LG Düsseldorf, Urteil vom 28.07.2020 - 4a O 53/19
Fundstelle
openJur 2020, 75802
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an dem jeweiligen Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des EP Bein Verfahren zur Durchführung eines Online-Augensehtests anzuwenden und/oder anzubieten,

wobei das Verfahren zum Testen der Sicht eines menschlichen Subjekts dient und folgende Schritte umfasst:

a) Kalibrieren wenigstens einer physikalischen Eigenschaft einer Videoanzeigevorrichtung, so dass eine Sequenz von von der Videoanzeigevorrichtung angezeigten graphischen Objekten einer vordefinierten Erscheinung entspricht;

b) Anzeigen der Sequenz von graphischen Objekten mit der Videoanzeigevorrichtung, um eine Serie von Tests der Sichtfunktion des menschlichen Subjekts durchzuführen,

c) Aufzeichnen von in Antwort auf die Anzeige der Sequenz von graphischen Objekten ausgeführten Aktionen des menschlichen Subjekts;

d) Berechnen wenigstens eines Aspekts der Sichtfunktion des Subjekts aus den aufgezeichneten Aktionen; und

e) Berechnen wenigstens einer Korrekturlinsenverordnung für das menschliche Subjekt aus dem wenigstens einem der berechneten Aspekte der Sichtfunktion des Subjekts;

(Anspruch 1 des Klagepatents)

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 01. April 2015 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen für die das Verfahren bestimmt war,

b) der Menge der bestellten Verfahren (Sehtests) sowie der Preise, die für die Anwendung des Verfahrens bezahlt wurden;

wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Belege (nämlich Rechnungen) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

3. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 01. April 2015 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Verfahrensanwendungen, aufgeschlüsselt nach Lieferungsmengen, -zeiten, -preisen und ggf. Typenbezeichnungen verschiedener Sehtests sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;

wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger und ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger oder nicht-gewerblichen Abnehmer in der Rechnung enthalten ist.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 01. April 2015 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00. Daneben ist der Anspruch auf Unterlassung (Ziffer I.1. des Tenors) auch gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 175.000,00. Die Ansprüche auf Auskunft (Ziffer I.2. des Tenors) und Rechnungslegung (Ziffer I.3. des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 40.000,00. Die Kostenentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie auf Feststellung der Pflicht zum Leisten von Schadensersatz dem Grunde nach in Anspruch.

Die A. (nachfolgend: A) ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP B(nachfolgend: Klagepatent, vorgelegt mit Übersetzung in Anlage K4 bzw. K5). Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 28.06.2001 unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 28.06.2000 der AU C angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 30.11.2011 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents. Das Klagepatent steht in Kraft.

Anspruch 1 des Klagepatents lautet in dessen englischer Verfahrenssprache:

"A method for testing vision of a human subject, said method comprising the steps of:

(a) calibrating at least one physical characteristic of a video display device such that a sequence of graphic objects displayed by said video display device conforms to a predefined appearance;

(b) displaying said sequence of graphic objects with said video display device to perform a series of tests of the visual functioning of the human subject,

(c) recording actions of the human subject performed in response to the display of said sequence of graphic objects;

(d) calculating from said recorded actions at least one aspect of the visual functioning of the subject; and

(e) calculating at least one corrective lens prescription for the human subject from said at least one of the calculated aspects of the visual functioning of the subject."

In der deutschen Fassung der Ansprüche lautet Anspruch 1 wie folgt:

"Verfahren zum Testen der Sicht eines menschlichen Subjekts, wobei das Verfahren die Schritte umfasst:

a) Kalibrieren wenigstens einer physikalischen Eigenschaft einer Videoanzeigevorrichtung, so dass eine Sequenz von von der Videoanzeigevorrichtung angezeigten graphischen Objekten mit einer vordefinierten Erscheinung entspricht;

b) Anzeigen der Sequenz von graphischen Objekten mit der Videoanzeigevorrichtung, um eine Serie von Tests der Sichtfunktion des menschlichen Subjekts durchzuführen,

c) Aufzeichnen von in Antwort auf die Anzeige der Sequenz von graphischen Objekten ausgeführten Aktionen des menschlichen Subjekts;

d) Berechnen wenigstens eines Aspekts der Sichtfunktion des Subjekts aus den aufgezeichneten Aktionen; und

e) Berechnen wenigstens einer Korrekturlinsenverordnung für das menschliche Subjekt aus dem wenigstens einem der berechneten Aspekte der Sichtfunktion des Subjekts."

Für die nur in Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 2, 28 und 29 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage K4) verwiesen.

Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre wird nachfolgend Fig. 7 des Klagepatents verkleinert eingeblendet, die nach Abs. [0019] der Beschreibung des Klagepatents ein schematisches Datenflussdiagramm zeigt, das die Analyse von Problemen der optischen Schicht durch einen Diagnoseassistenten veranschaulicht:

Die Beklagte zu 1) bietet einen Sehtest namens "D" (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform bzw. angegriffenes Verfahren) an und führt diesen aus. Das angegriffene Verfahren ist auf der deutschsprachigen Internetseite der Beklagten zu 1) - www.D.online - enthalten (vgl. Anlage K6). Screenshots des Sehtests sind in Anlage K7 zur Akte gereicht worden. Der Beklagte zu 2) ist der Geschäftsführer der Beklagten zu 1).

Beim angegriffenen Verfahren werden Tests zum Sehvermögen eines Benutzers am Computer des Benutzers durchgeführt. Dies erfolgt über eine Client-Server-Verbindung, wobei die Server der Beklagten in Irland stehen. Am Ende des Tests greifen Mitarbeiter der Beklagten, die in den Niederlanden ansässig sind, auf die Daten auf den Servern in Irland zu und validieren die Daten. Dem Benutzer wird aus den Niederlanden ein Brillenpass zugesendet, in dem Werte für Sphäre, Achse, Zylinder und Pupillendistanz enthalten sind (vgl. Anlage K8).

