OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.09.2020 - OVG 2 B 11.17
Fundstelle
openJur 2020, 73179
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 2017 geändert.

Die Klage wird abgewiesen, soweit sie darauf gerichtet ist festzustellen, dass der von der Klägerin auf dem Grundstück K... in Berlin-Neukölln geplante Dachgeschossausbau keiner Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 des Baugesetzbuches von dem Nutzungsmaß der Grundflächenzahl bedarf und soweit mit dem Hilfsantrag begehrt wird, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2015 zu verpflichten, für eine Erhöhung der Grundflächenzahl auf 0,79 eine Befreiung von dem Nutzungsmaß der Grundflächenzahl von 0,3 zu erteilen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Beteiligten jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit einer Befreiung vom festgesetzten Maß der baulichen Nutzung (Geschossflächenzahl, im Folgenden: GFZ und Grundflächenzahl, im Folgenden: GRZ), hilfsweise über die Erteilung einer solchen Befreiung. Im Berufungsverfahren wendet sich der Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil, mit dem festgestellt wird, dass der von der Klägerin geplante Dachgeschossausbau nebst der Errichtung eines Außenaufzuges keiner Befreiung von den Nutzungsmaßen der GFZ und der GRZ bedürfe.

Die Klägerin beabsichtigt, das Dach des Gebäudes K... in Berlin-Neukölln zu Wohnzwecken auszubauen. Im Bestand betragen die GRZ 0,77 und die GFZ 3,84.

Das Grundstück liegt im räumlichen Geltungsbereich des Baunutzungsplanes in der Fassung vom 28. Dezember 1960, der insoweit i. V. m. § 7 Nr. 13 - 15 BO 58 ein allgemeines Wohngebiet der Baustufe V/3 mit einer GFZ von höchstens 1,5 und einer GRZ von höchstens 0,3 festsetzt. Es befindet sich darüber hinaus im Geltungsbereich des Bebauungsplanes XIV-A vom 28. Oktober 1970. Das Grundstück wird zudem von der "Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen und der städtebaulichen Eigenart sowie der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung des Gebietes Schillerpromenade im Bezirk Neukölln von Berlin" vom 21. Juni 1996, deren die Erhaltung der Wohnbevölkerung betreffender Teil im Jahr 2001 aufgehoben worden ist, und der "Verordnung zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Baugesetzbuchs für das Gebiet Schillerpromenade im Bezirk Neukölln von Berlin" vom 7. Juni 2016 erfasst.

Im Juni 2014 reichten die Architekten der Klägerin bei dem Bezirksamt Neukölln ein Schreiben vom 29. Mai 2014 ein, das einen Befreiungsantrag für den geplanten Dachausbau für eine Überschreitung der zulässigen GFZ von 1,5 auf 4,41 und - nach Einbau von Balkonen und einer Aufzugsanlage - der zulässigen GRZ von 0,30 auf 0,79 betrifft. Im beigefügten Anschreiben vom selben Tage führen sie aus, im ersten Schritt werde ein Befreiungsantrag bezüglich der Überschreitung der zulässigen GFZ gestellt.

