Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 28.10.2020 - 13 MN 390/20
Fundstelle
openJur 2020, 76250
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der sinngemäß gestellte Antrag,

die Regelungen in § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 9 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 7. Oktober 2020, zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Oktober 2020, über die Verpflichtung, in einem Fitnessstudio außerhalb einer sportlichen Betätigung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, vorläufig außer Vollzug zu setzen,

ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

1. Der Antrag ist zulässig.

Der Antrag ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners ein tauglicher Normenkontrolleilantrag im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO. Aus der Bezugnahme der Antragstellerin auf das von ihr betriebene Fitnessstudio im gestellten Antrag allein folgt nicht, dass sie nur eine individuelle Regelung für sich selbst begehrt. Aus ihrem tatsächlichen Begehren ergibt sich vielmehr unmissverständlich, dass sie erstrebt, die Verordnung außer Vollzug zu setzen, und nicht etwa die Unanwendbarkeit der Verordnung auf sie festzustellen (vgl. zu entsprechenden Formulierungen Senatsbeschl. v. 28.08.2020 - 13 MN 307/20 -, juris Rn. 6). In den Antrag ist auch kein Begehren auf Normergänzung in Gestalt der Aufnahme von „Sportbereichen“ als Ausnahme vom Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen hineinzulesen.

Der Normenkontrolleilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 7. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 363), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).

Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da sie geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die in § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung bestimmte Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) betrifft die Antragstellerin mittelbar, da sie auf die Einhaltung der Maskenpflicht hinzuwirken hat (§ 3 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung), und lässt es möglich erscheinen, dass sie in ihrem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 19 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG verletzt ist. Eine darüberhinausgehende Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als einer nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtsposition dürfte hingegen nicht vorliegen. Denn dieser Schutz erfasst nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern; die hier durch die verordnete Beschränkung betroffenen bloßen Umsatz- und Gewinnchancen werden hingegen auch unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht von der Eigentumsgarantie erfasst (vgl. BVerfG, Urt. v. 6.12.2016 - 1 BvR 2821/11 -, BVerfGE 143, 246, 331 f. - juris Rn. 240; Beschl. v. 26.6.2002 - 1 BvR 558/91 -, BVerfGE 105, 252, 278 - juris Rn. 79 m.w.N.).

Der Antrag ist zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 - BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4; Senatsbeschl. v. 27.7.2020 - 13 MN 272/20-, juris Rn. 10 m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze bleibt der hier in der Sache auf eine einstweilige Außervollzugsetzung des das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung anordnenden § 3 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung gerichtete Antrag ohne Erfolg.

Der Senat hat sich zuletzt in seinen Beschlüssen vom 14. August 2020 - 13 MN 300/20 -, juris Rn. 10 ff., und 6. Juli 2020 - 13 MN 238/20 -, juris Rn. 9 ff., zur Rechtmäßigkeit einer derartigen Verpflichtung in § 2 bzw. § 9 a.F. der Niedersächsischen Corona-Verordnung geäußert. Auf deren Inhalt wird zur weiteren Begründung Bezug genommen. An der dortigen Einschätzung, wonach die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung notwendig im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG, also geeignet, erforderlich und auch angemessen ist, hält der Senat fest. Diese Auffassung wird in der Rechtsprechung einhellig geteilt (vgl. etwa jüngst in Bezug auf Schulen OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 15.10.2020 - 3 MR 43/20 -, juris Rn. 31; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.9.2020, juris Rn. 7; Bayerischer VGH, Beschl. v. 8.9.2020 - 20 NE 20.2001 -, juris Rn. 34). Das Vorbringen der Antragstellerin in diesem Verfahren bietet dem Senat keinen Anlass, seine Einschätzung zu revidieren.

Die Niedersächsische Corona-Verordnung ist hinsichtlich einer Maskenpflicht in Fitnessstudios voraussichtlich rechtmäßig. Sie kann auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden (a.), ist ausreichend bestimmt (b.), verhältnismäßig (c.) und führt zu keiner ungerechtfertigten Ungleichbehandlung (d.). Selbst wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen wären, würde dies nicht die vorläufige Außervollzugsetzung der Norm begründen (e.).

a. Taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer Maskenpflicht ist § 28 Abs. 1 IfSG.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Heranziehung dieser Ermächtigungsgrundlage mit dem Argument, in ihrem Fitnessstudio seien keine Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheider festgestellt worden. Die Anordnung einer Maskenpflicht erfolge daher aus präventiven Gründen, was allein aufgrund von § 16 IfSG erfolgen dürfe.

