LG Regensburg, Endurteil vom 19.03.2020 - 73 O 1181/19
Fundstelle
openJur 2020, 71750
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.149,36 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.12.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf VII mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 887,03 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2018 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 17,36% und die Beklagte 82,64% zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 9.149,36 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Rückabwicklungsansprüche im Rahmen der "VW-Abgasthematik" geltend.

Die Klagepartei erwarb den streitgegenständlichen Pkw VW Golf am 08.05.2015 zu einem Kaufpreis von 18.500,00 EUR (Anlage K1). Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

Der streitgegenständliche Pkw verfügt über einen Dieselmotor vom Typ EA288, welcher von der Beklagten hergestellt wurde.

Erkennt die Software des Motors anhand Lenkwinkelerkennung, Temperaturerkennung und Zeiterfassung, dass das Fahrzeug den Prüflauf nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt, wird ein spezieller Betriebsmodus aktiviert, in dem die Abgasrückführungsquote über das AGR-Ventil substantiell erhöht wird. Im normalen Straßenbetrieb wird das Fahrzeug hingegen mit einer niedrigeren Abgasrückführungsrate betrieben.

Das mit "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288" Überschriebe interne Dokument der Beklagten enthält auf Seite 4 u.a. folgende Ausführungen:

"Anwendungsbeschreibung:

NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/ DeSOxEvents) nur Streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe"

Hinsichtlich des weiteren vorgelegten Inhalts dieses Dokuments wird auf den Schriftsatz der Klagepartei vom 25.11.2019, Bl. 359 ff d.A., Bezug genommen.

Im Jahr 2018 wurde die Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig, Az: 4 MK 1/18, erhoben. Die Klagepartei hat sich im Jahr 2018 zum Musterfeststellungsverfahren an- und zum 24.06.2019 wieder vom Klageregister abgemeldet.

Im Zeitpunkt der Übergabe des streitgegenständlichen Pkws an die Klagepartei betrug der Kilometerstand 13.680. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung hatte der streitgegenständliche Pkw einen Kilometerstand von 140.040.

Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 13.12.2018 wurde die Beklagte unter Fristsetzung zum 18.12.2018 erfolglos u.a. zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aufgefordert. Hinsichtlich des Übrigen Inhalts des genannten Schreibens wird auf die Anlage K13 Bezug genommen, Die Frist verstrich fruchtlos.

Die Klagepartei behauptet, sie hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn sie davon gewusst hätte, dass das Fahrzeug nicht die gesetzlichen Schadstoffgrenzwerte einhalte. Der Vorstand der Beklagten habe von der Software, welche nicht gesetzeskonform sei, gewusst und habe aus Gewinnsucht und in Betrugsabsicht gehandelt. Durch die Software sei eine Wertminderung gegenüber dem Gebrauchtwagenmarktwert des Fahrzeugs in Folge der Manipulation eingetreten. Das von der Beklagten angebotene Softwareupdate führe u.a. zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs.

Die Klagepartei meint, über die wahre Sachlage getäuscht worden zu sein, was ihre Kaufentscheidung beeinflusst habe. Die von der Beklagten vorgenommene Optimierung der Motorsteuerungssoftware sei gesetzeswidrig, da sie gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) 715/2007 verstoße. Ohne diese unzulässige Abschalteinrichtung würde das streitgegenständliche Fahrzeug die Abgasnorm nicht einhalten. Es liege eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte vor, weshalb ein Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB bestehe. Die Beklagte habe das streitgegenständliche Fahrzeug unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Motorsteuerung zum Zwecke des Weiterverkaufs in den Verkehr gebracht und über die Manipulation des Prüfstandverfahrens getäuscht. Ein Schaden sei entstanden, da sie ein Fahrzeug gekauft habe, das sie bei Kenntnis der Sachlage nicht erworben hätte. Eine Nutzungsentschädigung sei in Ansatz zu bringen, wobei die Gesamtlaufleistung mit mindestens 300.000 km zu bewerten sei. Einer Verjährung stehe jedenfalls die hemmende Wirkung der An- und Abmeldung zur Musterfeststellungsklage entgegen. Der Kaufpreis sei ab Kaufdatum im beantragten Zeitraum auch gem. § 849 BGB zu verzinsen. Die Beklagte befinde sich in Annahmeverzug. Weiterhin bestehe Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, welche eine 2,0 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert in Höhe des Kaufpreises beinhalten.