Den Antrag auf Erteilung einer Befreiung von der zulässigen GFZ lehnte das Bezirksamt mit Bescheid vom 22. September 2014 ab. Den dagegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies es mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2015 als unbegründet zurück.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage wollte die Klägerin die Feststellung erreichen, dass ihr Bauvorhaben keiner planungsrechtlichen Befreiung vom Nutzungsmaß bedürfe. Die Festsetzungen zu den Nutzungsmaßen GFZ und GRZ seien funktionslos geworden. Hilfsweise begehrte sie, den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, die beantragte Befreiung zu erteilen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. März 2017 festgestellt, dass der von der Klägerin geplante Dachgeschossausbau nebst der Errichtung eines Außenaufzuges keiner planungsrechtlichen Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Nutzungsmaßen GFZ und GRZ bedürfe. Eine Befreiung sei nicht erforderlich, da der Baunutzungsplan hinsichtlich der Nutzungsmaße GFZ und GRZ für das Grundstück K... funktionslos geworden sei. Sehe man von dem Schulstandort (W...) ab, werde die zulässige GFZ von 1,5 in dem hier als maßgeblich anzusehenden Straßengeviert H..., W..., K..., S... und H... lediglich auf einem der insgesamt 13 Baugrundstücke eingehalten, nämlich auf dem Grundstück H.......Im Falle der Maßfestsetzungen des Baunutzungsplanes für die hochverdichteten, durch Altbauten geprägten Innenstadtbereiche der Baustufe V/3 seien die tatsächlichen Verhältnisse in den Baublöcken schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Baunutzungsplanes massiv vom Planinhalt abgewichen. Seit dem Zeitpunkt der Normsetzung seien fast sechs Jahrzehnte vergangen, ohne dass jedenfalls in dem betreffenden Baublock auch nur annähernd eine bauliche Entwicklung stattgefunden habe, durch die die tatsächlichen Verhältnisse dem Planinhalt angenähert worden wären. Es sei im Gegenteil zu einer weiteren Verfestigung der bestehenden baulichen Struktur gekommen. Auch die städtebaulichen Vorstellungen hätten sich zwischenzeitlich offenkundig in einer Weise geändert, die es als ausgeschlossen erscheinen lasse, dass das Planungsziel in absehbarer Zeit noch erreicht werden könne. Die veränderte städtebauliche Sichtweise werde im Falle des Bezirks Neukölln bis zu einem gewissen Grad in den Städtebaulichen Leitlinien dokumentiert. Zudem bekräftige die Erhaltungsverordnung die bauliche Situation weitgehend. Die Funktionslosigkeit der GFZ ziehe die Funktionslosigkeit der durch den Baunutzungsplan auf ein zulässiges Maß von 0,3 festgesetzten GRZ nach sich.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte im Wesentlichen geltend, die Festsetzungen des Baunutzungsplanes i. V. m. § 7 Nr. 15 BO 58 zum Maß der baulichen Nutzung GFZ und GRZ sei nicht funktionslos geworden. Die Rechtsprechung nehme ein nachträgliches Funktionsloswerden eines Bebauungsplanes nur in seltenen Ausnahmefällen an. Insoweit sei hier nicht das gesamte Gebiet des Baunutzungsplanes einheitlich zu beurteilen. Der Beklagte hat zunächst geltend gemacht, im Hinblick auf die nähere Umgebung des Baugrundstücks, die nicht zwingend mit dem Umgriff des Baublocks identisch sei, lägen keine eindeutigen und offenkundigen Umstände vor, nach denen erkennbar sei, dass das ursprüngliche Planungsziel nicht mehr erreichbar sei. Insbesondere fehle es an einer tatsächlichen baulichen Entwicklung innerhalb der näheren Umgebung des Baugrundstücks, die auf eine "offenkundige" Umkehrung der mit dem Bebauungsplan beabsichtigten Zielsetzung der Herabsetzung des Maßes der baulichen Nutzung schließen lasse. Nach rechtlichen Hinweisen und weiterer Sachverhaltsaufklärung durch den Senat führt der Beklagte im weiteren Verfahren insbesondere aus, die Festsetzung des Nutzungsmaßes GFZ könne nicht isoliert funktionslos werden. Der Baunutzungsplan i. V. m. § 7 Nr. 13 - 15 BO 58 enthalte einen einheitlichen Festsetzungsverbund mit den Festsetzungsparametern Geschosszahl, GRZ, GFZ und Baumassenzahl, die voneinander abhingen und sich aufeinander bezögen. In dem hier zu betrachtenden Baugebiet der Baustufe V/3 hätte der Festsetzungsverbund seine Steuerungsfunktion nicht verloren. Auch bei isolierter Betrachtung der GFZ-bzw. GRZ-Festsetzungen komme diesen im maßgeblichen Gebiet weiterhin eine Steuerungsfunktion zu. Schließlich habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf die beantragte Befreiung.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 2017 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint weiterhin, die Festsetzungen des Baunutzungsplanes zum Nutzungsmaß GFZ und GRZ seien funktionslos geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 130a VwGO, weil er die Berufung einstimmig für teils unbegründet und teils begründet und eine erneute mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

I. Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, ihr Bauvorhaben bedürfe keiner planungsrechtlichen Befreiung von dem Nutzungsmaß der GFZ.

Das von der Klägerin insoweit anhängig gemachte Feststellungsbegehren ist zulässig (§ 43 VwGO). Dem steht insbesondere nicht § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Zwar kann die Erteilung einer Befreiung von der GFZ Gegenstand einer Verpflichtungsklage sein. Die Klägerin steht aber - anders als das zuständige Bezirksamt - auf dem Standpunkt, es bedürfe für den geplanten Dachgeschossausbau keiner planungsrechtlichen Befreiung von der GFZ-Festsetzung. Das damit verbundene Rechtsschutzziel kann sie mit einer Verpflichtungsklage nicht erreichen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2014 - OVG 2 B 1.13 -, juris Rdn. 13 m. w. N.).

Dieses Feststellungsbegehren ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass der von der Klägerin auf dem Grundstück K... in Berlin-Neukölln geplante Dachgeschossausbau keiner planungsrechtlichen Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von dem Nutzungsmaß der GFZ bedarf, denn die Festsetzung der GFZ ist im hier maßgeblichen Gebiet funktionslos geworden.

1. Maßgeblich ist der gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG i. V. m. § 7 Nr. 2 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 21. November 1958 - BO 58 - übergeleitete Baunutzungsplan vom 28. Dezember 1960 in Verbindung mit städtebaulichen Vorschriften der BO 58. Zu berücksichtigen ist als ändernder Plan darüber hinaus der Bebauungsplan XIV-A vom 28. Oktober 1970.

