OLG Hamm, Urteil vom 12.05.2020 - 19 U 689/19
Fundstelle
openJur 2020, 75045
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 12 O 403/18 LG Münster
  • nachfolgend: Az. VI ZR 855/20
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 7.8.2019 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Streitwert von 11.000,00 € zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Wegen der vom Landgericht getroffenen Feststellungen, wegen der in erster Instanz gestellten Anträge und wegen der Entscheidungsgründe des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er geltend macht:

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB sei gegeben. Die Angabe von Schadstoffwerten in der Prospektwerbung der Beklagten sei eine Beschaffenheitsangabe, welche im Zweifel für den Kaufentschluss wesentlich sei. Die Täuschung sei durch die Beklagte selbst erfolgt. Zu ihren Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozessen habe sie nicht substantiiert vorgetragen, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass ihre Organe Kenntnis von der Täuschungshandlung gehabt hätten. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse daran habe, dass ihre Vertragspartner von ihr hergestellte Autos an Kunden wie ihn, den Kläger, verkauften.

Ein Anspruch ergebe sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 UWG. Heutzutage stellten für einen Durchschnittskäufer die Umweltfreundlichkeit eines zu erwerbenden Fahrzeugs und die Abgaswerte durchaus besondere Vorteile dar.

Schließlich ergebe sich der geltend gemachte Anspruch aus § 826 BGB. Zunächst liege eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten vor. Er selbst, der Kläger, habe alles, was ihm an Vortrag zuzumuten sei, vorgetragen. Sämtlicher weiterer Vortrag betreffe den internen Bereich der Beklagten und könne von ihm nicht verlangt werden. Das Handeln der Beklagten sei auch sittenwidrig. Es handele sich keinesfalls um eine kleine Schummelei; Beweggrund und Zweck der Beklagten widersprächen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Sie habe das bloße Gewinnstreben in den Vordergrund gerückt.

Weil nicht absehbar sei, ob durch das durchgeführte Software-Update und die ursprüngliche Manipulation der Software weitere Schäden entstünden, sei auch dem Feststellungsantrag stattzugeben.

Eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen sei nicht vorzunehmen. Die Vorteilsanrechnung sei unbillig und für ihn, den Kläger, unzumutbar. Sie führe zu einer unbilligen Entlastung der Beklagten, weil sie vorsätzlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen habe und dann von der Schadenshaftung teilweise wieder frei würde. Auch eine Stilllegung des Fahrzeugs während der Dauer des Rechtsstreits sei ihm nicht zumutbar.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 5.2.2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Autos zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm weitere Schäden zu ersetzen, die aus der Manipulation des Motors des streitgegenständlichen Autos resultieren und über den Rückabwicklungsschaden hinausgehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kaufvertrag sei am 14.1.2016 und damit erst nach Bekanntwerden der Diesel-Thematik geschlossen worden. Ab dem 22.9.2015 seien umfassende Informationen von ihr veranlasst sowie von den Medien veröffentlicht worden, die sie im Einzelnen darstellt. Das führe dazu, dass keine Täuschung und kein Irrtum des Klägers mehr vorgelegen haben könnten, und bei ihr selbst kein Schädigungsvorsatz und kein sonstiges verwerfliches Handeln anzunehmen seien. Zwischen einem unterstellten Schaden und einer Handlung ihrerseits fehle die Ursächlichkeit. Ein Schaden sei jedoch nicht gegeben, nicht durch einen nachteiligen Vertragsschluss, nicht durch einen wirtschaftlichen Nachteil, nicht durch subjektive Zweckverfehlung, und jedenfalls nicht nach dem Software-Update.

Jedenfalls sei ein Nutzungsersatz im Wege der Vorteilsausgleichung in Abzug zu bringen. Dabei sei nicht der Ansatz einer linearen Berechnung anhand der gefahrenen Kilometer zu verfolgen, sondern vielmehr der ersparte Wertverlust eines Alternativfahrzeugs zu berücksichtigen. Die lineare Berechnungsmethode laufe auf eine Überkompensation und einen Strafschadensersatz hinaus. Werde sie dennoch angewendet, sei eine Gesamtlaufleistung von 200.000 bis 250.000 km zugrundezulegen.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH sei nicht zweckmäßig, weil damit der rechtlichen Einschätzung des BGH vorgegriffen würde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

1.

