ArbG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.11.2011 - 14 Ca 6652/13
Fundstelle
openJur 2020, 70651
  • Rkr:

Einzelfallentscheidung einer Vertretungsbefristung.

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder aufgrund der am 09. Januar 2013 vereinbarten Befristung zum 30. September 2013, noch aufgrund der mit Arbeitsvertrag vom 18. / 30. September 2013 vereinbarten Befristung zum 28. Dezember 2013 beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Briefzusteller weiterzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.280,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 30. September 2013 oder am 28. Dezember 2013 geendet hat, und um Weiterbeschäftigung.

Der am XX.XX.1983 geborene, ledige Kläger war bei der Beklagten seit dem 01. Februar 2009 auf Basis verschiedener befristeter Verträge als Briefzusteller gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 2.070,00 in Vollzeit beschäftigt. Unter dem 09. Januar 2013 schlossen die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag (Bl. 17 d. A.), ausweislich dessen der Kläger ab dem 13. Januar 2013 als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer befristet bis zum 30. September 2013 beschäftigt werden sollte. Dieser Arbeitsvertrag enthält als Befristungsgrund folgende Formulierung:

"Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters A."

Unter dem 18. September 2013 unterzeichnete die Beklagte einen weiteren Arbeitsvertrag (Bl. 37 d. A.), ausweislich dessen der Kläger ab dem 01. Oktober 2013 als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer kalendermäßig befristet bis zum 28. Dezember 2013 für die Beklagte tätig werden sollte. Der Kläger unterzeichnete diesen Vertrag am 30. September 2013 mit folgendem Zusatz:

"Einverstanden unter dem Vorbehalt der rechtlichen Klärung der Wirksamkeit der Befristung vom 09.01.13."

Auch der Arbeitsvertrag vom 18. / 30. September 2013 enthält folgenden Befristungsgrund:

"Grund: Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters A."

In der Zeit nach dem 30. September 2013 bis zum 28. Dezember 2013 wurde der Kläger tatsächlich für die Beklagte tätig. Mit Klage vom 13. September 2013, die beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main am gleichen Tag eingegangen ist und der Beklagten am 26. September 2013 zugestellt worden ist, wendet sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsvertrages zum 30. September 2013. Mit Klageerweiterung vom 16. Januar 2014, beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangen am gleichen Tag, der Beklagten zugestellt am 21. Januar 2014, wendet sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses zum 28. Dezember 2013. Außerdem begehrt er, weiterbeschäftigt zu werden.

Der Kläger ist der Ansicht, die Befristungen seien unwirksam. Die in seinen Arbeitsverträgen erwähnte Mitarbeiterin Frau A. sei während er Befristungszeiträume nicht abwesend gewesen, sondern habe bei der Beklagten gearbeitet. Es läge ein Fall der unwirksamen Kettenbefristung vor.

Der Kläger beantragt zuletzt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder aufgrund der am 09. Januar 2013 vereinbarten Befristung zum 13. Januar 2013, noch aufgrund der mit Arbeitsvertrag vom 18. / 30. September 2013 vereinbarten Befristung zum 28. Dezember 2013 beendet worden ist;hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1., die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Briefzusteller weiterzubeschäftigen.Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Befristungen seien durch einen sachlichen Grund im Sinne des TzBfG gerechtfertigt. Bei dem Mitarbeiter A., der in den Arbeitsverträgen des Klägers erwähnt sei, handele es sich um die Mitarbeiterin Frau A. Sie sei Beamtin des einfachen Dienstes und arbeite regulär in Vollzeit als Briefzustellerin im Zustellstützpunkt Langen. Zur Betreuung ihres Kindes habe sie eine Teilzeitbeschäftigung zunächst bis zum 12. Januar 2013 beantragt, die ihr gewährt, und anschließend mehrfach, zuletzt bis zum 30. September 2014, verlängert worden sei. Derzeit arbeite Frau A. mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden in der Postfachverteilung. Sie, die Beklagte, müsse jederzeit mit der Rückkehr von Frau A. rechnen, und ihr einen Vollzeitarbeitsplatz im Bereich des ZSPL Dreieich freihalten. Die Beklagte ist der Ansicht, sie könne sowohl den Arbeitsort des Klägers, als auch den von Frau A. im Rahmen ihres Direktionsrecht bestimmen. Insofern seien ein Einsatz beider Kräfte im gesamten Bereich des ZSPL Dreieich möglich, und die gedankliche Zuordnung gegeben.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 12. März 2014 hat der Kläger auf den Schriftsatz der Beklagten vom 07. März 2014 Schriftsatznachlass beantragt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis ist weder aufgrund der am 09. Januar 2013 vereinbarten Befristung zum 30. September 2013, noch aufgrund der mit Arbeitsvertrag vom 18. / 30. September 2013 vereinbarten Befristung zum 28. Dezember 2013 beendet worden.

Der Kläger hat die Befristungskontrollklage rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist des § 17 TzBfG erhoben, sodass die Befristung nicht gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt.

Die beiden vereinbarten Befristungen sind mangels eines sie rechtfertigenden Sachgrundes im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1, 2 TzBfG unwirksam. Die Unwirksamkeit der Befristung ergibt sich vorliegend daraus, dass der Sachgrund der Vertretung, auf den sich die Beklagte allein berufen hat, die Befristung nur für eine Teilzeitbeschäftigung rechtfertigt, der Kläger jedoch als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer eingestellt wurde.

Die befristete Einstellung eines Arbeitnehmers zur Wahrnehmung der Arbeitsaufgaben eines wegen Krankheit, Beurlaubung oder aus ähnlichen Gründen zeitweilig ausfallenden Mitarbeiters ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 04.06.2003 - 7 AZR 523/02 - AP Nr. 252 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag) regelmäßig durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt. Der sachliche Grund für die Befristung liegt in diesen Fällen darin, dass der Arbeitgeber bereits zu dem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Arbeitsverhältnis steht und mit dessen Rückkehr rechnen muss. Deshalb besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis. Teil des Sachgrunds der Vertretung ist damit eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs bei Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Diese Prognose ist in Vertretungsfällen regelmäßig gerechtfertigt. Auch bei einer wiederholten Befristung wegen mehrfacher Urlaubs- oder Krankheitsvertretung kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die zu vertretende Stammkraft an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wird (vgl. BAG, a. a. O.). Die Befristung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, a. a. O.) jedoch dann unwirksam, wenn der Sachgrund der Vertretung nicht die Vertretung des Arbeitsvertrags mit einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer rechtfertigt.

Vorliegend war die Stelleninhaberin Frau A. durchgängig während der Zeit der Beschäftigung des Klägers mit 20 Stunden wöchentlich für die Beklagte tätig. Daher bestand ein Vertretungsbedarf nur für eine halbe Stelle. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte vorgetragen hat, dass sie sowohl den Kläger als auch Frau A. im Rahmen ihres Direktionsrechts innerhalb des Zustellstützpunktes Dreieich versetzen könne. Weshalb die Befristung für die verbleibende Hälfte der vom Kläger besetzten Stelle gerechtfertigt sein soll, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Sachgrund der Befristung vorgeschoben ist. Dies führt zur Unwirksamkeit der Befristung (so BAG, a. a. O.).

Die vereinbarten Befristungen unterlagen auch beide der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle. Der befristete Arbeitsvertrag vom 18. / 30. September 2013 ist unter dem Vorbehalt abgeschlossen worden, dass zwischen den Parteien nicht bereits ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.

Bei mehreren aufeinander folgenden Befristungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel nur die Befristung des letzten Arbeitsvertrags im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle auf ihre sachliche Rechtfertigung hin zu prüfen. Durch den Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrags stellen die Parteien ihr Arbeitsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage, die künftig für ihre Rechtsbeziehungen allein maßgebend ist. Damit wird zugleich ein etwaiges unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgehoben. Anders verhält es sich, wenn die Parteien in einem nachfolgenden befristeten Vertrag dem Arbeitnehmer das Recht vorbehalten, die Wirksamkeit der vorangegangenen Befristung überprüfen zu lassen. In diesem Fall ist die arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle auch für den davorliegenden Vortrag eröffnet. Hierfür genügt allerdings kein einseitig erklärter Vorbehalt des Arbeitnehmers. Eine Befristungskontrolle des vorangegangenen Vertrages findet nur statt, wenn die Parteien den Folgevertrag unter dem Vorbehalt abgeschlossen haben, dass zwischen ihnen nicht bereits ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht (so BAG, a. a. O.).

Vorliegend hat der Kläger das bereits zuvor durch die Beklagte unterzeichnete Vertragsdokument am 30. September 2013 mit dem Zusatz "einverstanden unter dem Vorbehalt der rechtlichen Klärung der Wirksamkeit der Befristung vom 09.01.13" unterzeichnet. Die Beklagte hat hierauf ihrerseits das Vertragsdokument nicht mehr unterzeichnet, hat jedoch die in der Unterzeichnung unter Vorbehalt zu sehende Ablehnung des Antrags der Beklagten verbunden mit einem neuen Antrag (§ 150 Abs. 2 BGB) durch konkludentes Verhalten angenommen, nämlich indem sie den Kläger über den 30. September 2013 hinaus beschäftigt hat.

Da die vereinbarten Befristungen nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sind, kann im Ergebnis dahinstehen, ob hinsichtlich der Befristung vom 18. / 30. September 2013 die Schriftform des § 14 Abs. 4 TzBfG eingehalten ist.

Nachdem der Kläger mit dem Klagantrag zu 1. obsiegt hat, war über den Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag gestellten Antrag zu 2. zu entscheiden. Auch insoweit ist die Klage zulässig und begründet.

Da das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht, hat der Kläger nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 27.02.1984 - GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Briefzusteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens. Die Beklagte hat keine hinreichenden Gründe dafür geltend gemacht, dass ihr Interesse an einer Nichtbeschäftigung des Klägers dessen Beschäftigungsinteresse überwiegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes ist hinsichtlich der angegriffenen Befristungsvereinbarungen, die von der Beklagten mit dem gleichen sachlichen Grund begründet sind, insgesamt mit einem Betrag in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern des Klägers anzusetzen, hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags, über den entschieden worden ist, mit einem Betrag in Höhe eines weiteren Bruttomonatsgehalts des Klägers.

Dem Kläger war auf den Schriftsatz der Beklagten vom 07. März 2014 kein Schriftsatznachlass zu gewähren, da dieser keinen entscheidungserheblichen neuen Tatsachenvortrag enthält.

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