a. Offen bleiben kann, ob der Bebauungsplan XIV-A fehlerhaft verkündet worden ist, doch gleichwohl gewohnheitsrechtlich Geltung erlangt hat (vgl. zur jedenfalls gewohnheitsrechtlichen Geltung der A-Bebauungspläne: OVG Berlin, Urteil vom 30. Oktober 1987 - OVG 2 B 5.86 -, OVGE 18, 68; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Juni 2017 - OVG 10 B 10.15 -, juris Rdn. 22; v. Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, 1998, Rdn. 60, FN 130). Für die Berechnung der GFZ kommt es darauf nicht an. Die insoweit in den Blick zu nehmenden Vorschriften sind vom Wortlaut her zwar nicht identisch, sie führen in der Sache aber alle dazu, dass die hier in Rede stehenden Flächen bei der Berechnung der GFZ mitzurechnen sind. Bei Geltung des Bebauungsplanes XIV-A vom 28. Oktober 1970 ist nach dessen Maßgabe für die Berechnung des Maßes der baulichen Nutzung anstelle der bis dahin geltenden Vorschriften u. a. § 20 Abs. 2 BauNVO 1968 anzuwenden, wonach die Geschossfläche nach den Außenmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln ist (Satz 1). Die Flächen von Aufenthaltsräumen in anderen Geschossen einschließlich der zu ihnen gehörenden Treppenräume und einschließlich ihrer Umfassungswände sind mitzurechnen (Satz 2). Bei einem Rückgriff auf § 20 Abs. 2 BauNVO 1962 ist die Geschossfläche ebenfalls nach den Außenmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln (Satz 1), wobei dann, wenn im Dachraum oder in Kellergeschossen Aufenthaltsräume zugelassen werden, deren Flächen einschließlich der zu ihnen gehörenden Treppenräume und einschließlich ihrer Umfassungswände mitzurechnen sind (Satz 2). Schließlich sah auch § 7 Nr. 21 BO 58 vor, dass der Berechnung der Geschossflächenzahl die Flächen der Vollgeschosse zugrunde zu legen sind (Satz 1). Nach Satz 2 waren Aufenthaltsräume, die in Nebengeschossen zugelassen wurden, einschließlich der zu ihnen führenden Treppenhäuser und einschließlich ihrer Umfassungswände mitzurechnen.

b. Das Baugrundstück liegt nach dem Baunutzungsplan in einem allgemeinen Wohngebiet der Baustufe V/3, in dem gemäß § 7 Nr. 13 - 15 BO 58 als Höchstmaß eine GFZ von 1,5 festgesetzt ist.

2. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann die GFZ-Festsetzung isoliert funktionslos werden.

Der Baunutzungsplan i.V.m. § 7 Nr. 13 bis 15 BO 58 enthält keinen einheitlichen Festsetzungsverbund mit mehreren Festsetzungsparametern, der die Annahme einer Funktionslosigkeit nur dann rechtfertigen würde, wenn alle Parameter ihre Steuerungsfunktion verloren haben. Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich ein entsprechender Festsetzungsverbund weder dem Wortlaut des § 7 Nr. 13 Satz 1 BO 58 noch dem Wortlaut des § 7 Nr. 15 Satz 1 BO 58 entnehmen. Auch das Regelungssystem zum Maß der Nutzung nach Baunutzungsplan i. V. m. § 7 Nr. 13 bis 15 BO 58 gibt für einen einheitlichen Festsetzungsverbund nichts her.

Die den Baustufen II/1 bis V/3 zugeordneten Nutzungsmaße werden in § 7 Nr. 15 Satz 1 BO 58 durch die Geschosszahl, die bebaubare Fläche (GRZ), die Geschoßflächenzahl und die Baumassenzahl festgelegt. Es müssen aber nicht immer alle in § 7 Nr. 15 Satz 1 BO 58 benannten Parameter eingehalten werden. Dies ergibt sich aus den in § 7 Nr. 13 Satz 2 und 3, Nr. 14, Nr. 15 Satz 4 und 5 BO 58 enthaltenen Regelungen.

Nach § 7 Nr. 13 Satz 2 BO 58 bestimmt sich das Maß der Nutzung innerhalb der Baustufe nach der bebaubaren Fläche des Baugrundstücks sowie der zulässigen Zahl der Vollgeschosse. Diese Regelung, die sich angesichts des § 7 Nr. 13 Satz 3 BO 58 nur auf Baugebiete bezieht, die nicht reine oder beschränkte Arbeitsgebiete sind, bestimmt, auf die Einhaltung welcher beiden der vier genannten Bemessungsgrößen (Geschosszahl, die bebaubare Fläche [GRZ], die Geschoßflächenzahl und die Baumassenzahl) es regelmäßig in erster Linie ankommen soll (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 10. März 1989 - 2 B 4.87 -, juris Rdn. 49). Zwar ist in diesen Fällen auch die in § 7 Nr. 13 Satz 2 BO 58 nicht zusätzlich erwähnte GFZ, die sich schlicht aus dem Produkt von Geschoßzahl und bebaubarer Fläche ermitteln lässt, einzuhalten (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 10. März 1989 - 2 B 4.87 -, juris Rdn. 47 ff.). Zudem ist in allen Stufen zusätzlich zur Geschossflächenzahl auch die Baumassenzahl als Höchstmaß festgelegt, wobei dies als notwendig angesehen worden ist für alle Bauten, die ungewöhnliche Geschosshöhen aufweisen, wie z. B. Kirchen, Schulen, Versammlungsräume, Fabrikhallen (vgl. Abgh.-Drucks. II Nr. 1623 vom 3. Mai 1958, S. 41). Allerdings kann nach § 7 Nr. 14 BO 58 abweichend von § 7 Nr. 13 Satz 2 BO 58 eine bauliche Nutzung im Rahmen der Geschossflächenzahl zugelassen werden. Das Vorhandensein dieser Ausnahmeregelung steht einem zwingend durch vier Parameter geregelten einheitlichen Maß der baulichen Nutzung entgegen. Bei einem von § 7 Nr. 14 BO 58 zugelassenen Abweichen von der Zahl der Vollgeschosse und der bebaubaren Grundstücksfläche wirkt nämlich die GFZ als selbständig nutzungsmaßbegrenzend (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 10. März 1989 - 2 B 4.87 -, juris Rdn. 54; Abgh.-Drucks. II Nr. 1623 vom 3. Mai 1958, S. 41).

