OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.12.2012 - 3 Ws 768/12
Fundstelle
openJur 2020, 70712
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen vom 3. August 2012 wird der Beschluss des Landgerichts Marburg - 7. Strafkammer als Strafvollstreckungskammer - vom 27. Juni 2012 insoweit aufgehoben, als darin der Antrag des Antragsstellers die Vollzugsplanfortschreibung Nr. 8 vom 19. April 2012 in den angefochtenen Punkten Nr. 2, Nr. 7 a, b, und Nr. 11.1 aufzuheben und die Antragsgegnerin zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, zurückgewiesen wird.

Die Vollzugsplanfortschreibung Nr. 8 vom 19. April 2012 des Leiters der Justizvollzugsanstalt 1 vom 19. April 2012 wird in den Punkten Nr. 2, Nr. 7 a, b und Nr. 11. 1, aufgehoben und die Antragsgegnerin insoweit verpflichtet, den Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtzügen fallen dem Beschwerdeführer zur Last. Jedoch werden die Gebühren um die Hälfte ermäßigt. Von den notwendigen Auslagen des Antragsstellers fällt der Staatskasse die Hälfte zur Last; die andere Hälfte hat er selbst zu tragen.

Dem Beschwerdeführer wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit die Rechtsbeschwerde zur Aufhebung der Vollzugsplanfortschreibung (Nr. 2, Nr. 7 a und 7 b und Nr. 11.1) geführt hat. Im Übrigen wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 3000,-- € festgesetzt (§§ 60, 52 Abs. 1 GKG).

Gründe

Die Kammer hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit aufgrund des Urteils des Landgerichts Stadt1 vom 10. November 1987 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen schweren Raubes in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und wegen versuchten Raubes. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Strafende ist auf den 12. Januar 2015, der Beginn der Sicherungsverwahrung auf den 13. Januar 2015 notiert.

Die Entwicklung der Delinquenz des Beschwerdeführers, die von 1984 bis 1993 durch die regelmäßige Begehung von Diebstahls-, Erpressungs-, Raubdelikten mit dem Ziel einer raschen, unkomplizierten Bereicherung gekennzeichnet war, sowie sein Vollzugsverhalten, welches von 1985 bis 1993 durch den Missbrauch von Lockerungen (Entweichen aus einen gewährten Hafturlaub im Jahr 1985 sowie Entweichungen aus den Justizvollzugsanstalten 2 (1986) und 3 (1993)) besonders negativ auffiel, wird in dem von der Strafvollstreckungskammer in Bezug genommenen Beschluss des LG Kassel vom 17. Mai 2011, indem eine Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zum 2/3 Termin abgelehnt worden ist, ausführlich dargestellt. Der Senat hat mit seiner Entscheidung vom 8. März 2012 die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers mangels günstiger Prognose als unbegründet verworfen und eine Entscheidung im Hinblick auf eine Aussetzung/Erledigung der angeordneten Sicherungsverwahrung als verfrüht erachtet. Grundlage hierfür waren auch die zur Persönlichkeit des Beschwerdeführers durch die bisherigen forensisch-psychiatrischen Begutachtungen gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere des Ergebnisses einer Prognosebegutachtung durch den Sachverständigen ... vom 8. November 2007. ... hatte bei dem Verurteilten eine narzisstisch dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung, deren Schwere den Grad einer psychiatrischen Störung allerdings nicht erreiche, festgestellt. Der Beschwerdeführer, dessen Persönlichkeit zwar nicht durch hohe Destruktivität und Gewalttätigkeit aber durch Überoptimismus, Realitätsverkennung, Risikofreude, Abenteuerlust und die Unfähigkeit, aus negativen Erfahrungen zu lernen, geprägt sei, habe die Delinquenz i.S. einer Berufstätigkeit ausgeübt. Der Sachverständige beurteilte daher die Lockerungs- und Legalprognose bei unveränderter Persönlichkeit des Beschwerdeführers als maximal ungünstig, weil er das hohe Risiko weiterer Lockerungsmissbräuche bzw. die hohe Gefahr der Begehung einschlägiger Raubdelikte mit und ohne instrumentalisierter Gewaltanwendung bejahte. Perspektivisch war der Sachverständige ... der Auffassung, dass der Beschwerdeführer von dem Setting und dem Behandlungsangebot einer sozialtherapeutischen Anstalt gut profitieren könnte. Eine spezifische kriminaltherapeutische Behandlung sei - so der Sachverständige - die einzige, wenn auch nicht sichere Chance, an der verfahrenen Situation des Beschwerdeführers etwas zu ändern. Auch dieses Gutachten hat die Strafvollstreckungskammer durch Bezugnahme zum Inhalt ihrer Entscheidung gemacht.