Dieser Argumentation liegt ein falsches Normverständnis zugrunde. § 28 IfSG ermächtigt zu Maßnahmen, die ergriffen werden können, sobald Kranke etc. festgestellt werden, und zwar unabhängig davon, wo diese festgestellt werden. § 16 IfSG betrifft demgegenüber die Konstellation, dass keine Kranken etc. festgestellt wurden, also Maßnahmen allein vorsorglich für den Fall, dass eine Epidemie ausbrechen könnte, ergriffen werden. Der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 IfSG ist nur eröffnet, solange eine übertragbare Krankheit noch nicht aufgetreten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - BVerwG I C 60.67 -, juris Rn. 28 zu §§ 10 Abs. 1, 34 Abs. 1 BSeuchG a.F.; Senatsurt. v. 3.2.2011 - 13 LC 198/08 -, juris Rn. 40, vgl. auch Senatsbeschl. v. 15.10.2020- 13 MN 371/20 -, juris Rn. 48). Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG dienen umfassend dem Schutz von bisher nicht kranken, nicht krankheitsverdächtigen und nicht ansteckungsverdächtigen Personen und damit gezielt auch präventiven Zwecken (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.4.2020 - 1 S 1101/20 -, juris Rn. 18 ff.).

b. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung regelt ausreichend bestimmt, inwieweit in Fitnessstudios eine Maskenpflicht gilt.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung trifft folgende Regelung:

„Jede Person hat in geschlossenen Räumen, die öffentlich oder im Rahmen eines Besuchs- oder Kundenverkehrs zugänglich sind, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.“

Die Räumlichkeiten eines Fitnessstudios, zu denen jedes Mitglied Zugang erhält, sind derartige Räume.

§ 3 Abs. 4 Nr. 9 der Verordnung ordnet folgendes an:

„Absatz 1 gilt nicht […] 9. bei sportlicher Betätigung […].“

Hieraus ergibt sich für Fitnessstudios, dass während der Nutzung eines Sportgeräts oder während der Teilnahme an einem Sportkurs keine Maskenpflicht gilt, beim Erholen und beim sonstigen Aufenthalt indes schon.

Die Antragstellerin dehnt den Begriff „sportliche Betätigung“ zu weit aus, wenn sie hierunter auch die Phasen notwendiger Regeneration fasst, unabhängig davon, wo sie erfolgt. Die Ausnahmeregelung ist gemäß ihrer Natur eng zu verstehen und umfasst nicht die Tätigkeiten vor und nach der Gerätenutzung oder Kursteilnahme.

c. Diese Maskenpflicht ist auch zum Schutz vor einer weiteren Verbreitung des Coronavirus geeignet, erforderlich und angemessen.

Die Antragstellerin trägt vor, beim Wechsel zu einem zwei Meter entfernten Trainingsgerät sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sinnlos. Es sei auch nicht nachzuvollziehen, dass gerade der Teil des Aufenthalts in einem Fitnessstudio, bei dem keine körperliche Anstrengung erfolge, von der Maskenpflicht betroffen sei. Tatsächlich würden Masken (nur) der Visualisierung des Virus und der Erziehung dienen. Der Antragsgegner müsse seine Kapazitäten im Gesundheitssystem erweitern und dürfe nach vielen Monaten mit der Pandemie nicht mehr willkürlich in Grundrechte eingreifen. Es sei auch kein einziger Fall einer Ansteckung im Fitnessstudio dokumentiert. Das Abstandsgebot würde ausreichen.

An späterer Stelle zieht die Antragstellerin in Zweifel, dass eine Mund-Nasen-Bedeckung überhaupt geeignet ist, eine Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Das Konzept, Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen, sei allein aus einer politischen Absicht, ein Symbol für die Virusbekämpfung zu haben, geboren. Das RKI, auf dessen wissenschaftlicher Grundlage die Maskenpflicht beruhe, sei vom Staat finanziert. Jedenfalls aber sei die Mund-Nasen-Bedeckung gegenüber dem Abstands- und Hygienegebot subsidiär. Zumindest Visiere dürften auch zulässig sein.

Die Einwände der Antragstellerin überzeugen allesamt nicht.

(1) Nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis sind Mund-Nasen-Bedeckungen zur Bekämpfung des Coronavirus grundsätzlich geeignet, wie der Senat in seinem Beschluss vom 14. August 2020 – 13 MN 300/20 -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.) festgestellt hat. Demgegenüber verkennt die Antragstellerin den Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung, wenn sie nur einzelne Publikationen zitiert, die sich kritisch mit der Wirksamkeit von Mund-Nasen-Bedeckungen auseinandersetzen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht dadurch gewonnen, dass von allen Seiten gleichförmige Paradigmen wiederholt werden, sondern dadurch, dass sich aus verschiedenen Beiträgen und Sichtweisen eine Synthese bildet.

