SG Wiesbaden, Urteil vom 13.07.2012 - S 4 R 273/11
Fundstelle
openJur 2020, 70753
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahren gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) um die ungekürzte Anerkennung der von dem Kläger in der Zeit vom 15.08.1961 bis 10.10.1962, 05.11.1962 bis 04.11.1965, 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 und 30.04.1971 bis 05.01.1993 in der ehemaligen UdSSR zurückgelegten Beitragszeiten sowie um die Qualifikationsgruppeneinstufung der von dem Kläger in der ehemaligen UdSSR zurückgelegten Beitragszeiten als Kraftfahrer der Klasse I nach der Anlage 13 zum Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI).

Der 1943 in Pljuschtschewka (Russland) geborene Kläger kam am 24.02.1993 als anerkannter Spätaussiedler im Sinne von § 4 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) nach Deutschland. Den Eintragungen in seinem 07.09.1996 ausgestellten russischen Arbeitsbuch sowie vorgelegter Arbeitsbescheinigungen zufolge war der Kläger in seinem Herkunftsland wie folgt beschäftigt:

15.08.1961 bis 10.10.1962 Traktorist in einer Kolchose

05.11.1962 bis 04.11.1965 Dienst in der Sowjetarmee

17.01.1966 bis 06.09.1966 Kraftfahrer in der Tuberkuloseabteilung

14.10.1966 bis 07.12.1966 Kraftfahrer für die Auslieferung für Kinofilme

07.01.1967 bis 31.12.1968 Kraftfahrer - Elektromonteur

01.01.1969 bis 31.10.1969 Kraftfahrer der Klasse I

01.11.1969 bis 26.04.1971 Kraftfahrer in der Verwaltung

30.04.1971 bis 30.11.1973 Elektromonteur

01.12.1973 bis 30.03.1976 Meister für Reparaturen und Betrieb PS

31.03.1976 bis 20.05.1979 Ingenieur-Technologe für Betrieb und Reparatur

21.05.1979 bis 31.05.1991 Ingenieur der 1. Kategorie im Betriebsdienst

01.06.1991 bis 05.01.1993 Führender Ingenieur des PS-Dienst

Am 23.09.1993 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Kontenklärung. Durch Bescheid vom 01.02.1999 erließ die Beklagte nach § 149 Abs. 5 SGB VI einen (bestandskräftigen) Bescheid, durch die in dem streitgegenständlichen Zeitraum von dem Kläger in seinem Herkunftsland zurückgelegten Beitragszeiten nach Maßgabe des Fremdrentengesetzes (FRG) als lediglich glaubhaft gemachte Beitragszeiten mit Kürzung auf fünf Sechstel in die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversicherung übernommen wurden. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer (der Klasse I) wurde in die Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 13 zum SGB VI eingestuft.

Auf entsprechenden Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger durch (bestandskräftigen) Bescheid vom 10.08.2006 für die Zeit ab dem 01.09.2006 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit.

Am 17.03.2010 stellte der Kläger den hier maßgeblichen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, mit dem er u. a. die Einstufung seiner Tätigkeit als Kraftfahrer (der Klasse I) in die Qualifikationsgruppe 4 sowie die ungekürzte Anerkennung der von ihm in dem streitgegenständlichen Zeitraum in seinem Herkunftsland zurückgelegten Beitragszeiten begehrte.

Durch Bescheid vom 09.07.2010 lehnte die Beklagte diesen Überprüfungsantrag ab und stellte im Übrigen die Rente unter Berücksichtigung günstigerer Qualifikationsgruppen für den Zeitraum vom 01.04.1981 bis 05.01.1993 neu fest. Die Tätigkeit als Kraftfahrer der Klasse I sei nicht mindestens sechs Jahre ausgeübt worden. Die vorgelegten Bescheinigungen stellten nur ein Mittel der Glaubhaftmachung dar. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Durch Widerspruchsbescheid vom 30.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen für eine Zuordnung in die Qualifikationsgruppe 4 nach der Anlage 13 zum SGB VI (mehrjährige Facharbeiterausbildung bzw. langjährige Berufserfahrung) lägen nicht vor. Die in seinem Herkunftsland zurückgelegten Beschäftigungszeiten seien von dem Kläger nur glaubhaft gemacht worden. Die vorgelegten Bescheinigungen (Arbeitsbuch, Arbeitsbescheinigungen) könnten nicht den Nachweis von Beitragszeiten erbringen.

Am 01.07.2011 hat der Kläger unter Vertiefung und Ergänzung seines Vorbringens in dem Verwaltungsverfahren bei dem Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben.

Er beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 01.02.1999, 10.08.2006 und 09.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2011 zu verpflichten, die Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer der 1. Klasse in der Qualifikationsgruppe 4 anzuerkennen und die rentenrechtlichen Zieten zu 6/6 als nachgewiesene Zeiten statt 5/6 anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt auf ihre Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid vom 30.05.2011 Bezug.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 03.07.2012 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand dieser Entscheidung gewesen sind.

Gründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erteilt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist zulässig. Der schriftsätzlich gestellte Antrag, die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 01.02.1999, 10.08.2006 und 09.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2011 zu verpflichten, die Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer der 1. Klasse in der Qualifikationsgruppe 4 anzuerkennen und die rentenrechtlichen Zeiten zu 6/6 als nachgewiesene Zeiten statt 5/6 anzuerkennen, ist dahingehend auszulegen, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 09.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2011 zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 01.02.1999 und 10.08.2006 die in der ehemaligen UdSSR in der Zeit vom 15.08.1961 bis 10.10.1962, 05.11.1962 bis 04.11.1965, 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 und 30.04.1971 bis 05.01.1993 zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten des Klägers als nachgewiesene Zeiten zu sechs Sechsteln zu berücksichtigen, die in der ehemaligen UdSSR ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer (der Klasse I) in der Zeit vom 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen und insoweit die Höhe der dem Kläger gewährten Rente ab dem 01.09.2006 neu festzustellen.

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 09.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2011 nicht beschwert, weil diese Entscheidung rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihre in der Sache bindend gewordenen Bescheide vom 01.02.1999 und 10.08.2006 abändert und die von ihm in der ehemaligen UdSSR in der Zeit vom 15.08.1961 bis 10.10.1962, 05.11.1962 bis 04.11.1965, 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 und 30.04.1971 bis 05.01.1993 zurückgelegten Beitragszeiten ungekürzt zu sechs Sechsteln berücksichtigt (1.), seine in der ehemaligen UdSSR ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer (der Klasse I) in der Zeit vom 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zuordnet (2.) und insoweit die Höhe der ihm ab dem 01.09.2006 gewährten Rente neu feststellt (3.).

Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist im Übrigen ein rechtswidriger und nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) durchbricht die Regelung des § 44 SGB X nicht nur die Bindungswirkung eines Bescheides, sondern auch die Rechtskraft einer diesen bestätigenden gerichtlichen Entscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 07.12.1989 - 4 RA 110/88 -). Ergibt sich im Rahmen eines Antrags auf Erlass eines Zugunstenbescheides aber nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Auch wenn die neue Entscheidung ebenso lautet wie die bindend gewordene Entscheidung, ist in einem solchen Fall der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988 - 9/9a RV 18/86 -).

Keine der beiden in § 44 Abs. 2 in Verbindung mit § 44 Abs. 1 SGB X genannten Alternativen ist hier verwirklicht. Die Beklagte hat in ihren Bescheiden vom 01.02.1999 und 10.08.2006 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat.

Es liegt kein Fall der unrichtigen Rechtsanwendung vor. Ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem zu jenem Zeitpunkt maßgebenden Recht (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 2, § 44 SGB X, Rn. 29 m.w.N.).

1.

Die Bescheide vom 01.02.1999 und 10.08.2006 verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. In diesem Bescheid wurden die von dem Kläger in der streitigen Zeit vom 15.08.1961 bis 10.10.1962, 05.11.1962 bis 04.11.1965, 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 und 30.04.1971 bis 05.01.1993 in der ehemaligen UdSSR zurückgelegten Beitragszeiten zu Recht zu fünf Sechsteln berücksichtigt. Denn es steht zur Überzeugung der Kammer lediglich fest, dass der Kläger in der ehemaligen UdSSR insoweit in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und dass er während dieser Zeiten grundsätzlich der Beitragspflicht zur Rentenversicherung unterlag. Echte Beitragszeiten im Sinne des § 15 FRG können jedoch nur als bewiesen angesehen werden, soweit feststeht, dass für einen bestimmten Zeitraum auch tatsächlich Beiträge entrichtet worden sind.

Nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Buchstabe a) FRG werden bei einem anerkannten Vertriebenen - wie dem Kläger - die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten so behandelt, als ob es sich um inländische Beitragszeiten handeln würde. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Während der vollständige Beweis einer Beitragszeit deren ungeschmälerte Anrechnung zur Folge hat, sieht das Fremdrentenrecht bei lediglich glaubhaft gemachten Beitragszeiten jedoch seit jeher nur eine eingeschränkte rentenrechtliche Berücksichtigung vor. Nach § 22 Abs. 3 FRG findet bei lediglich glaubhaft gemachten Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine wertmäßige Kürzung der zu ermittelnden Entgeltpunkte um ein Sechstel statt. Die Kürzung auf fünf Sechstel beruht dabei auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet diesem Umfang entspricht (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 19 Abs. 2 FRG in BT-Drucks. 3/1109; BSG SozR 5050 § 15 Nrn. 4 und 16 m.w.N.). Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten deshalb im Einzelfall nachgewiesen werden.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Für die Glaubhaftmachung ist es demgemäß ausreichend, wenn bei Würdigung aller Gesamtumstände die gute Möglichkeit besteht, dass sich der Vorgang so, wie es behauptet wird, zugetragen hat, und wenn für das Vorliegen dieser Möglichkeit trotz verbleibender begründeter Zweifel letztlich mehr spricht als dagegen. Der vollständige Beweis (Nachweis) ist demgegenüber regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. BSGE 6, 144 ). Dies setzt voraus, dass konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und die dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorhanden sind und die Arbeitsunterbrechungen nicht 1/6 erreichen. Eine Beitragszeit im Sinne von § 15 FRG setzt eine tatsächliche Beitragsentrichtung voraus, wobei jedes irgendwie geartete Beitragsaufkommen genügt, das sich auf die betreffende Zeit bezieht. Nicht ausreichend ist, dass Anfang und Ende des Zeitraumes einer beitragspflichtigen Beschäftigung feststehen, sondern darüber hinaus dürfen keine Ausfalltatbestände wie krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit oder andere Arbeitsunterbrechungen, z. B. durch berufliche oder politische Schulungen eingetreten sein. Maßgebend für diese Prüfung ist nicht das Recht des Herkunftslandes, sondern das Bundesrecht und die darin getroffenen Definitionen (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.1980 - 5 RJ 38/79 -). Dies schließt eine allgemeine und unbesehene Übernahme im russischen Arbeitsbuch oder in russischen Arbeitsbescheinigungen zur russischen Sozialversicherung bestätigter Beitragszeiten in die bundesdeutsche Rentenversicherung aus und führt zu einer Gleichstellung mit im Inland tätig gewesenen Versicherten. Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts (Hess. LSG) an, wonach ein russisches Arbeitsbuch und russische Arbeitsbescheinigungen nicht den erforderlichen Nachweis erbringen, dass während der streitigen Zeiten keine relevanten Unterbrechungen vorgelegen haben (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 11.11.2003 - L 2 RJ 25/03 -; Hess. LSG, Urteil vom 17.07.2009 - L 5 R 209/08 -). Das sowjetische Arbeitsbuch enthält zu den einzelnen Beschäftigungsverhältnissen nur Rahmenangaben, aber keine Aussagen über (krankheitsbedingte) Unterbrechungen der einzelnen Arbeitsverhältnisse (vgl. BSG, Urteil vom 21.04.1982 - 4 RJ 33/81 -). Eine Beweisregel, dass bei nachgewiesenem Beschäftigungsverhältnis auch die Beitragsentrichtung als nachgewiesen zu gelten habe, lässt sich nicht aufstellen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1976 - 11a RA 59/85 -). In der ehemaligen Sowjetunion wurden vielmehr in die allgemeine Beschäftigungsdauer neben der sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit u. a. der Militärdienst und Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer krankgeschrieben war, eingerechnet (vgl. dazu Bilinsky, Das Sozial- und Versorgungsrecht in der Sowjetunion, Jahrbuch für Ostrecht Band XIII. 1982 S. 106). Sie mussten daher auch im Arbeitsbuch nicht vermerkt werden. Die von dem Kläger vorgelegte, vom 03.12.2009 datierende Archivbescheinigung vermag die Kammer zu keiner anderen Überzeugung gelangen lassen, da die dort vermerkten Arbeitszeiten bereits nicht vollumfänglich denen in dem russischen Arbeitsbuch entsprechen. So soll der Kläger beispielsweise ausweislich der Archivbescheinigung vom 03.12.2009 in dem Zeitraum vom 07.01.1967 bis 01.01.1969 und vom 01.11.1969 bis 26.04.1971 als Kraftfahrer-Elektromonteur für Spezialmaschinen in der "ZSGI" (Zentralabteilung für Gewitterschutz und Isolierung der Ausrüstung der Unterstationen und Hochspannungsleitungen für Stromübertragung), Kraftfahrer der 1. Klasse, tätig gewesen sein, wohingegen er ausweislich des russischen Arbeitsbuches in dem Zeitraum vom 07.01.1967 bis 01.01.1969 als Berufsfahrer-Elektromonteur ZOGI und in dem Zeitraum vom 01.11.1969 bis 26.04.1971 als Berufsfahrer in der Verwaltung tätig gewesen sein soll.

2.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte seine Tätigkeit als Kraftfahrer (der Klasse I) in der Zeit vom 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zuordnet.

Die Festlegung der für den einzelnen Versicherten im Rahmen der Rentenberechnung maßgebenden Beitragswerte bzw. Entgeltpunkte erfolgt gemäß § 22 FRG im Rahmen von Verdienstgruppen. Die Vorschrift des § 22 FRG verweist in diesem Zusammenhang auf § 256b SGB VI, wonach die Ermittlung der maßgeblichen Entgeltpunkte anhand von Tabellenwerten erfolgt, die sich nach Einstufung in eine Qualifikationsgruppe der Anlage 13 zum SGB VI und nach Zuordnung zu einem (Wirtschafts-)Bereich der Anlage 14 zum SGB VI ergeben.

