OLG München, Beschluss vom 28.05.2020 - 5 U 1005/20
Fundstelle
openJur 2020, 71574
  • Rkr:
Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.02.2020, Az. 35 O 1423/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 85.579,65 € festzusetzen.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB gegen die Beklagte verneint.

1. Schaden

a) Nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger über das streitgegenständliche Fahrzeug am 11.8.2015 einen Leasingvertrag abgeschlossen, den er nach Ablauf der Laufzeit am 12.9.2018 verlängert hat (LGU S. 2). Dies entspricht im Übrigen auch dem übereinstimmenden Parteivortrag. Der Senat geht davon aus, dass auch beim Leasingvertrag der Schaden - entsprechend der aktuellen Rechtsprechung zur Herstellerhaftung (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 gemäß Pressemitteilung vom Nr. 063/2020) - in der Eingehung der Verbindlichkeit als solcher liegen kann, ohne dass es auf die tatsächliche Benutzbarkeit des Fahrzeugs oder die spätere Aufspielung eines Software-Updates ankäme. Maßgeblich erscheint im vorliegenden Fall, dass der Kläger nach den vorgelegten AGB, dort Ziff. XII, am Ende der Laufzeit verpflichtet war, das Fahrzeug zu erwerben, und während der Laufzeit das Risiko u.a. der Nichtbenutzbarkeit des Fahrzeugs trug, Ziff. X. der AGB (Anl. K3). Die Parallele zu einem Ratenkaufvertrag liegt auf der Hand.

b) Allerdings setzt die Annahme eines Schadens voraus, dass hinsichtlich des Fahrzeugs tatsächlich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Gefahr eines Entzugs der Betriebszulassung bestand. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine Software vorhanden war, die erkannt habe, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde oder nicht und die Emissionen danach unterschiedlich regele (Klageschrift, S. 4). Bei einer solchen Software liegt auf der Hand, dass sie unzulässig ist, so dass die Gefahr der Nichtbenutzbarkeit des Fahrzeugs im Falle der Entdeckung der Software besteht (BGH, a.a.O.). Die Beklagte hat sich erstinstanzlich zu dieser Behauptung nicht geäußert, sondern sie als "nicht einlassungsfähig" bezeichnet (Klageerwiderung, S. 8 = Bl. 56 d.A.). Der Senat teilt diese Einschätzung nicht, auch spielt keine Rolle, dass der Kläger nicht sicher wissen kann, ob seine Behauptung zutrifft.

Allerdings hat das Landgericht - für den Senat bindend - die Behauptung des Klägers als streitig festgestellt; sollte die Beklagte die Behauptung des Klägers in zweiter Instanz nicht unstreitig stellen, wäre ggf. hierüber Beweis zu erheben. Der Senat weist deshalb vorsorglich darauf hin, dass ein taugliches Beweisangebot für die Behauptung bisher fehlt; keinesfalls kann aus dem Umstand einer Rückrufaktion oder der Aufforderung, ein Software-Update aufzuspielen, auf die Art der vorher bestehenden Problematik ausreichend geschlossen werden; gleiches gilt für die vom Kläger in der Berufungsbegründung zitierte Mitteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Der Senat neigt nicht zu der Annahme, dass jegliche Art von beanstandeter Motorsteuerung die Annahme eines Schadens in Form eines (damals bereits) ungewollten Vertragsschlusses rechtfertigt. Selbst wenn zunächst ein im ungewollten Vertrag liegender Schaden zu bejahen wäre, scheitert ein Anspruch des Klägers jedoch nach Auffassung des Senats am folgenden Punkt.

2. Vorsätzliche sittenwidrige Handlung

Zu Recht hat das Landgericht jedenfalls die Klage mangels Vorsatzes abgewiesen. Zwar kann das auf der Grundlage einer im eigenen Gewinninteresse getroffenen grundlegenden Entscheidung durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA erfolgte systematische und umfangreiche Inverkehrbringen von Fahrzeugen, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschaltvorrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, ein objektiv als sittenwidrig zu qualifizierendes Verhalten darstellen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 gemäß Pressemitteilung vom Nr. 063/2020). Allerdings müsste der Kläger substantiiert darlegen und ggf. nachweisen, dass Personen, deren Wissen der Beklagten zuzurechnen wäre, eine solche strategische Entscheidung getroffen und umgesetzt hätten oder zumindest dies gewusst und gebilligt hätten. Daran fehlt es.

a) Der Kläger hat lediglich pauschal behauptet, die Vorstände der Beklagten hätten gewusst, dass der von der gelieferte und programmierte Motor "eine unzulässige Abschaltvorrichtung" aufweise. Dieser Vortrag ist schon deshalb nicht hinreichend substantiiert, weil nach Auffassung des Senats nicht jede Art einer (später) beanstandeten Steuerung des Motors ihre Illegalität gleichsam "auf der Stirn trägt", so dass selbst bei Kenntnis von einer bestimmten Steuerung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass damit die Vorstellung verbunden wäre, den Käufer eines solchen Pkw zu schädigen. Insofern käme es ggf. wiederum auf die tatsächlich im streitgegenständlichen Pkw ursprünglich verwendete Software an (s.o.).

b) Die Beklagte ist der behaupteten Kenntnis von einer unzulässigen Software entgegengetreten und hat detailliert und unter Vorlage von Unterlagen vorgetragen, dass die Mitglieder ihres damaligen Vorstands keine Kenntnis hatten, sondern vielmehr im Zeitraum zwischen 24.11.2015 und 8.6.2017 (Anl. Annex 1a - 1e) mehrfach von A versichert bekommen hätten, dass der im streitgegenständlichen Fahrzeug verwendete Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung diese Schreiben als "offensichtlich falsch" bezeichnet, stellt dies keinen substantiierten Vortrag dar; gleiches gilt für die Behauptung, die Beklagte sei seit mindestens 2014 in Diskussionen über unzulässige Abschaltvorrichtungen involviert. Insofern stellt sich ohnehin die Frage, ob der Kläger gegen die landgerichtliche Feststellung des diesbezüglichen Beklagtenvortrags als zugestanden (LGU S. 7) nun noch vorgehen kann.

c) Eine (weitergehende) sekundäre Darlegungslast der Beklagten kann vorlie gend nicht angenommen werden. Anders als im vom BGH aktuell entschiedenen Fall hat die Beklagte den streitgegenständlichen Motor unstreitig weder entwickelt noch hergestellt, sondern sich lediglich von der, ei nem selbständigen Unternehmen, liefern lassen. Es liegt damit gerade nicht auf der Hand, dass "jedenfalls irgendwer" im Unternehmen der Beklagten eine Entscheidung zur Entwicklung einer solchen Abschaltautomatik und zur Verwendung in dem vom Kläger gekauften Fahrzeug getroffen haben muss. Aus diesem Grund kommt es auf die nähere Darstellung von Entscheidungsabläufen u.ä. innerhalb der Beklagten nicht an. Es obläge vielmehr nach den allgemeinen Regeln dem Kläger, unter Beweisangebot vorzutragen, wer innerhalb der Beklagten davon gewusst habe, dass eine (welche?) Abschalteinrichtung in dem gelieferten Motor eingebaut gewesen sei.

d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die den Motor liefernde wie die Beklagte selbst ein Tochterunternehmen des

- Konzerns ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte gegenüber der eine Wissensorganisationspflicht traf, auf deren Grundlage die Beklagte Zugriff auf die bei der vorhandenen Informationen hatte und vor werfbar nicht nutzte (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 4.9.2019, 13 U 136/18, Rn. 22), sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die bloße Einschätzung seitens des Klägers, es sei "unwahrscheinlich", dass es nicht zu einem Informationsaustausch zwischen den Unternehmen des Konzerns gekommen sei, genügt hierfür nicht.

e) Schließlich kann offenbleiben, ob tatsächlich eine Pflicht der Beklagten bestand, die von der bezogenen Motoren zu überprüfen, was der Se nat mit Blick auf die unbestrittene mangelnde Kompetenz der Beklagten, welche gerade der Grund für den Bezug des Motors von anderen Firmen war, bezweifeln würde. Denn jedenfalls könnte eine Verletzung einer etwaigen Überwachungs- oder Überprüfungspflicht grundsätzlich allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf, nicht jedoch den Vorwurf eines vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens begründen. Für eine bewusste Verletzung von Überprüfungspflichten im Sinne eines vorsätzlichen Wegschauens bestehen wiederum keine Anhaltspunkte.

II.

Streitwert: Summe der Anträge II und III. Die im Antrag III geltend gemachten Finanzierungskosten sind Teil der Hauptsache, da der Kläger begehrt, im Rahmen der Naturalrestitution (§ 249 BGB) so gestellt zu werden, als habe er den Vertrag nicht geschlossen. Dies umfasst den "Teilzahlungspreis", den er für den streitgegenständlichen Pkw bezahlen muss.