Die Vollzugsbehörde hat in ihrer Vollzugsplanfortschreibung Nr. 8 vom 19. April 2012 in dem Punkt 2, die Verlegung des Beschwerdeführers in eine sozialtherapeutische Anstalt zwar als indiziert angesehen; die konkrete Verlegung aber mit der Begründung abgelehnt, es bestünde keine ausreichende Therapiemotivation des Beschwerdeführers. Die ... habe seine Aufnahme zunächst an die Bedingung der Teilnahme des Beschwerdeführers am sog. R + R Training geknüpft, um die Therapiemotivation, die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion und realistischen Wahrnehmung zu überprüfen. Die Vollzugsbehörde hält zunächst in Vorbereitung auf das R + R Training die Teilnahme an einer sog. Motivationsgruppe für angezeigt. Demgemäß hat sie die Teilnahme an der Motivationsgruppe und dem R + R Training als besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahme in den Punkten 7 a und b ihrer Vollzugsplanfortschreibung vorgesehen.

Im Hinblick auf die Eignung des Beschwerdeführers für vollzugsöffnende Maßnahmen hat sie in Punkt 11.1 auch die Eignung des Beschwerdeführers für Ausführungen verneint und dies mit dem hohen Flucht- und Missbrauchsrisiko begründet, welches sie auf folgende Punkte stützt:

- früher Delinquenzbeginn mit kontinuierlicher Steigerung

- massive strafrechtliche Vorbelastung

- Lernen aus Erfahrung und Bestrafung nicht ersichtlich

- Lockerungsmissbräuche und wiederholte Entweichung aus dem Vollzug in der Vergangenheit

- Gutachterliche Diagnosen einer behandlungsbedürftigen dissozialen Persönlichkeitsstörung und daraus resultierende Behandlungserfordernisse

- Mangelnde Kooperation bei der Behandlungsplanung.

Durch den angefochtenen Beschluss ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung von der Strafvollstreckungskammer gegen die Vollzugsplanfortschreibung in den Punkten 9, 11, und 17 als unzulässig und in den Punkten 2, 4, 5, 7 (a, b, c, d, h, j), 10, 11, 14, 15, 16 und 19 als unbegründet zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers.

Die gemäß § 116 Abs.2 StVollzG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere in der gesetzlich geschriebenen Form und Frist (§ 118 Abs.1 und Abs. 2 StVollzG) eingelegt und begründet worden.

Die Rechtsbeschwerde erfüllt auch, soweit der Beschwerdeführer sich mit der zulässig erhobenen allgemeinen Sachrüge gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu den Punkten Nr. 2, 7a und 7 b und Nr. 11.1 der Vollzugsplanfortschreibung wendet, die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs.1 StVollzG, denn sie dient insoweit der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Insoweit ist die Rechtsbeschwerde auch in der Sache begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Aufhebung der zugrundeliegenden Vollzugsplanfortschreibung sowie zum Ausspruch der Verpflichtung der Vollzugsbehörde den Gefangenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden (§§ 119 Abs.4 i.V.m. § 115 Abs.4 S.2 StVollzG).