(2) Auch die eingeschränkte Maskenpflicht in Fitnessstudios ist eine geeignete Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG.

Dadurch, dass bei der eigentlichen sportlichen Betätigung keine Maskenpflicht gilt, besteht in Fitnessstudios ein höheres Infektionsrisiko als in anderen Dienstleistungsbetrieben. Gerade das stoßartige Ausatmen unter körperlicher Belastung kann bei (noch) symptomfreien, aber infizierten Personen zu einem massiven Ausstoß infektiöser Viren über eine große Distanz führen und damit die im Vordergrund stehende Tröpfcheninfektion - auch in Gestalt kleinster und über einen längeren Zeitraum in der Luft schwebender Aerosole - befördern (vgl. Senatsbeschl. v. 14.5.2020 - 13 MN 156/20 -, juris Rn. 31).

Dieses Infektionsrisiko besteht in erster Linie im näheren Umkreis zu dem jeweiligen Gerät oder Platz, an dem die sportliche Betätigung erfolgt. Bereits aus diesem Grund ist eine Maskenpflicht für Personen, die sich aktuell nicht sportlich betätigen und sich in derselben Räumlichkeit aufhalten, angezeigt.

Der Antragstellerin ist zuzugestehen, dass das Anlegen der Mund-Nasen-Bedeckung für den bloßen Wechsel zu einem anderen, zwei Meter entfernten Gerät nicht unbedingt wirksam erscheint. Eine Norm wie die Niedersächsische Corona-Verordnung muss es indes nicht leisten, auf jede noch so spezifische Konstellation einzugehen. Deutlich kleinteiligere Regelungen würden dazu führen, dass die grundsätzliche Maskenpflicht an Übersichtlichkeit einbüßen würde und sie nur noch schwer handhabbar wäre. Vorstellbare Regelungen dergestalt, dass eine Maskenpflicht nicht gilt, wenn die Strecke, die mit Maske zurückgelegt wird, nur zwei Meter beträgt und gewährleistet ist, dass sich keine weitere Person in besagtem Abstand aufhält, sind derart kleinteilig und umgehungsanfällig (z.B. bei einem „Hangeln“ von Gerät zu Gerät), dass die grundsätzliche Normbefolgung in Gefahr geriete. Vor dem Hintergrund, dass eine Maskenpflicht auch bei Sportausübung in Gebäuden oder gar eine vollständige Schließung von Fitnessstudios vorstellbar sind (vgl. Senatsbeschl. v. 14.5.2020 - 13 MN 156/20 -, juris Rn. 31), ist die Maskenpflicht in der bestehenden Form als geeignet anzusehen.

Dass es, so der Vortrag der Antragstellerin, noch keinen Fall einer Infektion mit COVID-19 in einem Fitnessstudio gegeben hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Antragstellerin kann nicht glaubhaft machen, dass eine Tröpfchen- oder Aerosol-Infektion in einem Fitnessstudio ausgeschlossen ist.

(3) Die Maskenpflicht ist auch erforderlich. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich.

Soweit die Antragstellerin vorträgt, es sollten vielmehr Intensivbetten geschaffen werden, ist diese Maßnahme in keiner Weise geeignet, die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen.

Auch stellen Abstands- und Hygieneregeln keine gleich geeigneten Maßnahmen dar, sondern sind weitere Bausteine in der Pandemiebekämpfung des Antragsgegners. Die Antragstellerin übersieht in diesem Zusammenhang, dass es ihr bei sichergestellter dauerhafter Einhaltung des Abstandsgebots freisteht, den Aufenthalt in ihrem Fitnessstudio ohne eine Mund-Nasen-Bedeckung zu gestatten (§ 3 Abs. 6 der Verordnung).

Die weitere Forderung, Visiere als (mildere) Alternative zu textilen Masken zuzulassen, geht ins Leere. Sprachlich lassen sich auch Visiere unter den Begriff Mund-Nasen-Bedeckung fassen. Die Niedersächsische Corona-Verordnung steht der Verwendung von Visieren als Alternative zu textilen Masken nicht entgegen. § 3 Abs. 3 der Verordnung lautet wie folgt:

„Eine Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der Absätze 1 und 2 ist insbesondere jede textile Barriere, die aufgrund ihrer Beschaffenheit geeignet ist, eine Ausbreitung von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln durch Husten, Niesen und Aussprache zu verringern, unabhängig von einer Kennzeichnung oder zertifizierten Schutzkategorie.“

Mit der Verwendung des Wortes insbesondere macht der Verordnungsgeber deutlich, dass auch andere als textile Bedeckungen zulässig sind, solange sie die Übertragung von Tröpfchenpartikeln verringern. Die Formulierung insbesondere wurde erst nachträglich mit der Änderungsverordnung vom 5. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 90, 92) in den damaligen § 9 der Verordnung eingefügt, so dass auch von einer gewollten Abkehr von der vorherigen Formulierung „Eine Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne des Absatzes 1 ist jede textile Barriere, die […]“ (Änderungsverordnung v. 24.4.2020, Nds. GVBl. S. 84) und damit von einer Abkehr von der Beschränkung auf textile Bedeckungen auszugehen ist.

