OLG Hamburg, Beschluss vom 22.06.2020 - 3 W 37/20
Fundstelle
openJur 2020, 75222
  • Rkr:

1. Die werbliche Angabe, ein Arzneimittel sei frei von bestimmten Wirkstoffen, versteht der Fachverkehr als solche nicht schon als vergleichende Überlegenheitsbehauptung gegenüber einer Mehrzahl von Wettbewerbspräparaten, die diese Wirkstoffe im Gegensatz zu dem beworbenen Mittel enthalten. Darin liegt auch keine Werbung mit einer Selbstverständlichkeit, wenn der Verzicht auf die Wirkstoffkomponente eine Besonderheit des beworbenen Arzneimittels darstellt.

2. Ist die Eigenschaft der „Freiheit“ eines Arzneimittels von bestimmten Wirkstoffen im Hinblick auf die Besonderheiten der mit dem Mittel zu behandelnden Erkrankung (nur) ein Faktor von mehreren, die Ärztinnen und Ärzte bei der Verordnung des einzunehmenden Medikaments berücksichtigen müssen, dann trifft den Werbenden keine gesonderte Aufklärungspflicht darüber, dass bei der Verordnung des beworbenen Mittels unter bestimmten Umständen weitergehende Faktoren berücksichtigt werden müssen als nur die „Freiheit“ von bestimmten Wirkstoffen.

3. Die Werbeangabe „Starke Aussichten“ ist für sich genommen eine werbetypische pauschale Anpreisung ohne konkreten Inhalt, die einen weiterreichenden Bedeutungsgehalt nur im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt einer Werbeanzeige haben kann und mit der deshalb nicht stets die Botschaft einhergeht, dass das beworbene Mittel von starker Wirkung ist.

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 5. Mai 2020 gegen den Beschluss des Landgerichts vom 23. April 2020 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 150.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wegen irreführender Werbung aus Heilmittelwerbe- und Wettbewerbsrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Beide Parteien vertreiben Arzneimittel zur Behandlung von Patientinnen und Patienten, die mit dem humanen Immundefizienzvirus 1 (HIV-1) infiziert sind. Die Arzneimittel dienen jeweils der sog. antiretroviralen Therapie (nachfolgend „ART“). Ziel der ART ist eine dauerhafte maximale Suppression der HI-Viruslast. Die ART ist nur bei regelmäßiger Einnahme wirksam, d.h. die Betroffenen werden nicht geheilt, sondern müssen nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft die Therapie lebenslang ohne Unterbrechung aufrechterhalten. Durchgeführt wird die ART üblicherweise von Ärztinnen und Ärzten aus den Gebieten der Inneren Medizin, der Infektiologie und der Allgemeinmedizin, die auf die Behandlung von HIV-Patientinnen und HIV-Patienten spezialisiert sind.

Eine mögliche Komplikation der ART ist, dass die Gabe von Einzelsubstanzen, d.h. nur eines Wirkstoffes, zu einer Resistenzentwicklung führen kann. Daher erhalten Patientinnen und Patienten bei der ART Wirkstoffkombinationen, und zwar üblicherweise auf Basis von drei Wirkstoffen (sog. 3-Drug-Regimen). Als eine Komponente dieser 3-Drug-Regimen wird regelmäßig eine der Substanzen Abacavir (ABC), Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) und Tenofoviralafenamid (TAF) verwandt.

Auf dem deutschen Markt sind nach Angaben der Antragstellerin derzeit 15 Arzneimittel erhältlich, die als 3-Drug-Regimen für die ART empfohlen werden. 5 dieser Präparate werden als Single-Tablet-Regimen angeboten, 10 als Mehrtablettenkombination (Anlage AS 5)

Die Antragstellerin bringt das Arzneimittel C. heraus. Hierbei handelt es sich um ein derartiges 3-Drug-Regimen in Form einer einzelnen Tablette. Es enthält den Wirkstoff TAF.