Bei einem der Tests im Rahmen der angegriffenen Ausführungsform wird über JavaSkript auf dem Rechner einer Testperson ermittelt, in welcher Größe die Testperson noch ein angezeigtes "E" wahrnehmen kann. Hierzu wird auf dem Rechner eine Variable bestimmt, die ein "Level" des gerade noch wahrnehmbaren "E" angibt.

Die Klägerin behauptet, sie sei als ausschließliche Lizenznehmerin aufgrund eines "Vertrags über den Kauf geistigen Eigentums" (vorgelegt mit Übersetzung als Anlage K1 bzw. K1a; nachfolgend: der Vertrag) mit der Patentinhaberin für die Ansprüche aus dem Klagepatent aktivlegitimiert. Die Unterzeichner des Vertrages hätten auch die Klägerin bzw. die Patentinhaberin und Lizenzgeberin A beim Vertragsschluss wirksam vertreten.

Nach der Lehre des Klagepatents sollen bei der Berechnung der Korrekturlinsenverordnung Therapiewerte errechnet werden, die erforderlich sind, um den diagnostizierten Sehfehler zu korrigieren. Da die Diagnose auf einen Aspekt der Sichtfunktion des Patienten beschränkt sein kann, gelte dies auch für den Therapievorschlag. Es müsse keine vollständige, alle Sehfehler des Patienten ausgleichende Brillenverordnung am Ende des patentgemäßen Verfahrens stehen; vielmehr reiche es aus, wenn Diagnose und Therapie nur einen Aspekt der Fehlsichtigkeit betreffen - beispielsweise eine mangelnde Sehschärfe. Die Form des Therapiewerts im Rahmen der Korrekturlinsenverordnung werde vom Klagepatent nicht vorgegeben.

Bei der angegriffenen Ausführungsform werde auch der letzte Schritt des patentgemäßen Verfahrens im Inland ausgeführt. Eine Korrekturlinsenverordnung liege nicht erst dann vor, wenn ein Brillenpass hergestellt und validiert worden ist. Mit dem "Level", das der kleinsten noch erkannten Größe des "E" im Rahmen des "Growing-E"-Tests entspricht, werde aus dem "berechneten Aspekt der Sichtfunktion" des Patienten eine Korrekturlinsenverordnung in Form der Sehschärfe des Patienten im Sinne des letzten Verfahrensschritts berechnet. Dies und damit die patentgemäße Berechnung einer Korrekturlinsenverordnung werde ausschließlich vom inländischen Computer des Patienten durchgeführt.

Stelle man dagegen - wie die Beklagten - auf die Ermittlung aller für die Diagnose eines Augenoptikers erforderlichen Daten ab, müsse auch die Aushändigung des berechneten Messergebnisses an den Patienten als Teil von Anspruch 1 angesehen werden. Eine Korrekturlinsenverordnung sei - bei dieser Sichtweise - eine konkrete Handlungsanweisung an einen Optiker mit der er passende Gläser für eine Brille auswählen könne.

Bei dem angegriffenen Verfahren werde zumindest eine Korrekturlinsenverordnung für die Testperson berechnet und diese wird der Testperson bekannt gegeben, in dem die Beklagte zu 1) Brillenpässe an die Patienten in Deutschland übermittelt.

In der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2020 hat die Klägerin weiter vorgetragen, der Kern des patentgemäßen Verfahrens liege in den ersten vier Schritten, welche im Inland stattfinden.

Zu den im Rahmen von Hilfsanträgen eingefügten Merkmalen trägt die Klägerin vor, diese seien bereits in der Anmeldung des Klagepatents offenbart. Es sei zulässig, im Rahmen des Klageantrags zusätzliche Merkmale aus der Beschreibung in den Anspruch aufzunehmen.

Die Klägerin beantragt:

- wie zuerkannt, wegen der Insbesondere-Anträge wird auf die Klageschrift verwiesen. -

Hilfsweise:

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an dem jeweiligen Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des EP B ein Verfahren zur Durchführung eines Online-Augensehtests anzuwenden und/oder anzubieten,

wobei das Verfahren zum Testen der Sicht eines menschlichen Subjekts dient und folgenden Schritte umfasst:

a) Kalibrieren wenigstens einer physikalischen Eigenschaft einer Videoanzeigevorrichtung, so dass eine Sequenz von von der Videoanzeigevorrichtung angezeigten graphischen Objekten einer vordefinierten Erscheinung entspricht;

b) Anzeigen der Sequenz von graphischen Objekten mit der Videoanzeigevorrichtung, um eine Serie von Tests der Sichtfunktion des menschlichen Subjekts durchzuführen,

c) Aufzeichnen von in Antwort auf die Anzeige der Sequenz von graphischen Objekten ausgeführten Aktionen des menschlichen Subjekts;

d) Berechnen wenigstens eines Aspekts der Sichtfunktion des Subjekts aus den aufgezeichneten Aktionen;

e) Berechnen wenigstens einer Korrekturlinsenverordnung für das menschliche Subjekt aus dem wenigstens einem der berechneten Aspekte der Sichtfunktion des Subjekts; und

f) Weiterleiten der Korrekturlinsenverordnung an das menschliche Subjekt.

