LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 20.08.2020 - 19 O 1361/18
Fundstelle
openJur 2020, 70568
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird bis 11.11.2018 auf 12.962,56 €, ab 12.11.2018 auf 27.934,53 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Zahlung von Schadensersatz zuzüglich Zinsen aufgrund des von der Europäischen Kommission mit Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824 - Trucks, bekannt gegeben unter dem Aktenzeichen C(2016) 4673; nachfolgend: Kommissionsentscheidung) festgestellten sogenannten "Lkw-Kartells".

Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen der ...- Gruppe und im Bereich der Glasverarbeitung und des Glasgroßhandels tätig. Die Beklagte ist eine der führenden Nutzfahrzeugkonzerne in Europa und u.a. Herstellerin von Lastkraftwagen.

Die Beklagte beteiligte sich mit anderen europäischen Herstellern von Lastkraftwagen an Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, wie sie Gegenstand der Feststellungen der Kommission in der Kommissionsentscheidung vom 19.07.2016 sind, deren Adressatin auch die Beklagte ist. Die Beklagte beteiligte sich im Zeitraum vom 17.01.1997 bis 18.01.2011.

Die kollusiven Kontakte zwischen den Adressatinnen der Kommissionsentscheidung fanden von 1997 bis 2010 in Form regelmäßiger Treffen statt und umfassten auch Kontakte über E-Mail und Telefon. Die Hauptverwaltungen der Adressatinnen waren bis 2004 direkt an den Gesprächen über Preise, Preiserhöhungen und die Einführung von neuen Emissionsnormen beteiligt. Spätestens ab August 2002 liefen die Gespräche über deutsche Tochtergesellschaften, die an ihre Hauptverwaltungen berichteten. Die Absprachen umfassten Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im Europäischen Wirtschaftsraum zu koordinieren, sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird vollumfänglich auf die Kommissionsentscheidung Bezug genommen wird (vgl. die als Anlage GL 1 vorgelegte "provisional nonconfidential version" in englischer Sprache; deutschsprachige Zitate im Folgenden entstammen der ebenfalls in Anlage GL 1 vorgelegten beglaubigten Übersetzung).

Die Klägerin hat in den Jahren 2002 bis 2009 von der Beklagten die folgenden Fahrzeuge erworben:

Die Klagepartei behauptet, dass sie aufgrund der in der Kommissionsentscheidung festgestellten Verhaltensweisen in Bezug auf die Absprache von Bruttopreisen als auch in Bezug auf die Einführung der Abgasnormen für die erworbenen Fahrgestelle zu viel gezahlt habe. Hinsichtlich der Höhe des entstandenen Schadens beruft sie sich auf ein Gutachten der H. E. vom 06.03.2018 (Anlage K 6) sowie auf die ökonomische Replik vom 07.03.2019 (Anlage K 10). Im Einzelnen habe sie (unter Bezugnahme auf die oben zu Grunde gelegte Nummerierung) wie folgt zu viel bezahlt:

Darüber hinaus habe die Klagepartei für die Erstellung eines Gutachtens zur Schadenshöhe 1.115,00 € netto aufgewendet (Anlagenkonvolut K 7).

Die Klägerin behauptet, sie habe den durch die Wettbewerbsverstöße verursachten Schaden nicht an ihre Kunden weitergegeben und die Kosten für die Erwerbsvorgänge nicht in ihre eigene Preiskalkulation mit einbezogen.

Die Klagepartei ist der Ansicht, die streitgegenständlichen Fahrgestelle seien von den durch die Kommissionsentscheidung bindend festgestellten unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen betroffen. Für ihre Behauptung, ihr sei durch den Erwerb der eingeklagte Schaden wegen kartellbedingt überhöhter Preise entstanden, spreche eine tatsächliche Vermutung. Die Gegengutachten der Beklagten könnten die tatsächliche Vermutung, dass ein Schaden entstanden sei, nicht erschüttern.

Soweit man die preissteigernde Wirkung des Lkw-Kartells nicht bereits aufgrund der Kommissionsentscheidung als bindend festgestellt ansähe, stritten jedenfalls ein Anscheinsbeweis und eine tatsächliche Vermutung für die allgemein preissteigernde Wirkung von Kartellen. Hierbei sei auch der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz zu berücksichtigen.

Der BGH habe in seinem "Schienenkartell-II-Urteil" festgelegt, dass die Feststellung des haftungsbegründenden Tabestands nicht voraussetze, dass sich die Kartellabsprache auf einen Beschaffungsvorgang, auf den der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stütze, tatsächlich ausgewirkt habe und das Geschäft damit "kartellbefangen" gewesen sei, denn dieser Gesichtspunkt betreffe die Schadensfeststellung und damit die haftungsausfüllende Kausalität, für die das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO gelte.

Die Kommission habe nicht nur einen wettbewerbsunschädlichen Informationsaustausch über Bruttolistenpreise festgestellt, sondern vielmehr eine komplexe und vielgestaltige Zuwiderhandlung gegen europäisches Primärrecht. Aus dem Wortlaut der Entscheidung ergebe sich eindeutig, dass es nicht lediglich einen Informationsaustausch gegeben habe, sondern dieser vielmehr zusätzlich zu den Preisabsprachen und den Absprachen betreffend die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.934,53 € nebst Zinsen in Höhe von 4% p.a. auf einen Betrag von

(1) 7.007,49 € seit dem 01.06.2002, sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag von

(2) 5.231,76 € seit dem 01.05.2007

(3) 5.231,76 € seit dem 01.07.2009

(4) 5.231,76 € seit dem 01.07.2009

(5) 5.231,76 € seit dem 01.03.2010 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die vorgerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung und Gutachtenkosten in Höhe von 1.115,00 € zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Bruttolistenpreise hätten für die Kundennettopreise keine Bedeutung, sondern seien nur eine interne Referenzgröße. Die Beklagte verweist auf ein privates Sachverständigengutachten der E.CA. Economics zur Plausibilität von Nettopreissteigerungen infolge von bruttolistenpreisbezogenen Verstößen vom 14.11.2018 (GL 27), eine Stellungnahme zu zwei H.-E.-Gutachten vom 11.01.2019 (GL 29), eine Stellungnahme zur ökonomischen Replik von H. E. (GL 39) und zur Schätzung etwaiger Preisaufschläge vom 26.09.2019 (GL 35) sowie ein Gutachten vom 08.05.2019 zur Beurteilung etwaiger Auswirkungen des Lkw-Falls der ..... (GL 34).

Die Beklagte behauptet unter Verweis auf die eingeholten Gutachten, dass sich im relevanten Zeitraum Bruttolistenpreise und Nettopreise völlig unterschiedlich entwickelt hätten. Die Beklagte behauptet unter Verweis auf eigene Daten betreffend LKW, dass sich die Nettopreise auch in den verschiedenen europäischen Ländern völlig unterschiedlich entwickelt hätten, so dass sich aus den ausgetauschten Informationen keine konkreten Rückschlüsse über die tatsächlichen Preisentwicklungen in den konkreten Ländern ableiten ließen. Auch bei den einzelnen Produktgruppen habe es eine divergierende Preisentwicklung gegeben. Die im Zeitraum des Kartells schwankenden Marktanteile der LKW-Hersteller, die die Beklagte unter Verweis auf die in den Privatgutachten aufbereiteten Daten darstellt, zeigten, dass es einen Preiswettbewerb weiterhin gegeben habe. Zudem seien Schäden an die Kunden der Klägerin weitergegeben worden ("passingon"-Einwand).

Die Beklagte erhebt hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche die Einrede der Verjährung.

Die Beklagte meint, das mit der Kommissionsentscheidung vom 19.07.2016 sanktionierte Verhalten habe keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung aufgewiesen; jedenfalls sei dies von der Kommission in der Entscheidung nicht bindend festgestellt worden.

Die Klage sei schon deshalb abzuweisen, weil die Kartellbetroffenheit der streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge, für die nach der Schienenkartell-Entscheidung des BGH kein Anscheinsbeweis anzunehmen sei, nicht dargelegt, geschweige denn bewiesen sei. Bei einem bloßen Informationsaustausch der Kartellanten sei in dieser Hinsicht keine tatsächliche Vermutung für die Kartellbetroffenheit gegeben. Die Klagepartei sei auch nicht durch die sanktionierten Verhaltensweisen geschädigt worden. Auch mit Blick auf die Schienenkartell-II-Entscheidung des BGH habe die Klägerin die Kartellbetroffenheit gemäß § 286 ZPO weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall habe es sich um harte Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen gehandelt, während der hier vorliegende unkonkrete und unverbindliche Informationsaustausch bereits nicht geeignet sei, einen Schaden zu begründen. Der Klägervortrag beruhe auf der unzutreffenden Prämisse, dass das festgestellte kartellrechtswidrige Verhalten über einen bloßen Informationsaustausch hinausgegangen sei.

Die Kammer hat mit Verfügung vom 19.12.2018 (vgl. Bl. 182 d.A.) u.a. hinsichtlich unsubstantiierten Klägervortrags und mit Verfügung vom 26.09.2019 (vgl. Bl. 260 d.A.) hinsichtlich der Problematik der Kartellbetroffenheit, der in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2020 hinsichtlich der Schienenkartell-II-Entscheidung des BGH erörtert wurde (vgl. Bl. 406 d.A.), rechtliche Hinweise erteilt.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2020 (vgl. Bl. 405 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Kammer hat keinen Beweis erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist sachlich und örtlich zuständig.

