LG Bayreuth, Endurteil vom 15.10.2020 - 22 O 207/20
Fundstelle
openJur 2020, 76223
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 200.010,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie 2020.

Der Kläger betreibt in B. das Hotel "..." in Form eines Erlebnisbauernhofs. Für dieses Hotel schloss der Kläger bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. ... und mit Versicherungsbeginn 29.10.2015 und Versicherungsablauf am 21.06.2016 ab (Anlage K 1). Der Vertrag sieht vor, dass er sich stillschweigend von Jahr zu Jahr verlängert, wenn die vereinbarte Versicherungsdauer mindestens ein Jahr beträgt und nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Die vereinbarte Tagesentschädigung beträgt für eine Dauer von bis zu 30 Schließungstagen im Grundfall 3.000,- €; in den Saisonmonaten März bis Juli und September bis Oktober beträgt die Tagesentschädigung 6.667,- € für maximal 30 Schließungstage. Der jährliche Versicherungsbeitrag belief sich auf addiert 472,50 €.

Die allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) - AVB-BS - der Beklagten (Anlage K 2) sehen unter anderem folgende Regelungen vor:

"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; [...]

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden [Fettdruck im Orig.], im Infektionsgesetz [sic] in den Paragrafen 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

Aufzählung

b) Krankheitserreger

Aufzählung."

Weder die neuartige Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) noch der diese verursachende Krankheitserreger Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2; nachfolgend auch: neuartiges Coronavirus) werden in den Aufzählungen des § 1 Nr. 2 AVB-BS namentlich genannt. Wegen der Einzelheiten der weiteren Versicherungsbedingungen wird auf die Anlagen K 2 und K 3 Bezug genommen.

Mit Allgemeinverfügung über Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagung anlässlich der Corona-Pandemie des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az. 51-G8000-2020/122-67, und Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur Änderung der Allgemeinverfügung über Veranstaltungsverbote und Betriebsunterseite Tagungen anlässlich der Corona Pandemie vom 17.03.2020, Az. Z6a-G8000-2020-122-83, BayMBl. 2020 Nr. 148, wurden Gastronomiebetriebe jeder Art und der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken untersagt. Ausgenommen wurden Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen. Die Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 trat am 18.03.2020 in Kraft.

In der Folge wurde der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken durch § 2 III 1 der bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27.03.2020, BayMBl. 2020 Nr. 158, untersagt. Hiervon ausgenommen wurden wiederum nur Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen, § 2 III 2 BayIfSMV. Die BayImfSV trat am 31.03.2020 in Kraft und war zunächst bis 19.04.2020 befristet, § 7 I BayIfSMV.

Mit Schreiben vom 16.03.2020 und erneut 01.04.2020 forderte der Kläger die Beklagte zur Gewährung von Versicherungsschutz auf. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 09.04.2020 ab. Die am 23.04.2020 eingereichte (Bl. 1 d. A.) Klage wurde der Beklagten am 19.05.2020 (Bl. zu 8 d. A.) zugestellt.

