VG Wiesbaden, Beschluss vom 24.08.2020 - 6 L 938/20.WI
Fundstelle
openJur 2020, 73203
  • Rkr:

1. Einer Schule steht keine Befugnis zum Ausspruch einer "dringenden Empfehlung" zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht zu, wenn bei der Umsetzung dieser Empfehlung diese letztendlich als Verpflichtung betrachtet wird.

2. Soweit nach einer Landes-Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Hygiene - worunter nach den sogenannten AHA-Regeln (Abstand-Hygiene-Alltagsmaske) insbesondere das Gebot eines Abstandes von mindestens 1,5 m und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zählen - auch in der Schule wo immer möglich zu beachten sind, darf dies nicht mittelbar zu einer faktischen Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht führen, wenn die Landes-Verordnung eine Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht gerade ausschließt.

3. Eine Andersbehandlung von Schülerinnen und Schülern, die auf eine Maske verzichten wollen, führt zu einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung dieses Personenkreises und stellt eine Zwangsmaßnahme dar.

Tenor

Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung dem Gymnasium B-Stadt aufgegeben, die "dringende Empfehlung" zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes entsprechend dem Hygieneplan der Schule nicht weiter umzusetzen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu 1/3, der Antragsteller zu 2/3 zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Randnummer1Der Antragsteller besucht die 8. Jahrgangsstufe des Gymnasiums B-Stadt und begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Aufhebung der seitens der Schule, auf Grundlage eines Beschlusses in der Gesamtkonferenz vom 14.08.2020 ausgesprochenen Empfehlung, einen sogenannten Mund-Nasen-Schutzes (Alltagsmaske) auch während der Unterrichtszeiten in den Klassenräumen zu tragen. Weiter wendet sich er dagegen, die Corona-Warn-App nutzen zu sollen, sowie gegen eine Dokumentations- und Meldepflicht für externe Besucher der Schule.

Randnummer2Am 13.08.2020 erstellte das Gymnasium B-Stadt eine "Anlage für das Gymnasium B-Stadt zum hessischen Hygieneplan 5.0 vom 12.08.2020".

Randnummer3Zu Ziffer II. (Wiederaufnahme des Schulbetriebs) heißt es darin:

Randnummer4 "Generell herrscht eine grundsätzliche Maskenpflicht für das gesamte Schulgelände. Die Schulleitung empfiehlt dringend auch das Tragen einer Maske während des Unterrichts. Die Umsetzung wird in den Anlagen zu den folgenden Punkten ergänzt bzw. geregelt."

Randnummer5Zu Ziffer II., 1. (Hygienemaßnahmen) heißt es weiter:

Randnummer6 "Aufgrund der Lerngruppengrößen von über 15 Personen ist es dringend empfohlen auch während des Unterrichts eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, da in den Räumen nicht der notwendige Abstand von 1,5 m eingehalten werden kann. Absprachen in kleineren Kursen oder fachspezifischer Art können individuell getroffen werden."

Randnummer7In Ziffer II., 5. (Dokumentation und Nachverfolgung) wird weiter geregelt:

Randnummer8 "Externe Besucher müssen sich umgehend im Sekretariat anmelden und ihren Besuch dokumentieren.

Randnummer9Die Corona-Warn-App soll - sofern möglich - von allen Personen installiert werden."

Randnummer10Die Gesamtkonferenz des Gymnasiums B-Stadt hat sich anlässlich der Gesamtkonferenz vom 14.08.2020 sodann auf einen "Konsens über das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während der Unterrichtszeit bis zum 31.08.2020" mehrheitlich geeinigt.