Einem Festsetzungsverbund wie ihn der Beklagte annimmt, stehen zudem die für Arbeitsgebiete getroffenen Regelungen entgegen. In den (beschränkten und reinen) Arbeitsgebieten bestimmt sich das Maß der Nutzung nach der Baumassenzahl (vgl. § 7 Nr. 13 Satz 3 BO 58). Dort ist sie alleiniger Maßstab, wobei nach § 7 Nr. 15 Satz 1, 4 und 5 BO 58 eine in den verschiedenen Baustufen entsprechend bemessene Freifläche auf dem Grundstück verbleiben muss (vgl. Abgh.-Drucks. II Nr. 1623 vom 3. Mai 1958, S. 41 f.).

Anders als der Beklagte meint, lässt sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 10. März 1989 (- 2 B 4.87 -, juris) nicht als Beleg dafür heranziehen, dass immer alle in § 7 Nr. 15 Satz 1 BO 58 benannten Parameter einzuhalten wären. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus dem Hinweis auf den Regelungszusammenhang der Nr. 13 des § 7 BO 58 und die Gesamtregelung des § 7 BO 58. Damit argumentiert das Oberverwaltungsgericht nämlich im Rahmen der Begründung seiner Ansicht, die GFZ sei im Regelfall immer einzuhalten.

3. Die Festsetzung einer GFZ von 1,5 ist in dem hier maßgeblichen Gebiet funktionslos geworden.

a. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen, und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1998 - 4 CN 3.97 -, juris Rdn. 22).

In zeitlicher Hinsicht kommt es bei der Prüfung der Funktionslosigkeit der Festsetzung nur auf die Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans an. Da der Zweck eines Bebauungsplans auch darin bestehen kann, eine vorhandene Bebauung - gegebenenfalls auf längere Sicht - zu verändern, lässt sich aus einer dem Bebauungsplan widersprechenden Bebauung aus der Zeit vor seinem In-Kraft-Treten nicht einmal ein Indiz für seine Funktionslosigkeit herleiten. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Geltung der planerischen Festsetzungen kann erst verloren gehen, wenn sich die weitere bauliche Entwicklung abweichend vom Bebauungsplan vollzieht. Allerdings kann bei einem planwidrigen Altbestand und bei Fortführung der dem neuen Plan widersprechenden Bebauung u.U. schneller ein Zustand eintreten, bei dem mit einer Realisierung des Plans nicht mehr gerechnet werden kann (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2000 - 4 BN 58.00 -, juris Rdn. 3), wobei "schneller" nicht den zeitlichen Aspekt betrifft, sondern u.U. ein "Weniger" an baulicher Entwicklung zur Annahme der Funktionslosigkeit einer Festsetzung führen kann. Allein durch Zeitablauf wird eine Festsetzung nicht funktionslos (vgl. Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Februar 2020, § 10 Rdn. 416 m. w. N.)

Die Zeiträume, in denen das BauGB-Maßnahmengesetz bzw. das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz galten und in denen die verwaltungssteuernden Vorgaben des Senators für Bau- und Wohnungswesen (Rundschreiben des Senators vom 13. Februar 1981 - Amtsblatt für Berlin vom 27. Februar 1981, 408 -, vom 28. Dezember 1982 - Amtsblatt für Berlin vom 21. Januar 1983, 57 -, vom 8. Oktober 1986 - Amtsblatt für Berlin vom 24. Oktober 1986, 1733 - und vom 2. November 1990 - Amtsblatt für Berlin vom 16. November 1990, 3220 - zum Ausbau von Dachräumen zu Wohnzwecken) Anwendung fanden, sind nicht außer Betracht zu lassen. Maßgebend ist die formell rechtmäßige tatsächliche bauliche Entwicklung, es ist nicht entscheidend, auf welcher rechtlichen Grundlage sich diese vollzogen hat. Die Rundschreiben des Senators für Bau- und Wohnungswesen haben zudem auf eine hohe Nachfrage nach Wohnungen reagiert und eine Verdichtung zugelassen. Dafür, dass diese Praxis fortgeführt wird, spricht neben dem auch aktuell bestehenden Wohnungsmangel, dass der Bezirk im Jahr 2014 "Städtebauliche Leitlinien zur planungsrechtlichen Beurteilung von Wohnungsbauvorhaben der Nachverdichtung im Bestand - Dachgeschossausbau, Lückenschließung, Aufstockung - im Rahmen des § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB), Geltungsbereich Berlin-Neukölln, Ortsteil Neukölln" erlassen hat.