Der Kläger behauptet, das Hotel "..." sei aufgrund der genannten Allgemeinverfügungen und der BayIfSMV ab dem 18.03.2020 durchgängig bis zum 16.04.2020 vollständig geschlossen gewesen. Da sein Hotel ausschließlich Gäste für touristische Zwecke beherberge, sei eine eingeschränkte Betriebstätigkeit beschränkt auf Geschäftsreisende nicht möglich gewesen. Der Kläger ist der Auffassung, eine Leistungspflicht der Beklagten folge aus § 1 Nr. 1 a) AVB-BS, weil es sich beim Coronavirus um einen meldepflichtigen Krankheitserreger handele. Die AVB-BS erforderten nur das Auftreten eines Erregers, dass für die Betriebsschließung ursächlich sei. § 1 Nr. 2 AVB-BS sei jedenfalls nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass damit der Versicherungsschutz eingeschränkt werden solle. Die Nichteinbeziehung eines namentlich im IfSG erfassten Erregers sei ferner überraschend im Sinne von § 305c II BGB und stelle eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne von § 307 BGB dar. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe auf ihre Internetseite mitgeteilt, dass Betriebsschließungen durch eine Behörde wegen des Coronavirus mitversichert seien. Der Kläger meint, ein Schadensnachweis müsse von ihm nicht geführt werden, da ein Tagessatz versichert worden sei. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen seien ebenfalls nicht anzurechnen, da sie nicht der Entlastung der Beklagten dienten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 200.010,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit 28.03.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, versichert seien nur behördliche Schließungen aufgrund von in § 1 Nr. 2 AVB-BS tabellarisch als versichert aufgeführten Krankheiten. Eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG liege nicht vor. Erst mit Wirkung ab dem 23.05.2020 sei SARS-CoV-2 als Nr. 44a) in § 7 I IfSG aufgenommen worden. Der in § 7 I Nr. 31a) IfSG aufgenommene Erreger MERS-CoV sei nicht die maßgebliche SARS-Variante. Es habe keine wirksame behördliche Anordnung im Sinne von § 1 AVB-BS gegeben, weil die Allgemeinverfügung wegen Angabe einer unzutreffenden Ermächtigungsgrundlage unwirksam gewesen sei. Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, die abgeschlossene Betriebsschließungsversicherung sichere nur betriebsinterne Gefahren ab. Sie behauptet, es habe keine behördliche Betriebsschließung, sondern nur eine Betriebseinschränkung bzw. Teilschließung gegeben. Die Beklagte moniert weiter, der Kläger habe keinen Nachweis eines durch behördliche Schließung erlittenen Schadens angetreten. Sie behauptet insofern, der tatsächliche Schaden weiche evident von der vereinbarten festen Taxe ab und dass der Umsatz des Klägers im Zeitraum 01.-17.03.2020 maximal 30% des Vorjahreszeitraumes ausgemacht habe. Der Kläger habe zudem gegen seine Schadensminderungsobliegenheit aus § 82 VVG verstoßen. Die Beklagte vertritt ferner die Auffassung, der Kläger müsse vorrangig Schadensersatzansprüche gegen den Staat gelten machen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2020 sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung, Versicherungsschein-Nr. ....

1. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 18.03.2020 bis 16.04.2020 zwischen den Parteien überhaupt noch ein Vertrag über eine Betriebsschließungsversicherung bestand.

a) Der von den Parteien geschlossene und vom Kläger vorgelegte Vertrag über eine Betriebsschließungsversicherung, Versicherungsschein-Nr. ... (Anlage K 1), begann am 29.10.2015 und endete am 21.06.2016.

b) Dieser Vertrag hat sich entgegen der offensichtlichen Annahme der Parteien nicht stillschweigend jeweils von Jahr zu Jahr verlängert mit der Folge, so dass er auch noch im Jahr 2020 fortbestehen würde. Nach dem Vertragsinhalt sollte sich der Vertrag dann stillschweigend von Jahr zu Jahr verlängern, wenn "die vereinbarte Versicherungsdauer mindestens ein Jahr" beträgt. Diese Voraussetzung ist bei der von den Parteien ursprünglich vereinbarten, nur knapp achtmonatigen Vertragslaufzeit nicht erfüllt. Die Beklagte war insoweit auch nicht etwa verpflichtet, den Kläger rechtzeitig auf das bevorstehende Ende des Versicherungsschutzes hinzuweisen (vgl. BeckOK-VVG/Filthuth, 8. Ed. Stand 01.08.2020, § 11 Rn. 7; MK-VVG/Fausten, 2. Aufl. 2016, § 11 Rn. 27).