Randnummer11In einem Rundschreiben der Schulleitung vom 14.08.2020 an die Schüler, Eltern und Lehrerinnen und Lehrer heißt es diesbezüglich:

Randnummer12 "Ich betone, dass die Regelungen einen größtmöglichen Schutz unserer aller Gesundheit ermöglichen und die AHA-Formel (Abstand wahren, auf Hygiene achten und - da wo es eng wird - eine Alltagsmaske tragen) an unserer Schule konsequent umgesetzt wird. Daher hat sich heute die Gesamtkonferenz mit überwältigender Mehrheit auf folgenden Konsens geeinigt: "Konsens über das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während der Unterrichtszeit bis zum 31.08.2020

Randnummer13Die Kolleg*Innen des Gymnasiums B-Stadt mögen sich darauf verständigen, dass sie in Anbetracht des aktuellen Infektionsgeschehens sowie der aktuellen lokalen Gegebenheiten die Schüler*innen ihrer Unterrichtskurse darum bitten, auch im Unterricht eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und dabei selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Gleichzeitig macht der Schulleiter von seinem Recht Gebrauch, "nach Anhörung der Schulkonferenz" die Pflicht, einen Mund-Nase-Schutz im Außenbereich des Schulgeländes zu tragen, dahingehend aufzuweichen, dass diese Pflicht entfällt, wenn die übrigen Hygienevorgaben gewahrt werden - dies betrifft insbesondere die Abstandsregelung von 1,5 m."

Randnummer14Am 17.08.2020 hat der Antragsteller vertreten durch seine Eltern durch Übergabe eines auf den 16.08.2020 datierten Schreibens, welches zu Protokoll der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle aufgenommen wurde, bei Gericht um Eilrechtsschutz nachgesucht.

Randnummer15Zur Begründung seines Eilantrages führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass die dringende Empfehlung des Gymnasiums B-Stadt, auch während des Unterrichts eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, von dem "Rahmenhygieneplan 5.0" des Landes Hessen abweiche. Der Plan des von dem Antragsteller besuchten Gymnasiums gehe über die Begrenzung des "Rahmenhygieneplanes" hinaus und erkläre eine "dringende Empfehlung" ohne Rechtsgrundlage und ohne vom "Rahmenhygieneplan" des Landes gedeckt zu sein.

Randnummer16Sofern Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden könnten, seien andere organisatorische Maßnahmen zu finden und keine gesundheitsbedenklichen Maskenanordnungen zu treffen. Auch besondere Einzelfallumstände wie ein Wasserschaden in dem von dem Antragsteller besuchten Gymnasiums, aufgrund dessen die Unterrichtsräume in der Schule reduziert seien, dürfe nicht dazu führen, dass eine dringende Empfehlung ausgesprochen werde, wenn diese im Rahmenhygieneplan gar nicht vorgesehen sei. Eine Abwägung alternativer Maßnahmen habe nicht nachvollziehbar stattgefunden. Dies gelte auch für eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit alternativer Maßnahmen.

Randnummer17Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung könne "wissenschaftlich erwiesenermaßen" gesundheitsschädigend sein. Dies gelte sowohl in psychischer als auch physischer Hinsicht.

Randnummer18Die bei dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu berücksichtigenden Regeln, wie sie in einem Hinweisschreiben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte festgehalten wurden, könne seitens der Eltern des Antragstellers nicht überwacht werden, soweit sich der Antragsteller in der Schule aufhalte. Durch die Unmöglichkeit der Eltern vor Ort zugegen zu sein, seien die Kinder auf sich allein gestellt.

Randnummer19Es gäbe keinerlei Pläne oder Anweisungen im Hygieneplan des Gymnasiums B-Stadt für einen dauerhaften Maskeneinsatz, die den medizinischen Standards und Hinweisen entsprechen könnten. Es sei eine Gesundheitsgefährdung der Kinder und Jugendlichen durch fehlerhafte und zu langfristige Maskenbenutzung zu befürchten.

Randnummer20Die Gesamtkonferenz der Schule habe weiter keinerlei legislative Kompetenzen und sei nicht ermächtigt einen rechtsverbindlichen Beschluss zu treffen. Gleichwohl werde die anlässlich der Gesamtkonferenz erfolgte Abstimmung im Elternbrief als verbindlich dargestellt. Die Gesamtkonferenz habe kein Recht, Beschlüsse zu fassen, die über den Regelungsrahmen des hessischen Hygieneplanes hinausgehen, wodurch die Beschlüsse der Gesamtkonferenz bereits unwirksam seien. Man hätte die Vorgaben des hessischen Hygieneplanes abmildern, aber nicht verschärfen dürfen.