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB steht dem Kläger nicht zu. Einen Betrug hat die Beklagte ihm gegenüber nicht begangen.

a)

Es dürfte schon an einer Täuschung des Klägers durch die Beklagte fehlen (vgl. bereits Senat, OLG Hamm 19 U 192/19 v. 28.4.2020; 19 U 425/19 v. 6.3.3020; 19 U 230/19 v. 3.3.2020; 19 U 292/19 v. 24.1.2020).

aa)

Durch ausdrückliche Erklärungen der Beklagten, nämlich durch Zugänglichmachen von Werbe- und/oder Informationsmaterial, ist der Kläger nicht getäuscht worden.

Dabei kann offen bleiben, welcher genaue Erklärungsgehalt den in solchen Unterlagen ggf. enthaltenen Schadstoffangaben zukäme. Denn jedenfalls hat im konkreten Fall der Kläger auf Befragen des Senats im Termin erklärt, dass ihm im Vorfeld seines Kaufentschlusses keine Werbe- und Informationsunterlagen der Beklagten vorgelegen hätten.

bb)

Eine Täuschung der Endkunden durch das Inverkehrbringen der mit einer Manipulationssoftware versehenen Fahrzeuge wird zwar von einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung mit der Begründung bejaht, mit dem Inverkehrbringen gebe der Hersteller konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz der Fahrzeuge entsprechend ihrem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig sei und die Fahrzeuge insbesondere über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügten (z. B. OLG Hamm 13 U 149/18 v. 10.9.2019, Juris-Rn. 45 m. w. N.).

Der Senat hält hingegen für fraglich, ob dem tatsächlichen Akt des Inverkehrbringens ein derartiger Erklärungswert, der wegen des Charakters des Betruges als Kommunikationsdelikt erforderlich ist (Münchener Kommentar/Hefendehl, StGB, 3. Aufl. 2019, Rn. 102 zu § 263), beigemessen werden kann. Liegt kein kommunikativer Akt vor, sondern nur eine schlichte Manipulation an Objekten oder eine Tatsachenveränderung, so ist ein betrugsrelevantes Täuschungsverhalten zu verneinen, selbst wenn die Vorstellung eines anderen unrichtig wird (Beck’scher Online-Kommentar/Beukelmann, StGB, Stand 1.11.2019, Rn. 10 zu § 263). Auch für eine konkludente Täuschung durch irreführendes Verhalten ist erforderlich, dass dieses Verhalten nach der Verkehrsanschauung eben als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist (BGH 4 StR 439/00 v. 26.4.2001, Juris-Rn. 10; Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, Rn. 12 zu § 263).

Soweit in bestimmten Handlungen die stillschweigende Erklärung erblickt wird, keine Manipulationen vorgenommen zu haben oder zu beabsichtigen, wie z. B. beim Abschluss einer Wette eine Erklärung des Inhalts, den Ausgang des gewetteten Ereignisses nicht durch Bestechung, Doping o. Ä. beeinflusst zu haben (BGH 4 StR 125/12 v. 20.12.2012, Juris-Rn. 30; 3 StR 313/79 v. 19.12.1979, Juris-Rn. 6), sind die dortigen Umstände mit denen der vorliegenden Fallkonstellation nicht vergleichbar:

Zum einen erfolgt die betreffende Handlung - dort das Wettangebot - unmittelbar und zielgerichtet gegenüber dem Getäuschten selbst. Demgegenüber gelangt die tatsächliche Handlung des Inverkehrbringens von Fahrzeugen durch den Hersteller als solche nicht zur Kenntnis der Endkunden. Die Identität des Abnehmers ist dem Hersteller zu diesem Zeitpunkt oftmals noch gar nicht bekannt, erst recht nicht die Identität späterer Gebrauchtkäufer. Es besteht auch kein kommunikativer Kontakt zwischen dem Hersteller und den späteren Erwerbern. Erst im Rahmen seines Kaufabschlusses erfährt der jeweilige Erwerber von der Identität des konkreten Fahrzeugs und damit (lediglich) zwangsläufig von dem Umstand, dass es von dem Hersteller in Verkehr gebracht worden ist.

