LG Saarbrücken, Urteil vom 16.12.2011 - 13 S 128/11
Fundstelle
openJur 2020, 80780
  • Rkr:

Zu der Frage, ob der Schädiger den Geschädigten, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt und den Schaden konkret abrechnet, auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verweisen kann.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 30. Juni 2011 - 120 C 530/09 (05) -, berichtigt durch Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 21. Juli 2011 - 120 C 530/09 (05) - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 30. Oktober 2006 in ... ereignete und für den die Beklagten unstreitig in vollem Umfang einstandspflichtig ist.

Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug für 2.243,65 € reparieren, nachdem der Sachverständige ... die Höhe der voraussichtlichen Reparaturkosten in einem von der Klägerin in Auftrag gegebenen Schadensgutachten mit 2.223,91 € ermittelt hatte. Vorprozessual zahlte die mit der Schadensregulierung befasste ... Versicherungs-AG auf die Reparaturkosten 1.540,09 € sowie eine Unkostenpauschale von 25,00 €. Mit anwaltlichem Schreiben vom 16. Januar 2007 ließ die Klägerin die ... Versicherungs-AG zur Zahlung auffordern.

Die Klägerin hat behauptet, die angefallenen Reparaturkosten seien zur Schadensbehebung erforderlich gewesen. Insbesondere habe die vordere linke Tür beilackiert werden müssen. Die Seitenscheibe hinten links sei aus- und wieder einzubauen gewesen. Die Instandsetzung der hinteren linken Seitenwand habe einen Aufwand von 22 AW erfordert. Das Auto habe abgeschwammt werden müssen.

Erstinstanzlich hat die Klägerin 704,12 € restliche Reparaturkosten nebst vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten und Zinsen geltend gemacht.

Die Beklagte haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben auf der Grundlage eines von ihnen eingeholten Gutachtens des Sachverständigen ... behauptet, zur Schadensbehebung seien lediglich Reparaturen mit einem Aufwand von netto 1.292,26 € erforderlich. Es sei ausreichend, im Bereich der Seitenwand eine Lackangleichung vorzunehmen. Die linke Außenwand sei im Radlaufbereich nur leicht beschädigt. Die Instandsetzung der hinteren linken Seitenwand erfordere lediglich einen Aufwand von 10 AW. Ein Abschwammen sei nicht erforderlich.

Das Erstgericht, auf dessen Feststellungen Bezug genommen wird, hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung der Zeugen ..., ..., ... und .... Daraufhin hat es die Beklagten verurteilt, an die Klägerin 703,56 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar seien nicht alle in der Reparaturrechnung enthaltenden Positionen objektiv erforderlich gewesen. Die Klägerin habe jedoch denjenigen Aufwand für erforderlich halten dürfen, den der von ihr beauftragte Sachverständige ... in seinem Gutachten ermittelt habe und der dementsprechend bei der Durchführung der Reparatur angefallen sei. Das Prognoserisiko trage der Schädiger. Außerdem sei die Reparatur freigegeben worden.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Sie behaupten, die Klägerin habe das Gutachten des Sachverständigen ... vor Beauftragung der Reparaturarbeiten erhalten. Sie meinen, die Klägerin habe aufgrund dessen die von ihr veranlasste Reparatur nicht in diesem Umfang für erforderlich halten dürfen. Weiter rügen sie, die Entscheidung sei überraschend ergangen, da die Beweisaufnahme über die objektiv erforderlichen Kosten der Reparatur unnötig gewesen sei. Das Parteigutachten der Klägerin sei überdies - für die Klägerin erkennbar - nicht von einem unabhängigen Sachverständigen erstellt worden.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie hält die Berufung bereits für unzulässig, da ausweislich der Berufungsbegründung die zugesprochenen Kosten für den Ein- und Ausbau der hinteren linken Seitenscheibe unangegriffen geblieben seien.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Berufung übersteigt entgegen der Auffassung der Berufungsbeklagten die Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da sie die Verurteilung zur Zahlung weiterer Reparaturkosten von 703,56 € in vollem Umfang angreift. Dies ergibt sich aus dem Berufungsantrag, der entgegen der Meinung der Berufungsbeklagten auch durch die Berufungsbegründung unterlegt ist, in der die Beklagten ausdrücklich die Auffassung vertreten, die Klägerin habe durch Zahlung von 1.540,09 € bereits vorprozessual mehr erhalten, als an Reparaturkosten insgesamt gerechtfertigt sei.

2. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die angegriffene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Zu Recht hat das Erstgericht die Beklagten, deren Haftung dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG, § 6 AuslPflVG unstreitig ist, zur Tragung weiterer Reparaturkosten von 703,56 € verurteilt.

a) Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte den zur Herstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Schädiger danach die Aufwendungen zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (vgl. BGHZ 155, 1; BGHZ 160, 377, 383 f.; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2008 - VI ZR 308/07, VersR 2008, 1706-1708; Urteil der Kammer vom 24. September 2010 - 13 S 216/09). Dabei wird der "erforderliche" Herstellungsaufwand nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 63 182 ff.; BGHZ 115, 364 ff.). Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGHZ 63, 182 ff.). Denn bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (vgl. BGHZ 155, 1 ff.; BGHZ 132, 373, 376). Der Schaden ist deshalb subjektbezogen zu bestimmen (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 63 182 ff.; BGHZ 115, 364 ff.). Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug - wie hier - reparieren, so sind die durch eine Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Aufwendungen im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der eingegangenen Reparaturkosten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88, VersR 1989, 1056 f.; BGHZ 63, 182 ff.). Diese "tatsächlichen" Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des "erforderlichen" Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten - etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist - unangemessen sind (vgl. BGHZ 63, 182 ff.; OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2003, 481 ff. mwN., OLG Köln, OLGR Köln 1992, 126 f.).

b) Danach sind die hier geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin als erforderlich anzusehen. Das von der Klägerin eingeholte Gutachten des Sachverständigen ... hat eine Reparatur der hier erfolgten Art aus technischer Sicht als geboten und den damit verbundenen Aufwand im Wesentlichen entsprechend dem späteren tatsächlichen, durch Vorlage einer Reparaturkostenrechnung belegten Kostenanfall als notwendig bewertet. Unter diesen Umständen darf ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch an der Stelle der Klägerin die Eingehung dieser Aufwendungen grundsätzlich für erforderlich halten. Das im vorliegenden Fall von der Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen ... vermag - ohne dass es darauf ankäme, ob die Klägerin es vor Durchführung der Reparatur erhielt - die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten nicht in Zweifel zu ziehen, zumal die von dem Erstgericht durchgeführte Beweisaufnahme eindrücklich belegt, dass die Bewertung der mit dem Gegengutachten erhobenen Einwendungen erheblichen technischen Sachverstand erfordert, über den der geschädigte Laie nicht ohne weiteres verfügt.

c) Die Klägerin hat vorliegend auch nicht gegen die sie nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB treffende Schadensminderungspflicht verstoßen.

aa) Nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte solche Mehrkosten nicht ersetzt verlangen, die durch sein Verschulden bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt entstehen (vgl. BGHZ 115, 364, BGHZ 63, 182, 185). Ein Verschulden der Klägerin bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt ist hier allerdings nicht feststellbar. Ebenso wenig sind - wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat - konkrete Umstände dafür ersichtlich, dass die Klägerin Zweifel an der Unabhängigkeit des von ihr ausgewählten Sachverständigen hätte haben müssen. Dabei bedarf hier keiner Entscheidung, ob - wie das Erstgericht meint - die Abstimmung des Reparaturweges durch den Sachverständigen mit der Reparaturwerkstatt geeignet wäre, Zweifel an der Unabhängigkeit des Sachverständigen zu begründen. Jedenfalls ist - wie das Erstgericht zutreffend und von den Beklagten unangegriffen annimmt - nichts dafür ersichtlich, dass diese Verfahrensweise der Klägerin bekannt gewesen wäre.

bb) Nach § 254 Abs. 2 BGB kann der Schädiger den Geschädigten ferner im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht grundsätzlich auch auf eine mühelos und ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen (vgl. BGHZ 155, 1; 183, 21; BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 - VI ZR 91/09, VersR 2010, 923; Urteil der Kammer vom 24. September 2010 - 13 S 216/09; Urteil der Kammer vom 8. April 2011 - 13 S 152/10). Der Einwand, ein technisch gleichwertiges Reparaturergebnis lasse sich auch mit geringerem Aufwand erreichen, genügt hierfür jedoch nicht ohne weiteres, wenn der Geschädigte - wie hier - im Fall der konkreten Schadensberechnung sein besonderes Interesse an einer Reparatur der vorgenommenen Art durch die Reparaturrechnung belegt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 - VI ZR 91/09, VersR 2010, 923; BGHZ 183, 21 ff.). Vielmehr müssen in einem solchen Fall besondere, ein Verschulden begründende Umstände hinzutreten. Nur wenn der Geschädigte anhand der leicht nachvollziehbaren Einwendungen des Schädigers ohne weiteres - insbesondere ohne Einholung einer ergänzenden sachverständigen Begutachtung - erkennen kann, dass die der Reparatur zugrunde liegende Bewertung des Sachverständigen oder der Reparaturwerkstatt offenkundig fehlerhaft ist, kann es dem Geschädigten obliegen, eine andere Reparaturmöglichkeit in Betracht zu ziehen. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Die Einwendungen der Beklagten betreffen das konkrete Ausmaß der Beschädigung an der hinteren linken Seitenwand sowie den nach dem Schadensbild technisch ausreichenden Reparaturweg. Der Umstand, dass im Rahmen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme sogar mehrere Sachverständige und Zeugen mit technischem Sachverstand und einschlägiger beruflicher Erfahrung hinsichtlich der damit verbundenen Fragen zu unterschiedlichen Bewertungen kamen, belegt, dass es dem geschädigten Laien an der Stelle der Klägerin nicht zumutbar war, sich hierzu ohne weiteres ein verlässliches Urteil zu bilden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).