Die Antragsgegnerin vertreibt u.a. das im Sommer 2019 zugelassene Arzneimittel E., ein Kombinationspräparat in einer Tablette aus nur zwei Wirkstoffen (sog. 2-Drug-Regimen). Es handelt sich hierbei um die Wirkstoffe G. und V., auf eine dritte Komponente der Gruppe ABC, TDF, TAF wurde verzichtet. Der Nachweis der klinischen Wirksamkeit von E. beruht nach den Fachinformationen für das Arzneimittel (Anlage AS 4) auf den sog. GEMINI-Studien. Diese haben ergeben, dass die Wirkstoffkombination G. und V. gegenüber der Verwendung eines 3-Drug-Regimen im Grundsatz nicht unterlegen war, mit Ausnahme von Patientinnen und Patienten mit einer bereits fortgeschrittenen Immunverschlechterung und/oder einer hohen Virämie, d.h. einer hohen Virenlast.

In den aktuellen deutsch-österreichischen Leitlinien zur ART (Anlage AS 1) wird das 2-Drug-Regimen mit den Wirkstoffen, wie sie in E. enthalten sind, als „Alternative“ zu der in den Leitlinien empfohlenen Kombination aus drei Wirkstoffen qualifiziert. „Alternative“ bedeutet nach der Terminologie der Leitlinien „kann gegeben werden, kann für bestimmte Patienten die bevorzugte Wahl darstellen“. Nach den Leitlinien sei bei Therapien ohne die Wirkstoffe TAF oder TDF zudem eine fehlende oder geringere Hepatitis-B-Wirksamkeit zu berücksichtigen. Nach den GUIDELINES der „European AIDS Clinical Society“ (Anlage AS 7) werden sowohl Kombinationen mit den Wirkstoffen der Gruppe ABC, TDF, TAF als auch Kombinationen ohne diese Gruppe als „empfohlen“ („recommended regimens“) eingeordnet, wobei die 3-Drug-Regimen darüber hinaus als „bevorzugt“ („preferred“) qualifiziert werden.

Gegenstand des vorliegenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 17. April 2020 ist die aus der Anlage zum Verfügungsantrag ersichtliche Anzeige, mit der die Antragsgegnerin das Arzneimittel E. in der im März 2020 erschienenen Fachzeitschrift „MMW Fortschritte der Medizin“ gegenüber Fachkreisen mit der Angabe „ABC-, TDF-, TAF-frei“ beworben hat.

Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin diesbezüglich mit Schreiben vom 31. März 2020 erfolglos abgemahnt (Anlage AS 9).

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die streitgegenständliche Werbung irreführend sei und gegen §§ 3, 3a, 5 Abs. 1, Abs. 3, 5a UWG, 3 HWG verstoße.

Mit der Angabe werde für den angesprochenen Verkehr nicht lediglich die Information vermittelt, welche Wirkstoffe nicht in dem Arzneimittel enthalten seien, sondern ein Bezug zu den in den Leitlinien empfohlenen Arzneimitteln hergestellt, die regelmäßig einen dieser Wirkstoffe enthielten. Durch diese Bezugnahme werde ein Vergleich angestellt, der aufgrund des überschaubaren Marktes der für die ART zur Verfügung stehenden Kombinationsarzneimittel die Produkte der Mitbewerberinnen und Mitbewerber erkennbar mache. Mit der streitgegenständlichen Angabe spiegle die Antragsgegnerin den angesprochenen Verkehrskreisen wahrheitswidrig vor, dass das Fehlen der genannten Wirkstoffe uneingeschränkt vorteilhaft gegenüber diesen Vergleichsprodukten sei. Tatsächlich handele es sich bei E. aber nur um eine „Alternative“, deren Einsatz bei Patientinnen und Patienten mit einer hohen Virenlast und/oder einer fortgeschrittenen Infektion nicht empfohlen und deren fehlende bzw. geringere Hepatitis B-Wirksamkeit zu berücksichtigen sei.

Indem die Antragsgegnerin diese Punkte nicht offengelegt habe, habe sie dem betroffenen Fachverkehr eine für die Verordnungsentscheidung ganz wesentliche Information vorenthalten.

Eine Irreführung ergebe sich ferner auch daraus, dass die streitgegenständliche Angabe im Zusammenhang mit der Überschrift der Anzeige „Starke Aussichten“ verstanden werden müsse und dem angesprochenen Verkehr so irreführend eine Wirksamkeit starken Ausmaßes vermittelt werde.

Die Antragstellerin hat beantragt,

der Antragsgegnerin – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu verbieten,

geschäftlich handelnd, für das Arzneimittel E. anzugeben,

„ABC-, TDF-, TAF-frei“,

wie geschehen in der ANLAGE.