Im Hinblick auf die derzeitige Ablehnung der Verlegung des Beschwerdeführers in die ... (Nr. 2) und die Beschränkung des therapeutischen Angebotes auf die Teilnahme an der Motivationsgruppe (Nr.7 a) und der Teilnahme am R + R -Training leidet die Entscheidung der Vollzugsbehörde an einem Begründungsmangel, der eine Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der Ablehnung der Maßnahme nicht zulässt.

Gemäß § 12 Abs.1 S.2 HStVollzG sollen "andere Gefangene", also solche Gefangene, die nicht wegen Sexualstraftaten verurteilt worden sind, in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, soweit deren besondere therapeutische Mittel und soziale Hilfen zur Eingliederung angezeigt sind. Hierfür kommen gemäß § 12 Abs.2 HStVollzG besonders Gefangene in Betracht, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt und bei denen eine erhebliche Störung der sozialen und persönlichen Entwicklung vorliegt. Der Beschwerdeführer erfüllt diese Voraussetzungen, denn seine den Strafrahmen von zwei Jahren weit überschreitende Eigentums- und Gewaltdelinquenz hat ihrer Ursache in einer Persönlichkeitsstörung. Bei ihm handelt es sich ausweislich der nachvollziehbaren und plausiblen Feststellungen des Sachverständigen ..., eines anerkannten Fachmannes auf seinem Gebiet, um einen narzisstisch akzentuierten, dissozialen Mann mit einem seinen durchschnittlichen intellektuellen und beruflichen Fähigkeiten nicht entsprechenden hohen materiellen Anspruchsdenken. Zwar besteht keine erhöhte Neigung zu Reizbarkeit und Gewalt. Gewalt hat der Verurteilte in der Vergangenheit allerdings zur Erreichung seiner Ziele instrumentalisiert eingesetzt, ohne Reue und Empathie für seine Opfer zu empfinden. Durch die bisherigen und langandauernden Einwirkungen des Strafvollzugs und die bisherigen therapeutischen Bemühungen, insbesondere die langjährigen therapeutischen Einzelgespräche bei ..., hat sich an der Persönlichkeit des Beschwerdeführers und seinen Einstellungen nichts grundlegend geändert. Positiv ist lediglich zu bemerken, dass der Beschwerdeführer seit 2006 ein unbeanstandetes Vollzugsverhalten zeigt.

Es bedarf daher - und dies stellt auch die Vollzugsbehörde nicht in Abrede - der weiteren Behandlung des Beschwerdeführers, wobei die sozialtherapeutische Anstalt und eine darin durchgeführte spezifische kriminaltherapeutische Behandlung die einzige, wenn auch nicht sichere Chance darstellt, seine nach wie vor bestehende Gefährlichkeit zu verringern und seine Lockerungs- und Legalprognose dadurch zu verbessern. Die Eröffnung dieser Behandlungsmöglichkeit ist, worauf der Senat bereits in seiner Beschlussfassung vom 8. März 2012 ausdrücklich hingewiesen hat, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen im Hinblick auf die ab Januar 2015 möglicherweise zu vollstreckende Sicherungsverwahrung geboten. Für die bis zum 31. Mai 2013 geltende Übergangszeit hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bereits während des Strafvollzugsalle Möglichkeitenzur Reduzierung der Gefährlichkeit des Täters ausgeschöpft werden müssen, insbesondere muss gewährleistet sein, dass etwa erforderliche psychiatrische, psychotherapeutische oder sozialtherapeutische Behandlungenzeitigbeginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt undmöglichst vor dem Strafende abgeschlossen werden, um die Sicherungsverwahrung, bei der es sich um das allerletzte Mittel (ultima ratio) handelt, zu vermeiden (BVerfGE - Entscheidung vom 4. Mai 2011 - 3 BvR 2332/08, Rdnr.112). Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben tragen auch die aktuellen Entwürfe des Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches (§ 66 c Abs.2 S.1 i.V.m. § 66 c Abs.1 Nr. 1 a,b StGB-E; § 67 c Abs.1 StGB-E, § 67 d Abs.2 S.2 StGB-E), zur Änderung der Strafprozessordnung (§ 463 Abs. 3 S.3 StPO-E) und zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (§ 119 a StVollzG-E), die ab dem 1. Juni 2013 in Kraft treten sollen, Rechnung. Gleiches gilt für den Gesetzesentwurf der Landesregierung für ein Zweites Gesetz zur Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetze und die darin geplanten Änderungen des Hessischen Vollzugsgesetzes mit Neuregelungen für Strafgefangene mit anschließender Sicherungsverwahrung (§§ 66 bis 68 HStVollzG-neu).

