OLG München, Endurteil vom 21.07.2020 - MK 2 19-j
Fundstelle
openJur 2020, 70564
  • Rkr:
Tenor

I. Es wird festgestellt, dass einer Berücksichtigung des Neukundenbonus in den Abrechnungen eines Energielieferungsvertrages zwischen einem Verbraucher und der BEV B. E.versorgungsgesellschaft mbH nicht die Tatsache entgegensteht, dass die Belieferung durch die BEV B. E.versorgungsgesellschaft mbH und/oder den vorläufigen Insolvenzverwalter vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit endete.

II. Es wird festgestellt, dass die Berücksichtigung des prozentual vom Umsatz gewährten Neukundenbonus in der Weise zu erfolgen hat, dass die Entgeltforderung in der Endabrechnung um den Bonus zu kürzen ist und dies nicht den Aufrechnungsregelungen nach den §§ 94 ff. InsO, insbesondere nicht dem Verbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unterfällt.

III. Der Musterbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

VI. Der Streitwert wird auf 250.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Der klagende Verband macht gegen den beklagten Insolvenzverwalter eines Strom- und Gaslieferanten geltend, dass nach Beendigung der Energielieferungen in dessen Schlussrechnungen ein vertraglich vorgesehener Neukundenbonus ohne Berücksichtigung einer Mindestvertragslaufzeit zu gewähren sei und dass die Verbraucher nicht darauf verwiesen werden dürften, ihre entsprechenden Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden.

Der Musterkläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und 26 weiterer Verbraucherschutzorganisationen in Deutschland. Gemäß § 2 seiner Satzung bezweckt er, Verbraucherinteressen wahrzunehmen, den Verbraucherschutz zu fördern, die Stellung des Verbrauchers in der sozialen Marktwirtschaft zu stärken und zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Er ist in die vom Bundesamt für Justiz geführte Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKIaG eingetragen. Im Jahre 2019 erzielte er Einnahmen in Höhe von rund 47.309.000 €, die sich in die Bereiche institutionelle Förderung und Projektförderung aufteilen. Die institutionelle Förderung betrug rund 13.752.000 € und beruhte in Höhe von rund 13.471.000 € auf Zuwendungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die Einnahmen aus Projekten beliefen sich 2019 auf rund 33.557.000 €, wovon ca. 31.095.000 € auf Mittel des Bundes entfielen.

Der Musterbeklagte ist der Insolvenzverwalter der BEV B. E.versorgungsgesellschaft mbH (nachfolgend: Schuldnerin).

Diese warb Kunden von Energielieferverträgen über Gas und/oder Strom unter anderem mit einem vom Jahresumsatz abhängigen Neukundenbonus.

In Ziffer 3.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin für die Belieferung von Strom (nachfolgend AGB-Strom) vom 25. September 2017 (vgl. Anlage B 17), 13. November 2017 (vgl. Anlage K 3) und 29. Mai 2018 (vgl. Anlage B 18) heißt es jeweils:

Die Vertragslaufzeit richtet sich nach dem gewählten Produkt. Es gilt die in der Belieferungsbestätigung genannte Vertragslaufzeit. Sofern hierzu in der Belieferungsbestätigung keine Regelung getroffen wird, gilt eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten als vereinbart.

In Ziffer 7.1 der AGB-Strom heißt es jeweils:

Sofern nicht abweichend vereinbart, stellt die [Schuldnerin] am Ende des Abrechnungszeitraums dem Kunden eine Jahresabrechnung, in der die geleisteten Abschlagszahlungen berücksichtigt sind. Abweichend vom jährlichen Abrechnungszeitraum kann auch eine monatliche, vierteljährliche oder halbjährliche Abrechnung (unterjährige Abrechnung) vereinbart werden. [...] Der Kunde erhält die Abrechnung spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnenden Zeitraums und die Abschlussrechnung spätestens sechs Wochen nach Beendigung des Lieferverhältnisses.

In Ziffer 7.4 der AGB-Strom heißt es jeweils:

Sofern im jeweiligen Tarif vereinbart, bietet die [Schuldnerin] als Abschlussprämie für den Abschluss des Vertrages einen einmaligen Prämienbetrag (Bonus). Die Modalitäten der Gewährung eines zugesagten Bonus sind dem jeweiligen Angebot bzw. der Belieferungsbestätigung zu entnehmen.