(Anspruch 1 des Klagepatents)

2. - grundsätzlich wie zuerkannt, aber zurückbezogen auf den Antrag zu Ziffer I.1. nach dem Hilfsantrag -

3. - grundsätzlich wie zuerkannt, aber zurückbezogen auf den Antrag zu Ziffer I.1. nach dem Hilfsantrag und ohne Wirtschafsprüfervorbehalt in Bezug auf die nichtgewerblichen Abnehmer -

II. - grundsätzlich wie zuerkannt, aber zurückbezogen auf den Antrag zu Ziffer I.1. nach dem Hilfsantrag -.

Höchst hilfsweise:

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an dem jeweiligen Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des EP B ein Verfahren zur Durchführung eines Online-Augensehtests anzuwenden und/oder anzubieten,

wobei das Verfahren zum Testen der Sicht eines menschlichen Subjekts dient und folgenden Schritte umfasst:

a) Kalibrieren wenigstens einer physikalischen Eigenschaft einer Videoanzeigevorrichtung, so dass eine Sequenz von von der Videoanzeigevorrichtung angezeigten graphischen Objekten einer vordefinierten Erscheinung entspricht;

b) Anzeigen der Sequenz von graphischen Objekten mit der Videoanzeigevorrichtung, um eine Serie von Tests der Sichtfunktion des menschlichen Subjekts durchzuführen,

c) Aufzeichnen von in Antwort auf die Anzeige der Sequenz von graphischen Objekten ausgeführten Aktionen des menschlichen Subjekts;

d) Berechnen wenigstens eines Aspekts der Sichtfunktion des Subjekts aus den aufgezeichneten Aktionen;

e) Berechnen wenigstens einer Korrekturlinsenverordnung für das menschliche Subjekt aus dem wenigstens einem der berechneten Aspekte der Sichtfunktion des Subjekts; und

f) Weiterleiten der Korrekturlinsenverordnung mittels E-Mail an das menschliche Subjekt.

(Anspruch 1 des Klagepatents)

2. - grundsätzlich wie zuerkannt, aber zurückbezogen auf den Antrag zu Ziffer I.1. nach dem höchst hilfsweisen Antrag -

3. - grundsätzlich wie zuerkannt, aber zurückbezogen auf den Antrag zu Ziffer I.1. nach dem höchst hilfsweisen Antrag und ohne Wirtschafsprüfervorbehalt in Bezug auf die nichtgewerblichen Abnehmer -

II. - grundsätzlich wie zuerkannt, aber zurückbezogen auf den Antrag zu Ziffer I.1. nach dem höchst hilfsweisen Antrag -.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen, insbesondere den wirksamen Abschluss des Vertrages (Anlage K1). In der mündlichen Verhandlung haben die Beklagten weiterhin geltend gemacht, dass sie aufgrund Ziffer 3.4 des Vertrags (Anlage K1) nicht wüssten, ob sie mit schuldbefreiender Wirkung ausschließlich an die Klägerin zahlen könnten.

Die Beklagten meinen, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Klagepatents nicht. Es fehle an einer inländischen Berechnung einer Korrekturlinsenverordnung.

Das Klagepatent verlange nicht die Aushändigung des Berechnungsergebnisses an den Patienten.

Es müsse patentgemäß eine Korrekturlinsenverordnung berechnet und nicht nur Berechnungen für diese vorgenommen werden. Die Korrekturlinsenverordnung basiere auf Untersuchungen verschiedener Aspekte der Sehkraft des Benutzers und liege noch nicht vor, wenn lediglich ein zur Korrektur eines Sehfehlers geeigneter Wert, z.B. die Sehschärfe ermittelt wird. Vielmehr werde patentgemäß die Korrekturlinsenverordnung auf Grundlange weiterer statischer und dynamischer Tests ausgestellt.

Das Verfahren der angegriffenen Ausführungsform werde nicht im Inland, sondern vielmehr in den Niederlanden abgeschlossen, wo die Berechnung der Korrekturlinsenverordnung in Form des Brillenpasses erfolge. Dass die kommerzielle Verwertung im Inland erfolge, sei für die Annahme einer inländischen Patentverletzung nicht ausreichend.

Die im Rahmen der angegriffenen Ausführungsform ermittelte Sehschärfe sei keine Korrekturlinsenverordnung im Sinne des Klagepatents. Die Untersuchung der Sehschärfe (etwa anhand einer "Growing E"-Untersuchung) sei nach der Lehre des Klagepatents nur eine Vorprüfung, anhand der entschieden wird, ob weitere Untersuchungen erforderlich sind.

Im Übrigen stellten die "Levels" der Sehschärfe noch keine Berechnung der Sehschärfe dar. Hierzu würden noch weitere Daten wie der Abstand zum Bildschirm und den verwendeten Optotypen an den Server in Irland übermittelt. Auf dem Endgerät des Benutzers finde eine Berechnung nicht statt. Es sei nicht möglich, aus einem "Level" ohne weitere Analyseschritte oder Untersuchungen einen Dioptrie-Wert zu ermitteln.

In der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2020 haben die Beklagten ferner vorgetragen, die Klägerin könne nicht im Rahmen der Hilfsanträge Merkmale aus der Beschreibung dem Anspruch hinzufügen. Die hinzugefügten Merkmale seien jeweils auch nicht ursprungsoffenbart.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 19.12.2019 (Bl. 70 GA) der Klägerin auferlegt, den Beklagten Sicherheit in Höhe von EUR 58.000,00 wegen der Prozesskosten zu leisten. Die Klägerin hat diesen Betrag beim Amtsgericht München hinterlegt (vgl. die Hinterlegungsanordnung vom 11.03.2020, Bl. 94 f. GA).

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2020 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist als ausschließliche Lizenznehmerin für die geltend gemachten Ansprüche aktivlegitimiert (hierzu unter I.). Der angegriffene Sehtest (angegriffene Ausführungsform) verwirklicht im Inland bzw. dem Inland zurechenbar alle Merkmale des geltend gemachten Anspruchs (hierzu unter II.), so dass der Klägerin gegen die Beklagten die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zustehen (hierzu unter III.).

I.

Die Klägerin ist als ausschließliche Lizenznehmerin am Klagepatent aktivlegitimiert.

1.

Der ausschließliche Lizenznehmer kann selbstständig Ansprüche wegen der Beeinträchtigung seines ausschließlichen Nutzungsrechts geltend machen (BGH, GRUR 2004, 758, 763 - Flügelradzähler; OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 137, 139 - Bakterienkultivierung; Benkard PatG/Grabinski/Zülch, 11. Aufl. 2015, PatG § 139 Rn. 17; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. D. Rn. 142).

