mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit Anlass für Anfeindungen, Belästigungen oder Hänseleien sein könnten.

Die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nicht angezeigt, da sie nicht der Billigkeit entsprechen würde (§ 81 Abs.1 FamFG). Die Zweifelsvorlage durch das Standesamt war angesichts der o.g. Stimmen in Rechtsprechung und Literatur nicht zu beanstanden.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu, da dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint (§ 70 Abs.2 S.1 Nr.2 FamFG). Das OLG Frankfurt und das OLG Karlsruhe (jew. a.a.O.) haben in ihren Entscheidungen die Häufigkeit eines als Nachnamen üblichen Namens als mögliches Ausschlusskriterium für die Beilegung als Vorname jeweils angeführt, wenn es hierauf im Ergebnis jeweils auch nicht ankam. Der Senat muss daher davon ausgehen, dass diese beiden Gerichte den Vornamen Müller nicht zulassen würden.

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