Mund-Nasen-Bedeckungen in Form von geeigneten Visieren sind zwar deutlich schlechter in ihrer Rückhaltewirkung von Atemflüssigkeitspartikeln (vgl. RKI, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 28.10.2020), allerdings nicht vollkommen wirkungslos. § 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung erfordert keine über eine (auch nur geringfügige) Verringerung der Ausbreitung von Tröpfchenpartikeln hinausgehende Effektivität.

Dass die Verwendbarkeit von Visieren auf der Webseite des Antragsgegners anders oder zumindest widersprüchlich kommuniziert wird (vgl. die Webseite „Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Mund-Nasen-Bedeckung“, abrufbar unter https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/antworten_auf_haufig_gestellte_fragen_faq/alltagsmaskenpflicht-in-niedersachsen-antworten-auf-haufig-gestellte-fragen-187161.html, Stand: 28.10.2020), ist rechtlich unbeachtlich.

(4) Die Maskenpflicht ist auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne).

Die Maskenpflicht beeinträchtigt die Kunden in gewisser Weise in ihrer durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützten Freizeitgestaltung. Dieser Eingriff wiegt seiner Intensität nach jedoch schon deshalb nicht besonders schwer, weil die Freizeitaktivität selbst ohne Maske ausgeübt werden kann. Mit Blick auf die gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines möglichen erneuten Anstiegs der Zahl von Ansteckungen und Erkrankungen für die hochwertigen Rechtsgüter Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) einer Vielzahl Betroffener sowie einer Überlastung des Gesundheitswesens ist dieser verbleibende, seiner Intensität nach sehr geringe Eingriff in das Grundrecht der Besucher eines Fitnessstudios aus Art. 2 Abs. 1 GG in der Abwägung daher voraussichtlich angemessen.

Der sich für die Antragstellerin ergebene Mehraufwand in Umsetzung der zutreffend verstandenen Maskenpflicht ist zumutbar.

d. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Fitnessstudios im Vergleich zu Zusammenkünften der Legislative und Exekutive liegt nicht vor.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, BVerfGE 130, 240, 252 - juris Rn. 40; Beschl. v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, BVerfGE 98, 365, 385 - juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, BVerfGE 132, 179, 188 - juris Rn. 30; Beschl. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49, 69 - juris Rn. 65; Beschl. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 u.a. -, BVerfGE 126, 400, 416 - juris Rn. 79).

Hiernach sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde weniger streng (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris Rn. 25). Auch kann die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht eingefordert werden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.3.2020- 5 Bs 48/20 -, juris Rn. 13). Zudem ist die sachliche Rechtfertigung nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (vgl. Senatsbeschl. v. 14.4.2020 - 13 MN 63/20 -, juris Rn. 62).

Die von der Antragstellerin als Vergleich herangezogenen Ausnahmeregelungen von der Maskenpflicht in § 3 Abs. 4 Nr. 3 - „im Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines politischen Mandats“ - und Nr. 4 - „bei Veranstaltungen und Sitzungen des Niedersächsischen Landtags […] und von kommunalen Vertretungen […]“ - der Niedersächsischen Corona-Verordnung sind vor dem Hintergrund der zwingenden Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen gerechtfertigt.

e. Selbst bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache wäre eine vorläufige Außervollzugsetzung nicht angezeigt.

Es überwiegen die für den weiteren Vollzug der streitgegenständlichen Verordnungsbestimmungen sprechenden Gründe die von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung.

Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der vorläufigen Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelungen aus § 3 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung ist im Hinblick darauf, dass für die Kunden der Antragstellerin die Maskenpflicht ohnehin nicht bei der Aktivität gilt, die den Grund ihres Besuches darstellt, als gering zu bewerten.

Das derart gewichtete Interesse setzt sich nicht gegen das öffentliche Interesse an einem ununterbrochenen weiteren Vollzug der Regelungen für die Dauer des Normenkontrollverfahrens in der Hauptsache durch. Ohne eine Maskenpflicht - in egal welcher Situation - würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der erneuten Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen auch nach derzeitigen Erkenntnissen weiter erhöhen (vgl. zu dieser Gewichtung: BVerfG, Beschl. v. 7.4.2020 - 1 BvR 755/20 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 28.4.2020 - 1 BvR 899/20 -, juris Rn. 12 f.).