c) Der Vertrag wurde auch nicht konkludent verlängert. An eine konkludente Verlängerung eines befristet geschlossenen Vertrages sind hohe Anforderungen zu stellen. Hierfür genügt insbesondere nicht, dass der Kläger weiterhin Beiträge bezahlt bzw. die Beklagte Beiträge ohne Widerspruch des Klägers einzieht (BeckOK-VVG/Filthuth, a.a.O. Rn. 3; MK-VVG/Fausten, a.a.O. Rn. 30; Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 30. Aufl. 2018, vor § 11 Rn. 49; Langheid/Rixecker, VVG, 6. Aufl. 2019, § 11 Rn. 3). Andere Umstände außer der Beitragszahlung, aus welchen auf einen Rechtsbindungswillen hinsichtlich einer konkludenten Vertragsverlängerung geschlossen werden könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

2. Letztlich kann diese Frage jedoch offen bleiben. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Vertrag über die Betriebsschließungsversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. ... den streitgegenständlichen Zeitraum 18.03.-16.04.2020 umfasst, liegt jedenfalls kein Versicherungsfall vor. Eine Betriebsschließung wegen Auftretens der neuartigen Krankheit Covid-19 bzw. des neuartigen Erregers SARS-CoV-2 ist nicht von der in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung umfasst.

a) Der Versicherungsfall ist im Versicherungsschein selbst nur allgemein als "Schließungsschäden infolge Infektionsgefahr" grob umrissen (Anlage K 1). Die nähere Konkretisierung des Vertragsinhalts einschließlich der unter den Versicherungsschutz fallenden Betriebsschließungen erfolgt durch die AVB-BS. Dies ist für den Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsschein auch zweifelsfrei erkennbar, da unter dem Punkt "Vertragsbestimmungen" explizit formuliert wird, dass sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien unter anderem nach den AVB-BS richten.

b) Der Versicherungsumfang wird in § 1 AVB-BS definiert. Danach fällt eine Betriebsschließung wegen des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nicht in unter den vertraglichen Versicherungsschutz.

aa) Bei der Auslegung von Versicherungsverträgen und -bedingungen ist vom Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszugehen, der ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und dabei die Interessen der Beteiligten und den erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, Einleitung Rn. 116; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 4).

bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist § 1 AVB-BS dahingehend auszulegen, dass die neuartige Erkrankung Covid-19 ebenso wenig von den Versicherungsbedingungen erfasst ist wie das neuartige Coronavirus, weil die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 AVB-BS abschließend ist.

(1) Nach der mit "Versicherungsumfang" überschriebenen Klausel § 1 Nr. 1 lit. a) AVB leistet der Versicherer Entschädigung, "wenn die zuständige Behörde [...] beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger (siehe Nr. 2)" den Betrieb schließt. Durch den Klammerzusatz "siehe Nr. 2" wird dabei für den verständigen Versicherungsnehmer nachvollziehbar verdeutlicht, dass § 1 Nr. 1 und Nr. 2 AVB-BS zusammengelesen werden müssen und folglich nur solche Krankheiten und Krankheitserreger eine Einstandspflicht des Versicherers auslösen sollen, die der Regelung des § 1 Nr. 2 AVB-BS unterfallen. Mit anderen Worten versteht der verständige Versicherungsnehmer diese Systematik so, dass es sich bei § 1 Nr. 2 AVB-BS um eine Konkretisierung bzw. nähere inhaltliche Definition von § 1 Nr. 1 AVB-BS und nicht, wie der Kläger meint, um eine Einschränkung des Versicherungsumfangs handelt.

(2) Die unter der Überschrift "meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger" stehende Regelung des § 1 Nr. 2 AVB-BS enthält schon dem Wortlaut nach ("meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind") sowie aufgrund der genannten Inbezugnahme in § 1 Nr. 1 AVB-BS erkennbar eine Definition jener Krankheiten und Erreger, für welche im Falle einer behördlichen Betriebsschließung Versicherungsschutz besteht. Diese Definition erfolgt unter Voranstellung der Formulierung "die folgenden, im Infektionsgesetz [sic] in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" mittels Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern. Diese beiden Aufzählungen erfassen weder die Krankheit Covid-19 (unter Nr. 2 lit. a)) noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 (unter Nr. 2 lit. b)).