In Ziffer 7.5 der AGB-Strom heißt es jeweils:

Die Verrechnung eines dem Kunden ggf. von der [Schuldnerin] zu gewährenden Bonus mit Forderungen der [Schuldnerin] aus unterjähriger Abrechnung vor Ablauf eines Belieferungsjahres sowie mit Abschlagszahlungen vor Erteilung der ersten Jahresverbrauchsrechnung ist ausgeschlossen.

In den Belieferungsbestätigungen (vgl. Anlagenkonvolute K 16 bis K 45) der Schuldnerin - die aus einem Anschreiben und einem Blatt bestehen, welches nochmals die kundenspezifischen Informationen sowie die vertragsrelevanten Konditionen auflistet (vgl. Musterklageerwiderung v. 30. März 2020 Rn. 233) - heißt es unter dem Gliederungspunkt Tarif (die Preise sowie die Höhe des Neukundenbonus variieren):

Grundpreis: [...] €/Monat (inkl. 19% MwSt.)

Arbeitspreis: [...] €/kwh (inkl. 19% MwSt.)

Neukundenbonus: [15 bzw. 25] % (Jahresumsatz)

In Ziffer 3.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Belieferung von Gas der Schuldnerin (nachfolgend AGB-Gas) vom 18. Oktober 2017 (vgl. Anlage B 16) und vom 13. November 2017 (vgl. Anlage K 5) heißt es jeweils:

Die Vertragslaufzeit richtet sich nach dem gewählten Produkt. Es gilt die in der Belieferungsbestätigung genannte Vertragslaufzeit. Sofern hierzu in der Belieferungsbestätigung keine Regelung getroffen wird, gilt eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten als vereinbart.

In Ziffer 7.1 der AGB-Gas heißt es jeweils:

Sofern nicht abweichend vereinbart, stellt die [Schuldnerin] am Ende des Abrechnungszeitraums dem Kunden eine Jahresabrechnung, in der die geleisteten Abschlagszahlungen berücksichtigt sind. Abweichend vom jährlichen Abrechnungszeitraum kann auch eine monatliche, vierteljährliche oder halbjährliche Abrechnung (unterjährige Abrechnung) vereinbart werden. [...] Der Kunde erhält die Abrechnung spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnenden Zeitraums und die Abschlussrechnung spätestens sechs Wochen nach Beendigung des Lieferverhältnisses.

In Ziffer 7.4 der AGB-Gas heißt es jeweils:

Sofern im jeweiligen Tarif vereinbart, bietet die [Schuldnerin] als Abschlussprämie für den Abschluss des Vertrages einen einmaligen Prämienbetrag (Bonus). Etwaige Vorauszahlungen werden durch den Bonus grundsätzlich nicht gemindert.

In Ziffer 7.5 der AGB-Gas heißt es jeweils:

Die Verrechnung eines dem Kunden ggf. von der [Schuldnerin] zu gewährenden Bonus mit Forderungen der [Schuldnerin] aus unterjähriger Abrechnung vor Ablauf eines Belieferungsjahres sowie mit Abschlagszahlungen vor Erteilung der ersten Jahresverbrauchsrechnung ist ausgeschlossen.

In den Belieferungsbestätigungen der Schuldnerin heißt es jeweils unter dem Gliederungspunkt Tarif (die Preise variieren):

Grundpreis: [...] €/Jahr (inkl. 19% MwSt.)

Arbeitspreis: [...] € /kWh (inkl. 19% MwSt.)

Neukundenbonus: 15% (Jahresumsatz)

Die Schuldnerin stellte am 25. Januar 2019 Insolvenzantrag; der Beklagte wurde am 29. Januar 2019 vorläufig und am 16. Oktober 2019 endgültig zum Insolvenzverwalter bestellt. Zwischen dem 28. Januar und dem 1. Februar 2019 stellte die Schuldnerin die Belieferung ihrer Kunden ein.