Nach der Anlage 13 zum SGB VI sind Versicherte in eine der darin im Einzelnen beschriebenen insgesamt fünf Qualifikationsgruppen einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Haben Versicherte aufgrund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen, so sind sie in diese (höhere) Qualifikationsgruppe einzustufen.

Die Qualifikationsgruppe 4 ist vorgesehen für Facharbeiter, d. h. Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen aufgrund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist. Hierzu zählen nicht Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung oder der Erwachsenenqualifizierung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet worden sind. Der Kläger hat den Erwerb einer solchen förmlichen Qualifikation weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Er hat noch nicht einmal vorgetragen, im Besitz eines Facharbeiterbriefes zu sein oder die Facharbeiterqualifikation aufgrund langjähriger Berufserfahrung zuerkannt bekommen zu haben. Wie bereits das Bayerische Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 06.09.2006 (Az.: L 13 KN 19/03), auf die das Hessische Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 05.11.2010 (Az.: L 5 R 395/09) hinweist, ausführlich dargelegt hat, ist der Beruf des Kraftfahrers - anders als derjenige des Berufskraftfahrers - kein Facharbeiterberuf, sondern lediglich den angelernten Tätigkeiten im Sinne der Qualifikationsgruppe 5 zuzuordnen. Anhaltspunkte für eine davon abweichende höhere Qualifizierung im Rahmen des Ausbildungssystems der ehemaligen UdSSR liegen nicht vor (zur Ausbildung in der ehemaligen UdSSR in diesem Zusammenhang vgl. Hess. LSG, Urteil vom 05.11.2010 - L 5 R 395/09 -).

Eine Zuordnung der Tätigkeiten des Klägers als Kraftfahrer (der Klasse I) zur Qualifikationsgruppe 4 kann daher nur unter dem Gesichtspunkt einer langjährigen Berufserfahrung erfolgen. Hierbei ist zu fordern, dass eine qualifizierte Tätigkeit mindestens für eine Dauer verrichtet worden sein muss, die der formalen Berufsausbildung entsprach (Mindestdauer), um die eine vollwertige Berufsausbildung erforderlichen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben zu können (vgl. BSG, Urteil vom 10.07.1985 - 5a RKn 15/84 -). Da der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten neben der Arbeit üblicherweise wesentlich länger als eine gezielte Unterweisung während einer geordneten mehrjährigen Ausbildung dauert, ist insoweit - entsprechend der Zugangsvoraussetzung zur sogenannten Externenprüfung nach § 45 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) - regelmäßig die doppelte Zeit der üblichen Ausbildung anzusetzen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.01.1986 - L 14 An 180/84 -), wobei während dieses Zeitraumes die qualifizierte Tätigkeit vollwertig ausgeübt worden sein muss; ein automatisches Hineinwachsen in höhere Qualifikationsgruppen ist nicht möglich. Als Kraftfahrer der Klasse I war der Kläger ausweislich des von ihm vorgelegten russischen Arbeitsbuches aber lediglich in der Zeit vom 01.01.1969 bis 31.10.1969 beschäftigt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass er ab dem Zeitpunkt der Zuerkennung der Klasse I als Kraftfahrer am 18.12.1965 tatsächlich die einem Facharbeiter entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat, so ergibt sich unter Zugrundelegung einer entsprechenden, etwa sechsjährigen vollwertigen Berufspraxis frühestens ab Dezember 1971 die Möglichkeit einer Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4. Für die vor diesem Zeitpunkt liegenden Tätigkeiten muss es demgegenüber bei der Einordnung der Tätigkeit des Klägers in die niedrigere Qualifikationsgruppe 5 verbleiben.

3.

Da der Kläger keinen Anspruch darauf hat, dass die Beklagte ihre in der Sache bindend gewordenen Bescheide vom 01.02.1999 und 10.08.2006 abändert und die von ihm in der ehemaligen UdSSR in der Zeit vom 15.08.1961 bis 10.10.1962, 05.11.1962 bis 04.11.1965, 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 und 30.04.1971 bis 05.01.1993 zurückgelegten Beitragszeiten ungekürzt zu sechs Sechsteln berücksichtigt sowie seine Tätigkeit als Kraftfahrer (der Klasse I) in der Zeit vom 17.01.1966 bis 06.09.1966, 14.10.1966 bis 07.12.1966, 07.01.1967 bis 26.04.1971 der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zuordnet, hat er auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte insoweit die Höhe der ihm ab dem 01.09.2006 gewährten Rente neu feststellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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