II.

Die Klage ist unbegründet, da von der Klagepartei nicht hinreichend dargelegt wurde, dass aufgrund der kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen der Beklagten hinsichtlich der aufgeführten Beschaffungsvorgänge eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ein kausaler Schaden entstanden ist (vgl. zum hier relevanten Beweismaß BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 34ff. - Schienenkartell II).

1. Für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 11.12.2018 - KZR 26/17, Rn. 44 - Schienenkartell). Dies ist für Bestellungen bis 31.12.1998 die Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 81 EGV. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt das unionsrechtliche Verbot von Kartellen und abgestimmten Verhaltensweisen (Art. 81 EGV, Art. 101 Abs. 1 AEUV) ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10 -, BGHZ 190, 145-172, Rn. 13, 14). Vom 01.01.1999 bis 30.06.2005 ist die Vorschrift des § 33 S. 1 GWB in der Fassung vom 26.08.1998 und ab dem 01.07.2005 die Vorschrift des § 33 Abs. 3 GWB in der Fassung vom 07.07.2005 maßgeblich. Somit ist auch die Vermutung des § 33a Abs. 2 GWB auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht anwendbar (§ 186 Abs. 3 GWB).

2. Ein Kartellschadensersatz setzt auch nach dem Urteil des BGH vom 28.01.2020 (Az. KZR 24/17 - Schienenkartell II) noch voraus, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren. Die Darlegungs- und Beweislast für die konkrete Kartellbetroffenheit trägt die Klagepartei. Maßgeblich für die Kartellbefangenheit ist die Frage, ob dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise - geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen. Für die Feststellung dieser Voraussetzungen gilt der Maßstab des § 286 ZPO. (BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 25 - Schienenkartell II).

Ob die Voraussetzungen der Kartellbefangenheit hinsichtlich der streitgegenständlichen Beschaffungsvorgänge vorliegen, kann hier dahingestellt bleiben, da jedenfalls eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden entstanden ist, nicht vorliegt.

3. Ein Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass der Klägerin aus der Abwicklung der in Rede stehenden LKW-Bezüge ein kausaler Schaden entstanden ist, die Geschäfte ohne den jeweiligen Wettbewerbsverstoß also jeweils zu günstigeren Konditionen abgeschlossen hätten werden können (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17 -, Rn. 55 - Schienenkartell).

Der Kammer ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin infolge des wettbewerbswidrigen Verhaltens der Beklagten und weiteren im Kommissionsbescheid benannten Kartellanten mit der für § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (zum Maßstab hierfür vgl. nachfolgend unter a)) überhaupt ein Schaden entstanden ist. Weder streitet hierfür ein Anscheinsbeweis (nachfolgend unter b)) noch steht dies aufgrund der Feststellungen der Kommission bindend fest. Es liegt jedenfalls für den deutschen Markt nach den Feststellungen der Kommission lediglich ein Informationsaustausch vor (nachfolgend unter c)). Auch unter Berücksichtigung von Erfahrungssätzen ergibt die umfassende Würdigung aller von den Parteien - einschließlich gutachterlicher Stellungnahmen - vorgebrachten bzw. den Feststellungen der Kommission zu entnehmenden indiziellen Umstände keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den behaupteten Schaden (nachfolgend unter d)).

a) Die Entstehung eines Kartellschadens einschließlich der Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Kartellabsprache und dem Vorliegen eines individuellen Schadens ist der haftungsausfüllenden Kausalität zugeordnet, so dass der Anwendungsbereich von § 287 Abs. 1 ZPO eröffnet ist. Hiernach entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Der Tatrichter ist insoweit freier gestellt, als er Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen und Schätzungen anstellen kann und es in seinem Ermessen steht, ob und wie er Beweis erhebt. An der Beweislastverteilung zu Lasten des Anspruchstellers ändert dies hingegen nichts (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 287, Rn. 1). So darf die Schätzung nicht mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte "völlig in der Luft hängen". Für die richterliche Überzeugung reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus, dass ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Lottoblock II, a.a.O., Rn.49; OLG Frankfurt, Urteil vom 12.05.2020 - 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 194, juris).

Der Tatrichter kann nur unter Heranziehung derjenigen Umstände, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne die Kartellabsprache wahrscheinlich entwickelt hätte, zu Feststellungen zum hypothetischen Marktpreis gelangen (BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 34). Denn die Feststellung, dass der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart, höher ist, als er ohne die Kartellabsprache wäre, oder allgemein das Preisniveau, welches sich auf einem von einer Kartellabsprache betroffenen Markt einstellt, über demjenigen Preisniveau liegt, das sich ohne die Absprache eingestellt hätte, kann nur aufgrund von Indizien getroffen werden.

Die nach § 287 ZPO vorzunehmende Würdigung hat alle Umstände einzubeziehen, die entweder im Sachvortrag der Parteien (derjenigen Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft) oder in den bindenden Feststellungen der kartellbehördlichen Entscheidung eine hinreichende Stütze finden (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 36, 38). Ebenso sind Erfahrungssätze und gutachterliche Stellungnahmen der Parteien zu berücksichtigen (BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 39, 46).

b) Ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Klägerin aus den Geschäften, auf die sie ihr Begehren stützt, ein Schaden entstanden ist, besteht nicht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung betreffend Quoten- und Kundenschutzkartelle fehlt es für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen, ihrer Durchführung und ihrer Wirkungen an der erforderlichen Typizität des Geschehensablaufs. Es ist nicht hinreichend gesichert, dass eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Quoten- und Kundenschutzabsprachen tatsächlich und in jedem Einzelfall beachtet und erfolgreich umgesetzt werden, auch dann nicht, wenn sie auf eine umfassende Wirkung ausgerichtet sind (BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 57, 60; bestätigend BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 31).

Die vorstehenden Entscheidungen betreffen ausdrücklich Quoten- und Kundenschutzkartelle und nicht einen bloßen Informationsaustausch. Wenn allerdings schon im Bereich der sog. "Hardcore"-Kartelle die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind, so gilt das erst Recht für wettbewerbswidriges Verhalten in Form eines reinen Informationsaustauschs, wie er im hiesigen Fall in Rede steht (vgl. zur Bewertung als Informationsaustausch unten unter Punkt II. 3. lit. c). Auch für andere Kartelle, denen u.a. ein Informationsaustausch zu Grunde lag, ist in der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung des Anscheinsbeweises abgelehnt worden (vgl. u.a. OLG Nürnberg, HEMA Vertriebskreis, a.a.O., Rn. 49; OLG Stuttgart, Urt. v. 04.04.2019 - 2 U 101/18 - LkW-Kartell = NZKart 2019, 345 (346); OLG Frankfurt, Urteil vom 12.05.2020 - 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 203 - 205, juris).

c) Soweit die Klagepartei den Schadensersatzanspruch darauf stützt, dass die Adressaten des Bußgeldbescheids die Bruttopreislisten abgesprochen hätten, ist Folgendes von Bedeutung: Aus dem maßgeblichen Bescheid der Kommission ergibt sich nicht, dass - jedenfalls für den für die hiesige Klagepartei betroffenen deutschen Absatzmarkt - hinsichtlich der Bruttopreise verbindliche Vereinbarungen getroffen wurden. Nach Bewertung des Bußgeldbescheids durch die Kammer hat mit bindender Wirkung lediglich ein - im Einzelnen unkonkreter und unverbindlicher - Informationsaustausch vorgelegen. Dieser betraf im Übrigen lediglich Bruttolistenpreise, nicht aber mit den Abnehmern von Lkw vereinbarte Nettopreise.

1) Nach § 33b GWB ist das Gericht an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in der bestandskräftigen Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016 getroffen wurde. Für den Umfang der Bindungswirkung nach § 33 Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB kommt es auf die im Kartellverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen an (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - KZR 25/14 -, BGHZ 211, 146-171, - Lottoblock II - Rn. 18). Maßgeblich ist hierbei, in welchem Umfang eine Zuwiderhandlung gegen Kartellrecht im Tenor oder in den tragenden Gründen der abschließenden Entscheidung festgestellt worden ist (BGH, a.a.O., Rn. 19).

