OLG Hamburg, Beschluss vom 03.06.2020 - 3 W 41/20
Fundstelle
openJur 2020, 75223
  • Rkr:

1. Bei einer Arzneimittelwerbung im Internet – nicht nur bei sogenannten Adword-Anzeigen – kann die auf die Pflichtangaben direkt verlinkte Angabe „Pflichttext“, die der Werbeanzeige zugeordnet und von der Schrifttype her problemlos lesbar sowie grafisch hervorgehoben ist, die Voraussetzungen des § 4 HWG erfüllen.

2. Mit Blick auf § 51 Abs. 4 GKG ist für den Streitwert des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegenüber dem des Hauptsacheverfahrens regelmäßig ein Abschlag von 20 % vorzunehmen.

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.04.2020, Az. 416 HKO 59/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens sowie des Erlassverfahrens - insoweit in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg vom 20.04.2020 - wird jeweils auf € 80.000,00 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.04.2020 hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen. Der Antragstellerin stehen die geltend gemachten Verfügungsansprüche nicht zu.

I.

Der Antragstellerin steht der mit dem Antrag zu 1.a geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Streitgegenständlich ist insoweit die Werbung für das Arzneimittel „B12 A.“ in der konkreten Verletzungsform der Anlage ASt 7 (Bezeichnung in der Antragsschrift, die Anlage selbst ist als Anlage C7 bezeichnet). Diese wird ausweislich der in den Tenor aufgenommenen Begründung unter dem Gesichtspunkt beanstandet, dass dadurch der fälschliche Eindruck erweckt werde, „das Arzneimittel sei unabhängig von einem diagnostizierten Vitamin B12-Mangel bei Müdigkeit, Erschöpfung und/oder Konzentrationsproblemen anwendbar“.

Der mit diesem Antrag geltend gemachte Anspruch steht der Antragstellerin weder unter dem Gesichtspunkt der Werbung außerhalb der Indikation (§ 3a HWG) noch unter dem Gesichtspunkt der Irreführung (§ 3 HWG, § 5 Abs. 1 UWG) zu. Die beanstandete Werbung ruft nämlich nicht den im Antragstenor behaupteten Eindruck hervor, dass das beworbene Arzneimittel unabhängig von einem Vitamin-B12-Mangel bei Müdigkeit, Erschöpfung und/oder Konzentrationsproblemen anwendbar sei. Zwar werden diese Symptome bereits in der Überschrift genannt (“Müde, erschöpft und unkonzentriert?“), jedoch nur indem sie als mögliche Folgen eines Vitamin-B12-Mangels dargestellt werden (“Vitamin B12-Mangel kann die Ursache sein“). In dem Anzeigetext wird an keiner Stelle der Eindruck vermittelt, das Präparat sei unabhängig von einem Vitamin-B12-Mangel anwendbar. Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass der Vitamin-B12-Mangel in der streitgegenständlichen Werbung vielmehr an zahlreichen Stellen genannt und das Präparat der Antragsgegnerin allein in diesem Zusammenhang beworben wird. In dem hervorgehobenen grauen Kasten heißt es etwa: „B12 A. ®: Die Antwort auf Vitamin B12-Mangel“. Im Fließtext wird zu den beworbenen Tabletten u. a. ausgeführt: „Sie können einen Mangel selbst bei Aufnahmestörungen im Darm zuverlässig ausgleichen. (...) Die hochdosierte orale Einnahme gilt daher heute als die moderne, sichere und bequeme Art, einen Vitamin B12-Mangel und damit verbundene Beschwerden wie Erschöpfung und Konzentrationsstörungen zu behandeln.“ Es erscheint fernliegend, dass die angesprochenen Verkehrskreise, zu denen auch die Mitglieder des Senats zählen, aufgrund dieser Anzeige annehmen könnten, dass das beworbene Arzneimittel auch unabhängig von einem Vitamin-B12-Mangel angewendet werden könne. Dass die genannten Zustände der Müdigkeit, Erschöpfung sowie Konzentrationsprobleme tatsächlich Symptome eines Vitamin-B12-Mangels sein können, nimmt die Antragstellerin nicht in Abrede. Die beanstandete Anzeige behauptet nicht, dass ein Vitamin-B12-Mangel die einzige oder auch nur die naheliegendste Ursache für diese Zustände sei. Dass Verbraucher gleichwohl möglicherweise eine falsche Selbstdiagnose stellen und sich deshalb für die Einnahme des Präparats der Antragsgegnerin entscheiden könnten, lässt sich nicht darauf zurückführen, dass sie aufgrund der Werbung annehmen könnten, das Präparat wirke auch außerhalb des Anwendungsbereichs eines „Vitamin-B12-Mangels“. Dafür bietet diese nämlich keinerlei Anhaltspunkte.