In räumlicher Hinsicht ist im vorliegenden Fall das im Beschluss des Senats vom 22. August 2019 näher bezeichnete, im Baunutzungsplan 1958/60 als allgemeines Wohngebiet der Baustufe V/3 ausgewiesene Baugebiet maßgeblich, in dem das Bauvorhaben liegt.

Die frühere Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin, der zufolge auf den jeweiligen Baublock abzustellen war (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 14. April 1989 - OVG 2 S 4.89 -, BA S. 4, Urteil vom 28. September 1992 - 2 B 35.90 -, juris Rdn. 21, Urteil vom 22. Juni 2005 - 2 B 5.05 -, juris Rdn. 44; vgl. auch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Juli 2017 - OVG 10 N 29.16 -, juris Rdn. 7), wird nicht fortgeführt. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der bei der Prüfung der Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen auf die jeweilige Festsetzung in ihrer gesamten Reichweite und in ihrer Bedeutung für den Plan in seiner Gesamtheit abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 03. August 1990 - 7 C 41- 43.89 -, juris Rdn. 16), kommt der Baublock als zu betrachtender Bereich wegen zu geringer räumlicher Ausdehnung nicht in Betracht.

Bei der Frage nach der Funktionslosigkeit ist aber nicht das gesamte Plangebiet des Baunutzungsplans in den Blick zu nehmen. Hiergegen sprechen sowohl die Besonderheiten des zunächst als vorbereitender Bebauungsplan für das gesamte Stadtgebiet konzipierten Baunutzungsplans, etwa die Größe des Plangebiets und die großflächigen, nicht parzellenscharf abgegrenzten Baugebietsausweisungen als auch die Zuständigkeit des Bezirks für den Erlass von Bebauungsplänen, die einer Überschreitung der Bezirksgrenzen entgegensteht. In den Blick zu nehmen sind lediglich Flächen der Baustufe V/3. Innerhalb dieser Baustufenfestsetzung sind lediglich die als allgemeines Wohngebiet festgesetzten Flächen zu betrachten, weil § 7 Nr. 13 bis 15 BO 58 an Baugebiete anknüpft und ausweislich der Planbegründung mit der Festsetzung dieser Baustufe in verschiedenen Baugebieten unterschiedliche Ziele verfolgt werden (Wohngebiete: Herabsetzung der Besiedlungsdichte, Durchgrünung der Bebauung; geschäftsintensive Gebiete: Ermöglichung der Unterbringung der KFZ-Einstellplätze auf dem Baugrundstück; vgl. Planbegründung A. III. Nr. 1.3).

Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung. Diese kann nicht (allein) quantitativ erfolgen, sondern beinhaltet eine Wertung der Umstände des Einzelfalles. Sie baut aber auf einer quantitativen Betrachtung der Entwicklung auf (vgl. auch Ohlendorf, Das Grundeigentum 2018, 1507, 1510; vgl. ferner: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Mai 2017 - OVG 2 S 5.17 -, juris Rdn. 9; BayVGH, Beschluss vom 9. September 2013 - 2 ZB 12.1544 -, juris Rdn. 6; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02. September 2009 - 8 A 10291/09 -, juris Rdn. 24 ff.). Da eine wertende Gesamtbetrachtung des Einzelfalles erforderlich ist, scheidet das Auswerfen verbindlicher Kriterien für die Annahme der Funktionslosigkeit von Festsetzungen aus.

b. Aus der vom Beklagten auf den einer weiteren Sachverhaltsermittlung dienenden Beschluss des Senats vom 22. August 2019 hin eingereichten Übersicht ergibt sich folgendes:

Der Beklagte hat in seiner Übersicht 383 Grundstücke aufgeführt. Für die Betrachtung der baulichen Entwicklung sind indes nur 318 Grundstücke zu Grunde zu legen. 65 Eckgrundstücke, die der Erbauungszeit 1879 bis 1918 zuzuordnen sind (Gründerzeit), hat der Beklagte zweimal, also mit beiden Adressen aufgelistet. Diese Eckgrundstücke sind aber jeweils nur als ein Baugrundstück zu berücksichtigen. Die Grundstücke, die vornehmlich blockweise komplett mit Gebäuden der Erbauungszeit 1919 bis 1945 bebaut sind (Reformwohnungsbau/Reformblock), hat der Beklagte jeweils unter der ersten Hausnummer einer zum jeweiligen Baublock (Straßengeviert) gehörenden Straße zusammengefasst. Diese Reformwohnungsbaugrundstücke werden jeweils als ein Baugrundstück gezählt.