2) Der Tenor der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016 lautet: "By colluding on pricing and gross price increases in the EEA for medium and heavy trucks; [...] the following undertakings infringed Article 101 TFEU and Article 53 of the EEA Agreement during the periods indicated: (a) MAN SE, from 17 January 1997 until 20 September 2010; MAN Truck & Bus AG, from 17 January 1997 until 20 September 2010; MAN Truck & Bus Deutschland GmbH, from 3 May 2004 until 20 September 2010 [...] (c) Daimler AG from 17 January 1997 until 18 January 2011 (d) Fiat Chrysler Automobiles N.V., from 17 January 1997 until 31 December 2010; CNH Industrial N.V., from 1 January 2011 until 18 January 2011; Iveco S.p.A., from 17 Janaury 1997 until 18 January 2011; Iveco Magirus AG, from 26 June 2001 until 18 January 2011; [...]" (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Az.: AT.39824 - Trucks, S. 30). In deutscher Übersetzung heißt es: "Durch die Kollusion über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw [...] haben die nachstehenden Unternehmen in den nachstehend angegebenen Zeiträumen gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens verstoßen: (a) MAN SE, vom 17. Januar 1997 bis zum 20. September 2010; MAN Truck & Bus AG, vom 17. Januar 1997 bis zum 20. September 2010; MAN Truck & Bus Deutschland GmbH, vom 3. Mai 2004 bis zum 20. September 2010 [...] (c) Daimler AG vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 (d) Fiat Chrysler Automobiles N.V., vom 17. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2010; CNH Industrial N.V., vom 1. Januar 2011 bis zum 18. Januar 2011; Iveco S.p.A., vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011; Iveco Magirus AG, vom 26. Juni 2001 bis zum 18, Januar 2011; [...]". Ausschlaggebend ist hierbei lediglich der englische Text. Der Tenor stellt hierbei als Tathandlung lediglich "colluding" fest, also ein geheimes Zusammenwirken. Aus dieser sehr allgemein gehaltenen Umschreibung der Tat der Beklagten können daher keine Rückschlüsse auf konkrete Verhaltensweisen der Beklagten gezogen werden. Insbesondere ergibt sich hieraus nicht, dass die Adressaten des Bußgeldbescheids konkrete kartellrechtswidrige Vereinbarungen getroffen haben.

3) In den tatsächlichen Feststellungen wird das Verhalten der Beklagten näher beschrieben.

(1) In der Einleitung (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Az.: AT.39824 - Trucks, Rn. 2) heißt es: "The infringement consisted of collusive arrangements on pricing and gross price increases". In der dem Gericht vorgelegten Fassung wurde dies übersetzt als: "Die Zuwiderhandlung bestand in Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen [...]." Dies kann jedoch nicht so verstanden werden, dass hier konkrete Vereinbarungen darüber getroffen wurden, welche Preise gesetzt werden sollen und wann und in welchem Umfang Bruttolistenpreise erhöht werden sollten. Es handelt sich hierbei lediglich um eine allgemeine Aussage in der Einleitung, die aufgrund der nachfolgenden Ausführungen in den Feststellungen erst konkretisiert und hierbei insbesondere relativiert wird.

(2) Erst unter Ziffer 3 des Bußgeldbescheids (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 46 ff.) wird das festgestellte Verhalten beschrieben ("Description of Conduct"). Hier wird zunächst unter der Überschrift "Further transparency between the Addressees" ("Zusätzlich erhöhte Transparenz zwischen den Adressatinnen") Folgendes festgestellt:

"All of the Addressees exchanged gross price lists and information on gross prices and most of them (...) engaged in exchanging computerbased truck configurators."

Auf Deutsch: "Sämtliche Adressaten tauschten Bruttolistenpreise und Information über Bruttopreise miteinander aus und die meisten (...) tauschten computerbasierte Lkw-Konfiguratoren aus." (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 46).

Das festgestellte Verhalten stellt somit lediglich den Austausch von Informationen dar. Die bindenden Feststellungen bleiben hinsichtlich der Frage, welche konkreten Informationen zu welchen Zeitpunkten ausgetauscht wurden, unbestimmt. Der Umstand, dass die abstrakt dargestellten Informationen im Anschluss hieran als "wirtschaftlich sensibel" dargestellt werden, verdeutlicht nicht den Inhalt des Informationsaustausches.

Im Folgenden wird festgestellt, dass die Adressaten des Bußgeldbescheides aus den so erhaltenen Informationen im Zusammenhang mit weiteren, im Wege der Marktforschung gewonnenen Daten, die ungefähren aktuellen Nettopreise ihrer Konkurrenten besser berechnen konnten. Dies hänge jedoch von der Qualität der ihnen vorliegenden Marktforschungsdaten ab (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 47). Nicht erläutert wird in diesem Zusammenhang, welche Adressaten Zugang zu Marktforschungsdaten einer Qualität hatten, die eine im Übrigen nur "ungefähre" Berechnung aktueller Nettopreise der Konkurrenten erleichtert hätten. Aus den bindenden Feststellungen ergibt sich zudem, dass lediglich in den meisten Fällen die ausgetauschten und im Einzelnen nicht konkretisierten Informationen nicht öffentlich zugänglich waren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die ausgetauschten Informationen jedenfalls in einem relevanten Umfang öffentlich zugänglich waren.

In Bezug auf den Austausch von Lkw-Konfiguratoren wird festgestellt, dass sämtliche Adressaten mit der Ausnahme von DAF Zugang zu dem Konfigurator mindestens einer weiteren Adressatin hatten. Einige Konfiguratoren gewährten jedoch nur Zugang zu technischen Daten und enthielten keine Preisinformationen (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 48). Es steht somit im Hinblick auf die Beklagte lediglich fest, dass diese Zugriff auf einen Konfigurator eines Wettbewerbers hatte, der technische Daten enthielt. Dass die Beklagte auch Zugriff auf Preisinformationen in Rahmen des Konfigurators hatte, kann aus dem Bußgeldbescheid nicht geschlossen werden, da keine Feststellungen getroffen wurden, auf welchen Konfigurator die Beklagte Zugriff hatte und ob dieser Preisinformationen enthielt.

Es ist hierbei zu beachten, dass diese Feststellungen unter der Überschrift "zusätzlich erhöhte Transparenz" getroffen werden. Auch die Überschrift deutet somit auf einen reinen Informationsaustausch und nicht auf eine Verabredung eines bestimmten Verhaltens hin.

(3) Im nächsten Abschnitt unter der Überschrift "Nature and scope of the infringement" ("Art und Umfang der Zuwiderhandlung") wird nun Folgendes in Bezug auf Bruttolistenpreise festgestellt:

"These collusive arrangements included agreements and/or concerted practices on pricing and gross price increases in order to align gross prices in the EEA [...]."

"Die Absprachen umfassten Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im EWR zu koordinieren [...]."

(Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 50)

Es handelt sich hierbei wiederum lediglich um die Einführung für die in den folgenden Randnummern im Einzelnen dargestellten Zuwiderhandlungen in einer verallgemeinernden Weise. Dies ergibt sich aus der Systematik der Darstellung der festgestellten Verstöße und wird auch verdeutlicht durch die Verwendung des unbestimmten Begriffs "und/oder". Dieses Begriffspaar lässt offen, ob beide genannten Alternativen (Vereinbarung und abgestimmte Verhaltensweisen) kumulativ vorgelegen haben oder ob nur vom alternativen Vorliegen entweder von Vereinbarungen oder von abgestimmten Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreise auszugehen ist. Die allgemeine Form der Darstellung in abstrakter Form ergibt sich hier auch daraus, dass sich nur ein Teil der Absprachen ("collusive arrangements") auf im Einzelnen nicht konkretisierte Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen bezieht. Es wird das Wort "included" ("umfassten") verwendet. Es wird damit zum Ausdruck gebracht, dass auch noch andere - an dieser Stelle allerdings nicht angesprochene - Absprachen getroffen wurden.

(4) Für den Zeitraum von 1997 bis zum Ende 2004 wird dargestellt, dass die beteiligten Unternehmen auf mehrmals im Jahr stattfindenden Treffen ihre Bruttopreiserhöhungen besprachen. Lediglich in einigen Fällen wurden die Bruttopreiserhöhungen auch vereinbart. Gelegentlich seien auch Gespräche über die Nettopreise für einige Länder geführt worden. In den Jahren 1997 und 1998 seien auch Informationen über die Harmonisierung der Bruttopreislisten für den EWR ausgetauscht worden. (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 51). Aus diesen Feststellungen kann für die Beklagte nur festgestellt werden, dass sie mit den anderen beteiligten Unternehmen ihre Bruttopreiserhöhungen - sowie die anderer Unternehmen - besprochen hat. Ob die darüber hinausgehenden Feststellungen auch die Beklagte betreffen und sich auf den für die Klagepartei relevanten deutschen Markt beziehen, ergibt sich aus dem Bußgeldbescheid nicht, da nicht festgestellt wurde, dass diese Verhaltensweisen immer und europaweit durchgeführt wurden, sondern nur "gelegentlich" oder "in einigen Fällen". Unabhängig davon bleibt auch der Inhalt der "Gespräche über die Nettopreise für einige Länder" unklar.

Die sich hieran anschließenden exemplarischen Ausführungen (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 52) belegen hinsichtlich der Bruttopreislisten in bindender Weise nur, dass mit einem nicht konkretisierten Inhalt über zukünftige Änderungen der Bruttopreislisten gesprochen wurde. Damit ist an dieser Stelle schon nicht festgestellt, dass überhaupt über Preiserhöhungen gesprochen wurde. In Betracht kommt insoweit neben einer Änderung von Preisen auch eine Änderung der formalen Ausgestaltung der besprochenen Bruttopreislisten.

(5) Weiterhin wird geschildert, dass nach Einführung des Euros und bei Einführung der europaweiten Preislisten für fast alle Hersteller die Adressaten begannen, sich über ihre deutschen Tochterunternehmen systematisch über geplante Preiserhöhungen auszutauschen (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 54). Auf deutscher Ebene sei ein Austausch sowohl zu technischen Themen als auch zu Lieferfristen und Preisen (normalerweise Bruttopreisen) erfolgt (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 55). Auch insoweit bleibt der Inhalt der "normalerweise" Bruttopreise betreffenden Gespräche unbestimmt. Ob und in welcher konkreten Weise ausnahmsweise über andere und über welche Preise, die hier genannt werden, gesprochen wurde, bleibt offen.