Dass der Vertrag (Anlage K1) der Klägerin eine ausschließliche Lizenz am Klagepatent vermittelt, wurde von den Beklagten zutreffend nicht in Abrede gestellt.

2.

Die Klägerin (damals unter E firmierend) hat mit der Patentinhaberin A am 01.04.2015 den Vertrag in Anlage K1 auch wirksam geschlossen. Soweit die Beklagten die Wirksamkeit des Lizenzvertragsschlusses bestritten haben, haben sie dies nicht mehr weiterverfolgt, nachdem die Klägerin verschiedene Dokumente zum Nachweis vorgelegt hat:

a)

Der Vertrag wurde für die Klägerin von ihrem damaligen CEO F wirksam geschlossen. Die Klägerin firmierte damals noch als E und ist 2018 in G. umbenannt worden (vgl. Anlage K3/K3a).

Die Echtheit der Unterschrift von Herrn F auf den Vertrag hat die Klägerin mit Hilfe einer Führerscheinkopie (Anlage K22) dargelegt und hierzu auch eine eidesstattliche Versicherung von Herrn F (Anlage K23) vorgelegt.

Dieser war auch vertretungsbefugt, wie aus dem Aufsichtsratsbeschluss vom 10.09.2013 (Anlage K2) hervorgeht, durch den F zum CEO der Klägerin bestellt wurde. Die Echtheit der Unterschriften auf dem Aufsichtsratsbeschluss vom 10.09.2013 hat die Klägerin für Herrn F dadurch dargetan, dass die Unterschrift dieselbe ist, wie auf dem Vertrag; weiterhin hat sie den Führerschein von Herrn F vorgelegt (Anlage K22). Für Herrn Lee hat die Klägerin eine Vergleichsunterschrift vorgelegt.

Die Vertretungsbefugnis von Herrn F, als CEO für die Klägerin Verträge abzuschließen, ergibt sich aus den "Bylaws" der Klägerin (Anlage K21).

Dass Herr F im Zeitpunkt des Vertragsschlusses des Lizenzvertrages (am 11.04.2015) noch vertretungsberechtigter CEO war, belegt das "Separation Agreement" vom 30.12.2016 (Anlage K20), gemäß dem er erst am 03.12.2016 ausscheiden sollte.

Nachdem die Klägerin ihren Vortrag in der Replik ergänzt und die genannten Anlagen vorgelegt hat, haben die Beklagten den Vertragsschluss für die Klägerin nicht mehr bestritten.

b)

Die Beklagten haben in der Klageerwiderung die Herkunft der Unterschriften und die Vertretungsbefugnis bestritten, soweit der Vertragsschluss auf Seiten der A (der Patentinhaberin) betroffen ist. Jedoch steht dies zur Überzeugung des Gerichts fest. Nach Vorlage weiterer Unterlagen in der Replik sind die Beklagten auf diesen Punkt nicht mehr eingegangen.

Für die Patentinhaberin A haben H und I den Vertrag wirksam unterzeichnet.

aa)

Zum Nachweis der Urheberschaft der Unterschriften hat die Klägerin Kopien der Führerscheine der Herren H (Anlage K18) und I (Anlage K19) vorgelegt und dargelegt, dass die Unterschriften auf dem Vertragsdokument (Anlage K1) von Herrn H und von Herrn I denen auf den Führerscheinen entsprechen.

bb)

Diese Personen waren jeweils "Director" der A, wie aus dem in Anlage K14 (Übersetzung in Anlage K14a) vorgelegten Auszug der "Australian Securities and Investment Commission" hervorgeht.

Die Vertretungsmacht der "Directors" für die A ergibt sich aus Sec. 127 Abs. 1 und Sec. 129 Abs. 3 Australian Corporations Act (vorgelegt in Anlage K17).

3.

Der Aktivlegitimation steht - worauf sich die Beklagten zuletzt alleine berufen haben -Ziffer 3.4 des Vertrages nach Anlage K1 nicht entgegen. Hierin heißt es (in deutscher Übersetzung):

"Die Käuferin hat das ausschließliche Recht, nach eigenen Ermessen das geistige Eigentum von A für jede vergangene oder zukünftige Verletzung geltend zu machen. (...) Alle Einnahmen, die sich aus der Geltendmachung von geistigen Eigentum von A währen der Zahlungsfrist ergeben, werden abzüglich der Kosten (einschließlich der Anwaltskosten) wie folgt aufgeteilt: 20 % gehen an die Verkäuferin (...), der Rest steht der Käuferin zu."

Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 16.06.2020 vorgetragen haben, aufgrund dieser Regelung sei für sie unklar, ob sie mit schuldbefreiender Wirkung (nur) an die Klägerin leisten könnte, greift dies nicht durch.

Die Regelung in Ziffer 3.4 betrifft nur das Innenverhältnis zwischen der Klägerin und der Patentinhaberin. Dies ist schon daran ersichtlich, dass zunächst die Kosten abzuziehen sind und erst dann eine Aufteilung - intern - erfolgt. Ein Abzug der Kosten könnte aber nicht vorgenommen werden, wenn ein Patentverletzer unmittelbar 20 % des Schadensersatzes an die Patentinhaberin leistet.

II.

Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch, wobei dieser Gebrauch im Inland erfolgt bzw. dem Inland zugerechnet werden kann.

1.

Das Klagepatent (nachfolgend entstammen Abs. ohne Quellenangabe dem Klagepatent) betrifft Sehtests für Menschen und insbesondere linsenlose Tests des Sehvermögens unter Verwendung von Videobildschirmen (Abs. [0001]).

In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagepatent zunächst die Bedeutung des Sehens für das tägliche Leben eines Menschen. Wenn sich das Sehvermögen einer Person verschlechtert, dann meist auch die Lebensqualität des Menschen. Das Sehen kann gemäß Abs. [0003] des Klagepatents in drei konzeptionelle Schichten unterteilt werden - die optische Schicht (Bezugsziffer 100 in Fig. 1); die Funktionsschicht (102) und die Wahrnehmungsschicht 106.

