Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 15.07.2020 - 4 LB 45/17
Fundstelle
openJur 2020, 73123
  • Rkr:
Rubrum

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache

des Herrn ...

- Kläger und Berufungskläger -

Proz.-Bev.: ...

gegen

...

- Beklagter und Berufungsbeklagter -

Proz.-Bev.: ...

Streitgegenstand: Verfahren nach dem Informationszugangsgesetz (IZG-SH) - Ablehnung von Gerichtspersonen

hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts am 15. Juli 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ... und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. ... beschlossen:

Tenor

Der Antrag des Beklagten, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. E... wegen Befangenheit von der Ausübung des Richteramtes in diesem Verfahren auszuschließen, wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Ablehnung des Richters am Verwaltungsgericht Dr. E... ist zulässig, aber unbegründet. Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Abs. 2 ZPO oder nach § 54 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten begründet seinen Antrag damit, dass Dr. E... von 2013 bis 2017 Mitarbeiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) und stellvertretender Leiter des für die Anwendung des Informationszugangsgesetzes zuständigen Referates ... war. In diese Zeit sei die Änderung des Informationszugangsgesetzes mit Gesetz vom 05.05.2017 (GVOBl. Schl.-H. S. 279, berichtigt S. 509) gefallen, mit der unter anderem § 2 Abs. 4 Nr. 1 IZG-SH neugefasst worden sei und nunmehr regele, dass der Landtag nicht informationspflichtige Stelle sei, soweit er parlamentarische Aufgaben wahrnehme, wozu auch die gutachterliche oder rechtsberatende Tätigkeit im Auftrag einer oder mehrerer Fraktionen zähle. Das ULD habe sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mit einer Stellungnahme vom 26.10.2016 (LT-Umdruck 18/6732) gegen diese Ausnahmeklausel positioniert und im Rahmen der öffentlichen Anhörung vor dem Innen- und Rechtsausschuss durch den Referatsleiter ..., Herrn Dr. P..., kritisch Stellung genommen. Das ULD habe in seinem Tätigkeitsbericht 2017 die Gesetzesänderung scharf kritisiert und in einem kämpferischen Duktus dem Land die Kompetenz abgesprochen, dass Informationsfreiheits- bzw. Informationszugangsrecht eigenständig und unabhängig von der Rechtslage im Bund und in anderen Bundesländern zu regeln, auch soweit es sein eigenes Parlament betreffe. Dr. E... sei in dieser Zeit im Referat tätig gewesen, welches für die Anwendung des IZG zuständig gewesen sei, und es müsse davon ausgegangen werden, dass er sich mit den dargelegten Inhalten identifiziere. Es bestehe die Besorgnis, dass Dr. E... die genannte Vorschrift nicht unbefangen anwenden werde, was auch durch seine Hinweisverfügung als Berichterstatter vom 01.07.2020 genährt werde. Schließlich sei nicht abschließend geklärt, ob Dr. E... an der Bearbeitung der Eingabe des Klägers vom 05.04.2016 beim ULD in dieser Sache beteiligt gewesen sei. Soweit er eingebunden gewesen sei, liege auch der Ausschließungsgrund des § 54 Abs. 2 VwGO vor.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat keine Ablehnungsgründe glaubhaft gemacht, die von seinem Standpunkt aus, objektiv und vernünftig betrachtet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters rechtfertigen könnten.

Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Geeignet in diesem Sinne sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden aus. Eine tatsächliche Befangenheit des Richters ist nicht erforderlich, entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., 2019, Bearbeiter W.-R. Schenke, § 54 Rn. 10 ff.; Zöller, ZPO, 33. Aufl., 2020, Bearbeiter Vollkommer, § 42 Rn. 9 ff., jeweils m.w.N.). Ein Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Bei Würdigung der vorgebrachten Ablehnungsgründe und der Dienstlichen Erklärung gibt es keine genügenden Anhaltspunkte, die eine Befangenheit des abgelehnten Richters nahelegen könnten. Es kommt zwar nicht darauf an, ob ein Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, wobei schon der äußere Anschein von Befangenheit vermieden werden muss (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., 2020, Bearbeiter Vollkommer, § 42 Rn. 8).