Mit Beschluss vom 23. April 2020 hat das Landgericht Hamburg den Verfügungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die streitgegenständliche Angabe nicht irreführend sei. Die Angabe sei zutreffend und auch keine sog. „Null-Information“ oder Selbstverständlichkeit, die nicht besonders beworben werden dürfe. Sie beinhalte keine unzulässige Herabsetzung anderer, die genannten Wirkstoffe enthaltende Arzneimittel. Vielmehr stelle die Angabe für die angesprochenen Verkehrskreise eine Besonderheit dar, die diese im Hinblick auf das Verhältnis zu den Arzneimitteln der „klassischen“ ART richtig einordnen würden. Die Verwendung des Begriffes „frei“ suggeriere keinen Nachteil der anderen Arzneimittel, sondern meine lediglich „enthält nicht“.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 5. Mai 2020. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie führt ergänzend aus, dass es ihr nicht darum gehe, der Antragsgegnerin generell den Hinweis auf die Besonderheit ihres Arzneimittels zu verbieten. Das von ihr begehrte Verbot sei vielmehr darauf gerichtet, der Antragsgegnerin zu untersagen, diese Eigenschaft als einen im Vergleich zu den Wettbewerbsprodukten bestehenden Vorteil herauszustellen, ohne zugleich die mit dieser Eigenschaft unmittelbar einhergehenden Nachteile offenzulegen. Ohne Kenntnis der möglicherweise aus dem Fehlen der Wirkstoffe resultierenden Nachteile werde der angesprochene Verkehr in einem für die Verordnungsentscheidung wesentlichen Punkt getäuscht und animiert, das beworbene Produkt undifferenziert anstelle eines der Produkte zu verordnen, die einen der Wirkstoffe ABC/TDF/TAF enthielten. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Überschrift „Starke Aussichten“. Dadurch werde dem Verkehr das Fehlen der genannten Wirkstoffe als ein Grund für die behaupteten „starken Aussichten“ transportiert.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 23. April 2020 aufzuheben und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu verbieten,

geschäftlich handelnd, für das Arzneimittel E. anzugeben,

„ABC-, TDF-, TAF-frei“,

wie geschehen in der ANLAGE.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die von der Antragstellerin zur Akte gereichten Schriftsätze und Anlagen sowie die Entscheidungen des Landgerichts Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Eine Irreführung des angesprochenen Fachverkehrs, d.h. Ärztinnen und Ärzten, die auf die Behandlung von HIV-Patientinnen und HIV-Patienten spezialisiert sind, liegt nicht vor.

Das Verkehrsverständnis situationsadäquat aufmerksamer, durchschnittlich informierter und vernünftige Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie das von Ärztinnen oder Ärzten vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärztinnen und Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass eine Ärztin oder ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (OLG Hamburg, PharmaR 2007, 204, 207; OLG Hamburg, PharmR 2009, 629, 631).

Die Antragstellerin hat die in der konkreten Verletzungsform „ABC-, TDF-, TAF-frei“ angegriffene Aussage unter mehreren irreführenden Gesichtspunkten beanstandet. Diese greifen nicht durch.

a)

Zum Verkehrsverständnis der Angabe „ABC-, TDF-, TAF-frei“ hat die Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt irreführender vergleichender Werbung vorgetragen, dass der Fachverkehr die Angabe dahin verstehe, dass das Präparat E. gegenüber Arzneimitteln, die einen der genannten Wirkstoffe enthielten, uneingeschränkt vorteilhaft sei. Durch die Bezugnahme auf die Wirkstoffe werde ein Vergleich angestellt, der aufgrund des überschaubaren Marktes der für die ART zur Verfügung stehenden Kombinationsarzneimittel die Produkte der Mitbewerberinnen und Mitbewerber erkennbar mache.

Von einem solchen Verkehrsverständnis des angesprochenen Fachverkehrs ist nach Einschätzung des Senats nicht auszugehen.