Randnummer21Weiter stelle die "dringende Bitte" der Schule bereits eine Aufforderung dar, welche spätestens mit dem Konformitäts- und Gruppendruck faktisch zur Nötigung werde. Die forsch und nachdrücklich dargebrachte "Bitte" sei im Alltag eine Form subtiler Gewalt der Anpassung, Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Position eines Lehrers mit der Macht, einen Schüler zu benoten und zu beurteilen, mache das reine Bitten bereits völlig unmöglich. Eine solche Formalbitte entpuppe sich als tatsächliche Anweisung, die Bitte werde zur faktischen Aufforderung und psychischen Gewalt.

Randnummer22Es fehle überdies an einer Ermächtigungs- und Rechtsgrundlage, eine Pflicht zur umgehenden Meldung und Dokumentation externer Besucher im Sekretariat der Schule in den Hygieneplan des Gymnasiums aufzunehmen. Es bestehe die Gefahr, dass Rechtsverletzungen und Übergriffe gegen Minderjährige geschehen, die nicht geprüft oder dokumentiert werden können.

Randnummer23Schließlich habe der Schulleiter des Gymnasiums B-Stadt kein Recht, eine über die im Rahmenhygieneplan des Landes Hessen ausgesprochene Empfehlung zur Nutzung der Corona-Warn-App hinausgehende "Soll-Bestimmung" in seinen Plan zu integrieren. Hierfür fehle eine Rechtsgrundlage.

Randnummer24Der Antragsteller beantragt:

1. Den Hygieneplan des Gymnasiums B-Stadt für unzulässig zu erklären, da sie über die Regelungen des Rahmenhygieneplanes des Landes Hessen hinausgeht.

2. Die im Hygieneplan des Gymnasiums B-Stadt den Schülern auferlegte Maskenpflicht während des Unterrichts für ungültig zu erklären.

3. Die im Hygieneplan den Schülern auferlegte "Soll-Anordnung" hinsichtlich Installation der Corona-App für ungültig zu erklären.

4. Die Festlegung der Gesamtkonferenz hinsichtlich einer Maskenpflicht im Unterricht für ungültig und mit dem Rahmenhygieneplan des Landes Hessen als inkongruent zu erklären

5. Die Festlegung der Gesamtkonferenz hinsichtlich der im Unterricht vorzutragenden Bitte eine Maske aufzusetzen für ungültig und mit dem Rahmenhygieneplan des Landes Hessen als inkongruent zu erklären.

6. Die Dokumentations- und Meldepflicht externer Besucher des Hygieneplanes des Gymnasiums B-Stadt für unzulässig zu erklären.

Randnummer25Der Antragsgegner beantragt,

Randnummer26 den Antrag abzulehnen.

Randnummer27Zur Begründung führt der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass der Antrag bereits mangels des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei. Der Antragsteller habe sein Begehren vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nicht bei der von ihm besuchten Schule vorgetragen. Hierdurch hätte Missverständnissen vorgebeugt werden können. Ein vorheriger Antrag an die Schul- oder Klassenleitung wäre auch zumutbar und nicht von vorneherein aussichtslos gewesen.

Randnummer28Im Übrigen sei der Antrag aber auch unbegründet. Es fehle an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller gehe in seiner Antragsschrift irrtümlich von einer angeordneten Maskenpflicht aus. Die Schulleitung habe im schuleigenen Hygieneplan lediglich eine Empfehlung, beziehungsweise eine Bitte zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht, bis vorerst 31.08.2020, ausgesprochen.

Randnummer29Die Klassenleitung des Antragstellers habe die Schülerinnen und Schüler am ersten Tag des neuen Schuljahres über die Empfehlung informiert. Daraufhin seien alle Schülerinnen und Schüler, einschließlich des Antragstellers, der Empfehlung gefolgt. Beanstandungen oder Rückfragen hierzu seien von keinem der Kinder geltend gemacht worden.