Die aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans stammende Bebauung im Untersuchungsgebiet ist hinsichtlich der Festsetzung GFZ ganz überwiegend planwidrig. 10 der 318 Grundstücke waren 1960 unbebaut oder es gab dort ein Gebäude mit Kriegsschaden, für das dann keine GFZ angegeben ist. Die zulässige GFZ wird im Altbestand nur auf 14 der seinerzeit bebauten Grundstücke eingehalten oder unterschritten. Bei den übrigen seinerzeit bebauten Grundstücken wird sie (soweit der Beklagte Angaben gemacht hat) überschritten. Das ist zwar für sich genommen kein Indiz für die Funktionslosigkeit der GFZ-Festsetzung. Dieser Umstand fließt aber in die vorzunehmende Gesamtbetrachtung ein.

Nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans hat sich die tatsächliche weitere bauliche Entwicklung ganz überwiegend abweichend von der GFZ-Festsetzung vollzogen. Auf fünf Grundstücken hat es Abrisse gegeben. Auf einem davon führte der Abriss nicht zu einer Änderung der GFZ, auf den vier anderen wurde dadurch die GFZ verringert, wobei in keinem Fall die zulässige GFZ von 1,5 erreicht oder unterschritten wurde. Auf drei Grundstücken sind nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans Neubauten genehmigt und errichtet worden, bei denen eine GFZ von 1,5 eingehalten oder unterschritten worden ist. In vier Fällen sind Baugenehmigungen versagt worden. Hierbei sind Fälle, in denen es zunächst eine Versagung gegeben hat und später doch eine Baugenehmigung oder Befreiung von der GFZ erteilt worden ist, nicht als Versagung zu berücksichtigen. Nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans hat es dem gegenüber 135 genehmigte Bauvorhaben (126 Dachgeschossausbauten / Dachgeschossaufstockungen und 9 sonstige Bauvorhaben) gegeben, die zu einer Überschreitung des höchstzulässigen Nutzungsmaßes GFZ bzw. zu einer weiteren Erhöhung des schon zu hohen Maßes führten.

c. Diese Ergebnisse rechtfertigen den Schluss, dass im Untersuchungsgebiet eine Verwirklichung der GFZ-Festsetzung 1,5 in der Zukunft auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist. Es ist bei lebensnaher Betrachtung nicht ersichtlich, dass und auf welche Weise die GFZ-Festsetzung noch in der Lage ist, die städtebauliche Entwicklung zu steuern, so dass auch nur eine Annäherung an eine GFZ von 1,5 erreicht werden könnte.

Der ganz überwiegend planwidrige Altbestand erschwert eine Durchsetzung der festgesetzten GFZ oder zumindest eine Annäherung an diese in der Zukunft. Anhaltspunkte dafür, dass die vorhandene Bausubstanz in nennenswertem Umfang marode und daher mit Abrissen zu rechnen wäre, liegen nicht vor. Vielmehr ist für das Untersuchungsgebiet davon auszugehen, dass es dort wie andernorts in Gründerzeitquartieren Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen gegeben hat, die auch auf einer (geänderten) Wertschätzung des Altbestandes beruhen.

Vor diesem Hintergrund ist eine künftige bauliche Entwicklung hin zu einer Einhaltung der GFZ von 1,5 nicht erkennbar. Zwar ist die bauliche Entwicklung im Untersuchungsgebiet nicht abgeschlossen. Es gibt vier Grundstücke, auf denen derzeit freie bebaubare Flächen existieren. Darüber hinaus sind weitere Dachgeschossausbauten/-aufstockungen möglich. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass künftig Neubauten nur zugelassen werden, wenn eine GFZ von 1,5 eingehalten wird und weitere GFZ-erhöhende Dachgeschossausbauten/-aufstockungen abgelehnt werden. Vielmehr rechtfertigen die tatsächliche Entwicklung seit Inkrafttreten des Baunutzungsplans sowie die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen die Annahme, dass sich die bauliche Entwicklung in der Zukunft weiterhin dahingehend vollzieht, dass von der GFZ-Festsetzung nach oben abgewichen bzw. die bereits vorhandene Überschreitung verfestigt und verstärkt wird. Der Bedarf und Wunsch nach (weiterer) Überschreitung der GFZ ist auf Bauherrenseite vorhanden, wie nicht nur die vorliegenden Verfahren zeigen. Prognostisch ist anzunehmen, dass der Beklagte seine bisherige Befreiungspraxis fortschreiben wird. Er hat Befreiungen von der GFZ-Festsetzung nicht nur unter Anwendung des BauGB-Maßnahmengesetzes bzw. des Wohnungsbau-Erleichterungs-gesetzes, sondern auch auf der Grundlage der Rundschreiben des Senators für Bau- und Wohnungswesen und der Städtebaulichen Leitlinien bzw. in einzelnen Fällen auch ohne Leitlinien erteilt. Die verwaltungslenkenden Rundschreiben des Senators mögen im Jahr 2000 "außer Kraft getreten" sein, die städtebaulichen Leitlinien des Bezirks aus dem Jahr 2014 gelten aber fort. Angesichts des Wohnungsmangels in Berlin und im Bezirk Neukölln spricht nichts dafür, dass der Beklagte diese Leitlinien in der Zukunft nicht mehr anwenden wird. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zudem darauf hingewiesen, dass die Leitlinien des Bezirks die vorhandene, planwidrige Altbebauung gleichsam als Maßstab für die Erteilung einer Befreiung nehmen. Auch die dort genannte Obergrenze für die GFZ in allgemeinen Wohngebieten mit der Baustufe V/3 von 3,75 dürfte sich an dem im Ortsteil Neukölln Vorhandenen orientiert haben.

Eine Rückkehr zur GFZ-Festsetzung oder zumindest eine Annäherung an diese wird in der Zukunft außerdem durch die Erhaltungsverordnung erschwert, die in räumlicher Hinsicht einen Großteil des Untersuchungsgebiets erfasst. Hierdurch soll der planwidrige, weder marode noch aufgegebene Altbestand gerade erhalten bleiben. Anträge auf Abriss von Gebäuden hat es nach Erlass der Erhaltungs- und Milieuschutzverordnung nicht gegeben. Unter Geltung der Erhaltungsverordnung ist kaum zu erwarten, dass in ihrem Geltungsbereich in absehbarer Zeit umfängliche Baumaßnahmen erfolgen werden, durch die die bauliche Dichte auf den betroffenen Grundstücken deutlich in Richtung einer GFZ von 1,5 reduziert wird.

d. Schließlich hat die Erkennbarkeit der aufgezeigten tatsächlichen Entwicklung der Verhältnisse, die eine Verwirklichung der GFZ-Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, einen Grad erreicht, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 - IV C 39.75 -, juris Rdn. 35; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 4 B 22.10 -, juris Rdn. 7 u. 10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Juli 2017 - OVG 10 N 29.16 -, juris Rdn. 7; OVG Berlin, Urteil vom 31. März 1992 - 2 A 9.88 -, juris Rdn. 37; Urteil vom 28. September 1992 - 2 B 35.90 -, juris Rdn. 20). Die hohe Baudichte im baulichen Bestand und die Vielzahl der Dachgeschossausbauten im hier maßgeblichen Gebiet sind wie auch die tatsächlichen Verhältnisse im Übrigen für jedermann erkennbar und die städtebaulichen Leitlinien des Bezirks aus dem Jahr 2014 sowie die Erhaltungsverordnung sind öffentlich zugänglich.

II. Die Berufung ist begründet, soweit sie das auf das Nutzungsmaß der GRZ bezogene Feststellungsbegehren und den auf die GRZ bezogenen Hilfsantrag betrifft.

1. Die Klage hat keinen Erfolg, soweit die Klägerin beantragt hat festzustellen, dass ihr Bauvorhaben keiner planungsrechtlichen Befreiung von dem Nutzungsmaß der GRZ bedarf. Insoweit ist die Klage unzulässig, denn die Klägerin hat kein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO).

Zwischen den Beteiligten besteht hinsichtlich der Frage, ob für den von der Klägerin geplanten Dachgeschossausbau eine Befreiung von dem Nutzungsmaß der GRZ erforderlich ist, keine Rechtsunklarheit. Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte gehen davon aus, dass eine Befreiung insoweit nicht erforderlich ist.

Bezogen auf den Dachgeschossausbau hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren nur eine Befreiung vom Nutzungsmaß der GFZ beantragt. Zwar lässt sich dem Schreiben der Architekten der Klägerin vom 29. Mai 2014 entnehmen, dass es auch zu einer Erhöhung der GRZ kommen wird, allerdings erst nach Einbau der geplanten Balkone und Aufzugsanlagen. Der Architekt der Klägerin hat ausweislich des Sitzungsprotokolls im Termin vor dem Verwaltungsgericht bestätigt, dass die GRZ-Erhöhung aus dem geplanten Anbau eines Außenaufzuges im Innenhof resultiert. In dem Anschreiben vom 29. Mai 2014 führen die Architekten der Klägerin aus, dass im ersten Schritt ein Befreiungsantrag bezüglich der Überschreitung der zulässigen GFZ gestellt werde. Damit hat die Klägerin den Dachausbau als das zu betrachtende Bauvorhaben definiert. Der Beklagte hat den Antrag der Klägerin auch in diesem Sinne verstanden. Mit Bescheid vom 22. September 2014, in dem er ausgeführt hat, die GRZ ändere sich durch den Dachausbau nicht, hat er nur die Erteilung einer Befreiung für die weitere Überschreitung der GFZ abgelehnt. Dass der Beklagte von der Klägerin für den Dachausbau (auch) einen Antrag auf Befreiung von der zulässigen GRZ gefordert hätte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin im gerichtlichen Verfahren darauf hingewiesen, es entspreche der Berliner Verwaltungspraxis, in Fällen, in denen sich durch einen Dachgeschossausbau rechnerisch nichts an der GRZ ändere, von einer Befreiung von der zulässigen GRZ und einem entsprechenden Antrag abzusehen. Auch der Beklagte hat ausgeführt, die bezirkliche Praxis gehe davon aus, dass bei Änderungsmaßnahmen, die aufgrund ihrer großflächigen Auswirkungen auf das Bestandsgebäude die planfestgesetzte GRZ - bei isolierter Betrachtung - überschreiten, behördliche Befreiungen von der GRZ-Festsetzung nicht erforderlich seien, solange die durch das Bestandsgebäude vorgegebene und behördlich genehmigte GRZ-Überschreitung nicht noch weiter erhöht werde.