Mit der streitgegenständlichen Angabe „ABC-, TDF-, TAF-frei“ weist die Antragsgegnerin in erster Linie auf eine Eigenschaft ihres Präparats hin. Diese Eigenschaft besteht tatsächlich, da die Angabe bereits nach dem Vortrag der Antragstellerin wahr ist. Vorliegend handelt es sich auch nicht um Werbung mit einer Selbstverständlichkeit oder einer Null-Information. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Verzicht auf eine dritte Wirkstoffkomponente eine Besonderheit des Arzneimittels der Antragsgegnerin darstellt, auf die hingewiesen werden darf.

Die angesprochenen Ärztinnen und Ärzte, die mit der Behandlung von HIV-Patientinnen und HIV-Patienten befasst sind, verstehen die Wortwahl „ABC-, TDF-, TAF-frei“ auch nicht dahin, dass eine ART unter der Einnahme von E. uneingeschränkt vorteilhaft gegenüber einer Verwendung eines herkömmlichen 3-Drug-Regimen ist. Durch die angegriffene Werbeaussage wird ein solcher Vergleich nicht hergestellt. Eine vergleichende Werbung ist begrifflich grundsätzlich dann zu verneinen, wenn die beanstandete Werbeaussage so allgemein gehalten ist, dass sich den angesprochenen Verkehrskreisen eine Bezugnahme auf Mitbewerberinnen und Mitbewerber nicht aufdrängt, sondern diese sich nur reflexartig daraus ergibt, dass mit jeder Hervorhebung eigener Vorzüge in der Regel unausgesprochen zum Ausdruck gebracht wird, dass nicht alle Mitbewerberinnen und Mitbewerber die gleichen Vorteile zu bieten haben (BGH, GRUR 1999, 1100, Rn. 24 f. – Generika-Werbung). So liegt der Fall auch hier. Es wird lediglich das Fehlen der Wirkstoffe ABC/TDF/TAF positiv hervorgehoben, ohne sie in Bezug zu den Wettbewerbsprodukten zu setzen. Weder wird eines der Konkurrenzprodukte ausdrücklich erwähnt noch ist der Markt der für die ART zur Verfügung stehenden Kombinationsarzneimittel derart klein, dass sich für fachkundige Leserinnen und Lesern konkrete Wettbewerbsprodukte auch ohne Namensnennung aufdrängen würden. Nach den Angaben der Antragstellerin gibt es auf dem deutschen Markt derzeit 15 für die ART empfohlene Arzneimittel, die einen Wirkstoff der Gruppe ABC/TDF/TAF enthalten. Eine gezielte Bezugnahme auf eines oder mehrere dieser Produkte ist vorliegend nicht erkennbar.

b)

Entgegen der Annahme der Antragstellerin liegt auch keine Irreführung durch Unterlassen gemäß § 5a Abs. 1 UWG vor. Die Antragsgegnerin trifft keine Aufklärungspflicht darüber, dass bei der Verordnung von E. für Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Immunverschlechterung, hoher Virenlast oder Hepatitis B-Diagnose weitergehende Faktoren berücksichtigt werden müssen als nur die „Freiheit“ von den Wirkstoffen ABC/TDF/TAF.

Zwar kann gemäß § 5a Abs. 1 UWG das Verschweigen einer Tatsache auch gegenüber dem Fachverkehr irreführend sein. Eine Irreführung durch Verschweigen von Tatsachen ist anzunehmen, wenn der verschwiegenen Tatsache nach der Auffassung des Verkehrs eine besondere Bedeutung zukommt, so dass das Verschweigen geeignet ist, das Publikum in relevanter Weise irrezuführen, also seine Entschließung zu beeinflussen. Diese zu § 5 Abs. 2 UWG 2004 entwickelte Rechtsprechung ist auf den nunmehr geltenden § 5a Abs. 1 UWG übertragbar (BGH, GRUR 2018, 541, Rn. 38 – Knochenzement II, m.w.N.). Unternehmerinnen und Unternehmer trifft allerdings keine allgemeine Aufklärungspflicht über Tatsachen, die für die geschäftliche Entscheidung des angesprochenen Verkehrs möglicherweise von Bedeutung sind. Sie sind nicht generell verpflichtet, auch auf weniger vorteilhafte oder gar negative Eigenschaften des eigenen Angebots hinzuweisen (BGH, GRUR 2013, 945, Rn. 34 – Standardisierte Mandatsbearbeitung).