Im Falle des Beschwerdeführers stagniert der Behandlungsprozess derzeit. Dieser nimmt derzeit in Hoffnung auf eine Entlassung nach Verbüßung der Endstrafe im Januar 2015 eine die therapeutischen Angebote des Vollzugs ablehnende starre Weigerungshaltung ein. Die Vollzugsbehörde verweigert hingegen die erforderlich erscheinende Verlegung des Strafgefangenen in die ... mit der Begründung, die ... mache eine Aufnahme des Beschwerdeführers davon abhängig, dass dieser zunächst das R + R Training durchlaufe, um seine Therapiemotivation, Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion und realistischen Wahrnehmung unter Beweis zu stellen. Demgemäß erschöpft sich das Therapieangebot der Antragsgegnerin derzeit mit dem Angebot an der Teilnahme in einer Motivationsgruppe und dem R + R Training. Eine ausreichende Begründung hierfür lässt sich der Vollzugplanfortschreibung und den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer indes nicht entnehmen. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten, auf die spezifischen Bedürfnisse des Beschwerdeführers abgestellten Inhalte in diesen therapeutischen Angeboten vermittelt werden, ohne die eine nachfolgende Behandlung in der Sozialtherapie nicht erfolgversprechend wäre. Die Inhalte der sog. Motivationsgruppe sind nicht bekannt; das R + R (Reasoning & Rehabilitation) Training ist nach Kenntnis des Senats ein kognitiv-behaviorales Behandlungsprogramm, welches das systematische Training von Fertigkeiten, Einstellungen und Wertvorstellungen in einer Gruppe beinhaltet, jedoch nicht auf persönliche (lebensgeschichtliche) Probleme des Probanden eingeht, was hier aber dringend geboten erscheint. Das pauschale Argument, die fehlende Therapiemotivation des Beschwerdeführers zeige sich in der Nichtwahrnehmung dieser Angebote, ist nach Auffassung des Senats daher nicht tragfähig. Eine Überprüfung, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat, ist daher auf dieser Tatsachengrundlage nicht möglich.

Bei der Neubescheidung wird die Vollzugsbehörde zu beachten haben, dass die Verlegung des Gefangenen nach § 12 Abs.2 HessStVollzG nicht mehr von dessen Zustimmung abhängig ist; im Gegensatz zur früheren Rechtslage (§ 9 II StVollzG) ist auch die Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Einrichtung nicht mehr erforderlich. Darüber hinaus ist die Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Mitwirkung an seiner kriminaltherapeutischen Behandlung durch gezielte Motivationsarbeit zu wecken und zu fördern. Die Vollzugsbehörden dürfen also nicht eventuell Erfolg versprechende Betreuungsangebote mit dem bloßen Hinweis unterlassen, der Untergebrachte lehne solche Angebote ab oder seine Motivation hierzu sei zweifelhaft. Für die Behandlung steht auch überdies bis zur vollständigen Verbüßung der Strafhaft noch ein ausreichend erscheinender Zeitraum zur Verfügung; der Einwand des Beschwerdeführers, die Reststrafzeit ermögliche keine erfolgreiche Therapie mehr, ist daher unbeachtlich. Er verkennt auch, worauf bereits die Strafvollstreckungskammer zutreffend hingewiesen hat, dass sich an die Strafhaft die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung anschließt und derzeit nach den geplanten Neuregelungen nicht wahrscheinlich erscheint, dass die Maßregel ohne erfolgreichen Therapieabschluss ausgesetzt oder für erledigt erklärt wird.

Die Vollzugsplanfortschreibung Nr. 8 vom 19. April 2012 kann auch insoweit keinen Bestand haben, als dem Beschwerdeführer unter Nr. 11. 1 Lockerungen in Form von Ausführungen versagt werden. Auch insoweit leidet das Verfahren an einem Begründungsmangel, der eine Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der Ablehnung der begehrten vollzugsöffnenden Maßnahme nicht zulässt. Tatsachen, die eine Fluchtgefahr begründen würden, die auch durch besondere Sicherungsmaßnahmen (§ 50 Abs.2 Ziff.6, Abs.4 HStVollzG) nicht beseitigt werden könnte, sind nicht ersichtlich.

Insoweit kann bei der Anwendung der Regelungen des HStVollzG zu der vollzugsöffnenden Maßnahme der Ausführung (§ 13 Abs.2, Abs.3 Nr.2, Abs.5 HStVollzG) nicht isoliert auf deren Wortlaut abgestellt werden. Eine Gesetzesauslegung kann nicht bei einem bloßen Wortverständnis stehenbleiben, sondern muss zusätzlich vor allem Sinn und Zweck des Gesetzes, seine Systematik, seinen Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Regelungen sowie die Entstehungsgeschichte berücksichtigen. Deswegen sind die Regelungen des § 13 Abs.2 und Abs.5 HStVollzG in Zusammenhang mit den Regelungen zur Zulässigkeit von besonderen Sicherungsmaßnahmen (§ 50 HStVollzG) und den gesetzgeberischen Absichten zu sehen.

Nach § 13 Abs.2/Abs.5 HStVollzG darf eine Ausführung nur gewährt werden, wenn keine Fluchtgefahr besteht bzw. besondere Umstände, die Annahme begründen, dass eine Fluchtgefahr nicht besteht. Nach § 50 Abs.4 HStVollzG ist bei einer Ausführung die Fesselung zulässig, indes unzulässig, wenn keine Fluchtgefahr besteht. Bei Betrachtung des reinen Wortlautes ergebe sich hieraus ein gewisser Wertungswiderspruch, denn, da bereits die fehlende Fluchtgefahr gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung von Ausführungen als vollzugsöffnenden Maßnahme überhaupt ist, bliebe in diesem Zusammenhang für die Ausführung mit Fesselung kein Anwendungsbereich übrig. Die Fesselung hätte lediglich noch Bedeutung für die in § 50 Abs.4 HStVollzG genannten Vorführungen und Transporte und die Ausführung aus wichtigem Anlass gemäß § 15 Abs.2 HStVollzG. Ein derartig begrenzter Anwendungsbereich war aber vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt. Weder der Wortlaut der Regelungen der §§ 13 Abs.2, Abs.5, 50 Abs.4 HStVollzG noch die Gesetzesmaterialien, die zwischen den beiden Formen der Ausführungen (§ 13 Abs.3 Nr.3/§ 15 Abs.2 HStVollzG) nicht differenzieren, geben hierfür einen Anhalt. Vielmehr sollten ersichtlich auch für Ausführungen nach § 13 HStVollzG die Möglichkeit eröffnet werden, diese gefesselt dann durchzuführen, wenn allein die Bewachung durch die die Ausführung begleiteten Justizbediensteten nicht ausreicht, die Fluchtgefahr zu beseitigen (vgl. hierzu auch die Vorschrift § 81 Abs.4 NJVollzG).

Ein Verständnis der aktuellen Regelung des § 13 Abs.5 Nr. 2, wonach für sog. potentielle Sicherungsverwahrte Ausführungen sozusagen regelhaft ausgeschlossen wären, würde auch den bereits erwähnten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wonach alle Möglichkeiten zur Vermeidung der Sicherungsverwahrung auszuschöpfen sind, nicht gerecht. Die auf Entlassung gerichteten Behandlungsbemühungen des Strafvollzugs würden konterkariert (vgl. hierzu auch die Stellungnahme des RA Bartsch für die öffentliche Anhörung des Rechts- und Integrationsausschusses im Hessischen Landtag zu dem Gesetzesentwurf der Landesregierung für eine Zweites Gesetz zur Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetzte in seiner Stellungnahme zu § 66 HStVollzG-neu).

Dies wird auch deutlich anhand des besagten Gesetzesentwurfs der Landesregierung für ein Zweites Gesetz zur Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetze, welches im Hessischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Neuregelungen für die bereits in der Maßregel Untergebrachten vorsieht. Insoweit sieht § 13 Abs.4 HSVVollzG einen Rechtsanspruch des Untergebrachten auf vier Ausführungen im Jahr vor, die nur versagt werden dürfen, wenn konkrete Anhaltspunkte die Gefahr begründen, dass der Untergebrachte sichtrotz besonderer Sicherungsmaßnahmendem Vollzug entziehen oder die Ausführung zu erheblichen Straftaten missbrauchen wird.§ 50 Abs.4 HSVVollzG entspricht der Regelung in § 50 Abs.4 HStVollzG. In § 15 HSVVollzG werden Ausführungen aus besonderem Anlass hinsichtlich der Versagungsmöglichkeiten gleichgestellt. Im Zusammenhang dieser Regelung dient also die Fesselung bei sämtlichen Formen der Ausführung der Beseitigung eines (restlichen) Fluchtrisikos, während die einschränkende Formulierung "konkrete Anhaltspunkte" in § 13 Abs.4 Nr. 1 HSVVollzG sowie die Regelung des § 13 Abs.4 Nr. 2 HSVVollzG den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts geschuldet sind (LT-Dr. 16/6068 S.65). Zwar hat die Landesregierung es bei dem genannten Gesetzesentwurf es versäumt, § 13 Abs.2 und Abs.5 HStVollzG sprachlich anzupassen. Das weitere Gesetzgebungsverfahren gibt hierzu indes ausreichende Möglichkeiten.

Demnach können dem Beschwerdeführer, der mittlerweile seit 1993 ununterbrochen inhaftiert ist und der sich seit 2007 beanstandungsfrei verhält, die zur Erhaltung seiner Lebenstüchtigkeit und der Förderung der Mitwirkung an der Behandlung dienenden Ausführungen nur dann versagt werden, wenn eine Fluchtgefahr trotz der Beaufsichtigung durch Vollzugsbedienstete besteht, bzw. sogar eine Fluchtgefahr trotz einer möglichen Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen in Form der Fesselung noch besteht. Hierfür geben die Tatsachen, die in der Vollzugsplanfortschreibung zur Begründung der Lockerungsversagung aufgeführt werden, keinen Aufschluss, denn es werden allein die bisherige Delinquenz sowie die bereits lange Zeit zurückliegenden Lockerungsmissbräuche (1985) und Entweichungen des Beschwerdeführers (1988, 1993) angeführt. Tatsachen, die trotz besonderer Sicherungsmaßnahmen bei Ausführungen eine Fluchtgefahr begründen könnten (z.B. Zugehörigkeiten zur organisierten Kriminalität, Gefahr der Befreiungsversuche durch dritte Personen; vgl. hierzu BVerfGE Entscheidung vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10) werden hingegen nicht thematisiert bzw. festgestellt. Dass die Vollzugsbehörde die Möglichkeit einer Fesselung und die sich daraus möglicherweise ergebende Beseitigung einer Fluchtgefahr mit in ihre Erwägungen einbezogen hätte, ist daher nicht ersichtlich.

Auch insoweit wird der Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden sein.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da eine Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§ 116 StVollzG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 1, Abs.4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs.4 StPO.

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