(3) Entscheidend kommt es daher darauf an, ob die Aufzählungen in § 1 Nr. 2 lit. a) und lit. b) AVB-BS als abschließend zu verstehen sind oder aber der Einbeziehung neu aufgetretener Krankheiten und Erreger gegenüber offen sind. Diese Frage ist im erstgenannten Sinne zu entscheiden.

Bereits der Umstand einer namentlichen Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 AVB-BS legt nahe, dass der Versicherer nur für diese besonderen aufgezählten und vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will (tendenziell weitergehend LG Ellwangen, COVuR 2020, 639 Rn. 34 und Schreier, VersR 2020, 513 (515)). Zugleich wird der Versicherungsnehmer durch die Aufzählung der Krankheiten und Erreger in die Lage versetzt, im Falle einer behördlichen Anordnung schnell feststellen zu können, ob ein potentieller Versicherungsfall vorliegt.

Die eigentliche Auslegung der Regelung hat vom Wortlaut auszugehen. Bereits dieser macht durch die Voranstellung der Formulierung "die folgenden" vor der Aufzählung an Krankheiten und Krankheitserreger deutlich, dass letztere definitorisch-abschließend aufgelistet werden (ebenso Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 62; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253); a.A. Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075)). Diese erkennbare Zielrichtung der Formulierung, dass nämlich gerade nur die nachfolgend aufgeführten Krankheiten und Erreger erfasst sein sollen, wird durch den Fettdruck des Wortes "folgende" noch verstärkt.

Aus Sicht eines verständigen Verbrauchers wäre zu erwarten, dass für den Fall, dass bestimmte Krankheiten enumerativ aufgezählt werden, für die der Versicherungsfall gelten soll, es ausdrücklich klargestellt würde, wenn diese Aufzählung nicht abschließend sein soll, etwa durch Verwendung der Wörter "insbesondere", "beispielsweise" oder "etwa" (ähnlich LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 36). Derartige verbalisierte Einschränkungen enthält § 1 Nr. 2 AVB-BS gerade nicht.

Eine solche Klarstellung kann entgegen Stimmen in der Literatur (Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023); Korff, COVuR 2020, 246 (248); Reiff, COVuR 2020, 536 (537)) insbesondere nicht in der Verwendung des Wortes "namentlich" in § 1 Nr. 2 AVB-BS gesehen werden. Der Gebrauch des Wortes "namentlich" kann nur in dem Kontext der Verwendung interpretiert werden. Aus diesem Kontext erschließt sich, dass "namentlich" vorliegend gerade nicht als Synonym anstelle von "insbesondere" o.ä. verwendet wurde. So spricht § 1 Nr. 2 AVB-BS von "die folgenden, in §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger". Die Kombination des bestimmten Artikels "die", die kumulative Verwendung von "namentlich" und "folgende" sowie die Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG machen hierbei deutlich, dass das Wort "namentlich" im Sinne von "mit ihrem Namen benannt" gebraucht wird, also jene Krankheiten gemeint sind, die (auch) in §§ 6 und 7 IfSG mittels ihrer Namensbezeichnung aufgeführt werden (so im Ergebnis auch Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 63). Umgekehrt wäre, wenn "namentlich" tatsächlich als Synonym für "insbesondere" hätte verwendet werden sollen, von der Satzstellung her zu erwarten gewesen, dass das Wort zu Beginn der Satzkonstruktion stehen würde, beispielsweise also formuliert worden wäre: "Namentlich die folgenden Krankheiten". Dass allein die hier vorgenommene Auslegung des Wortes namentlich überzeugen kann, zeigt sich letztlich ganz einfach, wenn man "namentlich" im verwendeten Kontext schlicht durch "insbesondere" ersetzt: Der Satz "die folgenden, in den §§ 6 und 7 [IfSG] insbesondere genannten Krankheiten und Krankheitserreger" ergibt schlichtweg keinen Sinn.