Randnummer30Schließlich bleibe es dem Antragsteller unbenommen, auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht zu verzichten. Sollte er der Empfehlung künftig nicht Folge leisten wollen, habe er mit keinerlei Sanktionen, Nachteilen oder Diskriminierung zu rechnen. Eine Verpflichtung sei seitens der Schulleitung gerade nicht ausgesprochen worden.

Randnummer31Weiter verbiete weder der Hygieneplan 5.0 des Hessischen Kultusministeriums noch § 3 der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus, eine Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht auszusprechen.

Randnummer32Ein Anordnungsanspruch auf Entfernung der Empfehlung zur Nutzung der Corona-Warn-App, sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Randnummer33Der Antragsgegner hat nach Aufforderung des Gerichts unter anderem Stellungnahmen des Schulleiters sowie der Fachlehrer des Antragstellers betreffend die Umsetzung der Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes vorgelegt - hierauf wird Bezug genommen.

Randnummer34Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, welche Gegenstand der Beratung und Entscheidung war.

II.

Randnummer35Die Anträge des unvertretenen Antragstellers sind entsprechend seinem in der Antragsbegründung zum Ausdruck kommenden Begehren dahingehend sachdienlich auszulegen (§ 88 VwGO), dass sich dieser gegen den Hygieneplan des Gymnasiums B-Stadt in Form der "Anlage für das Gymnasium B-Stadt zum hessischen Hygieneplan 5.0 vom 12.08.2020" wendet, soweit darin

das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auch während des Unterrichts dringend empfohlen wird,

eine "Soll-Anordnung" hinsichtlich der Installation der Corona-App gegenüber den Schülerinnen und Schülern enthalten ist,

sowie schließlich sich externe Besucher umgehend im Sekretariat anmelden und ihren Besuch dokumentieren müssen.

Randnummer36Der Antragsteller begehrt die Aussetzung bzw. das Unterlassung der genannten Maßnahmen.

Randnummer37Der so verstandene Antrag hat nur teilweise Erfolg. Er ist teilweise bereits unzulässig (dazu 2. und 3.). Soweit er zulässig ist, ist er auch begründet (dazu 1.).

1.

Randnummer38Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ist statthaft, soweit er sich auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auch während des Unterrichts bezieht. Es handelt sich nicht um einen Fall des § 80 VwGO (§ 123 Abs. 5 VwGO). Denn bei den angegriffenen Bestimmungen des Hygieneplans des Gymnasiums B-Stadt handelt es sich nicht um Verwaltungsakte bzw. Allgemeinverfügungen.

Randnummer39Gemäß § 35 HVwVfG ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Randnummer40Vorliegend handelt es sich, bei den seitens der Schule ausgesprochenen "Empfehlung" nicht um eine verbindliche "Anordnungen", also nicht um einen Verwaltungsakt. Denn eine ausgesprochene Verpflichtung liegt bezüglich eines "Maskenzwangs" nicht vor (zur Annahme eines Verwaltungsaktes bei einer ausdrücklichen Anordnung der Schule zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes - für die es vorliegend allerdings keine Rechtsgrundlage für die Schule gäbe - siehe VG Schleswig, Beschluss vom 19.08.2020 - 9 B 23/20-, juris).

Randnummer41In der Hauptsache wäre nach alldem eine allgemeinen Leistungsklage oder eine (negative) Feststellungsklage zu erheben, aber keine Anfechtungsklage.

Randnummer42Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO analog. Soweit die Schule eine "dringende" Empfehlung ausgesprochen hat, auch während des Unterrichts einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller, wenn auch nicht unmittelbar durch den angegriffenen Hygieneplan des Gymnasiums B-Stadt, so doch durch dessen praktische Umsetzung in eigenen Rechten betroffen ist.

Randnummer43Das Gericht geht zwar nicht davon aus, dass jede Empfehlung oder Bitte eines Lehrers oder Schulleiters allein aufgrund von deren Autoritätsstellung gegenüber Schülern dazu geeignet ist, unmittelbar zu einer Beeinträchtigung von subjektiven Rechten des Schülers zu führen. Eine einfache Bitte oder Empfehlung kann zwar möglicherweise auch zu einem gewissen Gruppenzwang führen. Dass ein solcher Gruppenzwang aber grundsätzlich immer so "unwiderstehlich" ist, dass dadurch Rechte der Schüler unmittelbar betroffen sein können, ist in dieser Pauschalität auch im Schüler-Lehrer-Verhältnis vom Grundsatz her nicht anzunehmen. Vielmehr ist ein gewisser Gesellschaftsdruck als sozialadäquat hinzunehmen.