Der Musterbeklagte rechnete die Verträge von mehr als 100.000 Kunden der Schuldnerin ohne Berücksichtigung des Neukundenbonus ab, wenn nicht eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr erreicht war; dieser könne nur bei einer Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr gewährt werden. Zur Durchsetzung der sich aus seinen Abrechnungen ergebenden Forderungen setzte er ein Inkassounternehmen ein.

Der Musterkläger ist der Auffassung, es sei unerheblich, dass der Musterbeklagte selbst nicht Unternehmer sei, weil die Klageanträge darauf beruhten, dass die Schuldnerin sich bei Abschluss der nun verfahrensgegenständlichen Verträge als Unternehmerin betätigt habe. Außerdem seien alle Tätigkeiten des Musterbeklagten, die der Abwicklung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin dienten, deren unternehmerischer Betätigung zuzuordnen. Die Musterfeststellungsklage sei nicht durch die Vorschriften der Insolvenzordnung ausgeschlossen. Von den beantragten Feststellungen seien alle Neukunden der Schuldnerin, insbesondere die in der Klageschrift namentlich genannten 16 Strom- und 15 Gaskunden (von denen einer beide Energiearten bezogen habe), betroffen. Der Neukundenbonus müsse unabhängig vom Erreichen einer Mindestvertragslaufzeit und der Insolvenz gewährt werden. Damit verringere sich der Vergütungsanspruch des Musterbeklagten automatisch um den Neukundenbonus, ohne dass es einer gesonderten Aufrechnungserklärung des Kunden bedürfte. Insoweit könne der Musterbeklagte die Verbraucher nicht auf die Anmeldung etwaiger Ansprüche zur Insolvenztabelle verweisen.

Der Musterkläger beantragt,

Es wird festgestellt, dass einer Berücksichtigung des Neukundenbonus in den Abrechnungen eines Energielieferungsvertrages zwischen einem Verbraucher und der [Schuldnerin] nicht die Tatsache entgegensteht, dass die Belieferung durch die [Schuldnerin] und/oder den vorläufigen Insolvenzverwalter vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit endete.

Es wird festgestellt, dass die Berücksichtigung des prozentual vom Umsatz gewährten Neukundenbonus in der Weise zu erfolgen hat, dass die Entgeltforderung in der Endabrechnung um den Bonus zu kürzen ist und dies nicht den Aufrechnungsregelungen nach den §§ 94 ff. InsO, insbesondere nicht dem Verbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unterfällt.

Der Musterbeklagte beantragt,

die Musterklage abzuweisen.

Er beruft sich darauf, dass er selbst nicht Unternehmer sei, so dass auch keine Musterfeststellungsklage gegen ihn erhoben werden könne. Überdies sei diese durch die vorrangigen Bestimmungen der Insolvenzordnung ausgeschlossen. Hinzu komme, dass bis jetzt erst fünf Kunden ihre diesbezüglichen Forderungen zur Tabelle angemeldet hätten. Der Musterbeklagte meint, der Neukundenbonus könne nur solchen Kunden gewährt werden, die bei Einstellung der Energielieferung mindestens ein Jahr Kunden der Schuldnerin gewesen seien. Das Erfordernis des Ablaufs der Mindestbelieferungsdauer von einem Jahr ergebe sich aus dem Zusammenspiel aller relevanten vertraglichen Regelungen in Bezug auf den Neukundenbonus, den Jahresverbrauch, die Vertragslaufzeit und dem Verbot der Verrechnung sowie der zu berücksichtigenden Marktüblichkeiten. Darüber hinaus könne der Bonus nicht durch einen Abzug von der laut Endabrechnung noch ausstehenden Forderung gewährt werden, vielmehr seien solche Ansprüche nach Begleichung der Endabrechnungsforderung zur Insolvenztabelle anzumelden. Der Bonus stehe sechs der vom Musterkläger benannten Verbrauchern (vgl. Musterklageerwiderung v. 30. März 2020 Rn. 37 - 42) schon deshalb nicht zu, weil diese selbst und nicht der Musterbeklagte oder die Schuldnerin die Energielieferungsverträge vor Ablauf des ersten Lieferjahres gekündigt hätten. Außerdem habe der Musterkläger nicht präzisiert, welche Fassung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin er seiner Klage zugrunde lege. In der Klageschrift seien die Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Stand 13. November 2017 zitiert; tatsächlich habe die Schuldnerin ihre AGB-Strom und AGB-Gas mehrfach überarbeitet und den neu abgeschlossenen Strom- bzw. Gaslieferverträge jeweils die aktuelle Fassung zugrunde gelegt. Im Rahmen bestehender Energielieferungsverträge seien die jeweils bereits einbezogenen AGB-Strom und AGB-Gas nur in Ausnahmefällen angepasst worden. Der Musterkläger habe hinsichtlich der betroffenen Verbraucher unterschiedliche, keine bzw. nicht lesbare Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgelegt, somit könne deren Betroffenheit nicht festgestellt werden. Ohnehin sei dem Vorbringen des Musterklägers nicht zu entnehmen, unter welchen Umständen die Verträge der in der Musterklageschrift aufgeführten Verbraucher zustande gekommen seien. Damit stünde auch nicht fest, ob diesen der Neukundenbonus zu gewähren sei. Die von Kunden erklärte Aufrechnung mit nach deren Meinung bestehenden Bonusforderungen sei unzulässig; entsprechende Forderungen seien zur Insolvenztabelle anzumelden.

Die Musterfeststellungsklage ist am 27. Januar 2020 im Klageregister bekanntgemacht worden. Zum 27. März 2020 sind 3.716 Verbraucheranmeldungen zur Eintragung in das Klageregister erfolgt.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Beschlüsse des Senats vom 21. Januar 2020 und vom 16. April 2020, die Hinweisverfügungen vom 8. Mai 2020 und vom 6. Juli 2020, den Registerauszug des Bundesjustizamtes vom 27. März 2020 sowie die Sitzungsniederschrift vom 21. Juli 2020 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Musterfeststellungsklage ist begründet. Der Neukundenbonus ist ohne Einhaltung einer Mindestbelieferungszeit zu gewähren und in die Endabrechnung als unselbständiger Abrechnungsposten einzustellen, der nicht den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverboten unterliegt.

A.

Die Musterfeststellungsklage ist zulässig.

I. Der Musterkläger ist als Verbraucherschutzverband, der in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragen ist, i. S. d. § 606 Abs. 1 ZPO klagebefugt. Nach den detaillierten Angaben in seinem Schriftsatz vom 15. Mai 2020, denen der Musterbeklagte nicht entgegengetreten ist, wird der Musterkläger ganz überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert, so dass gemäß § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO das Vorliegen der in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO aufgeführten Voraussetzungen der Klagebefugnis unwiderleglich vermutet wird.

II. Dass sich die Musterfeststellungsklage gegen einen Insolvenzverwalter richtet, der selbst nicht Unternehmer ist, hindert deren Zulässigkeit nicht.

1. Entgegen der Auffassung des Musterbeklagten kann den Vorschriften der §§ 606 ff. ZPO nicht entnommen werden, dass eine Musterfeststellungsklage nur gegen einen Unternehmer statthaft wäre (a. A. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl. 2020, § 606 ZPO Rn. 3 u. 58; Schmidt in Baumbach/Lauterbach/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 606 Rn. 11; Vollkommer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020 § 606 Rn. 17; Heigl/Normann in Nordholtz/Mekat, Musterfeststellungsklage, 2019, § 2 Rn. 29).

Unmittelbar stellen die Verfahrensvorschriften zur Musterfeststellungsklage auf die Unternehmereigenschaft nur bei der Eingrenzung der zulässigen Feststellungsziele ab. Nach § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann eine Musterfeststellungsklage - nur - auf die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer gerichtet sein. Diese Anforderung bezieht sich auf den Gegenstand des Verfahrens und nicht - wie die Beschränkung der Klagebefugnis auf qualifizierte Einrichtungen - auf dessen Parteien; ihr kann deshalb nicht entnommen werden, dass zwingend jede Musterfeststellungsklage gegen einen Nichtunternehmer unzulässig wäre.

2. Erst durch die Anordnung der Bindungswirkung in § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO findet eine Verknüpfung der Musterbeklagtenpartei mit den Feststellungszielen und damit mittelbar mit der Unternehmereigenschaft statt. Nach dieser Vorschrift bindet das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil ein zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Musterbeklagten berufenes Gericht, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft. Das kann zur Unzulässigkeit einer Musterfeststellungsklage gegen einen Nichtunternehmer führen. Denn unabhängig von der dogmatischen Einordnung der Klagebefugnis des Musterklägers (vgl. hierzu Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 606 Rn. 4) fehlt einer Musterfeststellungsklage das Rechtsschutzbedürfnis, wenn keine Bindungswirkung erzielt werden kann, weil sich ihre Feststellungsziele auf einen Unternehmer beziehen und folglich in einem Rechtsstreit eines Verbrauchers mit dem nichtunternehmerischen Musterbeklagten keine Entscheidungserheblichkeit entfalten könnten. Dann ist die Breitenwirkung ausgeschlossen, auf die eine Musterfeststellungsklage abzielt (vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 21).

Das führt indes nicht dazu, dass einer Musterfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Unternehmers zwingend das Rechtsschutzbedürfnis fehlte. Sowohl bei Aktiv- als auch bei Passivprozessen, die ein Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Unternehmers gegen Verbraucher führt, ist regelmäßig - und so auch im Streitfall - das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen den Verbrauchern und dem Insolvenzschuldner entscheidungserheblich und kann deshalb taugliches Feststellungsziel einer Musterfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter sein.

III. Die Insolvenzordnung schließt die Musterfeststellungsklage gegen Insolvenzverwalter in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht aus.

1. Fehl geht bereits die Auffassung des Musterbeklagten, die vorliegende Musterfeststellungsklage beziehe sich auf Insolvenzforderungen i. S. d. § 38 InsO der Kunden der Schuldnerin. Die Klage zielt vielmehr gerade darauf ab, dass die Neukundenboni nicht selbständige Forderungen der Kunden begründeten, die als Insolvenzforderungen angesehen werden könnten oder müssten, sondern unselbständige Rechnungsposten, die lediglich zu einer Verringerung der vom Musterbeklagten geltend gemachten Entgeltforderungen gegen die Kunden führten.

2. Im Übrigen wäre eine Musterfeststellungsklage gegen einen Insolvenzverwalter auch dann nicht von vornherein unzulässig, wenn sie sich auf Insolvenzforderungen i. S. d. § 38 InsO bezöge.

a) Das Gebot des § 87 InsO, Insolvenzforderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren zu verfolgen, schließt nicht jede anderweitige Feststellungsklage in Ansehung solcher Forderungen aus. So ist die rechtliche Qualifikation einer angemeldeten Forderung als Insolvenzforderung der (allgemeinen) Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zugänglich (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juni 2006, IX ZR 15/04, BGHZ 168, 112 Rn. 21 a. E.). In gleicher Weise entfaltet § 87 InsO keine Sperrwirkung hinsichtlich der - ebenfalls nur Vorfragen für die Tabellenfeststellungsklage gemäß §§ 179 ff. InsO betreffenden - Feststellung von tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für Insolvenzforderungen. Die Musterfeststellungsklage greift wegen ihrer Natur als "kupierte", auf einzelne Vorfragen bezogene Feststellungsklage insoweit nicht in das Regime des auf Feststellung zur Tabelle gerichteten Verfahrens nach §§ 178 ff. InsO ein (vgl. Thole, NZI 2020, 411 [412]).

b) Einer Musterfeststellungsklage mit Bezug auf Insolvenzforderungen kann auch nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, weil mit der Tabellenfeststellungsklage gemäß §§ 179 ff. InsO ein einfacherer Weg zur Verfolgung des prozessualen Begehrens bereit stünde (in diese Richtung aber Thole, a. a. O., S. 412 f.). Die Musterfeststellungsklage dient gerade dazu, einzelne Fragen, die in einer Vielzahl von Individualverfahren entscheidungserheblich sind, in einem einzigen Verfahren mit Bindungswirkung für die Individualverfahren zu beantworten. Dieses Ziel kann durch Individualverfahren gerade nicht erreicht werden; das gilt unabhängig davon, ob die Individualverfahren als gewöhnliche Klagen oder als Tabellenfeststellungsverfahren gemäß §§ 179 ff. InsO zu führen sind.

c) Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt einer gegen einen Insolvenzverwalter erhobenen Musterfeststellungsklage selbst in dem Fall, dass sich ihre Feststellungsziele auf Insolvenzforderungen beziehen, nicht deshalb, weil ihr insoweit keine Bindungswirkung zukommen mag, als nicht (nur) der musterbeklagte Insolvenzverwalter, sondern (auch) ein Insolvenzgläubiger einer solchen angemeldeten Insolvenzforderung gemäß § 178 Abs. 1 InsO widerspricht.

Zwar entfaltet ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil in dem dann vom Verbraucher gemäß § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Satz 1 InsO gegen den widersprechenden Insolvenzgläubiger zu betreibenden Klageverfahren nicht die Bindungswirkung gemäß § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil sich jenes Verfahren nicht gegen den musterbeklagten Insolvenzverwalter richtet. Das steht aber dem Rechtsschutzbedürfnis für die Musterfeststellungsklage selbst dann nicht entgegen, wenn neben dem Insolvenzgläubiger auch der Insolvenzverwalter der Forderungsanmeldung eines Verbrauchers widerspricht und sich die Rechtskraft der Entscheidung im Individualverfahren über dessen Widerspruch sich gemäß § 183 Abs. 1 InsO auch auf den widersprechenden Insolvenzgläubiger erstreckt (a. A. Thole, a. a. O., S. 413 f.). Es bedarf vorliegend keiner Klärung, wie dann der Konflikt zu lösen ist, der zwischen der Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils für ein Individualverfahren gegen den Insolvenzverwalter einerseits und der Erstreckung der Rechtskraft des Urteils in diesem Individualverfahren auf den ebenfalls widersprechenden, aber zu den Feststellungszielen nie gehörten Insolvenzgläubiger andererseits bestehen kann. Denn während des Musterfeststellungsverfahrens ist nicht absehbar, ob es bei den nachfolgenden Individualverfahren jemals zu derartigen Konfliktsituationen kommen wird, zumal davon auszugehen ist, dass die verbindliche Klärung der Feststellungsziele im Musterfeststellungsverfahren außergerichtliche Einigungen fördert (vgl. BT-Drs. 19/2507 S. 16). Die bloß theoretische Möglichkeit einer solchen Situation macht eine Musterfeststellungsklage selbst dann nicht von vornherein nutzlos, wenn der dargestellte Konflikt durch Hintanstellung der Bindungswirkung gelöst würde. Denn jedenfalls für die Verbraucherforderungen, denen nur der Insolvenzverwalter widerspricht, kann die Musterfeststellungsklage ihr Rechtsschutzziel erreichen (so auch Thole, a. a. O., S. 414), das niemals unmittelbar auf die Durchsetzung der individuellen Verbraucheransprüche gerichtet ist, sondern immer nur auf deren Erleichterung in Individualverfahren.

3. Fehl geht auch der Einwand des Musterbeklagten, die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts am allgemeinen Gerichtsstand des Musterbeklagten für Musterfeststellungsklagen (§ 32c ZPO) widersprechenden vorrangigen insolvenzrechtlichen Zuständigkeitsregelungen in § 180 Abs. 1 Sätze 2 und 3 InsO, die auf den Sitz des Insolvenzgerichts abstellen (ähnlich Thole, a. a. O., S. 414: "fragwürdig"). Diese Regelungen gelten lediglich für die Individualverfahren; sie stellen die spezielle gesetzgeberische Zuständigkeitszuweisung für Musterfeststellungsverfahren ebenso wenig in Frage wie ausschließliche Gerichtsstände für Individualverfahren auf anderen Rechtsgebieten.

4. Schließlich steht entgegen der Auffassung des Musterbeklagten auch der Gesetzeszweck einer Musterfeststellungsklage gegen einen Insolvenzverwalter nicht entgegen.

Anlass für die Einführung der Musterfeststellungsklage war das rationale Desinteresse, das die von den Streuwirkungen der Verhaltensweise eines Anbieters Betroffenen der Durchsetzung ihrer - oftmals jeweils geringwertigen - Ansprüche entgegenbringen. Dass deshalb der in der Summe mitunter erhebliche Gewinn bei dem Anbieter verbleibt und dieser dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Anbietern erzielt, wird in der Gesetzesbegründung lediglich in der Vorbemerkung erwähnt (vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 13) und weist nur auf eine mittelbare Folge des rationalen Desinteresses hin, ohne dass daraus geschlossen werden könnte, Zweck der Musterfeststellungsklage sei - gar ausschließlich - der Schutz der Mitbewerber des Anbieters; dieser ergibt sich vielmehr allenfalls als reflexhafte Nebenfolge des Ziels der Einführung der Musterfeststellungsklage. Als dieses nennt die Gesetzesbegründung ausschließlich, die gerichtliche Rechtsverfolgung der Ansprüche einer Vielzahl gleichartig betroffener (in der Diktion der Gesetzesbegründung: "geschädigter") Verbraucher wirksam auszugestalten, so dass sie auch tatsächlich in Anspruch genommen wird (vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 13 f.; vgl. auch BT-Drs. 19/2741 S. 1 f.). Diesem Zweck kann eine Musterfeststellungsklage auch dann dienen, wenn der Unternehmer, gegen den sich die Verbraucheransprüche richten, nicht mehr auf dem Markt auftritt.

Angesichts des Verhaltens des Musterbeklagten, der sich zur Durchsetzung der Ansprüche, deren er sich unter Bestreiten der Verbraucherpositionen berühmt, eines Inkassodienstleisters bedient, und der geringen - sich regelmäßig im Bereich niedriger dreistelliger Euro-Beträge bewegenden - Höhe der sich aus den Neukundenboni ergebenden Entgegenhaltungen ist der vorliegend zu entscheidende Sachverhalt geradezu idealtypisch für die Erhebung einer Musterfeststellungsklage.

IV. Die Musterklageanträge sind hinreichend bestimmt.

1. Mit den Anträgen begehrt der Musterkläger, die rechtlichen Voraussetzungen der vom Musterbeklagten gegenüber den Kunden der Schuldner geltend gemachten Endabrechnungsforderungen bezüglich des Entstehens des Neukundenbonus und dessen An- bzw. Verrechnung festzustellen. Gegenstand der Anträge sind die Boni, die unter der Bezeichnung Neukundenbonus gewährt wurden; anders bezeichnete Boni - die auch von der Schuldnerin unter anderen Bedingungen gewährt wurden (vgl. Musterklageerwiderung vom 30. März 2020 Rn. 214 - 216) - sind nicht Gegenstand der Anträge. Es mag zwar sein, dass die Schuldnerin verschiedene Fassungen ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete und ihren Kunden in diversen Tarifen keinen Neukundenbonus gewährte. Das ändert aber nichts daran, dass diejenigen Kunden, denen die Schuldnerin spätestens in der Bestätigung der vertragsrelevanten Daten einen solchen einräumte, festgestellt wissen wollen, dass dieser auch schon vor Ablauf eines Jahres zu berücksichtigen sei, und sie nicht auf die Feststellung ihrer Ansprüche zur Tabelle verwiesen werden dürfen; dieses Ziel kommt in den Anträgen hinreichend klar zum Ausdruck.

Dass die Schuldnerin unterschiedliche Fassungen ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete, ist für das Verfahren ohne Belang, weil sich diese in den entscheidungsrelevanten Punkten nicht unterscheiden (s. u. unter B I. 1. a] und 2. a]).

2. Der Musterklageantrag Ziffer 1. stellt darauf ab, dass der Gewährung des Neukundenbonus nicht das Ende der Belieferung des jeweiligen Kunden vor Ablauf eines Jahres entgegenstehe, und ist damit hinreichend bestimmt. Antragsgegenstand ist nicht die Frage, ob es einen Einfluss auf die Gewährung des Bonus habe, wer das Vertragsverhältnis vorzeitig beendet hat. Das hat allerdings nicht zur Folge, dass die Reichweite dieses Feststellungsziels unklar wäre; vielmehr liegt auf der Hand, dass der Musterkläger die Feststellung gemäß Ziffer 1. für alle Kunden erreichen will, die die Mindestvertragslaufzeit nicht erreicht haben. Will der Musterbeklagte der Bonusberücksichtigung entgegenhalten, dass der Verbraucher das Vertragsverhältnis selbst vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit beendet habe, ist er durch das Feststellungsziel des Antrags Ziffer 1. nicht daran gehindert; kommt allerdings das Gericht im Individualverfahren zu dem Ergebnis, dass dieser Einwand nicht erfolgreich sei, kann das Feststellungsziel des Antrags Ziffer 1. auch insoweit entscheidungserheblich werden.