Die Erhöhung der GRZ durch den Anbau eines Aufzuges war nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Insoweit haben sich streitige Beziehungen zwischen den Beteiligten nicht bereits in einer Weise verdichtet, die zu einem berechtigten Interesse an der baldigen Feststellung führen würde.

2. Da sich das Verwaltungsgericht zu dem geplanten Dachgeschossausbau nebst der Errichtung eines Außenaufzuges verhalten und auch die GRZ-Festsetzung für funktionslos gehalten hat, weist der Senat allerdings darauf hin, dass die Festsetzung einer GRZ von 0,3 nicht funktionslos geworden ist.

a. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts geht der Senat nicht davon aus, dass die Funktionslosigkeit der GFZ die Funktionslosigkeit der GRZ nach sich zieht. Die Voraussetzungen für eine Funktionslosigkeit sind für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dazu, dass die GRZ-Festsetzung isoliert funktionslos werden kann und zum Prüfungsmaßstab gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

b. Aus der vom Beklagten eingereichten Übersicht ergibt sich folgendes:

Bei Inkrafttreten des Baunutzungsplans war die zulässige GRZ von 0,3 auf den seinerzeit bebauten Grundstücken ganz überwiegend überschritten. Eingehalten oder unterschritten wurde sie nur auf 13 der seinerzeit bebauten Grundstücke. Nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans hat der Beklagte in 16 Fällen Genehmigungen erteilt, die (auch) zu einer (weiteren) Überschreitung der zulässigen GRZ geführt haben. Dem stehen zwei Fälle gegenüber, in denen nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans Neubauten errichtet wurden, die die zulässige GRZ einhielten oder unterschritten. In weiteren 9 Fällen wurden Genehmigungen erteilt, die zu einer Verringerung der zu hohen GRZ geführt haben, wobei die zulässige GRZ von 0,3 noch immer überschritten wird.

c. Diese Ergebnisse belegen, dass im Hinblick auf die GRZ keine vergleichbare tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse wie bei der GFZ stattgefunden hat. Fälle, in denen die tatsächliche bauliche Entwicklung zu einer (weiteren) Entfernung von der GRZ-Festsetzung führte, halten sich mit Fällen in denen die GRZ- Festsetzung gesteuert hat, in etwa die Waage. Das genügt nicht, um eine erhebliche abweichende weitere bauliche Entwicklung annehmen zu können. Der weitgehend planwidrige (unveränderte) Altbestand und der Zeitablauf seit Inkrafttreten des Baunutzungsplanes allein genügen - wie bereits ausgeführt - nicht, um eine Funktionslosigkeit der GRZ-Festsetzung annehmen zu können. Ohne eine erhebliche abweichende bauliche Entwicklung führen auch die bezirklichen Leitlinien zur Nachverdichtung sowie die Erhaltungsverordnung nicht zu einer Funktionslosigkeit der GRZ-Festsetzung.

3. Über den Hilfsantrag ist unter Zugrundelegung des bereits Ausgeführten zu entscheiden, soweit er die Verpflichtung zur Erteilung einer Befreiung von der GRZ betrifft. Insoweit hat die Klage keinen Erfolg, denn dieser Hilfsantrag ist unzulässig. Es fehlt an dem erforderlichen Antrag der Klägerin auf Erteilung einer entsprechenden Befreiung im Verwaltungsverfahren.

Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 31 Abs. 2 BauGB ein Antragsbedürfnis nicht entnehmen. Ihrem Wesen nach ist die Befreiung allerdings antragsbedürftig (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2018, § 31 Rdn. 64 m. w. N.). Der Antrag muss in aller Regel nicht gesondert gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 03. Dezember 1992 - 4 C 27.91 -, juris Rdn. 31, und Beschluss vom 28. Mai 1990 - 4 B 56.90 -, juris Rdn. 2). Im Zweifel enthält der Bauantrag zugleich das Begehren, eine mögliche und notwendige Befreiung zu erteilen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2018, § 31 Rdn. 63, 64). Hier indes soll das Bauvorhaben im Wege eines Genehmigungsfreistellungsverfahrens (§ 62 BauO Bln, § 63 BauO Bln a.F.) realisiert werden. In diesem Fall ist eine Befreiung gesondert zu beantragen (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 1 a BauO Bln, § 63 Abs. 2 Nr. 1 a BauO Bln a.F.).

Die Klägerin hat - wie bereits ausgeführt - gegenüber dem Bezirksamt lediglich eine Befreiung von der zulässigen GFZ beantragt, nicht jedoch von der GRZ.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kosten werden hälftig geteilt, weil die die GFZ- bzw. GRZ-Festsetzung betreffenden Feststellungsbegehren gleichwertig sind. Der zur Entscheidung stehende Hilfsantrag ist von seiner wirtschaftlichen Bedeutung her mit dem die GRZ betreffenden Feststellungsantrag identisch.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

An den für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalog (hier: Ziff. 9.1.1.3) wird hinsichtlich jeder der geplanten drei Wohneinheiten ein Betrag in Höhe von 10.000,00 Euro berücksichtigt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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