Randnummer44Aufgrund der konkreten Umsetzung der "dringenden Empfehlung", auch im Unterricht an der Schule des Antragstellers eine Maske zu tragen, ist dies vorliegend aber anders zu beurteilen.

Randnummer45Denn die Ausführungen des Schulleiters und der Lehrkräfte auf die ausdrückliche Nachfrage des Gerichts, wie mit dem Antragsteller umgegangen würde, wenn er auf eine Maske im Unterricht verrichten würde, zeigen, dass die Lehrkräfte alles unternehmen würden um den Antragsteller zu einem "freiwilligen" Tragen der Maske zu bewegen oder ihn von den übrigen Schülern mit einem Abstand von 1,5 Metern abgegrenzt im Unterrichtsraum platzieren würden. Dieses tatsächliche Verhalten der Lehrkräfte geht über eine einfache Bitte oder Empfehlung hinaus und hat mit einer Empfehlung und einer freiwilligen Entscheidung zum Tragen einer Maske schier nichts mehr zu tun. Denn es wird eine Form von Zwang ausgeübt, die dazu führen würde, dass im Falle einer Abweichung mit "Sanktionen" oder gar diskriminierenden Verhalten durch den Lehrkörper mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.

Randnummer46Nach den vorliegenden Erklärungen der Schule wird das Tragen der Maske zum Zwang, da das "Nicht-Tragen" durch ausgrenzende Begleitmaßnahmen flankiert wird. Auffällig ist dabei, dass der Schulleiter und die meisten Lehrkräfte sich zu der ausdrücklich vom Gericht aufgeworfenen Frage nicht geäußert haben, was im Falle der Verweigerung durch einzelne Schüler passiert. Das Gericht geht insofern von einem beredten Schweigen aus Die Französisch-Lehrerin hat demgegenüber ausdrücklich erklärt, dass sie einen "Lösungsansatz über die Sitzordnung dahingehend ins Auge [fassen werde], dass ein Schüler ohne Mund-Nasen-Abdeckung im Unterricht einen größeren Abstand (1,5 m) zu den Klassenkameraden (und dem Lehrer) einhält." Die Erklärungen zeigen aber, dass die Schulleitung und die Lehrkräfte selbst nicht mehr von einer Freiwilligkeit ausgehen. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Antragsteller wegen des "Zwangs" aktuell eine Maske im Unterricht trägt.

Randnummer47Auf Grund des Agierens der Schule und der abgegebenen Erklärungen, musste der Antragsteller sich auch nicht darauf verweisen lassen erst einen Antrag bei der Schule zu stellen. Denn auf diesen Weg würde sein Rechtsschutzbegehren ins Leere laufen und nicht zu einer zeitnahen Entscheidung führen, sodass das Rechtsschutzbedürfnis unter dem Gesichtspunkt effektiver Rechtsschutz zu bejahen ist

Randnummer48Der Antrag bezüglich der dringenden Empfehlung des Tragens von Masken ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch ist insoweit glaubhaft gemacht.

Randnummer49Der Anordnungsanspruch ergibt sich insoweit bei dem hier vorliegenden schlicht hoheitlichen Handeln aus dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch. Die dringende Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes auch im Unterricht ist rechtswidrig. Es fehlt bereits an einer Rechtsgrundlage.

Randnummer50Zwar ist die Schule gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1, § 33 Nr. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) verpflichtet, einen Hygieneplan aufzustellen und darin innerbetriebliche (bzw. innerschulische) Verfahrensweisen zur Infektionshygiene festlegen. Allerdings muss dieser Hygieneplan sich im Rahmen des materiellen Rechts halten.