Weiter schildert das Klagepatent, dass während des letzten Jahrhunderts viele Tests entwickelt worden seien, um Aspekte des Sehprozesses zu messen. Augenärzte, Augenoptiker und Neurologen hätten die Durchführung von Tests und die Behandlung der mit dem Sehen verbundenen Probleme zwischen sich aufgeteilt (Abs. [0005]).

Aus Sicht des Klagepatents sei es Routine für die Menschen, bei Sehproblemen einen Augenarzt zu aufzusuchen, um ihre Augen untersucht zu bekommen. Weiter schildert das Klagepatent, dass die US J eine Ausrüstung offenbart, die vom Optiker zur Untersuchung verwendet wird und die hauptsächlich auf Linsen basiert.

An derartigen Ausrüstungen kritisiert das Klagepatent, dass sie oft schwer, sperrig und sehr empfindlich seien. Sie seien im Allgemeinen nicht für den Transport geeignet und oft ziemlich teuer. Folglich seien Menschen, denen Mobilität fehlt oder die weit entfernt von Städten oder Großstädten leben, durch mangelnde augenärztliche Vorsorge benachteiligt. Wenn Augenoptiker reisen, würden in der Regel nur wenige Linsen für diagnostische Zwecke verwendet, weshalb die durchgeführte Untersuchung möglicherweise nicht so gründlich seien, wie mit Hilfe der oben genannten, typischen Ausrüstung (Abs. [0006]).

Das Klagepatent erwähnt ferner die US K, die ein interaktives Gerät zur Messung der Augenrefraktion offenbart, und die US L, in der ein Sehschärfetestgerät mit Handfernbedienung und Verordnungsberechnung beschrieben wird (Abs. [0007] f.).

Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Klagepatent als wünschenswert, optische Untersuchungen ohne sperrige, im Allgemeinen immobile und teure Ausrüstung durchführen zu können (Abs. [0009]). Als Aufgabe bezeichnet es das Klagepatent allgemein, "eine oder mehrere der Nachteile zu überwinden oder zumindest zu lindern" (Abs. [0010]).

2.

Zur Lösung schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 ein Verfahren vor, das sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lässt:

Verfahren zum Testen der Sicht eines menschlichen Subjekts, wobei das Verfahren die Schritte umfasst:

1 Kalibrieren wenigstens einer physikalischen Eigenschaft einer Videoanzeigevorrichtung, so dass eine Sequenz von von der Videoanzeigevorrichtung angezeigten graphischen Objekten mit einer vordefinierten Erscheinung entspricht;

2 Anzeigen der Sequenz von graphischen Objekten mit der Videoanzeigevorrichtung, um eine Serie von Tests der Sichtfunktion des menschlichen Subjekts durchzuführen;

3 Aufzeichnen von in Antwort auf die Anzeige der Sequenz von graphischen Objekten ausgeführten Aktionen des menschlichen Subjekts;

4 Berechnen wenigstens eines Aspekts der Sichtfunktion des Subjekts aus den aufgezeichneten Aktionen; und

5 Berechnen wenigstens einer Korrekturlinsenverordnung für das menschliche Subjekt aus dem wenigstens einem der berechneten Aspekte der Sichtfunktion des Subjekts.

3.

Das Klagepatent schützt ein Sehtest-Verfahren, das aus einem Sehtest (Merkmale 1 bis 3) und der Verarbeitung des Sehtests zu einer Korrekturlinsenverordnung (Merkmale 4 und 5) besteht (vgl. Abs. [0021]).

a)

Im Rahmen des Verfahrens soll zunächst nach Merkmal 1 die Videoanzeigevorrichtung - etwa ein Monitor - kalibriert werden. Hiermit soll sichergestellt werden, dass die Testergebnisse nicht aufgrund unterschiedlicher Hardware bzw. Unterschieden in der Darstellung verzerrt werden. Zum Kalibrieren kann beispielsweise eine Kreditkarte genutzt werden, die an den Bildschirm gehalten wird (vgl. Abs. [0042]).

Nach der Kalibrierung wird der eigentliche Test durchgeführt, indem graphische Objekte auf der Videoanzeigevorrichtung angezeigt werden (Merkmal 2). Die vom "menschlichen Subjekt" (nachfolgend auch Testperson genannt) als Reaktion auf die Anzeige ausgeführte Aktionen sollen aufgezeichnet werden. Diese Reaktionen können etwa in der Betätigung einer Tastatur liegen, mit denen die Testperson eingibt, ob sie ein angezeigtes graphisches Objekt erkannt hat bzw. was sie erkannt hat (Merkmal 3).

b)

Aus den aufgezeichneten Aktionen wird dann mindestens ein Aspekt der Sichtfunktion der Testperson berechnet (Merkmal 4).

Schließlich soll aus dem berechneten mindestens einen Aspekt eine Korrekturlinsenverordnung berechnet werden (Merkmal 5). Die Korrekturlinsenverordnung stellt das Ergebnis des beanspruchten Sehtest-Verfahrens dar. Sie umfasst einen Therapievorschlag für wenigstens einen Aspekt der Sichtfunktion der Testperson. Sie muss über die Feststellung eines Aspekts der Sichtfunktion nach Merkmal 4 hinausgehen. Es muss ein Wert vorliegen, der für die Therapie der Sichtfunktion unmittelbar genutzt werden kann und sich entsprechend auf die Korrekturlinsen bezieht und nicht unmittelbar auf die Testperson. Die Aushändigung der Korrekturlinsenverordnung ist dagegen nicht Teil der beanspruchten Lehre.

aa)

