VG Gießen, Beschluss vom 17.01.2012 - 8 L 4563/11.GI
Fundstelle
openJur 2020, 70966
  • Rkr:

Die Festsetzung von Spielapparatesteuern ist anhand einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen grundsätzlich möglich.

Die Schätzung ist rechtswidrig, wenn sie den gegebenen Schätzungsrahmen nicht einhält (hier: Zugrundelegung von in der Spielapparatesteuersatzung nicht vorgesehenen Höchstbeträgen).

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29.11.2011 (VG Gießen, Az. XXX) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.09.2011 (Kassenzeichen XXX) wird angeordnet, soweit dieser Bescheid eine höhere Steuer als ... EUR zur Zahlung festsetzt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf ... EUR festgesetzt.

Gründe

Randnummer1I.

Die Antragstellerin ist Automatenaufstellerin im Bereich der Gastronomie und als solche in Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Baden-Württemberg und Bayern tätig. Im Stadtgebiet der Antragsgegnerin betreibt die Antragstellerin drei Spielapparate mit Gewinnmöglichkeit.

Randnummer2Die Antragstellerin reichte am 11.07.2011 eine Spielapparatesteuererklärung für das 2. Quartal 2011 bei der Antragsgegnerin ein, die eine Steuerschuld der Antragstellerin von ... EUR auswies. Zugleich bat sie um Prüfung, ob die Steueranmeldung zukünftig auch mittels eines Ausdrucks auf der Grundlage ihres EDV-Programms anstelle der von der Antragsgegnerin vorgegebenen Formulare erfolgen könne. Mit Schreiben vom 01.09.2011 wies die Antragsgegnerin darauf hin, die eingereichte Steuererklärung der Antragstellerin entspreche nicht den Vorgaben der Steuersatzung, insofern als die mit der Erklärung vorgelegten Rechenstreifen nicht kalendermonatlich erstellt worden seien. Die Antragstellerin wurde gebeten, bis zum 14.09.2011 für alle Geräte die Tagesjournale für den Zeitraum vom 01.04. bis 30.06.2011 vorzulegen, um eine Berechnung der Steuer zu ermöglichen. Andernfalls werde die Steuer geschätzt. Eine Reaktion der Antragstellerin hierauf erfolgte nicht.

Randnummer3Am 20.09.2011 erließ die Antragsgegnerin einen an die Antragstellerin gerichteten Spielapparatesteuerbescheid für das 2. Quartal 2011, mit dem sie eine Steuer in Höhe von ... EUR festsetzte. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 19 d. BA).

Randnummer4Die Antragstellerin legte hiergegen mit Schreiben vom 27.09.2011 Widerspruch ein. Sie führte aus, für das 2. Quartal 2011 eine ordnungsgemäße Steuererklärung rechtzeitig abgegeben zu haben. Soweit die Antragsgegnerin bemängele, die Zählwerkausdrucke seien nicht kalendermonatlich erstellt worden, sei zu berücksichtigen, dass es ihr, der Antragstellerin, aufgrund der räumlichen Entfernungen nicht möglich sei, exakt zum Monatsende alle Gastronomiebetriebe zu erfassen. Andere Kommunen hätten kein Problem damit, wenn sich die Meldung der Einspielergebnisse um ein paar Tage verschiebe.

Randnummer5Die Antragsgegnerin wies mit Bescheid vom 27.10.2011 unter Hinweis darauf den Widerspruch zurück, die Spielapparatesteuer nach dem sogenannten Höchstbetrag festgesetzt zu haben, weil die Antragstellerin unzureichende Belege für eine Besteuerung nach dem Bruttokassenmaßstab vorgelegt habe. Zwar habe die Antragstellerin die Frist zur Abgabe der Erklärung eingehalten, die von ihr eingereichten Ablesestreifen seien aber unvollständig gewesen. Sie, die Antragsgegnerin, habe deshalb von ihrer satzungsrechtlichen Ermächtigung Gebrauch gemacht und die Steuerschuld nach dem in der Spielapparatesteuersatzung jeweils vorgesehenen Höchstbetrag festgesetzt. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Dieser wurde der Antragstellerin am 02.11.2011 zugestellt.

Randnummer6Die Antragstellerin hat am 29.11.2011 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zugleich erhob sie Klage (Az. XXX).

Randnummer7Sie trägt vor, aus den von ihr vorgelegten Unterlagen ergebe sich ein lückenloser Überblick über die Einspielergebnisse. Die Antragsgegnerin könne deshalb nicht die Vorlage taggenauer Ausdrucke für jeden einzelnen abzurechnenden Monat verlangen. Die festgesetzte Spielapparatesteuer sei rechtsfehlerhaft, weil diese geschätzt worden sei. Die Steuer sei anhand der von ihr vorgelegten Zahlen zu errechnen und festzusetzen.

Randnummer8Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.09.2011 anzuordnen, soweit dieser Bescheid eine höhere Steuer als ... EUR zur Zahlung festsetzt.

Randnummer9Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Randnummer10Sie trägt vor, an der Rechtmäßigkeit ihres Steuerbescheides vom 20.09.2011 in Form des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2011 bestünden keine ernstlichen Zweifel. Darüber hinaus könne dem Vortrag der Antragstellerin nicht entnommen werden, dass die Vollziehung des Steuerbescheides eine unbillige Härte für diese zur Folge hätte.

Randnummer11Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte (1 Hefter) Bezug genommen.

Randnummer12II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Randnummer13In Abgabesachen kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines erhobenen Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nur in Betracht, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Dies folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, der mit dem in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geregelten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben, um eine solche handelt es sich vorliegend, zum Ausdruck gebracht hat, dass eine solche Abgabe im Zweifel zunächst zu erbringen ist, und dass das Risiko, im Ergebnis möglicherweise zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, den Zahlungspflichtigen trifft. Dementsprechend ist ein Aussetzungsantrag gemäß der Norm des § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO, die vorliegend entsprechend anzuwenden ist, nur dann erfolgreich, wenn der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ernstliche Zweifel begegnen oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Randnummer14Bei Beachtung dieses Maßstabes ist im Rahmen des nur eine kursorische Prüfung der Sach- und Rechtslage zulassenden vorliegenden Eilverfahrens festzustellen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Steuerbescheides bestehen, so dass ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.

Randnummer15Rechtsgrundlage für den angegriffenen Steuerbescheid ist die Satzung der Antragsgegnerin über die Erhebung einer Steuer auf Spielapparate und auf das Spielen um Geld oder Sachwerte vom 17.12.2010 (im Folgenden: SpStS). Ein Verstoß dieser Satzung gegen höherrangiges Recht ist nicht ersichtlich.

Randnummer16Nach § 2 lit.a) SpStS ist Gegenstand der Steuer der Aufwand für das Benutzen von Spiel- oder Geschicklichkeitsapparaten, soweit sie öffentlich zugänglich sind. Steuerschuldner ist der Eigentümer dieser Geräte; wird der Apparat vom Eigentümer einem Dritten zur Nutzung überlassen, ist dieser Steuerschuldner (§ 5 SpStS). Nach § 3 SpStS bemisst sich die Steuer nach der elektronisch gezählten Bruttokasse und beträgt gemäß § 4 der Satzung je angefangenem Kalendermonat und Apparat für Spielapparate mit Gewinnmöglichkeit in Gaststätten 14 vom Hundert der Bruttokasse. Der Steueranspruch entsteht mit der Verwirklichung des Steuertatbestandes, wobei der Steuerschuldner verpflichtet ist, die Steuer in einer Steueranmeldung selbst zu errechnen und bis zum 15. Tag nach Ablauf eines Kalendervierteljahres bei dem Magistrat der Antragsgegnerin auf amtlichem Vordruck einzureichen (§ 7 Abs. 1 und 2 SpStS). Den Steueranmeldungen sind die Zählwerk-Ausdrucke für den jeweiligen Kalendermonat beizufügen, die jeweils den vollständigen Kalendermonat erfassen müssen (§ 7 Abs. 4 SpStS).

Randnummer17Nach § 7 Abs. 5 SpStS wird die Besteuerungsgrundlage für die entsprechenden Zeiträume vom Magistrat der Antragsgegnerin geschätzt und die Steuer durch Steuerbescheid festgesetzt, wenn der Steuerschuldner seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.

Randnummer18Diese Festsetzung aufgrund Schätzung erweist sich vorliegend als rechtswidrig.

Randnummer19Eine Steuerfestsetzung gemäß § 7 Abs. 5 SpStS ist dann als rechtmäßig zu betrachten, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen und sich das Ergebnis als schlüssige, wirtschaftlich vernünftige, mögliche und innerhalb der Grenzen des Schätzungsrahmens bewegende Wahrscheinlichkeitsberechnung darstellt. Insoweit liegt es dann im Wesen der Schätzung, wenn die durch sie ermittelten Größen von den tatsächlichen Verhältnissen mehr oder weniger abweichen. Umgekehrt ist eine Schätzung aber rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Einzelfalls gezogenen Schätzungsrahmen verlässt und das Schätzungsergebnis mithin unschlüssig, wirtschaftlich unvernünftig und unwahrscheinlich ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Loseblattkommentar, Stand: Okt. 2011, § 162 AO Rdnr. 98, mit Nachw. aus der finanzgerichtl. Rspr.)

Randnummer20Die Kammer hat zwar keine Bedenken, dass die Antragsgegnerin vorliegend berechtigt war, die Besteuerungsgrundlage zu schätzen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Schätzung sind gegeben. Die Antragstellerin hat durch Nichtvorlage von Zählwerk-Ausdrucken, die sich auf den jeweiligen Kalendermonat beziehen und diesen vollständig abbilden, zumutbare und damit rechtmäßige Mitwirkungspflichten verletzt (vgl. § 7 Abs. 4 SpStS).

Randnummer21Die Schätzung der Besteuerungsgrundlage ist aber unschlüssig und nicht nachvollziehbar. Höchstbeträge, die die Antragsgegnerin angibt eingesetzt zu haben, sind nach ihrer Satzung als Steuersatz für Spielapparate mit Gewinnmöglichkeit in Gaststätten nicht vorgesehen (vgl. § 4 Abs. 1 lit.b SpStS), Im Übrigen weist die Schätzung der Besteuerungsgrundlage, die sich vorliegend in der Angabe eines Betrages von ... EUR für den Zeitraum vom 01.04.2011 bis 30.06.2011 erschöpft, weder die Anzahl der Apparate noch die auf die jeweiligen Monate des Besteuerungszeitraums entfallenden und zu schätzenden Beträge der Bruttokasse aus (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 lit.a SpStS).

Randnummer22Die Antragsgegnerin hat als unterliegende Beteiligte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Randnummer23Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52, 53 Abs. 2 GKG, wobei die Kammer hier ein Drittel des in der Hauptsache angefochtenen Betrages (...EUR) zugrunde gelegt hat.

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