ArbG Aachen, Urteil vom 13.02.2020 - 3 Ca 2694/19
Fundstelle
openJur 2020, 81394
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 3 Sa 153/20

Zu den Anforderungen eines Einladungsschreibens bezüglich eines betrieblichen Eingliederungsmanagements im Hinblick auf den Datenschutz.

Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 15.10.2019 wird aufrechterhalten.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.085,00 € (i. W. dreitausendfünfundachtzig Euro, Cent wie nebenstehend) EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2019 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Streitwert: 18.510,00 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung und um eine Jahressonderzahlung.

Die Beklagte stellt mit deutlich mehr als zehn Arbeitnehmern u.a. Schokolade her. Ein Betriebsrat ist vorhanden.

Der am 3. geborene Kläger ist verheiratet und hat keine Kinder. Er ist seit 01.08.2014 bei der Beklagten beschäftigt und erzielt ein Bruttomonatseinkommen von 3.085,- EUR zuzüglich eines Monatseinkommens Jahressonderzahlung, das regelmäßig im November eines jeden Jahres gezahlt wird. Der Kläger wurde zuletzt als Anlagenbediener in der Schokoladenproduktion eingesetzt.

In den Jahren 2016 bis 2019 kam es beim Kläger zu erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten. Im Jahr 2016 fehlte der Kläger an 62 Arbeitstagen, für welche die Beklagte Entgeltfortzahlung leistete. Die Beklagte hatte Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 9.751,18 EUR. Im Jahr 2017 fehlte der Kläger an 45 Arbeitstagen. Bei der Beklagten fielen Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 7482,87 EUR an. Im Jahr 2018 fehlte der Kläger an 58 Arbeitstagen. Die Beklagte wendete 10.032,75 EUR an Entgeltfortzahlungskosten auf. Im Jahr 2019 fehlte der Kläger an insgesamt 33 Tagen krankheitsbedingt, was bei der Beklagten Kosten in Höhe von 5.727,54 EUR verursachte. Auf die Aufstellung der Fehlzeiten im Einzelnen wird auf die Übersicht Bl. 31-32 d.A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 07.04.2017, auf das Bezug genommen wird (Bl. 73 d.A.) informierte die Beklagte den Kläger über die Möglichkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagement. Das Schreiben lautet auszugsweise:

"Einladung zu einem Gespräch zur Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement (gem. § 84 Abs. 2 SGB IX)

(...)

Wir würden uns freuen, wenn Sie unser Angebot annehmen und einem Gesprächstermin zustimmen würden. Bitte teilen Sie uns Ihre Entscheidung mittels beiliegenden Formblatts bis zum 30. April 2017 mit, ob Sie an der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements interessiert sind.

Nach erfolgtem Rücklauf werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen und einen Gesprächstermin vereinbaren.

(...)"

Mit im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben vom 15.03.2019, auf das Bezug genommen wird (Bl. 71 d.A.) informierte die Beklagte den Kläger erneut über ein betriebliches Eingliederungsmanagement.

Einen Hinweis auf Datenschutz- bzw. Datenverarbeitung und Datennutzung enthielten beide Schreiben nicht. Beigefügt war allerdings jeweils ein "Informationsflyer", auf den Bezug genommen wird (Bl. 76-77 d.A.), und in dem es heißt:

"Die strenge Einhaltung des Datenschutzes ist eine Grundvoraussetzung für das betriebliche Eingliederungsmanagement. Der Umgang mit den Daten ist in der Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ebenso festgehalten wie die Art und Weise der Dokumentation aller Aktivitäten und Maßnahmen.

Gut zu wissen:

Bevor der BEM-Beauftragte Informationen von Dritten (z.B. Sozialversicherungsträgern, behandelndem Arzt) bekommen kann, musst Du selbst jeden einzeln von seiner Schweigepflicht entbinden."

Der Kläger lehnte im Jahr 2019 eine Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement ab.

Die Beklagte hörte ihren Betriebsrat mit Schreiben vom 20.08.2019 zur Kündigung des Klägers an. Auf das Anhörungsschreiben (Bl. 36-39 d.A.) wird Bezug genommen. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 27.08.2019, auf das Bezug genommen wird (Bl. 40-41 d.A.).