Zum zweiten geschieht in den Wettfällen das Handeln im Rahmen oder zumindest in Anbahnung einer vertraglichen Beziehung zu dem Getäuschten, während zwischen einem Fahrzeughersteller und den späteren Erwerbern eine Vertragsbeziehung weder zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens besteht noch später begründet wird.

cc)

Soweit auf eine Täuschung durch Unterlassen, also durch Verschweigen der erfolgten Manipulation, abgestellt werden könnte, dürfte es an einer rechtlichen Einstandspflicht für den Nichteintritt eines Betrugserfolges, also an einer sog. Garantenstellung gemäß § 13 StGB, fehlen. Eine Garantenstellung aufgrund rechtswidrigen Vorverhaltens (sog. Ingerenz) dürfte durch den Verstoß des Fahrzeugherstellers gegen Emissions- bzw. Zulassungsvorschriften nicht zu begründen sein. Hierfür müsste die verletzte Rechtsnorm nämlich gerade dem Schutz des auch durch die Strafnorm - hier § 263 StGB - geschützten Rechtsguts zu dienen bestimmt sein (Beck’scher Online-Kommentar/ Heuchemer Rn. 70 zu § 13; Schönke/Schröder/Bosch Rn. 35a zu § 13). Die Emissions- und Zulassungsvorschriften dienen jedoch öffentlichen Interessen und nicht dem Schutz von Individualrechtsgütern der Endkunden (OLG Braunschweig 7 U 134/17 v. 19.2.2019, Juris-Rn. 172).

b)

Für den Tatbestand des § 263 StGB kann das Vorliegen einer Täuschung aber dahingestellt bleiben.

Für einen Betrug würde es nämlich jedenfalls auch an der Absicht der Beklagten fehlen, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, der die unmittelbare Kehrseite eines dem Kläger zugefügten Vermögensschadens bilden würde (sog. Stoffgleichheit, BGH 2 StR 332/02 v. 4.12.2002, Juris-Rn. 6).

Ein Vermögensschaden des Klägers hätte nur in der Eingehung und der nachfolgenden Erfüllung der Kaufpreisverbindlichkeit gegenüber dem Händler liegen können, von dem er das Fahrzeug erworben hat.

Durch diesen Vorgang konnte die Beklagte keinen eigenen Vermögensvorteil erlangen. Deshalb kann sie auch nicht im Vorhinein die Absicht gehabt haben, einen solchen zu erlangen.

Ferner ist auch kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Beklagte die Absicht einer Bereicherung des Händlers (sog. drittnütziger Betrug) gehabt haben könnte. Entgegen der Berufungsbegründung ist nicht auf ein wirtschaftliches Interesse der Beklagten daran abzustellen, dass "Vertragspartner" von ihr hergestellte Kraftfahrzeuge an Kunden verkauften. Ob dafür im Falle eines Neuwagengeschäfts das Absatzinteresse als Herstellerin und/oder der Geldzufluss aus dem Deckungsgeschäft des Vertragshändlers genügen würden, kann hier dahingestellt bleiben. Denn der Kläger hat das Auto als Gebrauchtwagen erworben, und im Übrigen auch nicht von einem Vertragshändler der Beklagten, sondern nach eigener Angabe von einem freien Händler. Zum Zeitpunkt seines Kaufs war deshalb das Absatzinteresse der Beklagten bezüglich dieses Autos schon befriedigt.

2.

Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 Abs. 1 UWG steht dem Kläger nicht zu.

Die Beklagte hat nicht in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, durch unwahre Angaben irreführend geworben.

Der Kläger hat schon keine konkrete Werbeveröffentlichung der Beklagten bezeichnet, in der unwahre Angaben über das streitgegenständliche Fahrzeug enthalten gewesen sein sollen. Des Weiteren hat er nach seiner eigenen Schilderung im Termin keine solche Werbeveröffentlichung zur Kenntnis genommen und kann deshalb auch nicht durch sie irregeführt und in seiner Kaufentscheidung beeinflusst worden sein.

Darüber hinaus wäre z. B. aus einer Angabe von Schadstoffwerten in einem Werbeprospekt keine Absicht der Beklagten ableitbar, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen. Die fraglichen Schadstoffwerte entsprachen der seinerzeit gültigen Euro-5-Norm gemäß Anhang I Tabelle 1 zur VO (EG) 715/2007, die von allen gleichartigen Fahrzeugen zu erfüllen waren. Allein die Erfüllung eines für sämtliche Wettbewerbsprodukte geltenden gesetzlichen Erfordernisses kann kein besonders günstiges Angebot begründen, sondern allenfalls ein gleichwertiges Angebot.

Ebenfalls kein Anschein eines besonders günstigen Angebots könnte daraus hergeleitet werden, wenn die Beklagte das Fahrzeug, wie der Kläger es behauptet, "als besonders umweltfreundlich angepriesen" haben sollte. Der Begriff der Umweltfreundlichkeit ist zu unbestimmt und wertungsabhängig, als dass eine (unterstellte) Angabe, ein bestimmtes Fahrzeug sei umweltfreundlich, als wahr oder unwahr bezeichnet werden könnte.

3.

Ferner hat der Kläger auch keinen Anspruch gegen die Beklagte wegen vorsätzlichsittenwidriger Schädigung gemäß § 826 i. V. m. § 31 BGB, bzw. - sofern durch einen Verrichtungsgehilfen - gemäß § 831 i. V. m. § 826 BGB.

Zwar ist das Inverkehrbringen eines mit einer Manipulationssoftware versehenen Autos im Einklang mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Dresden 9a U 2423/19 v. 7.4.2020, Juris-Rn. 19 ff.; OLG Köln 4 U 219/19 v. 10.3.2020, Juris-Rn. 38; OLG Dresden 10a U 1834/19 v. 5.3.2020 [Pressemitteilung]; OLG Saarbrücken 2 U 128/19 v. 14.2.2020, Juris-Rn. 29; OLG Schleswig 17 U 95/19 v. 31.01.2020, Juris-Rn. 35 ff.; OLG Köln 7 U 141/19 v. 30.1.2020; OLG Celle 7 U 575/18 v. 29.1.2020, Juris-Rn. 23 ff.; OLG Schleswig 1 U 32/19 v. 29.11.2019, Juris-Rn. 24 ff.; OLG Stuttgart 14 U 89/19 v. 28.11.2019, Juris-Rn. 48 ff.; OLG Oldenburg 13 U 33/19 v. 26.11.2019, Juris-Rn. 11; OLG Stuttgart 10 U 199/19 v. 26.11.2019, Juris-Rn. 31 ff.; OLG Karlsruhe 17 U 146/19 v. 19.11.2019, Juris-Rn. 29; OLG Karlsruhe 13 U 12/19 v. 6.11.2019, Juris-Rn. 24; OLG Frankfurt 13 U 156/19 v. 6.11.2019, Juris-Rn. 34; OLG Koblenz 3 U 819/19 v. 25.10.2019, Juris-Rn. 52; OLG Frankfurt 17 U 45/19 v. 25.9.2019, Juris-Rn. 1 ff.; OLG Koblenz 12 U 61/19 v. 16.9.2019, Juris-Rn. 50 ff.; OLG Hamm 13 U 149/18 v. 10.9.2019, Juris-Rn. 43; OLG Köln 19 U 51/19 v. 6.9.2019, Juris-Rn. 27; OLG München 8 U 1449/19 v. 29.8.2019, Juris-Rn. 44; OLG Koblenz 5 U 1218/18 v. 28.8.2019, Juris-Rn. 35 ff.; OLG Dresden 9 U 2067/18 v. 24.7.2019, Juris-Rn. 24; OLG Köln 16 U 199/18 v. 17.7.2019, Juris-Rn. 3 ff.; OLG Köln 18 U 70/18 v. 3.1.2019, Juris-Rn. 20 ff.) im Grundsatz als vorsätzlichsittenwidrige Schädigungshandlung gegenüber dem Endkunden anzusehen.

Im vorliegenden Fall waren aber sowohl die Sittenwidrigkeit als auch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten zum Zeitpunkt des in Betracht kommenden Schadenseintritts nicht mehr gegeben. Auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts kommt es an (BGH VI ZR 288/12 v. 4.6.2013, Juris-Rn. 13; OLG Frankfurt 13 U 156/19 v. 6.11.2019, Juris-Rn. 36; OLG Celle 7 U 33/19 v. 1.7.2019, Juris-Rn. 20; entgegen OLG Oldenburg 14 U 166/19 v. 14.1.2020, Juris-Rn. 38 und OLG Hamm 13 U 149/18 v. 10.9.2019, Juris-Rn. 65), weil auch die Gesamtbeurteilung als sittenwidrige Schädigung gerade in Bezug auf den konkreten Geschädigten vorzunehmen ist (BGH VI ZR 512/17 v. 7.5.2019, Juris-Rn. 8).

