OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.06.2020 - 7 U 207/19
Fundstelle
openJur 2020, 75136
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 25.09.2019, Az. 3 O 34/19, teilweise abgeändert und neu gefasst:

(1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.342,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.04.2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges ................................ mit der FIN .............................

(2) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Verwendung der unzulässigen Abschaltvorrichtung in Form der verwendeten Software im unter (1) genannten Fahrzeug entstanden ist oder noch entstehen wird.

(3) Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € freizustellen.

(4) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtstreits im ersten Rechtszug trägt die Beklagte 79% und der Kläger 21%, von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte 77% und der Kläger 23%.

5. Das angefochtene Urteil ist, soweit es aufrechterhalten wurde, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt jeweils nachgelassen, die Vollstreckung durch den jeweiligen Gegner durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den Gegner aufgrund der genannten Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Gegner zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

6. Die Revision wird für den Kläger zu der Frage der geltend gemachten Deliktszinsen nach § 849 BGB zugelassen.

7. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 36.000,00 € (Berufung des Klägers bis zu 6.000,00 €, Berufung der Beklagten bis zu 30.000,00 €) festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte deliktische Schadensersatzansprüche nach dem Kauf eines - mit einem durch die Beklagte hergestellten Motor der Baureihe "EA 189" ausgestatteten - Neufahrzeuges ................................ geltend.

Er erwarb das Fahrzeug von einem Händler am 13.10.2011 zum Preis von 26.200,00 €. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betrug 55.892 km. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht Landau in der Pfalz hat die Klage unter Abweisung im Übrigen unter Anrechnung eines Nutzungsersatzes (Gesamtlaufleistung 300.000km) und einem Ansatz lediglich einer 1,3fachen Gebühr bezüglich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten zugesprochen.

Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Die Beklagte rügt, es fehle an einem ersatzfähigen Schaden, da der geschlossene Vertrag weder objektiv noch subjektiv nachteilig für den Kläger gewesen sei, jedenfalls mit dem Aufspielen des Software-Updates entfallen sei. Das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft einen Kausalzusammenhang zwischen dem Kaufvertrag und der behaupteten Täuschung gezogen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

die Klage insgesamt abzuweisen,

sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen

sowie mit seiner Berufung unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs ........................... mit der FIN .................................. und Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs ...................... mit der FIN .................................. einen Betrag in Höhe von 26.200,00 € nebst Zinsen

a. hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

b. aus einem Betrag von 26.200,00 € in Höhe von 4 Prozentpunkten seit dem 12.04.2019 zu zahlen,

festzustellen, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 14.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle Schäden zu ersetzen, die aus dem Kauf des Fahrzeugs ............... mit der FIN ................................. aufgrund der falschen Abgaswerte sowie einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und entstehen werden,

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.077,74 € freizustellen.

Der Kläger rügt, das Erstgericht sei von einer fehlerhaften Schätzungsgrundlage zum Nutzungsersatz ausgegangen (Berechnung nur auf die Herstellungskosten des Fahrzeuges, mindestens 500.000 km Laufleistung). Die vorgerichtlichen RA-Kosten seien fehlerhaft berechnet, es sei eine Gebühr von 2,0 anzusetzen. Klageerweiternd seien nun auch Deliktszinsen geltend gemacht.

Auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden wird zur Ergänzung der Sachdarstellung Bezug genommen.

II.

Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel der Beklagten führt zu einem Teilerfolg hinsichtlich des Feststellungsantrags zum Annahmeverzug sowie zu einer Anpassung des Zahlungsanspruchs mit Blick auf die höhere Laufleistung des Fahrzeugs unter Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Nach den klärenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 25.05.2020 im Zusammenhang mit einer deliktischen Haftung des ..................... in dem sog. "Diesel-Komplex" belässt es der Senat zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen von rechtlichen Ausführungen bei folgenden gedrängten Erwägungen (BGH Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555, beck-online):

1.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 826 i.V.m. § 31 BGB analog wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ein Schadensersatzanspruch zu. Nach Anrechnung der von ihm gezogenen Nutzung ergibt sich ein Anspruch auf Zahlung von

20.342,52 €,

Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

Dem Kläger ist durch die Beklagte in gegen die guten Sitten verstoßender Weise vorsätzlich Schaden zugefügt worden. Das Handeln ihrer beteiligten Organwalter/Leitenden Mitarbeiter ist der Beklagten über § 31 BGB analog zuzurechnen.