Merkmal 5 enthält einen weitergehenden Berechnungsschritt, der auf dem Berechnungsschritt gemäß Merkmal 4 aufbaut. Die Korrekturlinsenverordnung muss sich demnach von dem "Aspekt der Sichtfunktion" zunächst insoweit unterscheiden, dass die Korrekturlinsenverordnung erst durch eine weitere Berechnung geschaffen wird. Während sich das Ergebnis der Berechnung in Merkmal 4 auf die Sichtfunktion der Testperson bezieht, zielt Merkmal 5 auf die Schaffung einer Korrekturlinsenverordnung ab. Dies verdeutlicht bereits der Wortlaut "Korrekturlinsenverordnung" ("corrective lense prescription" in der nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen, englischen Verfahrenssprache des Klagepatents).

bb)

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind "Diagnoserohdaten" noch keine berechnete Korrekturlinsenverordnung. Dies zeigt insbesondere Abs. [0028] nicht. Die hier beschriebenen Daten stellen keine Korrekturlinsenverordnung dar. Eine solche liegt erst vor, nachdem die Daten in einem Diagnose-Assistenzprogramm 700 analysiert worden sind.

cc)

Das Bereitstellen der Korrekturlinsenverordnung an die Testperson gehört nicht zum beanspruchten Verfahren. Merkmal 5 verlangt nur eine Berechnung der Korrekturlinsenverordnung - was mit dieser geschieht, liegt außerhalb der geschützten Lehre. Das Verfahren ist mit der Berechnung der Korrekturlinsenverordnung abgeschlossen. Der Wortlaut "berechnen" enthält keinen Anhaltspunkt, dass neben der Ermittlungen auch weitergehende Handlungen (wie eine Weiterleitung) umfasst sind. Nach der Lehre des Klagepatents ist es auch nicht erforderlich, dass die berechnete Korrekturlinsenverordnung verschriftlich werden muss.

4.

Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß.

Die (inländische) Verwirklichung der Merkmale 1 bis 4 ist zwischen den Parteien zu Recht nicht streitig, so dass weitere Ausführungen hierzu entbehrlich sind. Aber auch das zwischen den Parteien streitige Merkmal 5,

"5 Berechnen wenigstens einer Korrekturlinsenverordnung für das menschliche Subjekt aus dem wenigstens einem der berechneten Aspekte der Sichtfunktion des Subjekts",

wird von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht, wobei dessen Verwirklichung auch dem Inland zugerechnet werden kann.

a)

Nach § 9 S. 2 Nr. 2 PatG ist es jedem Dritten verboten, ohne Zustimmung des Patentinhabers ein geschütztes Verfahren anzuwenden oder es zur Anwendung im Inland anzubieten. Ein Verfahrensanspruch wird grundsätzlich nur dann benutzt, wenn das Verfahren im Inland angewendet wird oder kraft des Angebots angewendet werden soll. Die Anwendung eines Verfahrens im Ausland stellt keine Patentverletzung dar.

aa)

Damit eine Handlung als Verletzung eines inländischen Schutzrechts in Betracht kommt, muss sie eine hinreichende Beziehung zum Inland aufweisen (vgl. Kraßer/Ann, PatR, 7. Aufl. 2016, § 33 Rn. 43 - S. 786). Zutreffend geht das OLG Düsseldorf davon aus, dass bei einem Verfahren, das teilweise im Inland, teilweise im Ausland angewendet wird, eine Zurechnung der im Ausland begangenen Teilakte des geschützten Verfahrens erfolgen kann, wenn der Täter sie sich für einen im Inland eintretenden Verletzungserfolg zu Eigen macht (OLG Düsseldorf, InstGE 11, 203 - Prepaid-Telefonkarte; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl. 2016, § 9 Rn. 138 m.w.N. auch zu anderen Ansichten). Ob im Ausland vollzogene Verfahrensschritte für die Herbeiführung eines inländischen Erfindungserfolges herangezogen und genutzt werden, beurteilt sich nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf anhand des Patentanspruchs mit seinen technischen Merkmalen. Für die patentrechtliche Beurteilung ist es ausschlaggebend, dass es bei der gegebenen Anspruchsfassung im Ausland zum vollständigen Abschluss des patentierten Verfahrens und infolge dessen zum vollständigen Eintritt des Erfindungserfolges kommt (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2017, 109826 Rn. 41 - Pränatale Diagnostik). Die (anschließende) kommerzielle Verwertung des ausländischen Verletzungserfolgs zielgerichtet im Inland allein stellt keine inländische Verletzung eines Verfahrensanspruchs dar (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2017, 109826 Rn. 42 m.w.N. - Pränatale Diagnostik).

Erst wenn eine Zurechnung hiernach zu bejahen ist, kommt es zur Haftungsbegrenzung in wirtschaftlichnormativer Betrachtung darauf an, ob das zu Eigen gemachte ausländische Handeln zielgerichtet auf eine Wirkung im inländischen Markt zugeschnitten ist. Das letztgenannte Kriterium suspendiert also nicht vom Zueigenmachen für den inländischen Erfindungserfolg, sondern stellt eine weitere Zurechnungs- und Haftungsbedingung bei ausländischen Teilakten dar (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2017, 109826 Rn. 40 - Pränatale Diagnostik).

bb)

Eine Zurechnung kann aber auch dann möglich sein, wenn der letzte Verfahrensschritt nicht im Inland ausgeführt wird. Der vom OLG Düsseldorf angesprochene inländische Erfindungserfolg kann nicht nur in dem Abschluss des beanspruchten Verfahrens im Inland gesehen werden, sondern auch in dem inländischen Erreichen der angestrebten Vorteile einer Erfindung. Treten die Vorteile eines patentgemäßen Verfahrens aufgrund von im Inland ausgeführten Verfahrensschritte ein und entfalten sie zudem ihre Wirkung im Inland, kann ein inländischer Erfindungserfolg - und damit eine Zurechnung - auch dann bejaht werden, wenn das Verfahren erst im Ausland abgeschlossen wird. Dies gilt insbesondere, wenn der im Ausland ausgeführte, letzte Verfahrensschritt keinen relevanten Beitrag zu den Vorteilen der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik leistet.

Wenn man hiernach eine Zurechnung bejaht, muss im zweiten Schritt zur Haftungsbegrenzung eine wirtschaftlichnormative Betrachtung vorgenommen werden - wie in Fällen, in denen der letzte Verfahrensschritt im Inland erfolgt (OLG Düsseldorf, InstGE 11, 203 - Prepaid-Telefonkarte). Nur dann, wenn das zu Eigen gemachte ausländische Handeln zielgerichtet auf eine Wirkung im inländischen Markt zugeschnitten ist, kann eine inländische Benutzung bejaht werden.

(1)

Die Zurechnung bei Verfahren, bei denen der letzte Verfahrensschritt im Ausland stattfindet, erfordert eine wertende Betrachtung der einzelnen Merkmale und wie diese zum Erfindungsergebnis beitragen. Zwar sind alle Merkmale grundsätzlich gleichwertig (vgl. Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 10), jedoch ist auch im Rahmen der Frage, ob ein Austausch von Teilen eine (Neu-) Herstellung des geschützten Gegenstands darstellt, relevant, ob sich gerade in den ausgetauschten Teilen die technischen Wirkungen der Erfindung widerspiegeln (vgl. BGH, GRUR 2018, 170 - Trommeleinheit; BGH, GRUR 2004, 758 - Flügelradzähler). Entsprechend ist bei einer wertenden Betrachtung hinsichtlich der Zurechnung im Ausland ausgeführter Verfahrensschritte zu berücksichtigen, welche Bedeutung die im Inland und im Ausland erfolgende Verfahrensschritte jeweils für die Vorteile der Erfindung haben.

(2)

Um Schutzlücken zu vermeiden, besteht nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf die grundsätzliche Möglichkeit, ausländische Verfahrensschritte dem Inland zuzurechnen. Die Gründe für eine solche Zurechnung können aber auch dann bestehen, wenn der letzte Verfahrensschritt im Ausland ausgeführt wird:

Ein Patent soll dem Erfinder einen gerechten Lohn für die von ihm ersonnene technische Lehre geben; die Möglichkeit, für eine Erfindung Patentschutz zu erlangen, soll zudem potenzielle Erfinder anspornen und ihnen einen Anreiz bieten, ihre Erfindung zu offenbaren. Diese Zielsetzungen würden in Teilbereichen der Technik praktisch ausgehebelt, wenn für ein Verfahren zwar ein Patent erteilt werden kann, dieses aber letztlich in keinem Land durchgesetzt werden kann, weil man die Ausführung des Verfahrens auf mehrere Länder aufteilen kann.

Auch ist anerkannt, dass weder der Anmelder noch die Patentämter in der Lage sind, die zahlreichenden Möglichkeiten der konkreten technischen Ausgestaltungen einer beanspruchten Lehre zum technischem Handeln im Wortlaut des Patentanspruchs vollständig zu erfassen (Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 99). Auf Basis dieser Problemstellung wurde das Institut der äquivalenten Patentverletzung entwickelt. Vergleichbare Schwierigkeiten können aber auch darin bestehen, den Anspruch eines Verfahrenspatents so zu formulieren, dass der letzte Verfahrensschritt im Inland vorgenommen werden muss. Dieses Problem besteht gerade bei Verfahren, die auf Computer-Systemen ablaufen und Rechenschritte über das Internet praktisch an jedem Ort der Welt ausgelagert werden können.

Hiernach erscheint es geboten, eine inländische Verletzung eines Verfahrensanspruchs auch dann annehmen zu können, wenn Teile des Verfahrens im Ausland durchgeführt werden, aber die patentgemäßen Vorteile aufgrund von im Inland ausgeführten Verfahrensschritte eintreten und zudem ihre Wirkung im Inland entfalten.

b)

Hiernach kann eine Verwirklichung von Merkmal 5 dem Inland zurechenbar festgestellt werden.

Die Beklagten erstellen in den Niederlanden einen Brillenpass und senden diesen nach Zahlung durch den Benutzer nach Deutschland an die Testperson. Bei der Erzeugung des Brillenpasses wird eine Korrekturlinsenverordnung berechnet. Dies ist im Ergebnis zwischen den Parteien unstreitig.

Die hierin liegende Verwirklichung von Merkmal 5 lässt sich auch dem Inland zurechnen.

aa)

Die Verwirklichung von Merkmal 5 ist allerdings nicht deshalb als inländische zu qualifizieren, weil die berechnete Korrekturlinsenverordnung nach Deutschland gesendet wird. Wie oben ausgeführt wurde, ist weder die Übersendung Teil der Lehre von Merkmal 5, noch kann eine Zurechnung alleine mit der so erfolgenden, inländischen kommerziellen Verwertung begründet werden.

bb)

Vielmehr ergibt sich die Zurechnung von Merkmal 5 als inländischer Verfahrensschritt aus dessen technischer Bedeutung dieses Merkmals im Gesamtfüge von Anspruch 1. Die erfindungsgemäßen Vorteile werden durch die Schritte gemäß der Merkmale 1 bis 3 erreicht. Zwar findet das geschützte Verfahren erst mit Merkmal 5 und der Berechnung der Korrekturlinsenverordnung seinen Abschluss - zu den Zielen der beanspruchten Lehre trägt dieser Schritt aber letztlich nichts Wesentliches bei.

(1)

Bei dem Klagepatent stimmt die objektive Aufgabe mit der subjektiven Aufgabenstellung (vgl. Abs. [0010]) überein (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.10.2019 - I-15 U 65/17 - Rn. 12 bei Juris). Die Lehre des Klagepatents strebt an, optische Untersuchungen ohne sperrige, im Allgemeinen immobile und teure Ausrüstung durchführen zu können (Abs. [0009]) und leistet dies auch gegenüber dem Stand der Technik (vgl. BGH, GRUR 2010, 602 - Gelenkanordnung).

Wie ein herkömmlicher Sehtest dem Augenarzt oder Optiker am Ende einen Hinweis auf die zur Therapie erforderlichen Brillengläser oder Kontaktlinsen gibt, soll patentgemäß eine hierzu grundsätzlich gleichwertige Korrekturlinsenverordnung berechnet werden. Bereits die einleitende Beschreibung ergibt, dass das Klagepatent nicht das Ergebnis herkömmlicher Sehtest-Verfahren modifizieren will. Vielmehr soll der Sehtest nur so ausgestaltet sein muss, dass auf eine "sperrige, im Allgemeinen immobile und teure Ausrüstung" (Abs. [0009]) verzichtet werden kann.

Hierzu sieht das Klagepatent gemäß der Merkmale 1 bis 3 den Einsatz einer kalibrierten Videoanzeigevorrichtung und die Speicherung der Daten vor, so dass das Verfahren an einem PC, insbesondere über das Internet, durchgeführt werden kann. Dies macht den Einsatz von Linsen und anderen Ausrüstungen überflüssig. Dies verdeutlicht das Klagepatent auch in Abs. [0020]:

"[0020] Der Sehtest in einer Augenklinik beinhaltet normalerweise die weitgehende Verwendung von Linsen. Hierin offenbart ist ein Sehanalysesystem, für das keine Linsen erforderlich ist. Der Verzicht auf Linsen erfolgt aufgrund eines computerbasierten Sehtestsystems mit Programmen, mit denen Sehtests auf einem Videodisplay durchgeführt werden können wie z. B. einem Computermonitor. Der Test kann an einem von einem Augenoptiker an einem entfernten Ort durchgeführt werden."

Das Klagepatent unterscheidet zwischen Sehtest und Sehtestdiagnose (vgl. Abs. [0021]). Der Sehtest ist in den Merkmalen 1 bis 3 so spezifiziert, dass der Einsatz von Linsen überflüssig ist. Dagegen unterscheidet sich die Sehtestdiagnose gemäß den Merkmalen 4 und 5 nicht vom Stand der Technik. Die gemäß diesen Merkmalen erfolgenden Berechnungen tragen zum Verzicht auf Linsen oder ähnliche Gerätschaften nichts bei. Die Verarbeitung der Messergebnisse in eine Korrekturlinsenverordnung hat keinen Einfluss auf die Gerätschaften, die für das Sehtestverfahren erforderlich sind. Die für die Wirkung der Erfindung wesentlichen Vorteile werden damit alleine aufgrund der Lehre in den Merkmalen 1 bis 3 erreicht.

Im Verfahrensschritt nach Merkmal 5 wird ein Wert, der sich auf die Sichtfunktion bezieht in eine Korrekturlinsenverordnung umgerechnet. Hierdurch wird das Ergebnis des Sehtests gewissermaßen "verfeinert" und in ein Format gebracht, mit dem eine Korrekturlinse erstellt werden kann. Dies fördert jedoch nicht das Erreichen der von der patentgemäßen Lehre angestrebten Vorteile. Das Klagepatent strebt keine verbesserte Korrekturlinsenverordnung an, sondern nur einen Erleichterung des Testverfahrens, auf deren Grundlage eine solche berechnet werden kann.

(2)

Bei der angegriffenen Ausführungsform werden die Merkmale 1 bis 4 im Inland verwirklicht. Hier treten auch die Vorteile der Erfindung ein, denn im Inland wird durch die geschützte Lehre der Einsatz von Linsen oder anderer Ausrüstungsgegenstände unnötig. Der eigentliche Sehtest und auch die Berechnung eines Aspekts der Sichtfunktion der Testperson (Merkmal 4) in Form der Errechnung des "Levels" des noch sichtbaren "E" erfolgen im Inland. Zudem wirken die inländischen Verfahrensschritte im Schritt nach Merkmal 5 fort. Es erfolgt im Ausland nur eine weitere Umrechnung, der im Inland gewonnen Daten.

(3)

Wie oben ausgeführt, ist für die Zurechnung im zweiten Schritt eine wirtschaftlichnormative Betrachtung erforderlich. Diese ergibt hier die Zurechenbarkeit von Merkmal 5. Die Ausgangsdaten für Merkmal 5 werden im Inland erfasst und der berechnete Brillenpass wird nach Deutschland gesendet. Die kommerzielle Nutzung der patentgemäßen Lehre erfolgt ausschließlich im Inland, da hier die Umsätze generiert werden. Ferner ist der Brillenpass spezifisch auf einen inländischen Kunden der Beklagten zugeschnitten.

cc)

Der hiesige Sachverhalt unterscheidet sich in relevanter Weise von der Entscheidung "Pränatale Diagnostik" des OLG Düsseldorf (GRUR-RS 2017, 109826). In dem dortigen, geschützten Verfahren fand nur die Entnahme einer maternalen Blutprobe im Inland statt. Das anschließende Analyseverfahren zum Durchführen einer pränatalen Diagnose erfolgte nach Übersendung der Blutprobe dann vollständig im Ausland, einschließlich des Verfahrensabschlusses. Die für die Vorteile des beanspruchten Verfahrens relevanten Verfahrensschritte fanden ausschließlich im Ausland statt.

III.

Aufgrund der festgestellten Patentverletzung stehen der Klägerin gegen die Beklagten die geltend gemachten Ansprüche zu, wobei der Beklagte zu 2) aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) haftet (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2015 - X ZR 30/14 - Glasfasern II).

1.

Die Beklagten sind der Klägerin gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet.

2.

Die Klägerin hat ferner gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG).

Als Fachunternehmen hätten die Beklagten die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.

Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.

Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG.

Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihre Schadensersatzansprüche zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagten ferner ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 100, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S. 1, 2 ZPO. Auf Antrag der Klägerin wurden Teilsicherheiten für die gesonderte Vollstreckbarkeit der einzelnen Ansprüche festgesetzt.

V.

Der Streitwert wird auf EUR 250.000,00 festgesetzt, wovon EUR 35.000,00 auf den gesamtschuldnerischen Anspruch auf Schadensersatzfeststellung entfallen.

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