Der Schaden, nämlich die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, konnte erst mit dem Kauf des Autos durch den Kläger am 14.1.2016 eintreten.

a)

Zu diesem Zeitpunkt war die besondere Verwerflichkeit, die dem Handeln der Beklagten ursprünglich zugekommen war, bereits entfallen.

Diese besondere Verwerflichkeit war darin begründet, dass die Beklagte die Typengenehmigung für das Fahrzeug durch eine Täuschung der Genehmigungsbehörde erschlichen hatte, obwohl die Genehmigungsvoraussetzungen, konkret die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte gemäß Anhang I zur VO (EG) 715/2007 und das Fehlen unzulässiger Abschalteinrichtungen gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007, nicht vorlagen, und dass das Fahrzeug deshalb für den künftigen Endkunden, ohne dass er dies beim Kauf hätte erkennen können, mit dem Risiko der behördlichen Stilllegung und damit einer vollständigen Gebrauchsuntauglichkeit behaftet war.

Ab dem 16.10.2015 hingegen ist in Bezug auf Käufer, die wie der Kläger ihr Fahrzeug erst nach diesem Zeitpunkt erworben haben, eine abweichende Beurteilung geboten (Senat, 19 U 192/19 v. 28.4.2020; 19 U 425/19 v. 6.3.2020; 19 U 230/19 v. 3.3.2020; 19 U 871/19 v. 18.2.2020; ebenso OLG Celle 7 U 575/18 v. 29.1.2020, Juris-Rn. 35 ff. [Kauf Februar 2017]; OLG Schleswig 1 U 32/19 v. 29.11.2019, Juris-Rn. 39 ff. [Kauf Januar 2016]; OLG Frankfurt 17 U 313/18 v. 27.11.2019, Juris-Rn. 29 [Kauf August 2016]; OLG Stuttgart 10 U 338/19 v. 26.11.2019, Juris-Rn. 44 ff. [Käufe ab Mitte Oktober 2015]; OLG Oldenburg 13 U 33/19 v. 26.11.2019, Juris-Rn. 13 ff. [Käufe ab 22.9.2015]; OLG Frankfurt 13 U 156/19 v. 6.11.2019, Juris-Rn. 38 ff. [Kauf Oktober 2016]; OLG Koblenz 3 U 948/19 v. 25.10.2019, Juris-Rn. 31 [Kauf Oktober 2016]). Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte nämlich Gegenmaßnahmen ergriffen, die ihr Gesamtverhalten ab da nicht mehr als besonders verwerflich erscheinen lassen.

Die Beklagte hatte zunächst in einer öffentlichen Mitteilung vom 22.9.2015 auf "Auffälligkeiten" bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 sowie darauf hingewiesen, dass bei diesem Motortyp Abweichungen zwischen den Prüfstandswerten und den Werten im realen Fahrbetrieb festgestellt worden seien.

Zudem hat sie veröffentlicht, welche vom X-Konzern hergestellten Fahrzeugtypen von der Problematik betroffen sind.

Die Beklagte hat aber nicht nur die Unregelmäßigkeiten bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 eingeräumt, sondern darüber hinaus auch mit den zuständigen Behörden - insbesondere mit dem Kraftfahrt-Bundesamt - zusammengearbeitet und damit begonnen, technischen Maßnahmen zur Entfernung der ursprünglich in den betroffenen Motoren verwendeten unzulässigen Motorsteuerungssoftware und zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge zu entwickeln.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat die Beklagte wegen der von ihr eingeräumten Verwendung einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware bei Motoren des Typs EA 189 unter Fristsetzung bis zum 7.10.2015 aufgefordert, einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen, um schnellstmöglich sicherzustellen, dass eine Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge hergestellt wird.

Dieser Aufforderung ist die Beklagte auch hinreichend nachgekommen, indem sie dem Kraftfahrt-Bundesamt mit Schreiben vom 7.10.2015 einen Maßnahmenplan zur Herstellung eines regel- und zulassungskonformen Zustands der betroffenen Fahrzeuge vorgelegt hat.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat mit allgemein zugänglicher und gerichtsbekannter Pressemitteilung Nr. 25/2015 vom 8.10.2015 (https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2011_2015/2015/Allgemein/pm25_15_vw.html?nn=646300) bestätigt, vom X-Konzern ein Schreiben bezüglich der betroffenen Fahrzeuge erhalten zu haben. Weiter heißt es in der Pressemitteilung, dass nunmehr geprüft werde, inwieweit die vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet seien, um einen regel- und zulassungskonformen Zustand der betreffenden Fahrzeuge herzustellen.