Im Rahmen der Anrechnung der von dem Kläger gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs ist dieser richterlich nach § 287 ZPO zu schätzen. Hierbei kann auf die zum Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff. BGB entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555, beck-online). Die abzuziehende Nutzungsentschädigung errechnet sich nach der Formel

Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer)/erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt.

Der Bruttokaufpreis betrug 26.200,00 €.

Die von dem Kläger gefahrenen Kilometer belaufen sich auf 55.892 km.

Die erwartete Gesamtlaufleistung beträgt nach Schätzung des Senates 250.000 km.

Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von (26.200,00 € x 55.892km)/250.000km = 5.857,48 € .

2.

Die geltend gemachten Zinsen ergeben sich aus §§ 288 Abs.1, 291 ZPO bzw. § 826 BGB, die Kosten für die Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 826 BGB.

Die Ausführungen des Erstgerichts zu den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weisen ebenfalls, sowohl zur Höhe des anzusetzenden Gegenstandswertes als auch der Geschäftsgebühr, keinen Rechtsfehler auf. Der Kläger kann von der Beklagten der Höhe nach - neben der Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) und der Umsatzsteuer - nicht wie begehrt die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten unter Ansatz einer 2,0fachen Geschäftsgebühr, sondern lediglich einer 1,3fachen Geschäftsgebühr (§§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG) verlangen. Die Höhe der Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG bemisst sich nach § 14 Abs. 1 RVG. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Mit Blick auf die Rahmengebühr nach Nr. 2300 VV RVG besteht das aus § 14 Abs. 1 RVG folgende Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts indes nicht unbeschränkt. Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann er nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG vielmehr nur fordern, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (BGH, Urteil vom 11.07. 2012 - VIII ZR 323/11, NJW 2012, 2813, beck-online). Dies ist von dem Rechtsanwalt darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Die durch die Parallelität von Sachverhalten bedingte ganz erhebliche Verringerung des zeitlichen Aufwands für das konkrete Mandat kann im Rahmen der Gesamtwürdigung maßgeblich berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2013 - XI ZR 421/10, BeckRS 2013, 10761; Urteil vom 26.02.2013 - XI ZR 345/10, BeckRS 2013, 6434 mit Anmerkung jeweils von Mayer, FD-RVG 2013, 347956; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2019 - 17 U 146/19, BeckRS 2019, 28963, jeweils beck-online).

Bekanntermaßen vertritt die Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Vielzahl von Mandaten aus dem "Diesel-Komplex". Besondere Umstände, etwa rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten im hiesigen konkreten Mandat, die trotz der Parallelität des Sachverhalts zu den anderen bearbeiten Mandaten eine höhere Gebühr rechtfertigen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. So sind beispielhaft die Ausführungen in der Berufungsbegründung des Klägers überwiegend erkennbar schematisch und ohne ausdrücklichen Bezug zum hier in Rede stehenden Lebenssachverhalt gehalten, so dass sich (auch dort) der ganz erheblich reduzierte zeitliche Aufwand für das konkrete Mandat zeigt.

3.

Dem geltend gemachten Feststellungsantrag, dass sich die Beklagte mit dem der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet, stand die Zuvielforderung des Klägers entgegen (vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555).

4.

Der Feststellungsantrag zu der Ersatzpflicht aller Schäden aufgrund der Installation der Manipulationssoftware war lediglich sprachlich anzupassen.

5.

Mit den zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts, die sich der Senat zur Meidung von Wiederholungen zu eigen macht, besteht kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 849 BGB (so auch OLG Naumburg BeckRS 2019, Senat, Urt. V. 19.02.2020, 7 U 4/19; 24547, beck-online; a.A. OLG Oldenburg BeckRS 2019, 23205, beck-online).