Einen derartigen Anlass hat der abgelehnte Richter aber nicht gegeben. Es sind keine durchgreifenden Gesichtspunkte vorgetragen oder ersichtlich, die an der Unvoreingenommenheit des Richters zweifeln lassen. Insbesondere liegen auch keine Umstände vor, die Zweifel an der Neutralität des Richters wegen einer irgendwie gearteten Vorbefassung mit dem Prozessstoff rechtfertigen (vgl. zu dieser Fallgruppe Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., 2018, Bearbeiter Kluckert, § 54 Rn. 56). Nach seiner dienstlichen Erklärung fiel in sein Dezernat nicht die Zuständigkeit für das IZG, sondern der Bereich wurde von der Sachbearbeiterin Frau L... zusammen mit dem Referatsleiter Herrn Dr. P... bearbeitet, im Rahmen der Referatsbesprechungen seien lediglich abstrakt Fragen des IZG Thema gewesen und ohne Bezug zu konkreten Verfahren oder Rechtsfragen erörtert worden. Es gibt danach keine belastbaren Hinweise darauf, dass Dr. E... an der Stellungnahme des ULD vom 26.10.2016 (Anl. B5), die Frau L... als Ansprechpartnerin ausweist und von Frau H... unterschrieben ist, mitgewirkt hat. Ebenso wenig hat der Richter an der Anhörung am 21.12.2016 im Innen- und Rechtsausschuss (Anl. B6) für das ULD Stellung genommen. Eine Vorbefassung mit dem Prozessstoff oder gar Vorfestlegung in Bezug auf eine bestimmte Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Änderung des IZG liegt nicht vor.

Auch die inhaltliche Zurechnung einer bestimmten Passage im Tätigkeitsbericht 2017 (Anl. B7), an deren Formulierung Dr. E... nach seiner dienstlichen Erklärung nicht mitgewirkt hat, kommt nicht in Betracht. Es liegen in der Person des Richters oder seinem Verhalten keine Anhaltspunkte vor, die eine Festlegung auf bestimmte Rechtsansichten oder gar eine generelle Identifikation mit den inhaltlichen Stellungnahmen des ULD nahelegen.

Nach seiner dienstlichen Erklärung war Dr. E... auch mit der Stellungnahme für den Kläger vom 14.07.2016 (BA Bl. 15ff) nicht befasst. Ansprechpartnerin für diese Stellungnahme beim ULD war Frau L..., unterschrieben ist sie von Dr. P....

Danach liegt auch keine Mitwirkung an einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren gem. § 54 Abs. 2 VwGO vor.

Auch das übrige Vorbringen ist nicht geeignet, um eine objektive Befürchtung der Befangenheit des Richters zu rechtfertigen. Die Darlegung vorläufiger Rechtsansichten zur gebotenen Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung in einer Hinweis- und Aufklärungsverfügung durch den Berichterstatter - hier vom 01.07.2020 (GA Bl. 440) - vermag eine Vorfestlegung und Voreingenommenheit nicht zu begründen, sie erfolgt vielmehr nur im Rahmen der gebotenen Prozessförderungspflicht (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., 2018, Bearbeiter Kluckert, § 54 Rn. 63). Der Berichterstatter hat im Übrigen keine persönliche Einschätzung zu einer Rechtsfrage mitgeteilt, sondern den vorläufigen Beratungsstand des Senats wiedergegeben. Die Befangenheitsablehnung ist grundsätzlich kein Instrument zur Fehler- und Verfahrenskontrolle (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., 2020, Bearbeiter Vollkommer, § 42 Rn. 28). Besondere Umstände, die auf eine vorzeitige und endgültige Festlegung des Richters hindeuten könnten sind nicht ersichtlich.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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