Randnummer51Hierbei ist zu beachten, dass nach § 3 Abs. 1 S. 1 der Zweiten Verordnung der Landesregierung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 13.03.2020 in der Fassung vom 17.08.2020, im Unterricht ein Mund-Nasen-Schutz gerade nicht zwingend zu tragen ist. Danach ist in Schulen und sonstigen Ausbildungseinrichtungen nach § 33 Nr. 3 IfSG, mit Ausnahme des Präsenzunterrichts im Klassen- oder Kursverband, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Die Schule handelt mit ihrer Form der gelebten dringenden Empfehlung insoweit gegen die Verordnung. Diese sieht zwar in ihrem § 3 Abs. 1 S. 3 vor, dass die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Hygiene wo immer möglich zu beachten sind. Dies kann aber nicht dazu führen, dass die grundsätzliche Entscheidung des Verordnungsgebers gegen einen Mund-Nasen-Schutz im Unterricht in das glatte Gegenteil verkehrt wird. Allenfalls denkbar wäre ein Abweichen hiervon im Einzelfall, wie z.B. bei einer Gruppenarbeit oder bei Experimenten.

Randnummer52Soweit der Antragsteller unter Diabetes leidet, ist darauf hinzuweisen, dass er nur dann der Risikogruppe angehört, wenn er nicht richtig wegen dieser Krankheit eingestellt ist, was nicht vorgetragen ist Aber auch dann wäre es an ihm persönlich, eine entsprechende Schutzmaske und nicht eine Alltagsmaske zum "Eigenschutz" zu tragen. Eine ffp2-Maske hätte aber genau den umgekehrten Effekt wie eine Alltagsmaske, die dem Fremdschutz dienen soll. Insoweit wäre eine "Empfehlung" einer Alltagsmaske für den Antragsteller eher gefährdend und bereits zu unterlassen.

Randnummer53Die tatsächliche Vorgehensweise der Schule verkennt auch die Entscheidung des Verordnungsgebers, dass weder die Verordnung, noch der Hygieneplan Corona für die Schulen in Hessen vom 12.08.2020 ein besonderes Abstandsgebot vorsieht.

Randnummer54Im hessischen Hygieneplan des Hessischen Kultusministeriums heißt es sogar ausdrücklich:

Randnummer55 "Soweit es für den Unterrichtsbetrieb im regulären Klassen- und Kursverband sowie im Ganztag erforderlich ist, kann von der Einhaltung des Mindestabstandes insbesondere zwischen Schülerinnen und Schülern des Klassenverbands, den unterrichtenden Lehrkräften, dem Klassenverband zugeordneten Betreuungspersonal sowie dem weiteren Schulpersonal in allen Schularten und Jahrgangsstufen abgewichen werden."

Randnummer56Die Frage der Zulässigkeit weitergehender Maßnahmen durch die Gesundheitsbehörden für den jeweiligen (örtlichen) Zuständigkeitsbereich, etwa nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 11 der Zweiten Verordnung der Landesregierung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 13.03.2020 in der Fassung vom 17.08.2020, bleibt hiervon unberührt.

Randnummer57Dabei weißt das Gericht darauf hin, dass bei einem durch das Gesundheitsamt oder (in Zukunft) durch den Verordnungsgeber angeordneten "Maskenzwang" die Masken im Rahmen der Lehrmittelfreiheit den Schülern zur Verfügung zu stellen wären, wobei im Hinblick auf den gesamten Schultag dabei nur kochfähige Leinenmasken in Betracht zu ziehen wären. Nur sie dürften ein längerfristiges Tragen im Sinn der Vorgaben des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) (Stand 26.06.2020) gewährleisten.

Randnummer58Eine Andersbehandlung der Schülerinnen und Schüler, die auf eine Maske verzichten wollen, wie beispielsweise im Französischunterricht angedacht, führt nach alledem zu einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung dieses Personenkreises, wozu im Falle der Nichtbefolgung der ausgesprochenen Empfehlung explizit auch der Antragsteller selbst gehört.

Randnummer59Daher ist der Antrag insoweit erfolgreich, als die "dringende Empfehlung" zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes entsprechend dem Hygieneplan der Schule nicht weiter umgesetzt werden darf. Das Tragen von Masken im Unterricht hat eine Ausnahme zu sein und nicht der Regelfall.