Denn § 849 BGB lässt sich kein allgemeines Prinzip entnehmen, dass sämtliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung stets und unabhängig vom Vorliegen des Verzugs vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu verzinsen seien. Auch kodifizieren die §§ 848, 849 BGB nicht den römisch-rechtlichen Grundsatz des fur semper in mora (Dig.13, 1, 20), sondern ordnen für den deliktsrechtlichen Rückgabeschuldner lediglich dem Verzug ähnliche Rechtsfolgen an (BeckOGK/Eichelberger, 1.8.2019, BGB § 849 Rn. 5). Zwar unterfällt auch die "Entziehung" von Geld dieser Vorschrift, und zwar in den Fällen, in denen diese Weggabe ursächlich auf eine unerlaubte Handlung des Schädigers zurückgeht, selbst dann, wenn die Weggabe des Geldes aufgrund eines freiwilligen Entschlusses des Geschädigten erfolgt. Denn der Zinsanspruch soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Der Geschädigte verliert die Sachnutzung gleichermaßen, wenn ihm eine Sache ohne seinen Willen entwendet wird oder wenn er durch eine unerlaubte Handlung dazu gebracht wird, sie wegzugeben oder darüber zu verfügen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um die körperliche Übereignung von Geldscheinen oder um die Überweisung von Buchgeld handelt, auch für Geld, da der Sachbegriff des § 849 BGB nicht auf körperliche Sachen beschränkt ist (zum Ganzen BGH NJW 2008, 1084; NJW 2018, 2479, 2482 m.w.N.).

Soweit in der Rechtsprechung und Literatur im Anschluss daran teilweise in den "Dieselskandal"-Fällen eine Verzinsung der auf Erstattung des Kaufpreises gerichteten Schadensersatzforderung nach § 849 BGB bejaht wird (OLG Koblenz WM 2019, 1929, 1933; vgl. im Übrigen die Nachweise aus der landgerichtlichen Rechtsprechung bei Riehm NJW 2019, 1105, 1109), kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Der Vorschrift kann kein allgemeiner Rechtsgrundsatz dahin, deliktische Schadensersatzansprüche seien stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen, entnommen werden (BGH NVwZ 1994, 409, 410; NJW 2018, 2479, 2482). Dabei kann dahinstehen, ob der pauschalierte Mindestbetrag für die entgangene Nutzungsmöglichkeit hier nach dem Normzweck schon deshalb ausscheidet, weil die Käufer im Gegenzug zu dieser entgangenen Nutzung die Nutzung am Kraftfahrzeug erlangt haben, oder ob sich eine solche Wertung vor dem Hintergrund der ohnehin schon beim Zahlungsanspruch selbst erfolgten Berücksichtigung dieser Nutzungsvorteile verbietet (im erstgenannten Sinne Riehm a.a.O.). Darauf kommt es nicht entscheidend an. Denn hier scheitert diese Verzinsung schon am schadensrechtlichen Bereicherungsverbot und der Differenzhypothese. Der Kläger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er das Fahrzeug nicht erworben hätte. Dann aber hätte er ein anderes Fahrzeug erworben, wobei mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass er dafür in etwa denselben Betrag aufgewendet hätte. Denn dass der Kläger, hätte er vom Erwerb des hier in Rede stehenden Fahrzeuges abgesehen, gar kein Fahrzeug gekauft hätte, ist schon nicht behauptet und wäre auch völlig lebensfremd. Somit hätte ihm dieser Geldbetrag auch dann nicht zur anderweitigen Nutzungsziehung als der, die er im Ergebnis ohnehin gezogen hat, zur Verfügung gestanden. Damit kommt eine Verzinsung aus § 849 BGB nicht in Betracht (wie hier Riehm a.a.O.).

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Unter Ansatz einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km hätte sich im ersten Rechtszug ein durch die Beklagte zu zahlender Betrag von 20.780,90 € (26.200,00 € - 5.419,10 €) statt der ausgeurteilten 21.684,06 € ergeben. Die Kostenentscheidung war entsprechend neu zu quoteln.

Die Revision war mit Blick auf die Vielzahl gleichartiger deutschlandweit anhängiger Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen der Divergenz in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Frage des § 849 BGB (divergierend zur Auffassung des Senates: OLG Oldenburg BeckRS 2019, 23205, beck-online) auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

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