Die Klagepartei kündigte mit der Klageschrift folgende Anträge an:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 18.500,00 nebst Zinsen in Hö he von 4 Prozent seit dem 09.05.2015 bis 19.12.2018 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf VII mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 0 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2018 zu zahlen.

Die Klagepartei beantragt zuletzt,

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 18.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 09.05.2015 bis 19.12.2018 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf VII mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.680,28 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei technisch sicher, gebrauchstauglich und verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung.

Die Beklagte meint, dass der Klagepartei kein Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB gegen die Beklagte zustehe, da sie die Klagepartei nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Es fehle bereits an einer sittenwidrigen Handlung, insb. habe sie die Klagepartei nicht über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht, da eine solche nicht gegeben sei; ebenso habe sie die Klagepartei nicht über das Vorliegen bzw. den drohenden Entzug der EG-Typgenehmigung getäuscht. Durch die Verwendung der Software seien der Klagepartei auch keine wirtschaftlichen Nachteile entstanden, da das streitgegenständliche Fahrzeug keinen merkantilen Minderwert aufweise. Jedenfalls fehle es an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten. Die Klagepartei müsse sich auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch die von ihr gezogenen Nutzungen des Fahrzeugs gemäß §§ 249 ff. BGB nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen. Die Voraussetzungen des § 849 BGB lägen schon nicht vor, da weder eine Entziehung des freiwillig gezahlten Kaufpreises vorliege, noch der Norm selbst der allgemeine Grundsatz der Verzinsung deliktischer Ansprüche zu entnehmen sei.

Die Beklagte erhebt weiterhin die Einrede der Verjährung, da die Klage erst im Jahr 2019 erhoben wurde. Mit Ablauf des Jahres 2018 sei Verjährung eingetreten, da für den Verjährungsbeginn auf das Bekanntwerden der Abgasthematik im Jahr 2015 abzustellen sei.

Das Gericht hat am 06.02.2020 mündlich verhandelt. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig (A.), jedoch nur zum Teil begründet (B.).

A.

Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Regensburg ist sachlich gem. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gem. § 32 ZPO zuständig. Die objektive Anspruchshäufung begegnet ebenso wie die Feststellungsklage (§ 256 ZPO) keinen Bedenken.

B.

Die Klage ist zum Teil begründet. Die Klagepartei hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch gem. §§ 826, 249 ff. BGB i.V.m. § 31 BGB auf Zahlung in tenorierter Höhe Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem tenorierten Zeitpunkt (I.). Die Beklagte befindet sich seit dem tenorierten Zeitpunkt in Annahmeverzug (II.). Die Klagepartei hat zudem Anspruch auf Freistellung von außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem tenorierten Zeitpunkt, jedoch nur in tenorierter Höhe (III.). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen, insb. besteht der geltend gemachte Zinsanspruch gem. § 849 BGB nicht (IV.).

I.

Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.

1. Die Verwendung der Software zur Optimierung des Stickoxidausstoßes im Prüfstand stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei dar. Die schädigende Handlung der Beklagten war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Software.

a) Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch eine umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH, NJW 2014, 383 ff.) Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus de, verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, 77. Auflage 2018, § 826 Rn. 4 m.w.N.).