Ein verständiger Versicherungsnehmer bezieht schließlich auch mit in die Betrachtung ein, dass Versicherer ihren Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legen und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämie setzen. Einem solchen verständigen Versicherungsnehmer muss es sich geradezu aufdrängen, dass bei einer Versicherungsprämie von wenigen hundert Euro im Jahr - vorliegend 472,50 €, im Grundfall der Vertragskonstellation sogar nur 270,- € im Jahr - einerseits und einer Leistungspflicht im Versicherungsfall im hohen fünf- oder gar sechsstelligen Bereich - vorliegend bis zu über 200.000,- € - andererseits schon wegen der extremen Diskrepanz der Beträge bei gleichzeitig fehlender Kalkulierbarkeit des Risikos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Krankheiten nicht vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen.

(4) Aus der Inbezugnahme der §§ 6 und 7 IfSG ergibt sich nichts anderes. Der in Teilen der Literatur gezogene Schluss, dass es der Nennung der §§ 6 und 7 IfSG nicht bedurft hätte, wenn die Aufzählung einen abschließenden Katalog darstelle, weshalb die Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG als dynamische Verweisung verstanden werden müsse (Armbrüster, VersR 2020, 577 (583); Fortmann, VersR 2020, 1073 (1075); Reiff, COVuR 2020, 536 (538); im Ergebnis ebenso Rolfes, VersR 2020, 1021 (1023) und Korff, COVuR 2020, 4246 (2048)), ist nicht zwingend, lässt er doch die bereits vom Wortlaut der Klausel her naheliegende Möglichkeit, dass lediglich für beide Vertragsparteien aus Gründen der Klarstellung und Transparenz wiederholend die bereits in §§ 6, 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten aufgezählt werden, völlig außer Betracht. Eine solche Interpretation wiederholende Erwähnung fügt sich in den Gesamtkontext der Norm (kumulative Verwendung mit der definitorischen Einschränkung "folgende", Syntax der Regelung; vgl. bereits unter (3)), während eine dynamische Verweisung im Gegensatz zur vorangehenden Formulierung "die folgenden" stünde.

Gegen eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG spricht ferner, dass die an die fragliche Formulierung anschließende Aufzählung gerade nicht die gesamte, zum Zeitpunkt der Verfassung der AVB-BS im Jahr 2008 geltende Regelung der §§ 6 und 7 IfSG a. F. in Bezug nimmt, sondern nur die dort seinerzeit explizit in § 6 I Nr.1-4 IfSG a.F. aufgeführten Krankheiten weitestgehend wiederholend aufzählt, während der Auffangtatbestand des § 6 I Nr. 5 IfSG ("Auftreten a) einer bedrohlichen Krankheit oder b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird") in § 1 Nr. 2 AVB-BS gerade keinen Widerhall findet (ebenso LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 35). Anders gesagt findet gerade der dynamischen Entwicklungen Rechnung tragende Teil des § 6 IfSG (vgl. hierzu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 17; Kießling/Müllmann, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 6 Rn. 15) in § 1 Nr. 2 AVB-BS keine Entsprechung. Hieraus ist zu folgern, dass die Verweisung gerade keinen dynamischen Charakter haben soll, jedenfalls keinen solchen, der auf die jeweils geltenden Normen in ihrer Gesamtheit Bezug nimmt. Auch der Umstand, dass die Aufzählung in § 1 Nr. 2 lit. a) AVB-BS jedenfalls insofern eigenständigen definitorischen Charakter hat, als sie - wenn auch geringfügig - hinter § 6 I IfSG a.F. zurückbleibt, indem sie die seinerzeit in § 6 I 1 Nr. 1 lit. d) aufgeführte humane spongiforme Enzephalopathie nicht nennt, spricht gegen das Vorliegen einer dynamischen Verweisung auf §§ 6 und 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten und allgemein auf die Regelungen der §§ 6 und 7 IfSG zu verweisen (so etwa in dem der Entscheidung LG Mannheim, BeckRS 2020, 7522 zugrunde liegenden Fall ("sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger")).