(6) In späteren Jahren seien auf deutscher Ebene nicht öffentlich zugängliche Informationen über Bruttopreiserhöhungen in einem Tabellenblatt zusammengetragen worden und mehrmals im Jahr ausgetauscht worden. Die ausgetauschten Informationen über zukünftige Bruttopreiserhöhungen haben sich entweder lediglich auf Lkw-Basismodelle oder auf Lkw und die zur Verfügung stehenden Konfigurationsoptionen bezogen. Nettopreise bzw. Nettopreiserhöhungen seien üblicherweise nicht ausgetauscht worden (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 56). Festgestellt sind hier lediglich Verhaltensweisen, die auf einen Informationsaustausch abstellen. Vereinbarungen darüber, wie auf die mitgeteilten Informationen reagiert werden soll, wurden nicht festgestellt.

(7) Im Folgenden wird zudem ausgeführt, dass die auf Ebene der deutschen Tochtergesellschaften ausgetauschten Informationen über zukünftig beabsichtigte Bruttopreiserhöhungen in "unterschiedlichem" und damit im Einzelnen ungeklärten Maße an die jeweilige, für die Festlegung der Bruttolistenpreise verantwortlichen Hauptverwaltung weitergeleitet worden seien (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 56). Ob eine solche Informationsweitergabe an die für die Festsetzung des Bruttolistenpreises zuständige Hauptverwaltung (vgl. hierzu Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 27) bei der Beklagten erfolgte, ist somit dem Bußgeldbescheid nicht zu entnehmen.

(8) Eine Feststellung in Bezug auf eine - im Einzelnen allerdings nicht dargestellte - Vereinbarung einer Preiserhöhung wurde lediglich im Hinblick auf Frankreich im Rahmen der Einführung des Euros festgestellt. Hierzu führt der Bußgeldbescheid aus, dass diskutiert worden sei, dass Frankreich die niedrigsten Preise hatte, und dass vereinbart worden sei, dass die Preise in Frankreich erhöht werden mussten (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 53). Hierbei handelt es sich jedoch um ein punktuelles Verhalten, das zeitlich (Euro-Einführung) und örtlich (Frankreich) begrenzt ist.

(9) Im Bußgeldbescheid wird das Verhalten der Adressaten in zusammenfassender Weise als "Austausch über zukünftig geplante Bruttopreiserhöhungen" (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 57) und an unterschiedlichen Stellen ausdrücklich als ein die geplanten Bruttopreiserhöhungen betreffender "Informationsaustausch" (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 57 und Rn. 60) bezeichnet.

4) In der rechtlichen Begründung des Bußgeldbescheides wird ausgeführt, dass es für die Frage der Feststellung eines Verstoßes gegen

Art. 101 Absatz 1 AEUV und Art. 53 Abs. 1 EWR-Abkommen nicht darauf ankommt, ob eine Vereinbarung zwischen Unternehmen oder eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise vorliegt (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 65 ff). Es wird lediglich und ohne Festlegung einer der bezeichneten Tatbestandsalternativen festgestellt, dass das beschriebene Verhalten sämtliche Merkmale einer Vereinbarung und/oder einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 Absatz 1 EWR-Abkommen aufweist (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 69). Zudem wird ausgeführt, dass es ausreicht, dass die Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise eine Verhinderung, Beschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt bezweckt, so dass Auswirkungen des Kartells nicht dargestellt werden müssen, wenn die wettbewerbswidrige Zielsetzung des fraglichen Verhaltens nachgewiesen wurde (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 80). Es ist daher konsequent, dass die Europäische Kommission sich im Rahmen des Bußgeldbescheides nicht zu einer Feststellung dazu veranlasst sah, inwieweit das bewusste Verhalten eine Vereinbarung darstellte und eine tatsächliche Erhöhung der Nettopreise bewirkte. Allenfalls vage wird im Bußgeldbescheid angedeutet, dass das beanstandete Verhalten die Adressaten dazu in die Lage versetzten, die ausgetauschten Informationen bei ihren internen Planungsprozessen zu berücksichtigen (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 58). Ob und in welcher Weise sich der Informationsaustausch auf eine etwaige Erhöhung von Bruttolistenpreisen ausgewirkt hat, bleibt offen. Ungeachtet dessen, dass auch insoweit der Nettopreis nicht ausdrücklich angesprochen wird, wird hinsichtlich der Preispositionierung neuer Produkte lediglich die vage Möglichkeit festgestellt, die Informationen "könnten" diese "möglicherweise" beeinflusst haben (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 80). Welche konkrete Beeinflussung vorgelegen haben könnte, wird nicht thematisiert.

d) Die vorzunehmende Gesamtwürdigung der von den Parteien vorgebrachten und in dem Bußgeldbescheid der Kommission herausgearbeiteten Indizien hat keine verlässliche Grundlage dafür erbracht, dass der Klägerin aufgrund des Informationsaustauschs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Schaden entstanden ist. Weitere Anknüpfungstatsachen für eine mögliche Schadensentstehung hat die Klägerin neben den Feststellungen in der Kommissionsentscheidung nicht vorgetragen.

Die Klägerin hat auch durch das von ihr vorgelegte Privatgutachten keinen Kartellschaden mit der hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegen können.

Eine Gesamtbetrachtung sämtlicher relevanter Indizien lässt keine Rückschlüsse auf einen durch den Informationsaustausch bei der Klägerin entstandenen Schaden zu.

1) Soweit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine Bindungswirkung besteht, ergibt sich alleine aus dem Inhalt des vorliegenden Bußgeldbescheids keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die gegenständlichen, den Informationsaustausch betreffenden Kartellrechtsverstöße im Rahmen der einzelnen Beschaffungsvorgänge in preisrelevanter Weise umgesetzt wurden. Der durch den vorliegenden Bußgeldbescheid festgestellte, die Bruttopreise betreffende Informationsaustausch begründet unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände keine tatsächliche Vermutung dafür, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten.

Eine solche tatsächliche Vermutung wird damit begründet, dass Preis-, Quoten- und Kundenschutzkartelle darauf setzen, den Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft zu setzen, und somit nach ökonomischen Grundsätzen vielfach eine Kartellrendite entstehen wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17 -, Rn. 55 - Schienenkartell). Der Bundesgerichtshof hat diese tatsächliche Vermutung für sog. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs formuliert. Der Kammer hat bereits Bedenken, ob dieser Erfahrungssatz auf den Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen, wie er hier stattgefunden hat, überhaupt Anwendung finden kann (vgl. dazu Dworschak/Jopen, NZKart 2019, 126 ff.), was in der Instanzrechtsprechung unterschiedlich bewertet wird (so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 12.05.2020 - 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 210-211). Jedenfalls kommt dem vorgenannten Erfahrungssatz lediglich bei einem hier nicht vorliegenden Quoten- und Kundensschutzkartell (oder einem anderen Hardcore-Kartell) eine starke Indizwirkung für ein von der Kartellabsprache beeinflusstes Preisniveau zu (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17 -, Rn. 56 - Schienenkartell; Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 25 - Schienenkartell II).

Anderes gilt aber bei dem hier festgestellten Informationsaustausch, dessen konkrete Gestaltung und Praxis für das Gewicht des Erfahrungssatzes von entscheidender Bedeutung ist. Anders als bei Geltung eines Anscheinsbeweises kommt dem Erfahrungssatz kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu. Mit dem Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung wäre dies unvereinbar. Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt entscheidend von der konkreten Gestaltung des Kartells und seiner Praxis sowie davon ab, welche weiteren Umstände feststellbar sind, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 25 - Schienenkartell II).

(1) Der hier vorliegende Informationsaustausch unterscheidet sich strukturell von Preis-, Quoten- und Kundenschutzkartellen. Diese gehen mit Vereinbarungen über ein bestimmtes und preisrelevantes zukünftiges Verhalten einher. Ein solches Versprechen eines bestimmten Verhaltens wurde jedoch im Bußgeldbescheid für den deutschen Markt gerade nicht festgestellt. Zwar ist festzustellen, dass es auch das Ziel des Informationsaustausches ist, den Preiswettbewerb einzuschränken (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 81). Dies kommt jedoch nicht an das weitgehende Außerkraftsetzen heran. Den am Informationsaustausch Beteiligten stand es frei, aus den Informationen, die sie erhalten haben, in eigener Entscheidung ihre Preise festzusetzen und um Kunden zu werben. Sie waren in dieser Entscheidung nicht eingeschränkt. Dies gilt umso mehr, als von dem Informationsaustausch nicht die Nettopreise, sondern lediglich die Bruttolistenpreise betroffen waren.

(2) Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs widerleglich vermutet wird, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin am Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen (vgl. EuGH, Urt. v. 4.6.2009 - Rs. C-8/08, Rn. 51-53 - T-Mobile Netherlands u. a.).

Von Bedeutung ist hier, dass es sich bei den ausgetauschten Preisen um Bruttolistenpreise handelte. Die tatsächlich am Markt gezahlten Nettopreise wichen erheblich von diesen ab und wiesen erhebliche Rabatte auf die Bruttolistenpreise auf (so auch ausgeführt in der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 27). Welche Rabattspielräume auf den Bruttolistenpreis letztlich den einzelnen Niederlassungen der Beklagten gegeben wurde, war vom Informationsaustausch nach der Entscheidung der Kommission vom 19.07.2016 jedoch nicht umfasst. Soweit im Bußgeldbescheid ausgeführt ist, dass die Beteiligten im Zeitraum von 1997 bis Ende 2004 gelegentlich auch Gespräche über die Nettopreise für einige Länder führten (Rn. 51), wird hier keine Aussage dahingehend getroffen, dass es sich hierbei um die Nettopreise auf dem deutschen Markt handelte. Unabhängig davon bleibt auch insoweit offen, mit welchem konkreten Inhalt die Nettopreise bei den gelegentlichen Gesprächen thematisiert wurden.

Darüber hinaus wird aus dem Bußgeldbescheid deutlich, dass Informationen nur punktuell und nicht flächendeckend ausgetauscht wurden. So bestand der Zugang zu den LKW-Konfiguratoren nur bei einem Mitbewerber und es steht nicht fest, dass hierbei auch Zugriff auf die in dem Konfigurator enthaltenen Bruttolistenpreise bestand.

Auch würde eine widerlegliche Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin am Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen, nicht zwangsläufig bedeuten, dass hiermit negative und insbesondere nettopreisrelevante Auswirkungen auf den Wettbewerb verbunden wären. Unabhängig davon, wie sich das Verhältnis des Nettopreises zum Bruttolistenpreis darstellt, können die Unternehmen vielmehr eine (angekündigte) Bruttopreiserhöhung des Wettbewerbers auch zum Anlass nehmen, von zukünftigen (möglicherweise auch selbst als geplant kommunizierten) Bruttopreiserhöhungen abzusehen, um sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil durch Mengeneffekte zu verschaffen. Die Berücksichtigung der Information würde in diesem Fall den Wettbewerb fördern (vgl. LG Mannheim, Urteil v. 24.4.2019 - 14 O 117/18 Kart - LKW-Kartell). In diesem Zusammenhang bestand auch für die Informationsempfänger eine Unsicherheit, ob die Informationsgeber diese Erhöhungen wie geplant durchführen würden oder unter Umständen auf Grund der selbst erhaltenen Informationen ihr zukünftiges Verhalten in Bezug auf Preiserhöhungen abändern würden.

Ein Informationsaustausch kann den Wettbewerb in ähnlicher Weise wie ein Zusammenschluss beschränken, wenn er eine Koordinierung auf dem Markt wirksamer, stetiger und wahrscheinlicher macht (vgl. EuGH, Rs. C-413/06 P, Sony, Slg. 2008, I-4951, Rn. 123). Die wettbewerbsbeschränkenden und wegen der Maßgeblichkeit des hier geltend gemachten Schadens den Nettopreis betreffenden Auswirkungen des Informationsaustauschs sind sowohl vor dem Hintergrund der ursprünglichen Marktbedingungen zu prüfen als auch dahingehend, wie der Informationsaustausch diese Bedingungen ändert. Hierzu gehört die Prüfung der charakteristischen Eigenschaften des betreffenden Systems, insbesondere seines Zwecks, der Zugangsvoraussetzungen und der Bedingungen der Teilnahme am Informationsaustausch sowie insbesondere auch die Bedeutung der Information für die Preisfestsetzung (vgl. Rn. 76 ff. der Leitlinien der Europäischen Kommission zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, 2011/C 11/01). Die Frage, ob das durch den Wissensvorsprung beeinträchtigte Marktverhalten eines Wettbewerbers nachteilige Auswirkungen auf die Marktgegenseite hat, hängt vor allem von den wirtschaftlichen Bedingungen auf dem relevanten Markt und den Eigenschaften der ausgetauschten Informationen, die hier lediglich die Bruttolistenpreise, nicht aber die Nettopreise betrafen, ab. Hierfür sind neben den Merkmalen des Marktes (Transparenz, Konzentration, Komplexität, Stabilität, Symmetrie) auch die Merkmale des hier im Bußgeldbescheid wenig konkret dargestellten Informationsaustausches (Art, Öffentlichkeit und Alter der Daten, Marktabdeckung, Häufigkeit und Öffentlichkeit des Austauschs) relevant.

So ist es auf hinreichend transparenten, konzentrierten, nicht komplexen, stabilen und symmetrischen Märkten eher wahrscheinlich, dass Unternehmen durch einen Informationsaustausch ein Kollusionsergebnis erzielen. Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit von wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen bei einem Informationsaustausch, der wenig zur Transparenz auf dem Markt beiträgt, deutlich geringer anzusetzen (vgl. Rn. 80, 82 der Leitlinien, a.a.O). Im Falle etwa des Austauschs aggregierter Daten, d.h. von Daten, die nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf individuelle unternehmensspezifische Daten (wie hier etwa die konkreten Nettopreise) zulassen, sind wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen viel weniger wahrscheinlich (vgl. hierzu auch Rn. 89 der Leitlinien, a.a.O.).

Der hier maßgebliche Bußgeldbescheid der Kommission hat nicht bindend einen Koordinierungserfolg bezogen auf die für einen etwaigen Schaden relevanten Nettopreise festgestellt, sondern lediglich einen Austausch der Bruttolistenpreise. Die festgestellten Koordinierungsziele reichen für sich genommen nicht aus, um die erforderliche Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt zu begründen. Es kommt darauf an, ob diese Koordinierungsziele auch umgesetzt wurden. Für eine (stillschweigende) Koordinierung müssen die Wettbewerber etwa in der Lage sein, ohne explizite Absprachen eine Übereinstimmung hinsichtlich der Koordinierungsmodalitäten (z.B. das Anstreben eines bestimmten Nettopreisniveaus) zu erzielen und zu überwachen, ob sich alle Wettbewerber an diese Modalitäten halten. Dies ist nach den Feststellungen im hier maßgeblichen Bußgeldbescheid nicht ersichtlich, denn eine Übereinstimmung hinsichtlich der Koordinierungsmodalitäten ist bei dem vorliegenden Informationsaustausch bereits aufgrund der starken Diversifizierung, hohen Komplexität und Vielfalt der angebotenen Lkw fernliegend. Das gilt hier umso mehr, als die LKW auf unterschiedlichen Märkten innerhalb des EWR angeboten wurden und mit Blick darauf, dass die jeweiligen Angebote sich nicht nur auf Solofahrzeuge, sondern auch auf Fahrzeuge beispielsweise mit Aufbauten und auf weitere vom Kartell nicht betroffene (beispielsweise Service-) Leistungen bezogen.

(3) Unter Umständen lässt es sich mit der Unsicherheit, ob die Informationsgeber die Bruttopreiserhöhungen wie geplant durchführen würden oder auf Grund der selbst erhaltenen Informationen ihr zukünftiges Verhalten in Bezug auf hier relevante Nettopreiserhöhungen abändern würden, erklären, dass die Kommission in der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20.12.2006 - innerhalb des Kartellzeitraums - im Fusionskontrollverfahren MAN/Scania einen starken Wettbewerb in Deutschland auf dem Markt der LKW-Hersteller feststellte (Commission Decision of 20/12/2006 declaring a concentration to be compatible with the common market (Case No IV/M.4336 - MAN / SCANIA) according to Council Regulation (EEC) No 4064/89, Rn. 71 "Furthermore, the market investigation confirmed that competition in the German market is considered by market players to be strong, not only between the two market leaders DC and MAN, but also between all five leading suppliers.").

(4) Im Übrigen bedeutet auch das festgestellte Ziel, die Bruttolistenpreise im EWR zu koordinieren, nicht, dass hierzu die Bruttolistenpreise in Deutschland erhöht werden mussten; vielmehr kann eine Koordinierung auch dahingehend erfolgen, dass die Bruttolistenpreise nur in einigen Ländern angehoben wurden und in anderen Ländern unverändert geblieben sind (vgl. OLG Düsseldorf (1. Kartellsenat), Urteil vom 06.03.2019 - U (Kart) 15/18, Rn. 36). Hinzu kommt, dass selbst aus einer erfolgreich durchgeführten Koordinierung der Bruttolistenpreise keine Schlussfolgerungen dahingehend gezogen werden könnten, dass eine bezweckte und durchgeführte Koordinierung der für die von der Klägerin geltend gemachten Schäden maßgeblichen Nettopreise angenommen werden kann. Der Nettopreis ist bezogen auf die jeweiligen Beschaffungsvorgänge im Europäischen Wirtschaftsraum abhängig vom jeweiligen Markt des jeweiligen Staates, vom jeweiligen hier heterogenen Produkt (dessen Nettopreis lediglich den vom Kartell betroffenen Lkw, aber auch zusätzliche Leistungen unterschiedlicher Art betreffen kann) und von einer Vielzahl weiterer Variablen.

(5) Zwar ist festzustellen, dass das kartellrechtswidrige Verhalten über einen langen Zeitraum von 14 Jahren aufrechterhalten wurde. Eine lange Dauer kann die Vermutung begründen, dass das kartellrechtswidrige Verhalten in einer solchen Weise für die Beteiligten vorteilhaft war, dass sie das Verhalten aufrechterhalten haben.

(6) In einer Gesamtabwägung der Umstände des hier festgestellten Verhaltens der Beteiligten ist jedoch alleine aus der langen Dauer des Verstoßes, die für eine Kartellrendite spricht, keine tatsächliche Vermutung aufzustellen, dass jeder Erwerb, der sachlich, zeitlich und räumlich von den Feststellungen des Bußgeldbescheides umfasst ist, auch tatsächlich in der Weise von einem Kartellrechtsverstoß betroffen ist, dass die konkrete Preisvereinbarung hierdurch nachteilig beeinflusst wurde. Aufgrund des oben im Einzelnen dargestellten und wenig konkreten Inhalts des Bußgeldbescheids ist es auch ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass die im Bußgeldbescheid festgestellten Verhaltensweisen keine nachteiligen Auswirkungen auf sachlich, zeitlich und räumlich von den Feststellungen umfasste Beschaffungsvorgänge hatte oder dass etwaige nachteilige Auswirkungen sich danach unterschieden, ob und wann von welchem Adressaten Lastkraftwagen bezogen wurden (vgl. hierzu auch LG Magdeburg, Urteil vom 08.01.2020 - 7 O 302/18, BeckRS 2020, 68, beckonline).

2) Soweit die Klagepartei Sachverständigenbeweis dafür anbietet, dass der von ihr behauptete Schaden entstanden ist (vgl. Bl. 162 d.A.), handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, der einen nicht "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellten und prozessual erforderlichen Sachvortrag nicht ersetzen kann (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 07. Februar 2019 - III ZR 498/16 -, Rn. 37, juris).

Im Rahmen der Feststellung eines kartellbedingten Schadens wird ein unmittelbarer Beweis einer Haupttatsache oder ihres Gegenteils nicht dadurch angetreten, dass für die Entstehung oder das Fehlen eines Schadens Sachverständigenbeweis angeboten wird (BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 37). Denn auch der Sachverständige wird die Frage, ob der von der Beklagten geforderte Preis einem hypothetischen Marktpreis entsprach, der sich ohne die Kartellabsprache eingestellt hätte, nur aufgrund einer sachverständigen Bewertung der gegebenen Anknüpfungstatsachen und einem darauf beruhenden Schluss von den vorliegenden Indizien auf die unter Beweis gestellte Haupttatsache beantworten können. Anknüpfungstatsachen, die über die bindenden Feststellungen der Kommission hinausgehen, trägt die Klägerin nicht vor. Fehlender Sachvortrag kann aber nicht durch eine Begutachtung durch einen gerichtlichen Sachverständigen ersetzt werden.

3) Die Klägerin kann auch mit Hilfe des von ihr vorgelegten Gutachtens von H. E. vom 06.03.2018 (Anlage K 6) nicht mit der dafür erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegen, dass ihr durch den Informationsaustausch ein Schaden entstanden ist.

Die Klägerin hat ein wettbewerbsökonomisches Privatgutachten bei der H. E. in Auftrag gegeben, um den Schaden zu beziffern, den sie ihres Erachtens durch die im Bußgeldbescheid der Kommission festgestellten, kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen, nämlich die "Abstimmung von Preiserhöhungen inklusive Informationsaustausch bezüglich geplanter Preiserhöhungen" (Anlage K 6, Seite 2) erlitten hat (Bl. 161 d.A.).

Das Parteigutachten ist so aufgebaut, dass den Erläuterungen zu dem von der Kommission festgestellten Kartell (Abschnitt 1) Ausführungen zur Schadenstheorie bei - hier nicht streitgegenständlichen - Leasingfahrzeugen (Abschnitt 2) sowie zur Methodik der wettbewerbsökonomischen Begutachtung (Abschnitt 3) und zur Datenbasis (Abschnitt 4) nachfolgen. Dann folgen Ausführungen zur Methodik der Schadensschätzung, zur Entwicklung der LKW-Preise, zu den Preiserklärungsfaktoren und zu den "Besonderheiten der Auswertung" sowie eine tabellarische Darstellung des Schätzergebnisses (Seite 28 der Anlage K 6) und eine Beschreibung der festgestellten Kartelleffekte (Abschnitt 5). Am Ende stehen Ausführungen zu den verzinsten Kartellschäden des LKW-Pools (Abschnitt 6). Nach insbesondere Kritik an der Schadenstheorie, dem Vorgehen der Gutachterin und Ausführungen zu methodischen Fehlern bei der Durchführung der Analyse verteidigte die Klägerin ihre Ergebnisse durch Vorlage der ökonomischen Replik vom 07.03.2019 (Anlage K 10).

Die Klägerin behauptet, aus den Berechnungen dieses wettbewerbsökonomischen Beratungsunternehmens habe sich ergeben, dass eine kausal dem Kartell zuzurechnende Preiserhöhung zwischen 1997 und 2003 in Höhe von 7.007,49 € je LKW und von 2004 bis 2008 ein solcher in Höhe von 5.231,76 € je LKW zu Lasten der Klägerin festzustellen sei. Im Zeitraum von 2009 bis Kartellende seien nur noch bei den Herstellern Daimler, MAN und Scania Schäden festzustellen (Bl. 161 f. d.A.). Die Kammer kann dem nicht folgen.

Auch der Gutachter der Klägerin kann sich mit ökonometrischen Methoden regelmäßig dem kontrafaktischen Szenario eines hypothetischen Wettbewerbspreises nur annähern. Die Plausibilität dieser Annäherung hängt dabei zum einen von der Genauigkeit und Validität der tatsächlichen Beobachtungen auf dem kartellierten und einem - zeitlichen, räumlichen oder sachlichen - Vergleichsmarkt und zum anderen davon ab, ob sich die Unterschiede zwischen den verglichenen Märkten mit hinreichender Zuverlässigkeit erfassen lassen. Daraus ergibt sich, dass ein Sachverständigengutachten weder die richterliche Gesamtwürdigung ersetzen kann, noch die Vorlage eines solchen Gutachtens durch eine der Parteien diese Würdigung in der einen oder anderen Richtung präjudiziert. Die Vorlage eines Privatgutachtens verpflichtet den Tatrichter nicht in jedem Fall zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (vgl. BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 48 - Schienenkartell II). Die Kammer sieht sich hierzu im vorliegenden Fall nicht veranlasst.

(1) Der als Folge eines überhöhten Kartellpreises (sog. "overcharge") beim Abnehmer entstandene Schaden ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Preis, den der Geschädigte an den Schädiger tatsächlich gezahlt hat und dem Preis, der sich unter Wettbewerbsbedingungen ergeben hätte (vgl. Bornkamm/Tolkmitt, in: Langen/Bunte, a.a.O., Rn. 33 zu § 33a GWB m. w. N.). Diese Differenz muss von dem Geschädigten dargelegt und - sofern dies geschehen ist - bewiesen werden.

Der hypothetische Wettbewerbspreis ist niemals mit absoluter Gewissheit zu ermitteln (vgl. Hüschelrath u.a., Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen, S. 52; BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 48 - Schienenkartell II). Daher kann auch ein Sachverständiger die Frage, ob der vom Abnehmer geforderte Preis einem hypothetischen Marktpreis entsprach, der sich ohne eine Kartellabsprache eingestellt hätte, nur aufgrund einer sachverständigen Bewertung der gegebenen Anknüpfungstatsachen und einem hierauf beruhenden Schluss von den vorliegenden Indizien auf die unter Beweis gestellte Haupttatsache - den Kartellschaden - beantworten (BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 37).

Maßgeblich für die Kammer ist daher die Frage, ob die Berechnungen und Schlussfolgerungen des als qualifizierter Parteivortrag zu bewertenden Privatgutachtens von H. E. auf zutreffende Anknüpfungstatsachen gestützt wurden und ob sie inhaltlich widerspruchsfrei sind, weil nur dann aus den privatgutachterlichen Äußerungen ein Indiz für einen Kartellschaden bei der Klägerin abgeleitet werden könnte. Diese Frage ist zum Nachteil der Klägerin zu beantworten.

Hamburg Economics hat bereits den Inhalt und die Reichweite des streitgegenständlichen Informationsaustauschs nicht richtig erfasst. Es bestehen vorliegend Anhaltspunkte dafür, dass den Schlussfolgerungen Absprachen zugrunde gelegt wurden, die tatsächlich gar nicht getroffen wurden. Zudem hat die Auswertung der von der Beklagtenseite vorgelegten Privatgutachten durchgreifende Zweifel in Bezug auf die der ökonometrischen Analyse zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen hervorgebracht. In der Gesamtschau hat die Kammer nicht die Überzeugung gewonnen, dass mit Hilfe des Privatgutachtens ein Kartellschaden in irgendeiner Höhe dargelegt worden ist.