b) Die streitgegenständliche Software wurde - was jedenfalls im vorliegenden Einzelfall unstreitig ist - so programmiert, dass die Abgasrückführung in zumindest zwei verschiedenen Betriebsmodi gesteuert wird, wobei ausschließlich im NEFZ eine höhere Abgasrückführungsrate aktiv gewesen ist, im normalen Straßenverkehr hingegen durchgehend eine niedrige Abgasbehandlung aktiv gewesen ist. Die Steuerungssoftware führt mithin dazu, dass der gesetzlich definierte Grenzwert ausschließlich im Prüfverfahren zur Typengenehmigung eingehalten wird. Da der im NEFZ verwendete Betriebsmodus unstreitig so programmiert wurde, dass er die Aktivierung der höheren Abgasrückführung exakt an die Fahrverhaltens-Parameter der NEFZ-Prüfung knüpfte, kommt es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit auch nicht darauf an, ob die Überschreitung der Grenzwerte im realen Straßenbetrieb Einfluss auf die Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugtyps gehabt hätte. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang allein die Tatsache, dass ein Bauteil konstruiert wurde, das ausschließlich die Funktion hat, die Abgasrückführung nur in der Prüfsituation so zu erhöhen, dass der gesetzliche NOx-Grenzwert eingehalten wird. Dieser Zweck widerspricht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, da ein bestimmtes Verhalten des Fahrzeugs nur zum Zwecke des Erwerbs der Zulassung hervorgerufen wird und im normalen Straßenverkehr nicht vorliegt.

Der klägerische Vortrag zur Programmierung der Motorsteuersoftware im Motor EA288 ist im vorliegenden Einzelfall zwischen den Parteien unstreitig. Zwar hat die Beklagte den mit der Klageschrift erfolgten Vortrag zunächst einfach bestritten und als unschlüssig eingeordnet. Die Klagepartei hat ihren Vortrag jedoch mit der Replik vom 25.11.2019 und dem Schriftsatz vom 30.01.2020 konkretisiert und (anders als in der Klageschrift) auch konkret zum Motor EA288 vorgetragen, insb. durch Vorlage von Auszügen aus dem mit "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288" überschriebenen Dokument, das auf Seite 4 eine Erkennung des Prüfstandlaufs beschreibt, um Abgasnachbehandlungsevents platzieren zu können, weshalb einfaches Bestreiten der Beklagten nicht mehr genügt hat, sondern sie als Herstellerin des streitgegenständlichen Motors zu substantiierten Bestreiten verpflichtet gewesen ist. Über die Klageerwiderung hinaus ist jedoch kein weiterer Vortrag der Beklagten erfolgt, weshalb der Vortrag der Klagepartei zur Programmierung der Motorsteuerungssoftware mit Replik vom 25.11.2019 und dem Schriftsatz vom 30.01.2020 als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO.

c) Das Verhalten der Beklagten ist auch als verwerflich anzusehen, da hierdurch der Eindruck erzeugt wird, die NOx-Emissionen des Fahrzeugs würden ohne Beeinflussung durch eine künstlich erhöhte Abgasrückführung im Normbereich liegen, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. Es ist offensichtlich, dass das Verhalten der Beklagten nur dazu diente, sich auf rechtswidrigem Wege Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch die Unternehmensgewinne zu steigern. Dieses per se legale Ziel wurde jedoch mit verwerflichen Mitteln erreicht. Insbesondere ist bei einer Gesamtabwägung hervorzuheben, dass die Beklagte über einen erheblichen Wissensvorsprung verfügte. Sie alleine wusste von der unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Autokunden vertrauten darauf, dass Fahrzeuge mit einer EG-Typengenehmigung gesetzeskonform betrieben werden können. Dieses Vertrauen missbrauchte die Beklagte, indem sie die Kunden täuschte. Dem Kunden demgegenüber war es nicht möglich, diese Täuschung zu erkennen. Die Beklagte nutzte das Vertrauen der Kunden bewusst zu ihrem eigenen Vorteil aus.

2. Hierdurch hat die Beklagte der Klagepartei einen Schaden i.S.v. § 826 BGB zugefügt.

a) Ein Schaden liegt nicht nur dann vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, welche ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt, sondern auch dann, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende, ungewollte Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 275). Ausreichend ist hierfür, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wurde, den er sonst nicht geschlossen hätte, und dass die Leistung für seine Zwecke nicht vollumfänglich brauchbar ist.

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Maßgeblich ist nach Auffassung des Gerichts allein die zur Überzeugung des Gerichts feststehende Tatsache, dass die Klagepartei durch das Verhalten der Beklagten einen Kaufvertrag abgeschlossen hat, den sie ansonsten nicht geschlossen hätte, und sie aus diesem Vertrag zur Kaufpreiszahlung und Abnahme des Fahrzeugs verpflichtet wurde. Nach Auffassung des Gerichts würde kein verständiger Autokäufer einen Pkw kaufen, welcher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die von Seiten der Behörden erteilte EG-Typengenehmigung durch Täuschung erschlichen hat. Es besteht nämlich die Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt diese EG-Typengenehmigung widerruft, was die Betriebsuntersagung zur Folge hat. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Leistung zu den Zwecken des Käufers nicht voll brauchbar. Aus seiner Sicht droht theoretisch die Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung sowie auch eine Einschränkung der Fungibilität. Bei Weiterverkauf und Offenlegung der Software hätte die Klagepartei als Verkäufer im Vergleich zum Anschaffungswert Preisabschläge hinnehmen müssen, wenn das Fahrzeug überhaupt veräußerbar gewesen wäre.

c) Die streitgegenständliche Programmierung ist gesetzeswidrig. Es liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vor, da die streitgegenständliche Programmierung bei verständiger Würdigung als Abschalteinrichtung anzusehen ist. Sie setzt eine zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft, mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße zugunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Betriebsmodus abschaltet. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden.

d) Unabhängig davon, ob das streitgegenständliche Fahrzeug von der Beklagten ein Software-Update erhalten hat, würde auch die Durchführung des Software-Updates den Schaden nicht entfallen lassen, da dieser im Abschluss des Kaufvertrags als solchem liegt und der Klagepartei infolge der vorsätzlichen Täuschung durch die Beklagte ein Festhalten an diesem Vertrag aus Sicht des Gerichts nicht zugemutet werden kann.

3. Das Verhalten der Beklagten ist ursächlich für die Schädigung. Die Beklagte hat das Antriebsaggregat, welches die Abschalteinrichtung beinhaltet, entwickelt und in den Verkehr gebracht und hierdurch den Schaden der Klagepartei kausal verursacht.

4. In diesem Zusammenhang handelte die Beklagte auch vorsätzlich. Es bestehen keine Zweifel, dass die mit der Entwicklung betrauten Mitarbeiter der Beklagten betreffend die unzulässige Abschalteinrichtung vorsätzlich handelten, da hierdurch für die Beklagte nicht unerhebliche Gewinne resultierten. Die Entwicklung der unzulässigen Abschalteinrichtung wurde nur aus dem Grund eingesetzt, um sich einen Wettbewerbs- und Kostenvorteil zu verschaffen. Der Beklagten war auch bewusst, dass das Verschweigen der Existenz dieser Abschalteinrichtung für die Klagepartei entscheidungserheblich für den Kauf dieses Fahrzeugs war. Die Ausführungen hierzu in der Klageschrift, dass sie in Kenntnis dieser Einrichtung den Pkw nicht erworben hätte, sind aus Sicht des Gerichts ohne Weiteres plausibel.

Aufgrund der konkreten Funktionsweise der Software ist darüber hinaus aber auch von zumindest bedingtem Vorsatz in Bezug auf die weiteren Voraussetzungen des bei der Klagepartei eingetretenen Vermögensschadens auszugehen. Da die Software die Abgasrückführung im Betriebsmodus für den Prüfstand exakt an die Parameter des NEFZ anknüpft und nur so die Einhaltung der gesetzlichen NOx-Grenzwerte bewirkt, muss sich demjenigen, welcher diese Softwareentwicklung veranlasst, aufdrängen, dass bei öffentlichem Bekanntwerden dieser Funktionsweise zum einen behördlich eine Umrüstung verlangt werden könnte, welche die gezielte Anknüpfung an die NEFZ-Parameter abstellt und im Zuge der Umrüstungsmaßnahmen eine erhebliche Unsicherheit über die technische Unbedenklichkeit der Maßnahmen bestehen würde.

5. Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch gem. § 31 BGB zuzurechnen. Voraussetzung hierfür ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, NJW 2017, 250 ff.). Die Klagepartei brachte hierzu vor, dass die Vorstandsebene Kenntnis von den haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen hatten. Dieser Vortrag ist gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, da er von Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestritten wurde. Die Beklagte trifft bezüglich der vorstehenden Behauptung eine sekundäre Darlegungslast. Diese trifft die nicht primär darlegungs- und beweisbelastete Partei ausnahmsweise dann, wenn die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei für einen hinreichend substantiierten Vortrag Umstände darzutun hätte, die ihr unbekannt sind, die aber in den Wahrnehmungsbereich der Gegenpartei fallen und die Darlegung der entsprechenden Verhältnisse der Gegenpartei zumutbar ist. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Die Klagepartei ist zu einer weitergehenden Darlegung und einem sachgerechten Beweisantritt nicht in der Lage, da es ihr an entscheidender Kenntnis über die internen Betriebsabläufe der Beklagten mangelt. Diese Betriebsabläufe gehören jedoch zum unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Beklagten, deren Offenbarung der Beklagten ohne Weiteres zumutbar ist. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend nachgekommen.

6. Die Klagepartei hat daher gemäß § 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz aller kausal aus der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden. Hätte die Klagepartei den streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht geschlossen, so wäre sie zur Kaufpreiszahlung nicht verpflichtet gewesen, weswegen ihr von der Beklagten grundsätzlich der Kaufpreis in voller Höhe zu erstatten ist.

a) Die Klagepartei muss sich auf ihren Ersatzanspruch jedoch - wie von ihr auch beantragt - die von ihr während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen, weil im Übrigen eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 346 Abs. 1 BGB (LG Wuppertal, Urteil vom 16.1.2018, Az. 4 O 295/17). Im vorliegenden Fall macht die Klagepartei einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB geltend. Der Zweck des Schadensersatzrechts besteht darin, entstandene Schäden auszugleichen. Der geschädigte Kläger soll für den erlittenen Schaden eine Kompensation erhalten, jedoch keine überobligatorischen Vorteile durch die Schädigung erlangen. Im Rahmen der Schadensabwicklung ist die Nutzungsentschädigung im Wege des Vorteilsausgleichs allgemein anerkannt. Es ist nicht veranlasst, im vorliegenden Fall hiervon eine Ausnahme zu machen, zumal die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw unstreitig problemlos über einen längeren Zeitraum nutzen konnte und dessen Vorteile für sich in Anspruch nahm.

b) Der zu erstattende Betrag reduziert sich auf 9.149,36 EUR. Bei Gebrauchtfahrzeugen wird die Nutzungsentschädigung ermittelt, indem der Kaufpreis mit der Zahl der gefahrenen Kilometer multipliziert und das Ergebnis durch die geschätzte Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird. Im vorliegenden Fall hat der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug bis zur mündlichen Verhandlung im Umfang von 126.360 km genutzt, da aufgrund der Bezeichnung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in der Anlage K1 vom Kauf eines Neuwagens und damit von einer Laufleistung im Kaufzeitpunkt von 0 Kilometern auszugehen ist. Unter Berücksichtigung einer vom Gericht gem. § 287 ZPO geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km sowie des von der Klagepartei erbrachten Kaufpreises ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.350,64 EUR.

7. Hinsichtlich der Kaufpreisrückzahlung folgt der Zinsanspruch der Klagepartei aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Ausweislich des Schreibens nach Anlage K13 wurde die Beklagte aufgefordert, den Kaufpreis bis spätestens 18.12.2018 zurückzuzahlen, Zug-um-Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht, wodurch sie gem. § 286 Abs. 1 BGB in Verzug geriet. In entsprechender Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB hat die Beklagte daher die Forderung der Klagepartei abzgl. des Nutzungsersatzes grds. ab dem 19.12.2018 zu verzinsen. Die Höhe des Zinsanspruchs folgt aus § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

8. Verjährung ist zur Überzeugung des Gerichts nicht eingetreten. Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a) BGB wird die Verjährung gehemmt durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Die Klagepartei hat sie sich unstreitig 2018 erhobenen Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte beim OLG Braunschweig, Az: 4 MK 1/18, an- und 2019 wieder abgemeldet. Der Musterfeststellungsklage liegt wie der vorliegenden Klage der "Dieselskandal" zugrunde. Ausreichend für die verjährungshemmende Wirkung ist, dass sich die Klagepartei bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins im Musterfeststellungsverfahren in Textform gegenüber dem Bundesamt für Justiz anmeldet (Palandt, 78. Auflage 2019, § 204, Rn. 16a). Nach § 204 Abs. 2 S. 2 BGB endet die Hemmung sechs Monate nach Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister beim Musterfeststellungsverfahren. Im Hinblick auf die konkret erhobene Klage noch vor Bestätigung der Abmeldung hat das Gericht in Anbetracht der vorstehenden Vorschriften keine Bedenken daran, dass die Ansprüche verjährt sein könnten. Die Geltendmachung der sich aus den besagten Vorschriften im Zusammenhang ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten stellt für das Gericht auch keinen Rechtsmissbrauch dar.

II.

Die Beklagte befindet sich jedenfalls seit dem 19.12.2018 hinsichtlich der Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gem. §§ 298, 293 BGB im Annahmeverzug. Die Beklagte wurde außergerichtlich mit Schreiben des Klägervertreters (Anlage K13) aufgefordert, Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs den geltend gemachten Schadensersatz zu zahlen. Eine Reaktion erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht.

III.

Die Klagepartei hat auch Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, jedoch nur in Höhe von 887,03 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.12.2018. Im Übrigen ist die Klage daher abzuweisen.

1. Eine den Faktor 1,3 übersteigende Geschäftsgebühr ist nicht gerechtfertigt, da keine außergewöhnliche Schwierigkeit gegeben ist, die eine Gebührenerhebung von 2,0, wie von der Klagepartei geltend gemacht, rechtfertigen würde. Gemäß der gesetzlichen Bestimmung zu Nr. 2300 VV-RVG kann eine den Faktor 1,3 übersteigende Geschäftsgebühr nur dann verlangt werden, wenn es sich um eine umfangreiche oder schwierige Tätigkeit handelt. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Weder der Umstand, dass der diesem Fall zugrunde liegende Grundsachverhalt mediale Beachtung findet, noch die Tatsache, dass aufgrund der bei vielen verschiedenen Gerichten in Masse anhängig gemachten Verfahren teils divergierende erstinstanzliche Entscheidungen getroffen wurden, begründen eine derartige Schwierigkeit. Der Sachverhalt ist keineswegs umfangreich, dies sind lediglich einige Schriftsätze der Parteivertreter.

2. Unter Berücksichtigung des Gegenstandswerts von 7.218,15 EUR ergibt sich damit ein Anspruch in der tenorierten Höhe (1,3 GG von 725,40 EUR, Telekommunikationspauschale von 20,00 EUR, Mehrwertsteuer von 141,63 EUR).

IV.

Ein Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4% über dem Basiszinssatz aus der Kaufpreiszahlung besteht hingegen nicht. Voraussetzung des Zinsanspruchs gem. § 849 BGB ist, dass eine Sache der Klagepartei entzogen oder beschädigt wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Aufgrund der hohen Nebenforderungen, insb. in Anbetracht der geltend gemachten Zinsen, ist aus den Anträgen der Ziffern 1 und 3 ein fiktiver Streitwert zu bilden, welcher insgesamt 12.213,17 EUR beträgt (Ziff. 1: 9.149,36 EUR nebst Zinsen von 1.322,52 EUR und 51,54 EUR; Ziff. 3: 1.680,28 EUR nebst Zinsen 9,47 EUR). Der Klageantrag nach Ziff. 2 ist nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Die Klagepartei obsiegt in Höhe von insgesamt 10.092,92 EUR (Ziff. 1: 9.149,36 EUR nebst Zinsen 51,54 EUR; Ziff. 3: 887,03 EUR nebst Zinsen 4,99 EUR), also mit einem Anteil von 82,64%.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S.1 und 2 ZPO.