(5) Selbst wenn man eine dynamische Verweisung des § 1 Nr. 2 AVB-BS auf §§ 6, 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung unterstellt, könnte der Kläger hierauf seine Ansprüche nicht stützen. Die Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) und der Erreger SARS-CoV-2 waren im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht explizit im IfSG erwähnt und wurden erst zum 23.05.2020 unter lit. t) in § 6 I 1 Nr. 1 IfSG bzw. unter Nr. 44a in § 7 I 1 IfSG aufgenommen. Dass Covid-19 unter § 6 I 1 Nr. 5 IfSG i.d.F. vom 01.03.-22.05.2020 ("einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist") subsumiert werden konnte (siehe dazu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 18-20; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)), führt zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der nachvollziehbaren Aussparung einer dynamischen Entwicklungen Rechnung tragenden Auffangklausel (siehe dazu bereits (4)) und dem Kriterium der definitorischen Einschränkung auf die "folgenden, namentlich" genannten Krankheiten in § 1 Nr. 2 AVB-BS könnte sich eine dynamische Verweisung hinsichtlich ihrer Reichweite allenfalls auf die jeweils in der jeweils aktuellen Fassung der §§ 6, 7 IfSG namentlich bezeichneten Krankheiten und Erreger beziehen.

(6) Insgesamt ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung des § 1 AVB-BS im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne hinreichenden Zweifel, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden. Gerade im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt auch der grundlegende, wesentliche Unterschied zur Entscheidung LG München I vom 01.10.2020, COVuR 2020, 640, auf welche die Klägerseite in ihrem Schriftsatz vom 02.10.2020 offenbar Bezug nimmt. Im dortigen Fall wurde ausweislich des Versicherungsbeginns am 01.03.2020 (siehe a.a.O. Rn. 4) der Versicherungsvertrag bereits in Kenntnis der neuartigen Krankheit bzw. des neuartigen Coronavirus geschlossen.

c) Da § 1 Nr. 2 AVB als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen ist (siehe b) bb) (1)), stellt sich die Frage einer überraschenden oder den Versicherten unangemessen benachteiligenden Klausel überhaupt nicht. Der klägerische Verweis auf §§ 305c II, 307 I BGB geht mithin fehl (für eine Vereinbarkeit der Klausel mit beiden Normen indessen Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250 (253)).

d) Eine analoge Anwendung des § 1 AVB-BS wegen der Neuartigkeit des Coronavirus bzw. der von ihm ausgelösten Krankheit Covid-19 auf den Versicherungsvertrag scheidet von vornherein aus. Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH, NJW 2006, 1876 Rn. 8; Rixecker, in: Schmidt (Hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; vgl. auch BGH, NJW 1992, 753). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die Coronavirus-Pandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts (ebenso Rixecker, a.a.O. Rn. 18 u. 62; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022)). Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs (siehe b) bb)) für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (Rixecker, a.a.O. Rn. 62).

3. Da jedenfalls kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob die Allgemeinverfügungen vom 16./17.03.2020 wirksam waren, ob der Betrieb des Klägers vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend eine Summen- oder eine Schadensversicherung abgeschlossen wurde.

4. Andere Anspruchsgrundlagen für den klägerischen Anspruch bestehen nicht.

5. In Ermangelung eines Hauptsacheanspruchs besteht kein Zinsanspruch.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 u. S. 2 ZPO.

III.

Der Streitwert war in der Höhe des geltend gemachten Leistungsanspruchs festzusetzen, §§ 48 I 1 GKG, 3 ZPO.

Die Schriftsätze des Klägervertreters vom 21.09.2020 und 02.10.2020 sowie des Beklagtenvertreters vom 22.09.2020 und 30.09.2020 gaben keine Veranlassung, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten.