Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.07.2020 - 22 ZB 20.1345
Fundstelle
openJur 2020, 71342
  • Rkr:
Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Kläger wehrt sich gegen den Widerruf einer Gaststättenerlaubnis, den die Beklagte mit Bescheid vom 7. April 2017 ausgesprochen hat. Die gegen diesen Bescheid erhobene Anfechtungsklage wies das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 6. Dezember 2018 ab. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. Mai 2020, zugestellt am 22. Mai 2020, ab. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger am 5. Juni 2020 die Anhörungsrüge erhoben.

Die Beklagte hat beantragt, die Anhörungsrüge zu verwerfen. Sie sei schon unzulässig, weil weder die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör noch die Entscheidungserheblichkeit einer solchen - unterstellten - Verletzung dargelegt worden sei. Jedenfalls sei die Anhörungsrüge unbegründet. Weder liege der behauptete Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht vor noch handele es sich bei der Nichtzulassung der Berufung um eine Überraschungsentscheidung. Zu jeder Hinsicht habe der Kläger nicht dargelegt, inwiefern die behaupteten Fehler des Verwaltungsgerichtshofs entscheidungserheblich hätten sein sollen. Darin, dass der Verwaltungsgerichtshof den Rechtsansichten des Klägers nicht gefolgt sei, liege kein Gehörsverstoß. Der Kläger versuche lediglich, mit der Anhörungsrüge die ihm selbst unterlaufenen Irrtümer und Fehler als solche des Verwaltungsgerichtshofs zu tarnen.

II.

Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.

1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet aber keine Pflicht der Gerichte, jedes Vorbringen der Verfahrensbeteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Um eine Verletzung dieses Anspruchs anzunehmen, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass der Sachvortrag eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist. Besondere Umstände dieser Art liegen nicht vor, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten außer Betracht lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert sind (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - juris Rn. 33 ff.; BVerwG, B.v. 22.5.2006 - 10 B 9.06 - juris Rn. 14 m.w.N.). Von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO) ist auszugehen, wenn bezüglich einer für die Entscheidung wesentlichen Frage nicht ersichtlich ist, warum sie das Gericht so und nicht anders entschieden hat, oder wenn konkrete Umstände die Schlussfolgerung nahelegen, dass das Gericht bestimmtes wesentliches Parteivorbringen nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 108 Rn. 31 m.w.N.). Weiter wird Art. 103 Abs. 1 GG durch eine Überraschungsentscheidung verletzt, d.h. wenn die Gerichtsentscheidung ohne einen vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 152a Rn. 18 m.w.N.). Die Entscheidungserheblichkeit ist darzulegen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 152a Rn. 11).

1.1. Der Kläger macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe seinen Beschluss u.a. damit begründet, dass der Kläger in keiner Weise die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts substantiiert angegriffen, sondern lediglich aufgrund der vorliegenden Tatsachen die Feststellung der Unzuverlässigkeit rechtlich anders als das Ausgangsgericht bewertet habe. Als fehlerhaft sieht der Kläger hierbei an, dass der Verwaltungsgerichtshof zwar den Sachvortrag des Klägers im Berufungszulassungsverfahren für nicht ausreichend substantiiert gehalten, es aber unter Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes unterlassen habe, dem Kläger entsprechende Hinweise zu geben oder zielführende Fragen zu stellen, die es dem Kläger ermöglicht hätten, auf diese Fragen oder Hinweise zu reagieren und seinen Sachvortrag ergänzend zu substantiieren. Mangels solcher Hinweise oder Fragen sei sein Berufungszulassungsantrag unerwartet und unvorhersehbar mit der Begründung eines unzureichenden Sachvortrags abgelehnt worden (vgl. im Schriftsatz vom 5.6.2020 auf S. 2 die letzten drei vollständigen Abschnitte). Der Kläger benennt in diesem ersten Teil seiner Anhörungsrüge keinen einzigen konkreten Vortrag, der in der Begründung seines Berufungszulassungsantrags zwar enthalten gewesen, vom Verwaltungsgerichtshof aber übergangen worden sei; auch einen anderen konkreten Fehler, der einen Gehörsverstoß begründen könnte, zeigt der Kläger in diesen drei Abschnitten nicht auf.

1.2. Erst mit dem auf S. 2 unten beginnenden Abschnitt bemängelt der Kläger eine konkrete Verfahrensweise des Verwaltungsgerichtshofs, die er als verfahrensfehlerhaft ansieht und zu der er geltend macht, hierin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er trägt nämlich vor, der Verwaltungsgerichtshof habe sich auf S. 14 des gerügten Nichtzulassungsbeschlusses einem Tatsachenvortrag zugewandt, der dahingehend erfolgt sei, dass der Vertreter der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe, dass das Alter und der Krankheitszustand des Klägers für die Entziehung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis und für das Festhalten der Beklagten an dieser Entziehung ausschlaggebend gewesen seien. Der Kläger meint nunmehr in der Anhörungsrüge, der Verwaltungsgerichtshof habe es nicht dabei belassen dürfen, darauf zu verweisen, dass "dieser Tatsachenvortrag" (so die Formulierung des Klägers) nicht im Protokoll des Verwaltungsgerichts (vom 6.12.2018) wiedergegeben und damit nicht erwiesen sei. Vielmehr - so die Rüge - hätte der Verwaltungsgerichtshof dem Kläger durch einen richterlichen Hinweis Gelegenheit geben müssen, "die in der mündlichen Verhandlung seitens des Beklagtenvertreters geäußerte Motivlage" (Formulierung des Klägers) durch dienstliche Stellungnahme der beteiligten Richter des Verwaltungsgerichts oder durch Erklärung des damaligen Klägerbevollmächtigten unter Beweis zu stellen. Indem der Verwaltungsgerichtshof nicht in dieser Weise verfahren sei, habe er dem Kläger faktisch das rechtliche Gehör entzogen (Schriftsatz vom 5.6.2020, S. 2 unten, S. 3).

2. Mit seinem Vortrag erhebt der Kläger sinngemäß den Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe eine "Überraschungsentscheidung" erlassen. Eine mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbare Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte gestützt wird, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste (BayVGH, B.v. 17.11.2014 - 22 CS 14.1933 - juris Rn. 3 bis 5; BVerfG, B.v. 15.2.2017 - 2 BvR 395/16 - juris; BVerfG, B.v. 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218/263); eine solche gerichtliche Handhabung könnte im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen (BVerfG, B.v. 15.2.2017, a.a.O., Rn. 6 m.w.N.). Für das Abstellen auf tatsächliche, nicht rechtliche Gesichtspunkte, kann das Gleiche gelten.

Der Kläger verkennt, dass der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO und auch die Pflicht zum Hinwirken auf weitere Angaben (§ 86 Abs. 3 VwGO) im Berufungszulassungsverfahren grundsätzlich keine Anwendung finden. Vielmehr ist das Entscheidungsprogramm des Verwaltungsgerichtshofs im Zulassungsverfahren gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO mit der Darlegung der Zulassungsgründe im Wesentlichen festgelegt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 56). Ähnlich wie die durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vorgegebene Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf die dargelegten Gründe im Beschwerdeverfahren (vgl. hierzu Schübel-Pfister, a.a.O., § 86 Rn. 3) wirken sich demzufolge auch im Berufungszulassungsverfahren die zeitlichen und inhaltlichen Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO aus. Gesichtspunkte, die vom Zulassungsantragsteller nicht angesprochen worden sind, gehören demzufolge ebenso wenig zum Entscheidungsprogramm im Berufungszulassungsverfahren wie (nicht offensichtliche) Mängel des angegriffenen Urteils, die zwar möglicherweise gegeben, vom Zulassungsantragsteller aber nicht oder nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise thematisiert worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht berechtigt, dem Antragsteller durch Hinweise oder Fragen Gelegenheit zu geben, seinen insoweit unsubstantiierten Vortrag so zu verbessern, dass er den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt. Daher kann es auch nicht als Überraschungsentscheidung bemängelt werden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einen nicht hinreichend substantiierten, den Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügenden Sach- und Rechtsvortrag nicht durchdringen lässt und demzufolge gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO den Zulassungsantrag ablehnt. Im Übrigen kam es vorliegend für die Zulassungsentscheidung allein darauf an, ob in der am letzten Tag der zweimonatigen Begründungsfrist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bei Gericht eingegangene Antragsbegründung vom 18. Februar 2019 ein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt wurde. Der aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs bestehende Darlegungsmangel hätte wegen der gesetzlichen Begründungsfrist durch später nachgereichte Darlegungen, sofern sie nicht eine bloße Ergänzung schon hinreichend geltend gemachter Zulassungsgründe wären, nicht ausgeräumt werden können.

2.2. Hinzu kommt, dass vorliegend der tatsächliche Sach- und Rechtsvortrag in der Begründung des Berufungszulassungsantrags des damaligen Klägerbevollmächtigten nicht so beschaffen war, wie ihn der jetzige Bevollmächtigte in der Anhörungsrüge darstellt. Dieser meint, es sei im Berufungszulassungsverfahren "wohl auch in substantiierter Form" Folgendes vorgebracht worden: "Der Vertreter der Beklagten habe zum Ausdruck gebracht, dass das Alter und der Krankheitszustand des Klägers dafür ausschlaggebend gewesen seien, dass die Entziehung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis verfügt wurde und an dieser festgehalten wird". Diesem von der Beklagten bestrittenen "Tatsachenvortrag", so der jetzige Bevollmächtigte, hätte der Verwaltungsgerichtshof im Berufungszulassungsverfahren durch einen Hinweis an den Kläger nachgehen müssen anstatt darauf abzustellen, dass der Sachvortrag des Klägers nicht im Protokoll des Verwaltungsgerichts wiedergegeben und daher nicht erwiesen sei.

Dem ist nicht zu folgen, denn die Begründung des Berufungszulassungsantrags war eine andere. Der damalige Bevollmächtigte hatte nämlich behauptet, der Gesundheitszustand des Klägers und dessen Alter seien ein zentraler Gesichtspunkt für den Erlass des angefochtenen Bescheids gewesen. Zum Beleg dieser Behauptung hatte der Bevollmächtigte eine Äußerung angeführt, die seitens der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2018 gefallen sein sollte. Diese Äußerung habe gelautet, dass der Kläger wegen seines Gesundheitszustands und seines Alters das Gewerbe ohnehin nicht mehr benötige. Mit dieser Äußerung, so der damalige Bevollmächtige, sei in der mündlichen Verhandlung "erstmals deutlich" geworden, dass es "nicht um eine vermeintliche Unzuverlässigkeit des [Klägers] geht, sondern dessen Alter und sein geschwächter Gesundheitszustand ausschlaggebend für die Entscheidung der Beklagten zum Widerruf der gaststättenrechtlichen Erlaubnis waren". Der damalige Bevollmächtigte knüpfte im Berufungszulassungsverfahren hieran den Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft "diese Äußerungen in der mündlichen Verhandlung ... gleichwohl nicht zum Anlass genommen, den Widerruf der Gaststättenerlaubnis ... aufzuheben" (vgl. zum Vorstehenden: Schriftsatz vom 18.2.2019 S. 13). Ausweislich dieses Schriftsatzes enthielt demnach die Begründung des Berufungszulassungsantrags, soweit sie substantiiert erfolgte, als Tatsachenvortrag lediglich die oben beschriebene behauptete Äußerung von Beklagtenvertretern in der mündlichen Verhandlung ("...nicht mehr benötige"). Bei der Schlussfolgerung dagegen, wonach diese Äußerung die ausschlaggebende Existenz sachfremder Motive beim Erlass des angefochtenen Bescheids belege, handelte es sich nicht um eine dem Beweis zugängliche Tatsache, sondern um eine Würdigung durch den damaligen Bevollmächtigten.

Zur Bedeutung und letztlichen Entscheidungsunerheblichkeit dieser im Berufungszulassungsverfahren behaupteten Äußerung hat der Verwaltungsgerichtshof im nunmehr gerügten Beschluss vom 13. Mai 2020 ausgeführt, dass die Äußerung von der Beklagten bestritten werde, zudem weder ausdrücklich noch sinngemäß so im Protokoll (vom 6.12.2018) stehe und außerdem auch nicht entscheidend sei. Denn das vom Kläger als "ausschlaggebend" geargwöhnte Motiv der Beklagten für den angefochtenen Bescheid (Alter und Gesundheitszustand des Klägers) könne durch eine erst nach dem Bescheidserlass in der mündlichen Verhandlung gefallene Äußerung nicht belegt werden; eine bestimmte Ansicht dazu, ob der Kläger die Gaststättenerlaubnis wegen seines Alters und/oder seines Gesundheitszustands nicht mehr "benötigt", würde nämlich nicht bedeuten, dass bei einem jüngeren und/oder gesünderen Gastwirt in ansonsten gleicher Lage von einem Widerruf der Gaststättenerlaubnis abgesehen worden wäre. Auf die behauptete Äußerung kam es also nicht an. Der Verwaltungsgerichtshof hat deshalb im Beschluss über die Nichtzulassung der Berufung den in der Antragsbegründung angebotenen Beweis (Zeugenvernehmung) für die vom Kläger behauptete, angeblich in der mündlichen Verhandlung gefallene Äußerung ausdrücklich für entbehrlich gehalten (vgl. den gerügten Beschluss vom 13.5.2020 Rn. 31 a.E.).

Inwiefern der Verwaltungsgerichtshof bei einem derartigen Sach- und Streitstand im Berufungszulassungsverfahren, zumal angesichts der Anforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, gehalten gewesen sein soll, dem damaligen Klägerbevollmächtigten Hinweise für eine ergänzende Substantiierung seines Vortrags zu geben, ist nicht ersichtlich. Ein Gehörsverstoß liegt nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).