(2) Wenn in dem Privatgutachten zu den Auswirkungen des Informationsaustauschs Stellung genommen wird, ist diesen Ausführungen nicht zu folgen, weil sie von einer Koordinierung der "Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen" (Seite 2, Ziffer 4 der Anlage K 6) ausgehen und hierbei nicht in hinreichender Weise zwischen Bruttolisten- und Nettopreisen differenzieren. Das Gutachten geht damit nicht von einem wettbewerbswidrigen Verhalten aus, wie es dem hier streitgegenständlichen, oben im einzelnen dargestellten Informationsaustausch entspricht. Festgestellt hat die Kommission im Wesentlichen einen unzulässigen Informationsaustausch über Bruttolistenpreise und ein allein hierauf bezogenes Koordinierungsziel, nicht aber hinsichtlich der Nettopreise. Den im Bußgeldbescheid beschriebenen Informationsaustausch qualifiziert das Gutachten als "begleitenden Informationsaustausch" zu "klassischen Formen von Kartellabreden", wie der Harmonisierung von Preisen oder der Koordinierung von Preiserhöhungen. In der ökonomischen Replik vom 07.03.2018 (Seite 6, Ziffer 31 der Anlage K 10) betont H. E. erneut, dass die Kommission direkte Gespräche über Nettopreise festgestellt hat, und bezieht dies offensichtlich auch auf den deutschen Markt. Solche Feststellungen sind jedoch im Bescheid nicht mit bindender Wirkungen getroffen worden.

Weiterhin ist es - anders als von H. E. angenommen - nicht richtig, dass zu Gunsten der Abnehmer kartellbetroffener Waren eine erhebliche Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises für die Kartellbetroffenheit existiert, sodass im Wesentlichen aus dem Bezug kartellierter Waren im Kartellzeitraum auf das "Ob" einer Schädigung durch das Kartell geschlossen werden kann (Seite 3, Ziffer 8 der Anlage K 6). Dem Gutachten liegt damit eine im Bußgeldbescheid nicht getroffene Feststellung und daher die unzutreffende Annahme zugrunde, dass die Abnehmer von LKW im Kartellzeitraum überhöhte Preise gezahlt haben und ihnen dadurch ein Schaden entstanden ist. Dem Gutachten fehlt eine Analyse, die zeigt, wie der festgestellte Informationsaustausch über Bruttolistenpreise überhaupt zu erhöhten Kundennettopreisen hätte führen sollen.

Zu den grundlegenden Schwächen der von der Klägerin vorgenommenen Vergleichsmarktbetrachtung gehört, dass solche Betrachtungen den tatsächlichen Wirkmechanismus des Kartells und die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts außer Acht lassen. Ein Kunden- und Gebietsaufteilungskartell, ein gegen Art. 101 AEUV verstoßender Informationsaustausch, ein Vertikalverstoß und ein Ausbeutungsmissbrauch können methodisch nicht vollkommen gleich behandelt werden. Gerade bei relativ komplexen Verstößen wie den hier vorliegenden kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen gehört zu einer belastbaren ökonomischen Schadensschätzung auch eine plausible Erklärung des zugrunde gelegten Wirkmechanismus (vgl. Weitbrecht, WuW 2020, 257 (259)). Hierzu kann dem Privatgutachten nichts Überzeugendes entnommen werden.

(3) Die tatsächliche Vermutung der Entstehung eines Schadens im vorliegenden Fall wird bereits durch das Ergebnis des Privatgutachtens der Klägerin selbst in Frage gestellt.

Denn danach sind bei einigen Herstellern im Zeitraum 2009 bis Kartellende gar keine Kartelleffekte zu erkennen. So führt H. E. auf Seite 30, Ziffer 202 des Gutachtens aus, dass sich im Zeitraum von 2009 bis Kartellende bei DAF, Iveco, Renault und Volvo ein Kartelleffekt von "0,00 Euro" ergibt. Das führt zu dem Schluss, dass offenbar bei dem hier zu betrachtenden LKW-Kartell die im Beschluss der EU-Kommission festgestellten Handlungen nicht zu jedem Zeitpunkt und nicht bei jedem Hersteller zu Preissteigerungen geführt haben, so dass der entsprechende Erfahrungssatz, jedenfalls auf der Grundlage des insoweit überzeugenden Privatgutachtens, dass ein Kartell zur Preissteigerung führt, für den konkret hier zu betrachtenden Fall widerlegt ist (so auch LG Magdeburg Urt. v. 8.1.2020 - 7 O 302/18, Rn. 27).

Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Gutachten der Klägerin teilweise nicht nur von einem Nullschaden ausgeht, sondern sogar zu "negativen Schäden" kommt (vgl. Bl. 232 d.A.). Das Gutachten erklärt die negativen Werte ohne Aussage zu ihrer statistischen Relevanz für nicht plausibel und setzt die Negativergebnisse auf Null, während die positiven Werte dann als Schäden bewertet werden, wenn sie statistisch signifikant von Null verschieden sind.

Hinzu kommt, dass die Klägerin vorläufig nur schwere Lkw (d.h. Lkw über 16 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht) ausgewertet hat, während eine Begutachtung der vom Bußgeldbescheid der Kommission ebenfalls erfassten mittelschweren LKW nicht erfolgte. Der Erwerbsvorgang mit der Nummer 5 betrifft jedoch unstreitig kein Fahrzeug über 16 Tonnen und ist daher in jedem Fall nicht vom klägerischen Gutachten erfasst.

(4) Die Beklagte hat zahlreiche nachvollziehbare Kritikpunkte an der Vorgehensweise und Tatsachengrundlage des Privatgutachtens von H. E. vorgebracht und mit sachverständiger Unterstützung ihrer Privatgutachter Einwendungen gegen die dortigen Schlussfolgerungen aufgezeigt, die im Rahmen einer tatrichterlichen Gesamtwürdigung durchgreifende Zweifel an der Plausibilität des Gutachtens begründen.

(i) In dem als Anlage GL 27 eingeführten Privatgutachten der E.CA economics wird dargestellt, dass es nicht zu einer nachvollziehbaren Angleichung der Bruttolistenpreiserhöhungen unter den Kartellanten gekommen sei und dass insbesondere ein Zusammenhang zwischen ausgetauschten Bruttolistenpreisänderungen und tatsächlichen Nettopreisänderungen nicht ersichtlich sei (Seite 75 des Gutachtens). Auch die Entwicklung der Marktanteile hätte sich vor und nach dem Kartell gleichermaßen volatil gezeigt. Diesen fehlenden Zusammenhang zwischen Bruttolistenpreisen und Kundenpreisen hat die Beklagte nachvollziehbar mit dem großen Gestaltungsspielraum des Absatzmittlers bei Verhandlungen über Kundennettopreise erklärt (vgl. auch LG Magdeburg Urt. v. 8.1.2020 - 7 O 302/18, Rn. 28).

Hamburg Economics geht demgegenüber davon aus, dass jede Erhöhung der Bruttopreise zwingend auch zu einer Erhöhung der Nettopreise führt, da die Differenz lediglich die Rabatte darstellten und die Rabatthöhe selbst nicht vom Kartell beeinflusst sei (vgl. Seite 6, Ziffer 32 der Anlage K 10). Ein empirischer Beleg, dass die Nachlässe in der Realität konstant sind, fehlt. Vielmehr bestätigt die Replik selbst (Seite 33 f. der Anlage K 10), dass die Nachlässe heterogen sind und die Möglichkeit besteht, dass etwaige Preisaufschläge bei den Bruttolistenpreisen auch systematisch durch höhere Nachlässe kompensiert werden können. Das klägerische Privatgutachten erklärt allerdings nicht nachvollziehbar einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Bruttolisten- und Nettopreisen. Die Heterogenität des angesprochenen Produkts wird ebenso wenig in den Blick genommen wie die ebenfalls bereits angesprochene Problematik, dass auf dem gegenständlichen Markt auf der bloßen Grundlage eines Informationsaustauschs bezüglich der Bruttolistenpreise eine Koordinierung der Nettopreise fernliegend ist. E.CA economics stellt hingegen plausibel dar, dass es auf dem LKW-Markt keinen vorhersehbaren Zusammenhang zwischen den ausgetauschten Bruttolistenpreisänderungen und etwaigen tatsächlichen Nettopreisänderungen gab (Seite 63 ff. der Anlage GL 27), was den ökonomischen Besonderheiten des LKW-Marktes geschuldet sei: LKW seien hochkomplexe Produkte mit zahllosen Kombinationsmöglichkeiten von Merkmalen und Ausstattungen und heterogenen Kundentypen. Der LKW-Markt sei stark segmentiert. Im Kartellzeitraum habe es in der LKW-Branche zudem mehrere bedeutende Veränderungsprozesse gegeben (zum Beispiel technologische Weiterentwicklungen und die Finanz- und Wirtschaftskrise), die das Erreichen einer Koordinierung unwahrscheinlich gemacht hätten (vgl. zur Preisrelevanz einer tatsächlichen Koordinierung Rn. 76 ff. der Leitlinien der Europäischen Kommission zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, 2011/C 11/01). Regelmäßige zusätzliche Elemente des LKW-Erwerbs wie zusätzliche Produkte und Dienstleistungen (u.a. Aufbauten, Service- und Garantieverträge, Leasing- und Buyback-Verträge) wirkten ebenfalls auf den Wettbewerb zwischen den LKW-Herstellern ein und machten eine Koordinierung auf Basis des Austauschs von Bruttolistenpreisen wenig plausibel. Nachlässe sind somit heterogen, weil sie von den Verhältnissen des jeweiligen Wettbewerbs abhängen. E.CA hat im Plausibilitätsgutachten (Abschnitt 5.2) dokumentiert, dass sich der Wettbewerb national/lokal sowie im Hinblick auf die Kunden und das jeweilige Marktsegment erheblich unterscheidet.