2.

Randnummer60Soweit sich der Antragsteller dagegen wendet, dass nach dem Hygieneplan der Schule die Corona-Warn-App - sofern möglich - von allen Personen installiert werden soll, ist der Antrag bereits unzulässig. Dem Antragsteller fehlt insoweit die für einen Eilantrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO notwendige Möglichkeit eines Betroffenseins in eigenen Rechten.

Randnummer61Eine Pflicht zur Nutzung der Corona-Warn-App durch die Schülerinnen und Schüler ist weder ersichtlich, noch glaubhaft gemacht. Vielmehr handelt es sich bei der entsprechenden Klausel des Hygieneplans lediglich um eine Empfehlung. Dies folgt schon daraus, dass die Nutzung ohnehin nur dann erfolgen soll, wenn dies "möglich" ist. Zudem ergibt sich dies auch daraus, dass der Hygieneplan nur innerschulisch Geltung beanspruchen kann, die App aber 14 Tage am Stück laufen muss, um überhaupt aussagekräftig zu sein. Eine Nutzung der Corona-Warn-App im Unterricht durch die Schüler dürfte schon daran scheitern, dass während der Unterrichtszeiten die Nutzung von Smartphones oder sonstigen mobilen Endgeräten in der Regel nicht gestattet ist. Dass über die Klausel im Hygieneplan hinaus weitere Maßnahmen vonseiten der Schule ergriffen wurden, um die Nutzung der Corona-Warn-App sicherzustellen, ist nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Soweit der Antragsteller seine Rechtsbetroffenheit daraus herleitet, dass "Soll-Vorschriften" ein Tun oder Unterlassen für den Regelfall vorschreiben, folgt das Gericht dem nicht. Es ist zwar so, dass der Gesetz- oder Verordnungsgeber sich dieser Regelungstechnik in abstrakten Rechtsätzen bedient. Dort wendet er sich aber an die Verwaltung. Auf den Bereich Verwaltung-Bürger kann dies aber nicht ohne weiteres übertragen werden.

Randnummer62Eine Rechtsbetroffenheit folgt auch nicht daraus, dass die Klausel betreffend die Installation der Corona-Warn-App im Hygieneplans nicht indiziert ist, da dies nicht in die Sphäre der Schule fällt. Im Übrigen fehlt es - anders als im hessischen Hygieneplan für Schulen - an dem Hinweis auf die Freiwilligkeit der Nutzung der App (zur Freiwilligkeit einer Einwilligung siehe Art. 4 Nr. 11 i.V.m. Art 7 DS-GVO).

3.

Randnummer63Eine erforderliche Antragsbefugnis ist schließlich auch nicht für das gegen die Dokumentations- und Meldepflicht für externe Besucher des Gymnasiums B-Stadt gerichtete Begehren gegeben. Diese Maßnahme findet schon keine Geltung gegenüber dem Antragsteller selbst. Denn der Antragsteller, welcher sich diesbezüglich ausschließlich aus dem Grunde einer aus seiner Sicht fehlenden Ermächtigungs-, beziehungsweise Rechtsgrundlage, gegen die Dokumentations- und Meldepflicht, wendet, ist bereits kein "externer Besucher", sondern bestimmungsgemäßer Nutzer der Einrichtung. Die Dokumentation und Nachverfolgung beim Auftreten eines positiven Testergebnisses hinsichtlich der Schülerinnen und Schüler wird durch die aufgrund der gesetzlichen Schulpflicht ohnehin grundsätzlich gegebene Präsenzpflicht dieses Personenkreises genüge getan. Wird der Präsenzpflicht nicht gefolgt, ist dies etwa im Klassenbuch oder sonst in den Akten der Schule zu vermerken.

Randnummer64Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und entspricht der Gewichtung des Eingriffs.

Randnummer65Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Das Gericht sieht von einer Kürzung des Streitwertes wegen der ansonsten regelmäßig nur vorläufigen Entscheidung im Eilverfahren ab. Der Sache nach wird im Hinblick auf die Befristung der verfahrensgegenständlichen Regelungen eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.

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