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 28.08.2019 zum 31.10.2019. Auf das Kündigungsschreiben (Bl. 6 d.A.) wird Bezug genommen.

Mit seiner am 12.09.2019 zugestellten Kündigungsschutzklage wehrt sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Im Termin vom 15.10.2019 erschien für die Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand. Das Gericht erließ sodann auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Versäumnisurteil folgenden Inhalts:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.08.2019 nicht zum 31.10.2019 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 07.07.2014 geregelten Arbeitsbedingungen als Anlagenbediener bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu 1) weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Streitwert: 16.065,00 EUR.

Das Versäumnisurteil wurde der Beklagten am 30.10.2019 zugestellt. Hiergegen legte sie mit Schriftsatz vom 31.10.2019 Einspruch ein und begründete diesen.

Mit späterer Klageerweiterung machte der Kläger die Zahlung der Jahressonderzahlung geltend.

Der Kläger hat bestimmte Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Er trägt vor, seine Ärzte hätten bestätigt, dass seine gesundheitliche Entwicklung positiv zu beurteilen sei und die jeweils festgestellten Erkrankungen ausgeheilt seien. Die Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, zumal auch jeglicher Hinweis auf den Datenschutz fehle.

Der Kläger beantragt,

1. das Versäumnisurteil vom 15.10.2019 aufrechtzuerhalten;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.085,00 € zzgl. 5 %-Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger genüge nicht seiner Darlegungslast hinsichtlich der Krankheitszeiten.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Sitzungsniederschriften vom 15.10.2019 und 13.02.2019 sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hatte Erfolg. Daher war das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten und der weitergehenden Klage stattzugeben.

A. Die Kündigungsschutzklage ist begründet.

I. Der Einspruch der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist er form- und fristgerecht eingelegt worden.

II. Der Einspruch ist allerdings nicht begründet. Die als Kündigungsschutzklage zulässige und nach § 4 S. 1 KSchG fristgemäß erhobene Klage ist nämlich begründet. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, weil sie nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt ist.

1. Das Bundesarbeitsgericht prüft in ständiger Rechtsprechung eine krankheitsbedingte Kündigung in drei Stufen.

Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich (vgl. z.B. BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen, sogenannte "erste Stufe". Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes ("zweite Stufe") festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 10.12.2009 - 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ("dritte Stufe") ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 10.12.2009 - 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 01.03.2007 - 2 AZR 217/06, AP Nr. 2 zu § 90 SGB IX).

2. Die Kammer ist zunächst der Auffassung, dass die Klage nicht bereits deswegen begründet ist, weil eine negative Prognose aufgrund der Krankheiten des Klägers in der Vergangenheit ausgeschlossen werden könnte.

a) Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 01.03.2007 - 2 AZR 217/06, AP Nr. 2 zu § 90 SGB IX; BAG, Urt. v. 10.11.2005 - 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 10.11.2005 - 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 10.11.2005 - 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

b) Der Beklagten ist insoweit beizupflichten, dass die Krankheitszeiten des Klägers in den letzten Jahren erheblich waren. Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, die einzelnen Krankheiten seien ausgeheilt, kann hieraus nicht zwangsläufig geschlossen werden, die Prognose sei positiv. Die im Einzelnen vom Kläger benannten Erkrankungen sind schon geeignet, darauf hinzudeuten, dass der Kläger besonders krankheitsanfällig sein könnte (vgl. im Einzelnen BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Umgekehrt hält sich die prozessuale Einlassung des Klägers im Rahmen dessen, was das Bundesarbeitsgericht als ausreichender erachtet hat, wenn auch die Vorlage eines Krankheitsverlaufs der Krankenversicherung sicherlich wünschenswert gewesen wäre.

3. Die Fehlzeiten des Klägers haben auch auf der zweiten Stufe zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen geführt. Die Beklagte hat in der Vergangenheit regelmäßig mehr - teilweise deutlich mehr - als sechs Wochen Entgeltfortzahlung geleistet, was auf eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen hindeutet (vgl. BAG, Urt. v. 10.05.1990 - 2 AZR 580/89, EzA Nr. 31 zu § 1 KSchG Krankheit).