(ii) Auch das von der Beklagten als Anlage GL 34 vorgelegte Sachverständigengutachten Oxera vom 08.05.2019 schildert nachvollziehbar, dass ein Informationsaustausch - wie etwa der Austausch von Bruttopreisen - nicht zwingend zu höheren Preisen führe (vgl. hierzu auch LG Hannover, NZKart 2019, 610 Rn. 40). Die Entscheidung der Kommission bilde keine belastbare Grundlage für einen entsprechenden ökonomischen Rückschluss. Nur wenn der Austausch von Bruttopreislisten die Koordinierung der Nettopreise ermöglicht hätte oder deren Überwachung gefördert haben könnte, sei eine Preisüberhöhung zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Die Bruttolistenpreise würden aber keine unmittelbare Verbindung zu dem Käufermarkt aufweisen, insbesondere nicht zu den Nettopreisen, da letztere in der LKW-Branche von vielen Faktoren abhängig seien, wie lokalen Marktgegebenheiten, dem LKW-Typ, den Händlereigenschaften und den individuellen Verhandlungen zwischen Käufer und Händler. Es gibt mithin eine Reihe von ökonomischen Mechanismen, die einem Zusammenhang zwischen einem Informationsaustausch in Bezug auf die Bruttopreise und den Kundennettopreisen für LKW im Wege gestanden haben könnten (vgl. Seite 28 des Oxera-Gutachtens). Der Klägerin ist nach alledem schon die schlüssige Herleitung eines Schadens dem Grunde nach nicht gelungen.

(iii) Aber auch die von ihr im Gutachten vorgenommene Berechnung eines Schadens der Höhe nach ist nicht nachvollziehbar, so dass die Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen auch insoweit eine Ausforschung wäre. Für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO fehlen jegliche Anknüpfungstatsachen. So lässt sich nicht erkennen, wie der angenommene Schaden für die einzelnen Lastkraftwagen errechnet wird. Zwar wird noch vorgetragen, dass die sich nach dem privaten Sachverständigengutachten ergebende Preiserhöhung je LKW von 7.007,49 € bis Ende 2003 und in Höhe von 5.231,76 € bis Ende 2008 festzustellen sei. Wie sich hieraus die für die LKW-Käufe behaupteten Schäden ergeben, wird jedoch nicht beschrieben.

(iv) Soweit das E.CA-Gutachten der Beklagten darauf hinweist, dass (Seite 46 der Anlage K 27) die Datenbasis zum Gutachten nicht offengelegt wurde, führt die klägerische ökonomische Replik hierzu lediglich an, dass es sich um einen Kritikpunkt handle, der "offenkundig vorgeschoben" sei (Seite 22, Ziffer 131 der Anlage K 10). Es kann auf dieser Grundlage aber nicht nachvollzogen werden, ob sich das klägerische Gutachten auf eine zutreffende, relevante und ausreichende Datengrundlage stützt, und ob die Schlussfolgerungen von der Datengrundlage für die konkreten Erwerbsvorgänge getragen werden.

(5) Dem Bußgeldbescheid kann auch hinsichtlich der Absprachen bezogen auf Euronormen nicht entnommen werden, dass diese darauf abzielten, den Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft zu setzen. Eine auf einer gesicherten Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Schadens kann auch insoweit nicht angenommen werden.

(i) Soweit die Klagepartei ihren Schadensersatzanspruch in pauschaler Weise auch auf das Verhalten der Beteiligten in Bezug auf die Euronormen stützt, ist von Bedeutung, dass der Bußgeldbescheid nur wenige und zudem hinsichtlich preisrelevanter Einzelheiten unbestimmte Feststellungen über das Verhalten der Adressaten in Bezug auf die Euronormen enthält.

In der Einleitung wird ausgeführt, dass es "Absprachen über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für mittelschwere und schwere Lkw nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6" ("collusive arrangements on [...] the timing and the passing on of costs for the introduction of emission technologies for medium and heavy trucks required by EURO 3 to 6 standards") gegeben habe (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 2). Hierbei handelt es sich, wie oben bereits aufgeführt, lediglich um eine grobe Zusammenfassung in der Einleitung und nicht um eine bindende Feststellung konkreter, für den Markt und die Preisgestaltung relevanter Tatsachen.

Für den Zeitraum 1997 bis 2004 wird in Ziffer 3.2 folgendes festgestellt:

"These collusive arrangements included agreements and/or concerted practices on [...] the timing and the passing on of costs for the introduction of emission technologies required by EURO 3 to 6 standards."

"Die Absprachen umfassten Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über [...] den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6."

(Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 50) Auch hierbei handelt es sich wieder um einen einleitenden Absatz, der die nachfolgend dargestellten Verhaltensweisen lediglich grob zusammenfasst.

Hinsichtlich EURO 3 wird festgestellt, dass die Beteiligten am 06.04.1998 vereinbart hätten, dass Lkw, die mit EURO 3 konform sind, erst dann angeboten werden sollten, wenn sie gesetzlich dazu gezwungen werden. Es sei außerdem eine Bandbreite für den Aufschlagpreis für EURO-3-konforme Lkw vereinbart worden (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 52).

In Bezug auf EURO 4 ist ohne weitere Konkretisierung festgestellt, dass Gespräche stattgefunden hätten, die die Preise und Modalitäten der Einführung der Abgasnorm EURO 4 betroffen hätten und die den bisherigen Gesprächen über die EURO-3-konformen Lkw ähnelten (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 54).

Weiterhin ist allgemein festgestellt, dass sich der Austausch über die neuen Emissionsstandardtechnologien über die Jahre fortsetzte (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 57), ohne dass weitere Inhalte dieses Austauschs bekannt gegeben werden. Es wird lediglich festgestellt, dass bei Treffen am 12.04.2006 und 12./13.03.2008 die Preiserhöhungen für die Abgasnormen EURO 4 und EURO 5 Gegenstand gewesen seien (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016, Rn. 59). Hieraus kann nicht auf einen Inhalt hinsichtlich dieser Gespräche geschlossen werden und erst recht nicht darauf, dass hinsichtlich EURO 5 Vereinbarungen geschlossen wurden.

Insgesamt ist daher lediglich in Bezug auf EURO 3 festgestellt, dass eine Vereinbarung über die Durchreichung von Entwicklungskosten getroffen wurde. Hierbei wurde jedoch lediglich eine Bandbreite ("range") vereinbart, deren konkreter und für die Preisgestaltung relevanter Inhalt im Bußgeldbescheid nicht mitgeteilt wird. Welche Vereinbarung über EURO 4 getroffen wurde, ergibt sich aus diesen Feststellungen nicht, da diese lediglich als "ähnlich" bezeichnet werden ohne auszuführen, worin die Abweichung liegt.

(ii) Auch dieses festgestellte Verhalten ist nicht darauf angelegt, den Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft zu setzen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17 -, Rn. 55, juris - Schienenkartell). Durch die verpflichtende Einführung der neuen Abgasnormen sind bei den Lkw-Herstellern Entwicklungskosten sowie zusätzliche Herstellungskosten angefallen. Da keine Feststellungen über den konkreten Inhalt der Vereinbarung über die Weitergabe der Kosten für EURO 3 getroffen wurden, ist unbekannt, welche Weiterwälzung vereinbart wurde. Bekannt ist lediglich, dass für die Weiterwälzung eine Bandbreite vereinbart wurde, so dass nicht feststeht, dass die Vereinbarung der Kostenweiterwälzung über das hinausgeht, was ohne Vereinbarung im hypothetischen Markt ohnehin geschehen wäre (vgl. insgesamt zur Euronormproblematik bereits LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 05. März 2020 - 19 O 393/17 -, Rn. 92 ff., juris). Im Übrigen ergibt sich auch aus dem Privatgutachten der Klagepartei nicht, dass und in welcher Höhe hinsichtlich welcher Lastkraftwagen wegen der auf EURO 3 bezogenen kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen ein gutachtlich geschätzter Schaden eingetreten sein soll.

(6) Der Klägerin ist es nach alledem aus den oben genannten Gründen nicht gelungen, mit einer deutlich überwiegenden, auf gesicherter Grundlage beruhenden Wahrscheinlichkeit die Herleitung eines Schadens zu begründen. Die privatsachverständige Bewertung kann die Kammer nicht vom Vorliegen eines Schadens überzeugen. Die Klagepartei stützt ihre Klage lediglich auf die bindend festgestellten Tatsachen des Bußgeldbescheids der Kommission und bewertet diese anders als die Kammer. Die Kammer sieht im Rahmen ihres tatrichterlichen Ermessens nach den in der Schienenkartell-II-Entscheidung des BGH genannten Maßstäben (BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 47 - Schienenkartell II) davon ab, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erholen. Es ist prozessrechtlich nicht vorgesehen, einen fehlenden Tatsachenvortrag, der die Klage erst schlüssig begründen könnte, durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im Rahmen eines dann vorliegenden Ausforschungsbeweises zu ersetzen.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach § 709

ZPO zu entscheiden.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO.