SG München, Urteil vom 22.11.2017 - S 39 KR 249/16
Fundstelle
openJur 2020, 74656
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.270,75 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2015 zu bezahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 8.270,75 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 8.270,75 Euro wegen durchgeführter stationärer Krankenhausbehandlung hat.

Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses. Der bei der Beklagten versichert D., geb. 1971, wurde im Krankenhaus der Klägerin vom 21.09.2015 bis 26.09.2015 stationär behandelt. Die Klägerin hat hierfür am 09.10.2015 eine Rechnung über 8.270,75 Euro erstellt und die DRG K04A (Große Eingriffe bei Adipositas mit komplexem Eingriff) zu Grunde gelegt.

Die Beklagte hat die Rechnung bisher nicht bezahlt. Mit Schreiben vom 19.10.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Kosten nicht übernommen werden könnten, da der Eingriff vorab genehmigt werden müsse. Dies sei nicht der Fall.

Die Klägerin verwies darauf, dass eine solche Vorabgenehmigung nicht erforderlich sei und die Indikation zur Operation bestanden habe. Dies könne durch den MDK überprüft werden. Mit Schreiben vom 18.11.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass gemäß § 275 Abs. 1 SGB V eine Prüfung durch den MDK erfolgen solle und bat um Übersendung konkret bezeichneter medizinischer Unterlagen.

Am 22.02.2016 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass aus den medizinischen Unterlagen die Indikation zur Magenresektions-Operation nachvollziehbar sei. Der Eingriff sei leitlinienkonform erfolgt. Auf Grund des BMI von über 50 kg/m² sei auch eine vorherige konservative Therapie nicht erforderlich gewesen. Ein vorheriger Kostenübernahmeantrag sei nach den ergangenen Entscheidungen des Sozialgerichts München nicht erforderlich.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.270,75 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2015 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erwidert, dass die medizinische Notwendigkeit der Schlauchmagenoperation bestritten werde. Zudem könnten Leistungen nach § 19 SGB V nur auf Antrag erbracht werden. Ein solcher liege nicht vor.

Auf entsprechenden richterlichen Hinweis, dass bei stationärer Krankenhausbehandlung kein vorheriger Antrag erforderlich sei, beauftragte die Beklagten den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) am 13.12.2016 mit der Begutachtung des Falls. Dieser erstellte am 04.01.2017 ein Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass eine Adipositas mit Krankheitswert vorliege, BMI >40 kg/m². Es liege keine Stellungnahme des Adipositaschirurgen zur geplanten Operation vor und es sei kein Nachweis vorhanden, dass es sich um eine Ultima Ratio Situation nach Versagen der konservativen Therapie handele.

Der Klägerbevollmächtigte verweist darauf, dass der MDK die Leitlinie nicht korrekt anwende, da bei einem BMI >50 kg/m² keine konservative Therapie mehr erforderlich sei. Zudem liege mit Schreiben vom 04.11.2015 eine Stellungnahme des Adipositaschirurgen vor. Kontraindikationen des geplanten Eingriffs seien ausgeschlossen worden.

Die Beklagte hat erneut ein Gutachten des MDK eingeholt, welches dieser am 08.03.2017 erstellt hat. Der MDK verweist darauf, dass bezüglich der primären OP-Indikation in Ziff. 5.45 der Leitlinie kein Konsens mit der DGEM gefunden worden sei und diese daher nicht angewandt werde. Bezüglich der Ultima Ratio Situation fehle der Nachweis der Durchführung eines multimodalen Therapiekonzepts. Der Kläger habe während der sechsmonatigen Ernährungstherapie, die Bewegung im Ernährungsprotokoll vermerkt. Hieraus sei abzulesen, dass keine konsequente Bewegungstherapie stattgefunden habe.

Das Gericht hat gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines adipositaschirurgischen Fachgutachtens bei Dr. med. F., Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Klinikum F-Stadt. Dieser hat das Gutachten am 20.07.2017 nach Aktenlage erstattet. Er stellt fest, dass nach den gültigen S3-Leitlinien eine Indikation zur Operation bestanden habe und sämtliche Kontraindikationen ausgeschlossen worden seien. Es seien diverse Komorbiditäten belegt bzw. auf Basis der vorliegenden Befunde auch zeitnah zu erwarten gewesen. Der Kläger habe zahlreiche konservative Therapien versucht, mit diesen jedoch das reduzierte Gewicht nicht halten können. Die Bewegungstherapie sei auf Grund der zunehmenden orthopädischen Beschwerden auch nur eingeschränkt möglich. Insgesamt sei nicht zu erwarten gewesen, dass der Kläger mit weiteren konservativen Therapien dauerhaft an Gewicht verlieren würde.

Die Klägerin sieht sich durch das Sachverständigengutachten bestätigt. Die Beklagte wendet sich gegen das Gutachten. Es beinhalte keinen Nachweis einer konsequent über 6, besser 12 Monate durchgeführten, konservativen Therapie. Es werde nur der Parteivortrag wiederholt. Die Richtlinien seien zudem nicht bindend für die Beklagte.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 22.11.2017 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.

Gründe

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 22.11.2017 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt, daher konnte die Kammer gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) schriftlich entscheiden.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG (SGG) zulässig.

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bezahlung offener Vergütung in Höhe von 8.270,75 Euro.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) sowie § 17b Abs. 1 Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB V, dem Fallpauschalenkatalog. Gemäß § 7 Satz 1 Nr. 1 i. V. m § 9 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen nach Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog abgerechnet. Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V" (OPS-301) verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 S. 2 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Kodierrichtlinien" beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als "Groupierung" bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS eine bestimmte DRG angesteuert (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R mwN). Die Vergütungsregelungen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, müssen die zuständigen Stellen durch Änderung für die Zukunft Abhilfe schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R).

Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und iS von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 13, RdNr. 11 mwN; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr. 2, RdNr. 13 mwN). Auf eine vorherige Genehmigung der Behandlung kommt es nicht an. Von der Frage der Erforderlichkeit eines vorherigen Antrags zu unterscheiden ist aber die Frage, ob die Beklagte die Notwendigkeit und Erforderlichkeit der vollstationären Behandlung überprüfen darf. Insoweit besteht mit der Entscheidung des Großen Senats vom 25.09.2007, GS 1/06, Rechtsklarheit, dass dies der Fall ist. Hier gibt es keine Einschätzungsprärogative des Krankenhausarztes. Das BSG führt daher aus, dass die Prüfung der Notwendigkeit und Erforderlichkeit der vollstationären Behandlung nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V entweder im Rahmen des vorherigen Antrags oder bei Einreichung der Rechnung mittels Einschaltung des MDK erfolgen kann und darf (vgl. Rn. 28- juris). Damit kann die Begleichung der Rechnung nicht mit dem Argument zurückgewiesen werden, dass eine vorherige Genehmigung nicht erfolgt ist.

Die vorliegend streitige Rechnung wurde von der Klägerin am 09.10.2015 erstellt. Für die Prüfung von Krankenhausrechnungen gilt die Regelung des § 275 Abs. 1c SGB V. Danach ist die Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Eine solche Einleitung des Prüfverfahrens und Anzeige durch den medizinischen Dienst ist nicht erfolgt. Deshalb ist, eine Begrenzung der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht nach § 106 SGG geboten, soweit das Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V verspätet eingeleitet worden ist. Das gilt auch für solche rechtserheblichen Mängel des Prüfverfahrens nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, die der Sphäre des MDK zuzurechnen sind.(vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R -, BSGE 111, 58-71, SozR 4-2500 § 109 Nr. 24, Rn. 28f - juris, BSG, Urteil vom 13. November 2012 - B 1 KR 24/11 R -, BSGE 112, 141-156, SozR 4-2500 § 275 Nr. 8). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Haben die Gerichte den hieraus sich ergebenden Grenzen der Amtsermittlung zuwider gleichwohl Behandlungsunterlagen des Krankenhauses beigezogen, so dürfen im Prozess weder diese Unterlagen noch darauf gestützte weitere Beweisergebnisse verwertet werden. Beschränkt ist die Verwertung gleichwohl erhobener Beweise allerdings nur, wenn das Krankenhaus seinerseits die ihm obliegenden Mitteilungspflichten im Verhältnis zur Krankenkasse über Anlass und Verlauf der abgerechneten Krankenhausversorgung bis zur Vorlage der Abrechnung ordnungsgemäß erfüllt und damit den Lauf der Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V überhaupt in Gang gesetzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R -, BSGE 111, 58-71, SozR 4-2500 § 109 Nr. 24, Rn. 30f - juris). Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflichten des § 301 SGB V ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Klägerin hat daher mit ihrer Abrechnung die Frist des § 275 Abs. 1c SGB V in Lauf gesetzt. Die Beklagte hat auf Grund des Nichttätigwerden des MDK innerhalb dieser Frist jedoch diese Frist nicht eingehalten. Die Kammer war daher von der weiteren Ermittlung des medizinischen Sachverhalts ausgeschlossen. Die Klägerin gibt in ihrer Abrechnung an, dass der Eingriff durchgeführt worden ist und teilt die Daten des § 301 SGB V mit. Damit sind die Voraussetzungen des geltend gemachten Vergütungsanspruchs erfüllt. Die Beklagte macht die fehlende medizinische Erforderlichkeit geltend. Mit diesem Einwand ist sie jedoch auf Grund des nicht eingehaltenen Prüfverfahrens nach § 275 Abs. 1c SGB V ausgeschlossen.

Ohne dass es hierauf noch ankäme, sei zudem darauf hingewiesen, dass sich sowohl aus Ziff. 5.45 der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" als auch unter Anwendung der Ziff. 5.44 unter Heranziehung des medizinischen Sachverständigengutachtens eine Indikation für den durchgeführten Eingriff ergibt.

Der Klage war daher unter jedem prüfbaren Gesichtspunkt vorliegend stattzugeben.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens und folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO).

Der Streitwert war in Höhe von 8.270,75 Euro festzusetzen, da die Zahlung des oben genannten Betrags streitig war und dieser nach § 52 Abs. 3 GKG zu Grunde zu legen ist.

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