4. Gleichwohl ist die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt. Sie ist nicht "ultima ratio" und deshalb unverhältnismäßig. Denn die Beklagte hat ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht ordnungsgemäß durchgeführt, was zu einer gesteigerten Darlegungs- und Beweislast führt, der die Beklagte nicht nachgekommen ist.

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht "bedingt", wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 19.04.2007 - 2 AZR 239/06, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 20.03.2014 - 2 AZR 565/12, AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 639/98, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

b) Diesbezügliche Feststellungen kann die Kammer nicht treffen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement ein Ergebnis gezeitigt hätte, wie in Zukunft die Krankheitszeiten des Klägers vermieden oder reduziert werden können.

Die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung (st. Rspr.; vgl. BAG, Urt. v. 13.05.2015 - 2 AZR 565/14, AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist auch nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX ist aber kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BAG, Urt. v. 13.05.2015 - 2 AZR 565/14, AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Mit Hilfe eines betrieblichen Eingliederungsmanagements können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, gegebenenfalls durch Umsetzungen "freizumachenden" Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 20.03.2014 - 2 AZR 565/12, AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Nur wenn auch die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements darlegen. Hierzu hat er umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein betriebliches Eingliederungsmanagement in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 20.03.2014 - 2 AZR 565/12, AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Ist es dagegen denkbar, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe "vorschnell" gekündigt (BAG, Urt. v. 13.05.2015 - 2 AZR 565/14, AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; zum Ganzen BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

c) Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene betriebliche Eingliederungsmanagement unterlassen. Sie hat daher "vorschnell" gekündigt im Sinne der oben genannten Rechtsprechung.

aa) Die Beklagte war wegen § 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG, Urt. v. 24.03.2011 - 2 AZR 170/10, AP Nr. 6 zu § 69 ArbGG 1979). Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit m.w.N.).

Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist auf verschiedene Weisen möglich. § 167 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener "Suchprozess", der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG, Urt. v. 10.12.2009 - 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des betrieblichen Eingliederungsmanagements orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es, festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urt. v. 10.12.2009 - 2 AZR 400/08, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu ergreifen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit m.w.N.).

Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX hinausgeht (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements die Rede sein (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

bb) Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht ordnungsgemäß versucht. Jedenfalls kann sie sich nicht darauf berufen, der Kläger habe das betriebliche Eingliederungsmanagement abgelehnt.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es - wenn der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement deshalb nicht durchgeführt hat, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat - darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hatte (BAG, Urt. v. 24.03.2011 - 2 AZR 170/10, AP Nr. 6 zu § 69 ArbGG 1979). Die Belehrung nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines BEM (BAG, Urt. v. 24.03.2011 - 2 AZR 170/10, AP Nr. 6 zu § 69 ArbGG 1979). Sie soll dem Arbeitnehmer die Entscheidung ermöglichen, ob er ihm zustimmt oder nicht (BAG, Urt. v. 24.03.2011 - 2 AZR 170/10, AP Nr. 6 zu § 69 ArbGG 1979). Die Initiativlast für die Durchführung eines BEM trägt der Arbeitgeber (BAG, Urt. v. 24.03.2011 - 2 AZR 170/10, AP Nr. 6 zu § 69 ArbGG 1979).

(2) Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht ordnungsgemäß eingeleitet.