Gemessen hieran war die Antragsgegnerin nicht gehalten, im Rahmen der Werbeanzeige auf die von der Antragstellerin dargestellten vermeintlichen Nachteile hinzuweisen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, geht es vorliegend nicht um einen Gesamtvergleich der Wirksamkeit des 2-Drug-Regimen in Form des Arzneimittels E. gegenüber den bisher üblichen 3-Drug-Regimen. Die Eigenschaft der ABC/TDF/TAF-Freiheit ist im Hinblick auf die nach derzeitigem Stand der Wissenschaft lebenslang durchzuführende ART (nur) ein Faktor von mehreren, die Ärztinnen und Ärzte bei der Verordnung des einzunehmenden Medikaments berücksichtigen müssen. Sie müssen die Vor- und eventuellen Nachteile einer Gabe eines 2-Drug-Regimen gegenüber Präparaten mit einer weiteren Wirkstoffkomponente abwägen und dürfen deshalb auch von der Antragsgegnerin auf den Umstand der ABC/TDF/TAF-Freiheit hingewiesen werden. Die üblicherweise besonders aufmerksamen und informierten Fachkreise werden die Angabe im Hinblick auf die neuartige Behandlungsform dabei richtig einzuordnen wissen und sich nicht nur anhand der Anzeige der Antragsgegnerin für eine Verordnung von E. entscheiden.

c)

Eine Irreführung ergibt sich letztlich auch nicht aus dem Zusammenspiel der streitgegenständlichen Angabe mit der Überschrift der Anzeige „Starke Aussichten“. Die Antragstellerin hat hierzu vorgetragen, dass der Fachverkehr das Fehlen der genannten Wirkstoffe als einen Grund für die behaupteten „starken Aussichten“ verstehe und hieraus für E. eine Wirksamkeit starken Ausmaßes ableite.

Von einem solchen Verkehrsverständnis des angesprochenen Fachverkehrs ist nach Einschätzung des Senats nicht auszugehen.

„Starke Aussichten“ ist für sich genommen eine werbetypische pauschale Anpreisung ohne konkreten Inhalt. Ein darüber hinausreichender Bedeutungsgehalt ist wegen der Überschriftfunktion der Angabe nur im Hinblick auf den gesamten Inhalt der Werbeanzeige denkbar. Auch insoweit liegt eine Irreführung indes nicht vor.

Der hier nicht gesondert angegriffene Passus „Starke Aussichten“ befindet sich im oberen Drittel der Anzeige unmittelbar über der Angabe „E.: G. und V. in einer Tablette“ und ist bereits visuell deutlich von der im unteren Drittel der Anzeige enthaltenen Angabe „ABC-, TDF-, TAF-frei“ getrennt. Der informierte Fachverkehr wird den Begriff „Starke Aussichten“ daher im Wesentlichen auf die Verabreichungsform in einer (einzigen) Tablette beziehen und damit auf den Vorteil, den dieses Single-Tablet-Regimen gegenüber einer Mehrtablettengabe für Patientinnen und Patienten bringt, die nach derzeitigem Stand ein Leben lang auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen sind. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass nach dem Vortrag der Antragstellerin derzeit zwei Drittel der auf dem deutschen Markt erhältlichen 3-Drug-Regimen als Mehrtablettensystem verabreicht werden. Dass die „starken Aussichten“ gerade aus der ABC/TDF/TAF-Freiheit resultieren, kann der Anzeige hingegen nicht entnommen werden.

Selbst wenn man es anders sähe, ginge mit der Überschrift „Starke Aussichten“ entgegen des Vortrags der Antragstellerin nicht die Botschaft einher, dass E. eine Wirksamkeit starken Ausmaßes habe. Die Überschrift würde jedenfalls alle nachstehenden Angaben erfassen. Was die „starken Aussichten“ sind, wäre dann aus der Verkehrssicht durch alle nachfolgenden Angaben definiert, ohne eine erhöhte Wirksamkeit zu suggerieren. Der Verkehr entnähme der Angabe dann, dass es sich um eine Tablette mit zwei Wirkstoffen handelt, von denen einer (G.) als „Core Agent“ wirkt, dass das Mittel eine Langzeit-Wirksamkeit hat mit 0 Resistenzen (nach GEMINI-1 und -2-Studie) sowie ABC-, TDF- und TAF-frei ist. Diese Angaben entsprechen der Wahrheit.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 51 GKG.

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