LG München I, Endurteil vom 06.02.2020 - 40 O 11950/19
Fundstelle
openJur 2020, 70597
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 14.737,58 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.9.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 48 % und die Beklagte 52 % zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 28.500,00 € festgesetzt,

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb des hier streitgegenständlichen PKW in Anspruch.

Der Kläger erwarb am 10.2.2012 einen PKW ... Touran, 2.0 TDI, über die Fa. ... Gebrauchtwagenzentrum und Service GmbH & Co. KG, München, im Folgenden: ... (Anlage K1). Der Kaufpreis für den streitgegenständlichen PKW betrug 28.500,00 Euro. Zum Zeitpunkt des Kaufes wies das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 7.700 km auf.

In dem Fahrzeug der Klagepartei ist ein Motor der Beklagten des Typs EA 189 verbaut. Die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen PKW ist so programmiert, dass der Wagen bei der Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand diese Situation erkennt und im sogenannten Modus 1, beim Betrieb im Straßenverkehr hingegen im sogenannten Modus 0 läuft. Im NOx-optimierten Modus 1, der im NEFZ aktiv ist, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Der streitgegenständliche PKW erreicht die seitens der Euro-Norm 5 vorgegebenen Grenzwerte zwar auf dem Prüfstand, aber nicht im alltäglichen Straßenverkehr. Ohne den Einsatz der streitgegenständlichen Software würde er sie auch auf dem Prüfstand überschreiten.

Die Verwendung der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware wurde gegenüber der Klägerin beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht offengelegt.

Der Kläger meldete sich am 31.12.2018 zum Klageregister bei der Musterfeststellungsklage beim OLG Braunschweig, Az. 4 MK 1/18, an und nahm die Anmeldung am 28.6.2019 zurück.

Der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 128.423 km.

Der Kläger trägt u.a. vor, dass er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn die Beklagte beim Kauf darauf hingewiesen hätte, dass die Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht gesetzeskonform ist und sie deshalb jedenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das Kraftfahrt-Bundesamt rechnen müsse. Die Klagepartei habe aufgrund des Einsatzes der Motorsteuerungssoftware einen für sie nachteiligen Vertrag abgeschlossen. Auch habe der Vorstand der Beklagten vom Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware Kenntnis gehabt. Dabei sei den Organen der Beklagten auch völlig klar gewesen, dass sie Dieselmotoren an Tochterunternehmen wie etwa Skoda verkaufe, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprechen und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und ihrer Tochterunternehmen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschließen würden.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe der in der Klage geltend gemachte Anspruch aus §§ 826 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, 831 BGB zu.

Der Kläger beantragt zuletzt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 28.500 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 11.2.2012 bis 7.12.2017 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe vor 11.770,80 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 8.12.2317 mit dar Rücknahme des im Klageantrag zu 1. Bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.077,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.12.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe den Kläger nicht getäuscht. Insbesondere sei das streitgegenständliche Fahrzeug technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt. Es sei im Übrigen nicht glaubhaft, wenn der Kläger behaupte, er hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass die Herstellerin ein Software-Update durchführen lassen würde, das ca. 27,00 Euro netto koste und für den Kläger sogar kostenfrei sei. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten im Hinblick auf die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe hinsichtlich des von ihr behaupteten Sittenverstoßes und Schadens im Rahmen des § 826 BGB schuldhaft gehandelt, bestehe nicht. Selbst wenn man eine solche annähme, sei die Beklagte dieser vollumfänglich nachgekommen.

Im Übrigen sei der Anspruch verjährt.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.

A. Zulässigkeit

Das Landgericht München I ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.

B. Begründetheit

I. Die Klage ist gemäß §§ 826, 31 BGB begründet, soweit der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 14.737,58 Euro Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs geltend macht.

Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 826 BGB sind vorliegend erfüllt.

1. Die Beklagte hat sittenwidrig gehandelt, indem sie den Kläger im Vorfeld des Abschlusses des Kaufvertrags nicht über den Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware aufgeklärt hat.

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Hierfür ist es im Allgemeinen nicht ausreichend, dass der Handelnde gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Zusätzlich erforderlich ist vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, welche sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 383 (384)). Diese Voraussetzungen sind regelmäßig dann erfüllt, wenn eine bewusst arglistige Täuschung des Geschädigten in Rede steht (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 611 (612)). Dabei setzt eine Täuschung nicht zwingend ein aktives Tun des Täuschenden voraus. Sie kann auch in einem Verschweigen von Tatsachen zu sehen sein, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsache eine Aufklärungspflicht des Betroffenen besteht (vgl. Ellenberger, in: Palandt, BGB (2018), § 123 Rn. 5).

a) Die Beklagte war als Herstellerin des Motors des streitgegenständlichen Fahrzeugs verpflichtet, den Kläger im Vorfeld des Abschlusses des Kaufvertrags zwischen dem Kläger und der Fa. ... über den Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware aufzuklären.

(1) Aufgrund des Einsatzes der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware litt das streitgegenständliche Fahrzeug unter einem "versteckten" Mangel, über welchen grundsätzlich die Fa. ... bei Abschluss des Kaufvertrags hätte aufklären müssen.

Zwar besteht bei Vertragsverhandlungen grundsätzlich keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen können (vgl. BGH, NJW 2010, 3362 (3362)). Auch besteht eine Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht für Mängel, welche einer Besichtigung zugänglich und dementsprechend für den Käufer erkennbar sind, da ihm die Wahrnehmung dieser Mängel bei der im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt selbst möglich ist (vgl. BGH, NJW 1996, 1339 (1340)). Jedoch ist der jeweils andere Teil bei Verhandlungen, bei denen die Beteiligten entgegengesetzte Interessen verfolgen, auch ohne Nachfrage über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des Betroffenen vereiteln können und daher für seinen Entschluss zum Abschluss des Vertrags von wesentlicher Bedeutung sind, sofern eine entsprechende Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwartet werden kann (vgl. BGH, NJW 1996, 1339 (1340); BGH, NJW 2010, 3362 (3362)).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die ... verpflichtet, den Kläger im Vorfeld des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrags über den Einsatz der zwischen den Parteien in Streit stehenden Motorsteuerungssoftware beim streitgegenständlichen PKW zu informieren, da der streitgegenständliche PKW einen für den Kläger bei Vertragsschluss nicht erkennbaren Mangel aufwies, welcher für die Entscheidung über den Abschluss des Kaufvertrags von erheblicher Bedeutung war und über den der Kläger daher nach der Verkehrsauffassung eine Aufklärung erwarten konnte.

Der streitgegenständliche PKW hatte durch die in ihm zum Einsatz gebrachte Motorsteuerungssoftware bei Vertragsschluss einen für den Kläger als Käufer "versteckten", da nicht erkennbaren Mangel. Ein solcher folgt bereits daraus, dass der streitgegenständliche PKW die von der Euro-Norm 5 vorgegebenen Grenzwerte auch auf dem Prüfstand nur unter Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware, nicht aber ohne diesen erreicht. Dieser Mangel war für den Käufer bei Vertragsschluss nicht erkennbar. Die Ist-Beschaffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs weicht aber auch deshalb von seiner Sollbeschaffenheit ab, weil die Abgaswerte im realen Fahrbetrieb von denen abweichen, die der Kunde aufgrund der Fahrzeugbeschreibung und den gesetzlichen Grenzwerten erwarten durfte. Zwar ist zutreffend und gehen Käufer eines PKW regelmäßig davon aus, dass die bekanntermaßen unter Laborbedingungen ermittelten Werte im Alltagsbetrieb und bei der Nutzung im Verkehr regelmäßig so nicht erreicht werden können. Ein Kunde muss jedoch nicht erwarten und geht auch nicht davon aus, dass eine erhebliche Vergrößerung dieser normalen Abweichung durch den Einsatz einer verbotenen Software erfolgt und der Hersteller die erforderliche Typengenehmigung - wie vorliegend - im Rahmen der Überprüfung unter Laborbedingungen überhaupt erst durch eine entsprechende Manipulation und einen anderen Betriebsmodus als denjenigen, welcher der Benutzung im Straßenverkehr entspricht, erreicht (LG Würzburg, Endurteil vom 23.02.2018, Az.: 71 O 862/16, BeckRS 2018, 1691). Dieser Mangel war für den Kläger als Käufer bei Abschluss des Vertrags ebenfalls nicht erkennbar.

Bei diesem Mangel handelt es sich auch um einen Umstand, welcher für den Entschluss zum Abschluss des Kaufvertrags von erheblicher Bedeutung ist und über den daher nach der Verkehrsauffassung eine Aufklärung erwartet werden kann. Zwar trägt die Beklagte insoweit unter Bezugnahme auf eine Aussage des Kraftfahrt-Bundesamts vor, dass eine Softwarelösung für das streitgegenständliche Fahrzeug zur Verfügung stehe, die geeignet sei, dessen Vorschriftsmäßigkeit herzustellen. Unabhängig von der Frage, ob die Möglichkeit des Aufspielens dieses Software-Updates geeignet ist, den bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug bestehenden und durch die Motorsteuerungssoftware verursachten Mangel zu beseitigen, ist dieser von der Beklagten vorgebrachte Gesichtspunkt jedoch nicht geeignet, eine erhebliche Bedeutung des durch die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware verursachten Mangels für den Entschluss des Käufers zum Abschluss des Kaufvertrags und damit auch die Notwendigkeit einer Aufklärung über diesen Umstand zu negieren. Denn der Kläger muss gravierende Auswirkungen wie den Entzug der Zulassung bei Durchführung des Software-Updates nur deshalb nicht fürchten, weil im September 2015 bekannt wurde, dass der Einsatz der hier streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware bei einer Vielzahl von Fahrzeugen der Beklagten in allen Typenklassen erfolgt ist, was zur Folge hatte, dass die Hersteller in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt Maßnahmen entwickeln mussten, um die Aufrechterhaltung der Genehmigung für die jeweiligen Nutzer herbeizuführen. Im Übrigen kann dem Betroffenen der Entzug der Zulassung jedenfalls dann drohen, wenn er die vorgeschriebene Nachrüstung nicht vornimmt (so auch LG Würzburg, Endurteil vom 23.02.2018, Az.: 71 O 862/16, BeckRS 2018, 1691). Gerade bei der Frage, ob das Fahrzeug an einem Mangel leidet, der geeignet ist, dessen Zulassung und damit Nutzbarkeit in Frage zu stellen, handelt es sich aber eindeutig um einen Umstand, welcher für den Käufer desselben bei Abschluss des Vertrags von erheblicher Bedeutung ist und über den daher nach der Verkehrsauffassung ungefragt eine Aufklärung erwartet werden kann. Dabei kann sich die Tatsache, dass aufgrund des Umstands, dass die Beklagte bei einer Vielzahl von Fahrzeugen die Abgasrückführung auf dem Prüfstand durch den Einsatz der hier streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware optimiert hat und daher das Software-Update in Absprache mit dem Kraftfahrt-Bundesamt entwickelt wurde, um gravierende Auswirkungen für eine Vielzahl von Fahrzeuginhabern zu verhindern, vorliegend nicht zugunsten der Beklagten auswirken, da es auf das Bestehen von Aufklärungspflichten im Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrags ankommt und zu diesem Zeitpunkt eine derartige Entwicklung noch nicht absehbar war.

(2) Der unter (1) erörterte Mangel war jedoch als "versteckter" Mangel für die Fa. ... nicht erkennbar. Andererseits war es für die Beklagte als Herstellerin des Motors des streitgegenständlichen PKW offensichtlich, dass die Fahrzeuge, in welchen Motoren der Beklagten mit der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware verbaut sind, nicht bei der Herstellerin des Fahrzeugs oder dem Händler verbleiben sollten, sondern an einen Endkunden veräußert werden. Vor diesem Hintergrund wäre die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Motors verpflichtet gewesen, potentielle Endkunden auf den Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware hinzuweisen, da nur auf diesem Weg gewährleistet werden konnte, dass die Endabnehmer des Fahrzeugs von diesem Mangel, der für sie nicht erkennbar, aber für ihre Kaufentscheidung von erheblicher Bedeutung war, auch tatsächlich Kenntnis erlangen (vgl. Zur Möglichkeit einer Haftung nach § 826 BGB innerhalb von Käuferketten auch OLG Braunschweig, NJW 2007, 609 f.).

b) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass eine Aufklärung des Klägers über den Einsatz der zwischen den Parteien in Streit stehenden Motorsteuerungssoftware bei Abschluss des Kaufvertrags über den streitgegenständlichen PKW nicht erfolgt ist.

c) Die Täuschung des Klägers durch die Beklagte sowie deren Gesamtverhalten bei Inverkehrbringen derartiger Motoren ist auch als sittenwidrig anzusehen. Grundsätzlich genügt bereits eine einmalige Täuschung, um die Sittenwidrigkeit des Verhaltens zu begründen (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 611 (612)). Hierauf hat die Beklagte sich aber nicht beschränkt. Denn sie hat nicht nur in einem Einzelfall einen Endabnehmer über den Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware getäuscht, sondern vielmehr eine Vielzahl von Motoren mit gleichgelagerten Mängeln in den Verkehr gebracht und hierdurch täuschend auf eine Vielzahl von Endabnehmern eingewirkt. Ein derartiges planhaftes täuschendes Einwirken auf eine Vielzahl von Endabnehmer kann nicht mehr als mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden vereinbar angesehen werden (so im Ergebnis auch LG Würzburg, BeckRS 2018, 1691, Rn. 39 ff.).

2. Dem Kläger ist aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten ein Schaden in Gestalt vertraglicher Verbindlichkeiten entstanden.

Die Annahme eines Schadens setzt nicht zwingend voraus, dass sich bei dem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne dieses Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Nachdem der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Daher kann auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Vermögensschaden des Betroffenen darin bestehen, dass er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. NJW-RR 2005, 611 (612)).

a) Der Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten zum Abschluss des Kaufvertrags über den streitgegenständlichen PKW gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte, dies wird vermutet. Die Vermutungsregel hat die Beklagte nicht durch substantiierten Vortrag bestritten.

b) Das Fahrzeug ist für den Kläger auch für seine Zwecke nicht voll brauchbar. Zwar trägt die Beklagte insoweit vor, die Nutzungsmöglichkeit am streitgegenständlichen PKW sei durch den Einsatz der in Streit stehenden Motorsteuerungssoftware nicht beeinträchtigt. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei stets technisch sicher und fahrbereit gewesen. Auch bestehe die Möglichkeit des Aufspielens des von der Beklagten entwickelten Software-Updates, welche der Kläger wahrgenommen habe. Diese Erwägungen sind jedoch nicht geeignet, die volle Brauchbarkeit des streitgegenständlichen PKWs für die Zwecke des Klägers zu begründen. Denn wie zuvor bereits dargelegt, muss der Kläger gravierende Auswirkungen wie den Entzug der Zulassung bei Durchführung des Software-Updates nur deshalb nicht fürchten, weil im September 2015 bekannt wurde, dass der Einsatz der hier streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware bei einer Vielzahl von Fahrzeugen der Beklagten in allen Typenklassen erfolgt ist, was zur Folge hatte, dass die Hersteller in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt Maßnahmen entwickeln mussten, um die Aufrechterhaltung der Genehmigung für die jeweiligen Nutzer herbeizuführen. Nimmt der Betroffene die vorgeschriebene Nachrüstung nicht vor, so kann weiterhin der Entzug der Zulassung drohen. Ein Fahrzeug, welches unter einem Mangel leidet, welcher jedenfalls im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags geeignet war, den Entzug der Zulassung des Fahrzeugs zu rechtfertigen, war aber jedenfalls in diesem Zeitpunkt für die Zwecke des Klägers - nämlich die Nutzung desselben im Straßenverkehr - nicht voll brauchbar.

3. Die Beklagte hat auch die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt. Denn ihr sind der Vorsatz ihres Vorstandes hinsichtlich der Umstände, die die Sittenwidrigkeit begründen, und der Schadenszufügung nach § 31 BGB zuzurechnen. Zwar hat die Beklagte die Behauptung des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägers, der Vorstand der Beklagten hätte hinsichtlich des Sittenverstoßes und des Schadens vorsätzlich gehandelt, bestritten. Jedoch ist die Beklagte ihrer insoweit bestehenden sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht in hinreichendem Umfang nachgekommen, so dass ihr Bestreiten unerheblich ist und damit der Sachvortrag des Klägers zu den behaupteten internen Vorgängen bei der Beklagten zugrunde zu legen ist.

Grundsätzlich ist die Klagepartei hinsichtlich ihrer Behauptung, die Beklagte habe hinsichtlich des von ihr behaupteten Sittenverstoßes und Schadens im Rahmen des § 826 BGB schuldhaft gehandelt, darlegungs- und beweisbelastet. Jedoch hat der Kläger einerseits in das Unternehmen der Beklagten keinen Einblick. Als Außenstehender ist er weder in der Lage, die internen Entscheidungsprozesse im Unternehmen der Beklagten noch die Gründe nachzuvollziehen, welche im Unternehmen möglicherweise dazu geführt haben mögen, dass der Vorstand keine Kenntnis von dem Einsatz der streitgegenständlichen Software hatte. Er kann insoweit lediglich auf Pressemitteilungen und andere öffentlich zugängliche Erkenntnisquellen zurückgreifen, welche er umfassend ausgewertet und vorgelegt hat. Andererseits spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der systematische Einsatz einer Software, welche bewirkt, dass das Fahrzeug beim Durchlaufen von Testzyklen auf dem Prüfstand einen vom normalen Fahrbetrieb abweichenden, geringeren Schadstoffausstoß insbesondere von Stickoxiden hat, nicht ohne Kenntnis des Vorstandes der Beklagten erfolgt ist. Denn der systematische Einsatz einer derartigen Software bei einer Vielzahl von Produkten, welche dem Kernbereich des Unternehmens der Beklagten zuzurechnen sind, ist für das Unternehmen der Beklagten auch in wirtschaftlicher Sicht von derart erheblicher Bedeutung, dass es naheliegend erscheint, dass die Entscheidung für den Einsatz einer derartigen Software nicht ohne eine entsprechende Entscheidung des oder jedenfalls einer Rücksprache mit dem Vorstand der Beklagten erfolgt ist. Diese Erwägungen rechtfertigen es, der Beklagten hinsichtlich der Frage, ob der Vorstand hinsichtlich der dem Tatbestand des § 826 BGB zugrundeliegenden Tatbestandsmerkmale schuldhaft gehandelt hat, eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen. Dieser Darlegungs- und Beweislast wird die Beklagte nicht allein dadurch gerecht, dass sie vorträgt, sie habe die ihr zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen unternommen und insbesondere viele Terabyte an Daten gesammelt, welche sie systematisch auswerte und zudem unter Heranziehung externer Berater eine Vielzahl von Interviews geführt, um den Sachverhalt weiter zu erhellen, wobei es bisher keine Erkenntnisse dafür gebe, dass die Vorstandsmitglieder der Beklagten im hier relevanten Zeitpunkt von der Programmierung oder Verwendung der streitgegenständlichen Software Kenntnis gehabt hätten. Vielmehr kommt sie dieser sekundären Darlegungs- und Beweislast nur dann in einem hinreichenden Umfang nach, wenn sie einerseits im Umfang des Zumutbaren Nachforschungen anstellt und andererseits mitteilt, welche Erkenntnisse sie im Rahmen dieser Nachforschungen über die Umstände der möglichen Verletzungshandlung, hier also des Einsatzes der Motorsteuerungssoftware, erlangt hat (so für die auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbare Konstellation von Urheberrechtsverletzungen im Internet auch BGH, GRUR 2016, 191 (195); in diese Richtung für die vorliegende Problematik auch LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018, Az.: 7 O 10/17; LG Würzburg, BeckRS 2018, 1691 Rn. 60 ff.). Ein diesen Anforderungen genügender Vortrag der Beklagten ist nicht erfolgt. Denn eine Mitteilung, welche Erkenntnisse die Beklagte im Rahmen der Nachforschungen über den Einsatz der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware erlangt hat, unterbleibt.

4. Die Beklagte hat den Kläger gemäß § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er ohne die schädigende Handlung der Beklagten stünde. In diesem Fall hätte der Kläger den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen. Dementsprechend hat die Beklagte dem Kläger den Kaufpreis für den streitgegenständlichen PKW in Höhe von 28.500 Euro Zug um Zug gegen die Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen PKW zu erstatten.

5. Jedoch muss sich der Kläger die Vorteile in Gestalt der Nutzungsmöglichkeit am PKW anrechnen lassen, die er in Folge des ungewollten Vertrags konkret erlangt hat (so auch LG Würzburg, BeckRS 2018, 1691 Rn. 68). Das Fahrzeug wies zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Kilometerstand von 128.423 km auf. Das Gericht geht davon aus, dass die Nutzungsdauer des streitgegenständlichen PKW wie üblich mit 250.000 km anzusetzen ist. Damit berechnet sich die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung wie folgt: (28.500 Euro / 250.000 km) × (128.423 km - 7.700 km) = 13.762,42 Euro.

6. Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Die Verjährung war gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 a gehemmt.

Der Kläger hat den streitgegenständlichen Anspruch zum Klageregister bei der Musterfeststellungsklage beim OLG Braunschweig im Dezember 2018 angemeldet (Az. 4 MK 1/18), Anlagen K14. Die Anmeldung wurde am 28.6.2019 zurückgenommen, Anlage K15.

II. Der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit folgt aus §§ 291 S. 1, 2, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, § 187 Abs. 1 BGB analog, da die Klage am 23.9.2019 zugestellt worden ist.

III. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Verzinsung des zurückzuerstattenden Kaufpreises aus §§ 849, 246 BGB steht der Klagepartei allerdings nicht zu. Zwar erfasst § 849 BGB jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung dazu bestimmt, eine Sache wegzugeben oder darüber zu verfügen, entzieht er sie ihm (BGH Versäumnisurteil v. 26.11.2007 - II ZR 167/06, beck-online). § 849 BGB ist nach seinem Wortlaut nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird.

Der Zinsanspruch soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGHZ 87, 38, 41). Der Geschädigte verliert die Sachnutzung gleichermaßen, wenn ihm eine Sache ohne seinen Willen entwendet wird und wenn er durch eine unerlaubte Handlung dazu gebracht wird, sie wegzugeben oder darüber zu verfügen. Im Ausgleich hierzu muss sich die Klagepartei auch den Wertersatz hinsichtlich des Gebrauchs des Fahrzeugs bis zum Tag der mündlichen Verhandlung im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen. Diese Regelung führt somit nicht zu einer Unbilligkeit gegenüber der Beklagten.

Vorliegend steht der Klagepartei ein entsprechender Zinsanspruch allerdings nicht zu, da sie nicht vorzutragen vermochte, wann sie den Kaufpreis an die Verkäuferin überwiesen hat und ihr der Geldbetrag damit i.S.d. § 246 BGB entzogen wurde.

IV. Die Klage ist hingegen unbegründet, soweit der Kläger gegenüber der Beklagten die Feststellung begehrt, dass die Beklagte sich mit der Annahme, der im Klageantrag mit der Ziffer 1 näher bezeichneten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet. Denn der Kläger hat der Beklagten diese Leistung nicht in einer den Annahmeverzug gemäß §§ 293, 294 BGB begründenden Art und Weise angeboten. Hierzu fehlt es an Vortrag.

V. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten auch kein Anspruch auf die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Auch hierzu fehlt es an substantiiertem Vortrag.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht für die Klägerin auf §§ 709 S. 1, S. 2 ZPO, für die Beklagte auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

E. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 4 Abs. 1 ZPO.