Es fehlt nämlich jeglicher Hinweis auf die dabei erhobenen und verwendeten Daten. Soweit in dem Informationsflyer ein allgemeiner Hinweis auf den Datenschutz und eine eher irreführende Information über die Frage der Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht enthalten ist, die durchaus dahingehend verstanden werden kann, der Kläger sei hierzu bei Zustimmung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet, genügt dies ebenfalls nicht. Auch ist es nicht ausreichend, dass die Beklagte in diesem Schreiben lediglich auf offenbar weitergehende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung Bezug genommen hat, unabhängig davon, dass sie diese nicht einmal zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht hat und damit auch der erkennenden Kammer eine Überprüfung nicht ermöglicht hat. Im Übrigen zeigt der bloße Verweis auf die Betriebsvereinbarung gerade, dass die Beklagte den Kläger gerade nicht darauf hingewiesen hat, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Dies setzt aber § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX voraus, sodass nur bei entsprechender Unterrichtung vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements die Rede sein kann (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; LAG Schleswig-Holstein, 1 Sa 48 a /15 - juris; ErfK/Rolfs, § 167 SGB IX Rn. 5a).

cc) Da die Beklagte kein betriebliches Eingliederungsmanagement gesetzeskonform eingeleitet hat, traf sie im Prozess die oben beschriebene gesteigerte Darlegungslast. Dieser ist sie nicht nachgekommen. Die Beklagte hat nicht einmal behauptet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei objektiv nutzlos gewesen. Sie hat im Gegenteil vorgetragen, der Kläger habe dies abgelehnt, woraus zu schließen ist, dass sie selbst davon ausging, eine Kündigung könnte damit vermieden werden. Dagegen kommt es auf die Ablehnung durch den Kläger kündigungsrechtlich nicht an, auch wenn die Kammer die Ablehnung des Klägers ebenso mit einem gewissen Unverständnis zur Kenntnis nimmt wie die Behauptung des Klägers, der Betriebsrat habe ihm von einem betrieblichen Eingliederungsmanagement abgeraten.

dd) Soweit man entgegen der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, die Einladungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement seien ordnungsgemäß gewesen, wäre die Vorlage der Einladungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement allerdings verspätet nach § 340 Abs. 2 i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO. Denn die Beklagte hat die Einladungen erst im Kammertermin vorgelegt. Ihre Berücksichtigung - so man ihnen Ordnungsgemäßheit attestiert - hätte eine Vertagung und gegebenenfalls eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bedeutet. Entgegen ihrer Auffassung war die Beklagte auch bereits mit der Einspruchsschrift dazu aufgerufen, die Einzelheiten zu benennen, warum sie davon ausging, sie treffe lediglich die "einfache" Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers.

C. Das Versäumnisurteil war auch hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsanspruchs aufrechtzuerhalten.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch kann vorliegend nicht nur aus dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch, sondern aus § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG hergeleitet werden. Die Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Widerspruch im Sinne von § 102 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 3 BetrVG sind nicht besonders hoch. Der Widerspruch des Betriebsrates ist dann ordnungsgemäß erklärt, wenn er sich einem der Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG zuordnen lässt. Er muss geeigneten Tatsachenvortrag enthalten. Insoweit ist erforderlich, dass die vom Betriebsrat zur Begründung seines Widerspruchs angeführten Tatsachen es als möglich erscheinen lassen, dass einer der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Widerspruchsgründe vorliegt (BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 608/98, AP Nr. 11 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung).

Der Betriebsrat hat im vorliegenden Fall einen konkreten Arbeitsplatz benannt und mitgeteilt, dass das Einverständnis des Klägers vorliege. Damit hat der Betriebsrat der Kündigung ordnungsgemäß unter Benennung eines Grundes, der unter § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG subsumiert werden kann, widersprochen, sodass der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG einschlägig ist.

D. Die Klage auf die Jahressonderzahlung ist ebenfalls begründet.

Der Anspruch folgt aus § 612a Abs. 2 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Beklagte hat selbst außergerichtlich mitgeteilt, ob die Jahressonderzahlung geschuldet sei, hänge vom Erfolg der Klageforderung ab.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286, 288 BGB.

E. Die Kosten des Rechtsstreits waren nach § 91 Abs. 1 ZPO der Beklagten aufzuerlegen. Die Kammer hat bei der gebotenen Streitwertfestsetzung (§ 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 3 ZPO) in Anlehnung an § 42 Abs. 2 GKG drei Monatsgehälter des Klägers in Ansatz gebracht und zusätzlich ein Gehalt für den Beschäftigungsanspruch und schließlich den Wert der Zahlungsklage.