II.

Soweit die Antragstellerin mit dem Antrag zu 1.b den Hinweis beanstandet „Gut zu wissen: Überschüssiges Vitamin B12 scheidet der Körper wieder über die Nieren aus“, steht ihr ebenfalls kein Unterlassungsanspruch zu. Diese Angabe wird in der konkreten Verletzungsform gemäß der Anlage ASt 7 angegriffen unter den Gesichtspunkten der Verharmlosung gemäß § 3 Nr. 2 lit. b HWG sowie allgemein der Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG. Diese wird ausweislich des Antragstenors damit begründet, dass nicht zugleich mit der beanstandeten Angabe der Hinweis gegeben werde, „dass bei einer längerfristigen Einnahme des Arzneimittels Gesundheitsgefahren entstehen können“. Die Antragstellerin behauptet insoweit im Umkehrschluss eine durch die Angabe hervorgerufene Verkehrsvorstellung, das beworbene Präparat könne unabhängig von der Menge und der Dauer der Einnahme keine Gesundheitsgefahren hervorrufen.

Diese Verkehrsvorstellung wird nach Einschätzung des Senats von der streitgegenständlichen Werbeanzeige nicht hervorgerufen. Es wird mit der beanstandeten Angabe vielmehr eine Körperfunktion dargestellt, deren Richtigkeit die Antragstellerin im Grundsatz nicht in Abrede nimmt. Diese wird auch in dem von der Antragstellerin bemühten Gutachten gemäß der Anlage ASt 10 erwähnt, wenn es darin auf Seite 15 oben heißt, dass in Fällen, in denen die Speicher gefüllt seien (also kein Vitamin-B12-Mangel vorliegt), davon auszugehen sei, „dass der Körper die überschüssigen Mengen wiederum über die Galle sowie über die Niere ausscheidet“. Soweit im Anschluss daran ausgeführt wird, dass Hinweise vorlägen, dass es „bei einer sehr hohen Vitamin B12-Anflutung in der Niere zu einer zusätzlichen Speicherung kommen“ könne, „wohingegen die Leber den Hauptspeicherort“ darstelle, wird dies zugleich dadurch eingeschränkt, dass dies „noch nicht beim Menschen gemessen“ worden sei. Das Gutachten ist schon deshalb nicht geeignet, die Richtigkeit der beanstandeten Aussage in Abrede zu nehmen. Zu berücksichtigen ist insoweit zudem, dass die Werbung entgegen der Auffassung der Antragstellerin gerade nicht die Anwendung des Präparats der Antragsgegnerin unabhängig vom Vorliegen eines Vitamin-B12-Mangels zum Gegenstand hat (s. o.). Dass es in Fällen, in denen die Speicher nicht bereits zu Beginn der Behandlung voll sind, zu einer „zusätzlichen Speicherung“ in der Leber kommen könne, behauptet auch die Antragstellerin nicht und legt auch das Gutachten gemäß der Anlage ASt 10 nicht nahe. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, dass das Gutachten als Glaubhaftmachungsmittel aufgrund des abweichenden Untersuchungsgegenstands nicht tauglich ist. Darin wird nämlich der Frage nachgegangen, ob das Präparat „Super Vitamin B12“ der Marke „Dr. H.“ eine pharmakologische Wirkung habe und auf die physiologischen Funktionen des Menschen einwirke. Sowohl das abweichende Präparat, von dem nicht bekannt ist, ob es neben der Vitamin-B12-Dosierung auch im Übrigen mit dem Arzneimittel der Antragsgegnerin identisch ist, als auch die Fragestellung, die gerade nicht auf die Ausscheidung von überschüssigem Vitamin B12 abzielt, stehen einer Übertragung der darin gefundenen Erkenntnisse auf den vorliegenden Fall entgegen. Dass die beanstandete Aussage über ihren eigentlichen Inhalt hinaus den Eindruck vermittele, dass das Präparat der Antragsgegnerin gefahrlos in jeder beliebigen Menge und Dauer - unabhängig in den Empfehlungen der Verpackungsbeilage - einnehmen lasse, lässt sich nicht feststellen.

III.

Der Antragstellerin steht auch der hilfsweise zu den Anträgen zu 1.a und 1.b geltend gemachte Antrag zu 2 nicht zu. Dieser unterscheidet sich von diesen nur dadurch, dass die Begründungselemente fehlen, welche die Hauptanträge im Antragstenor aufweisen. Inhaltlich besteht insoweit kein Unterschied, weil auch die Hauptanträge auf die konkrete Verletzungsform beschränkt sind. Hinsichtlich der Begründung kann vor diesem Hintergrund auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

IV.