Auch aus dem allgemein zugänglichen und gerichtsbekannten Bericht der Untersuchungskommission X des Bundesverkehrsministeriums vom 22.4.2016 ergibt sich, dass die Beklagte der Aufforderung zur Vorlage eines Maßnahmen- und Zeitplans zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge fristgerecht nachgekommen ist. Danach hat der X-Konzern dem Kraftfahrt-Bundesamt mit Schreiben vom 7.10.2015 einen Maßnahmen- und Zeitplan vorgelegt, in dem er Maßnahmen zur Herstellung eines regel- und zulassungskonformen Zustands der betroffenen Fahrzeuge vorgeschlagen hat.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat mit allgemein zugänglicher und gerichtsbekannter Internetveröffentlichung vom 16.10.2015 (https://www.kba.de/DE/Presse/Archiv/Abgasthematik/vw_inhalt.html?nn=646098) erneut mitgeteilt, dass die Beklagte der Aufforderung zur Vorlage eines Maßnahmen- und Zeitplans zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge nachgekommen ist. Weiter heißt es in dieser Veröffentlichung, dass nunmehr unter Berücksichtigung des von der Beklagten am 7.10.2015 vorgelegten Maßnahmenplans der Rückruf der betroffenen Fahrzeuge angeordnet worden sei. Zudem seien die betroffenen Fahrzeuge verkehrssicher und könnten bis zum Austausch der jeweiligen Komponenten weitergefahren werden.

Dass die mit dem Maßnahmenplan eingeleiteten Bemühungen der Beklagten, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge herzustellen und damit die Folgen ihres Fehlverhaltens zu beseitigen, ernst gemeint waren, ergibt sich daraus, dass die Maßnahmen in der Folgezeit auch tatsächlich umgesetzt worden sind. Die Beklagte entwickelte für die EA-189-Motoren ein Software-Update, das erstmals am 27.1.2016 für das Modell X B mit 2,0 l Hubraum vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegeben worden ist (vgl. https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht1.pdf?__blob=publicationFile&v=2). Wie durch eine weitere Internetveröffentlichung des Kraftfahrt-Bundesamtes (https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht_betroffener_FzVarianten.html?nn=2308842) bestätigt wird, hat die an eine Freigabe anschließende Rückrufaktion zur Folge, dass die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge hergestellt wird. Der Freigabe für den X B folgten Freigaben für die weiteren EA-189-2,0-l-Motoren im Sommer 2016 und für die 1,6-l-Motoren im Herbst 2016.

Demgegenüber ist der Umstand, dass das Software-Update nach seiner Entwicklung und Freigabe noch in den betroffenen Fahrzeugen installiert werden musste, entgegen einer Entscheidung des OLG Brandenburg (3 U 89/19 v. 11.2.2020, Juris-Rn. 65) nicht von ausschlaggebendem Gewicht. Die Mitwirkung der Fahrzeughalter, die hierfür absehbar erforderlich war, beschränkte sich auf ein kurzzeitiges Verbringen in eine Vertragswerkstatt der Beklagten, also auf eine bloße Lästigkeit. Die Beklagte konnte deshalb schon im Vorhinein davon ausgehen, dass die Fahrzeughalter diese Mitwirkung vornehmen würden und ihnen dies auch zumutbar sein werde.

Nach allem ist davon auszugehen, dass jedenfalls ab der Bestätigungsmitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 16.10.2015, nach der keine Stilllegungsgefahr mehr bestand, die besondere Verwerflichkeit des bisherigen Handelns der Beklagten beseitigt war.

b)

Aus denselben Gründen kann nicht mehr festgestellt werden, dass die Beklagte in Bezug auf künftige Fahrzeugkäufer noch damit rechnete und billigend in Kauf nahm, dass die von ihnen erworbenen Fahrzeuge mit einem Stilllegungsrisiko behaftet sein würden, die Käufer also einen Schaden in Gestalt einer ungewollten Verbindlichkeit erleiden würden.

c)

Soweit demgegenüber in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch für Fahrzeugkäufe nach dem 16.10.2015 das Fortbestehen der Sittenwidrigkeit und des Schädigungsvorsatzes angenommen wird, wird zur Begründung teilweise auch auf eine unzureichende Information der Beklagten gegenüber potenziellen Käufern abgestellt (OLG Hamm 13 U 149/18 v. 10.9.2019, Juris-Rn. 65 f., 80). Die besondere Verwerflichkeit und der Schädigungsvorsatz entfallen aber nicht deswegen, weil von einer Informiertheit des konkreten Käufers auszugehen ist, sondern, wie ausgeführt, aufgrund des Verhaltens der Beklagten, durch das sie das Stilllegungsrisiko für künftige Käufer beseitigt hat.

d)

An der Beurteilung würde es auch nichts ändern, wenn entgegen den obigen Ausführungen zu 1. a) - und mit einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung - die besondere Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten darin zu sehen sein sollte, dass sie eine Täuschung im Rechtssinne gegenüber den Endkunden verübt hätte. Denn die als täuschende Erklärung zu bewertende Handlung der Beklagten läge danach in dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs. Das Inverkehrbringen könnte dem Kläger frühestens bei seinen Kaufverhandlungen, als er erstmals mit dem konkreten Fahrzeug in Kontakt kam, zur Kenntnis gelangt sein. Erst dann wäre ihm die täuschende Erklärung zugegangen, die Täuschung also ihm gegenüber bewirkt worden. Ob die bis dahin erfolgten Maßnahmen der Beklagten ausgereicht hätten, um den Täuschungscharakter der Erklärung vollständig - etwa im strafrechtlichen Sinne eines Rücktritts vom beendeten Versuch - zu beseitigen, mag dahinstehen. Jedenfalls hätten sie ausgereicht, um den Unwertgehalt der Täuschung unter das Maß abzusenken, das eine Beurteilung als besonders verwerflich rechtfertigen würde.

e)

Ob das Software-Update und die technischen Begleitmaßnahmen ihrerseits zu Nachteilen an dem Fahrzeug wie z. B. einer negativen Beeinflussung des Fahrverhaltens, des Verbrauchs oder des Verschleißes führen, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Denn selbst wenn das der Fall sein sollte, würde das an der Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit des Autos und damit dem Wegfall des Stilllegungsrisikos nichts ändern. Verbleiben würde allenfalls ein Zustand, der möglicherweise in dem vertragsrechtlichen Verhältnis zwischen dem Kläger und seinem Verkäufer als Sachmangel gemäß § 434 BGB zu qualifizieren wäre. Das bloße Inverkehrbringen eines mit einem "einfachen" Sachmangel behafteten Produkts kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten des Produktherstellers angesehen werden. Das gilt umso mehr, als kein Anhaltspunkt bestünde, dass der Hersteller den Sachmangel, also die etwaigen Nachteile durch das Software-Update, vorsätzlich herbeigeführt haben könnte.

Auch wenn das Software-Update eine andersartige Abschalteinrichtung wie z. B. ein sog. Thermofenster beinhalten sollte, würde das wegen der Billigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt am Wegfall des Stilllegungsrisikos für einen künftigen Käufer nichts ändern.

4.

Einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV schließlich hat das Landgericht mit zutreffender Begründung verneint, gegen die die Berufung auch nichts erinnert und auf die daher verwiesen wird.

5.

Die begehrte Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger zum Ersatz weiterer Schäden verpflichtet ist, ist damit ebenfalls nicht gerechtfertigt. Auf die Frage, ob die Möglichkeit weiterer Schäden hinreichend dargetan ist und deshalb ein Feststellungsinteresse besteht, kommt es angesichts dessen nicht an. Weil das Feststellungsinteresse keine echte Prozessvoraussetzung ist, kann, wie geschehen, bei Unbegründetheit auch eine Sachabweisung erfolgen (BGH II ZR 3/53 v. 24.2.1954, Juris-Rn. 11; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, Rn. 7 a. E. zu § 256).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO. Die grundsätzliche Bedeutung der Sache ergibt sich aus den abweichenden obergerichtlichen Entscheidungen zur Haftung gegenüber Erwerbern nach dem 16.10.2015.