Auch die mit den Anträgen zu 3.a und 3.b geltend gemachten Unterlassungsansprüche stehen der Antragstellerin nicht zu. Die streitgegenständliche Werbung gemäß der Anlage Ast 6 (= Anlage C6) verstößt nicht gegen § 4 HWG. Insbesondere sind die Pflichtangaben von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt, abgegrenzt und gut lesbar im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 HWG. Dies erfordert, dass die Pflichtangaben, die vom Gesetzgeber als notwendiges Gegengewicht und Korrektiv zu regelmäßig nur positiven Werbeaussagen gedacht sind, vom Werbeadressaten als sachlich informativer Teil der Gesamtwerbung erkannt werden (BGH, GRUR 2014, 94, Rn. 15 - Pflichtangaben im Internet). Darüber hinaus erfordert die Gewährleistung der vom Gesetzgeber beabsichtigten Gesamtinformation insbesondere, dass die Wahrnehmung der Pflichtangaben dem Leser keinen zusätzlichen Aufwand oder besonderen Einsatz abfordert; denn nach der Lebenserfahrung wird ein erheblicher Teil der Angesprochenen eine für die nähere Wahrnehmung erforderliche Mühe scheuen und sich auf das Lesen des vom Werbenden ausgesuchten regelmäßig auffälliger und leicht lesbar gestalteten positiven Teils der Werbung beschränken (BGH a. a. O.). Bei einer Werbung im Internet ist zu berücksichtigen, dass der durchschnittliche Nutzer mit den Besonderheiten des Internets vertraut ist; er weiß, dass Informationen zu angebotenen Waren auf mehrere Seiten verteilt sein können, die untereinander durch elektronische Verweise („Links“) verbunden sind und vom Nutzer unschwer durch einfachen Mausklick aufgesucht werden können.(BGH, GRUR 2008, 84, Rn. 30 - Versandkosten; GRUR 2014, 94, Rn. 17 - Pflichtangaben im Internet). Dabei wird der Verkehr insbesondere diejenigen Internetseiten als zusammengehörig auffassen, zu denen er durch Links oder durch klare und unmissverständliche Hinweise auf ihre inhaltliche Verbundenheit geführt wird (BGH, GRUR 2005, 438, 441 - Epson-Tinte; GRUR 2005, 690, 692 - Internet-Versandhandel; GRUR 2007, 159 Rn. 19 ff. - Anbieterkennzeichnung im Internet; GRUR 2014, 94, Rn. 17).

Diese Voraussetzungen liegen in der streitgegenständlichen Internetwerbung gemäß der Anlage ASt 6 vor. Die Angabe „Pflichttext“, die sich über der Werbeanzeige befindet, ist von seiner Schrifttype her problemlos lesbar und wird u. a. durch das vorangestellte pink-farbene Symbol hervorgehoben. Durch diese Farbgebung wird auch ein hinreichender Bezug hergestellt zu der Werbeanzeige, welche ihrerseits pink-farbene Überschriften aufweist und zentral die ebenfalls in Pink und Weiß gehaltene Arzneimittelverpackung herausstellt. Da der Verkehr durch den unzweideutigen Hinweis auf den „Pflichttext“ und eine direkte Verlinkung auf die Pflichtangaben unschwer zu den darin mitgeteilten Informationen gelangen kann, ist eine „gute Lesbarkeit“ im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 HWG gegeben. Dass der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Pflichtangaben im Internet“ den Umstand einer Adword-Werbung zusätzlich berücksichtigt, um die inhaltliche Verbundenheit zu bejahen, ändert nichts daran, dass auch in anderen Fällen auf Links zurückgegriffen werden kann, solange diese die o. g. Anforderungen erfüllen. Dass dies nur bei Adword-Anzeigen möglich wäre, ergibt sich aus der Entscheidung entgegen der Ansicht der Antragstellerin dagegen nicht.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 3 ZPO. Der Senat hat sich insoweit an der Streitwertangabe der Antragstellerin orientiert, die von einem Hauptsachestreitwert von € 100.000,00 ausgegangen ist. Mit Blick auf § 51 Abs. 4 GKG nimmt der Senat für einstweilige Verfügungsverfahren regelmäßig einen Abschlag von 20 % vor, weshalb sowohl für das Erlass- als auch für das Beschwerdeverfahren die Festsetzung eines Streitwerts von € 80.000,00 als angemessen erscheint. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ausnahmsweise ein höherer Abschlag für den Eilrechtsschutz geboten wäre, sind nicht ersichtlich.

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