Auch der Musterklageantrag Ziffer 2. ist hinreichend bestimmt. Er zielt - wie ihm unzweifelhaft zu entnehmen ist - darauf ab, das die bereits im Antrag Ziffer 1. und am Anfang des Antrags angesprochenen Neukundenboni in der "Endabrechnung" des Musterbeklagten bei der Berechnung der (unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Abschlagszahlungen) noch zu zahlenden Forderung zu berücksichtigen sind und die Verbraucher insoweit nicht auf die Anmeldung ihrer Forderungen zur Tabelle verwiesen werden dürfen. Ohne Erfolg stellt der Musterbeklagte die Bestimmtheit dieses Antrags unter Berufung darauf in Abrede, dass eine solche Feststellung wegen möglicherweise gegebener Insolvenzanfechtungstatbestände nicht getroffen werden könne. Die Bestimmtheit dessen, was der Musterkläger begehrt, wird dadurch nicht in Frage gestellt; ob die Anfechtungstatbestände dem Erfolg des Begehrens entgegenstehen, ist eine Frage der Begründetheit. Der Musterkläger verfolgt im Übrigen nicht die Feststellung, dass der Neukundenbonus in jedem Fall zu gewähren sei, sondern lediglich diejenige, dass dieser - so er denn zu gewähren ist - bei der Endabrechnung abzuziehen sei und nicht dem Aufrechnungsverbot nach der Insolvenzordnung unterfalle.

V. Die Anträge sind auf zulässige Feststellungsziele i. S. d. § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO gerichtet.

1. Die im Antrag Ziffer 1. begehrte Feststellung, dass die Beendigung der Energiebelieferung vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit der Berücksichtigung des Neukundenbonus nicht entgegenstehe, betrifft die rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines Rechtsverhältnisses - nämlich der vertraglichen Beziehungen, wie sie sich bei Berücksichtigung des Bonus darstellen - zwischen den Verbrauchern und dem Musterbeklagten.

Die im Antrag Ziffer 2. aufgeworfene Frage, ob ein Neukundenbonus zur Kürzung der Entgeltforderung in der Endabrechnung führt und nicht den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsregelungen unterliegt, betrifft die rechtlichen Voraussetzungen für das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses - nämlich einer insolvenzrechtlichen Aufrechnungslage - zwischen dem jeweiligen Verbraucher und dem Musterbeklagten.

2. Obwohl sich die antragsgegenständlichen Rechtsverhältnisse auf den Musterbeklagten beziehen, der als Insolvenzverwalter nicht selbst Unternehmer sein mag, sind die Feststellungsziele zulässig.

a) Der Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Unternehmers ist in Fallgestaltungen wie der vorliegenden wie der Insolvenzschuldner zu behandeln.

Eine derartige Gleichstellung findet bei der Beurteilung des Begriffs der Handelssache statt, wenn es um Klagen aus Handelsgeschäften des Insolvenzschuldners geht, der Insolvenzverwalter also an dessen Stelle tritt (vgl. etwa KG, Beschluss vom 12. Juli 2018, 2 AR 31/18, juris Rn. 8 u. 10; Pernice in BeckOK GVG, 7. Ed. Stand 1. Mai 2020, § 95 Rn. 13; Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 95 GVG Rn. 6; Lückemann in Zöller, ZPO, § 95 GVG Rn. 3; Rathmann in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 95 GVG Rn. 3; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 95 Rn. 3; Zimmermann, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2017, § 95 GVG Rn. 6).

Damit ist die vorliegende Gestaltung vergleichbar, weil der Musterbeklagte auch im Zuge der Beitreibung der offenen Rechnungen der Schuldnerin an deren Stelle tritt.

b) Die Rechtsverhältnisse zwischen den Verbrauchern und dem Musterbeklagten bestehen nicht losgelöst von den vorher zwischen den Verbrauchern und der Schuldnerin bestehenden, sondern sind durch deren Ausgestaltung vorgeprägt. Wenn und soweit die Schuldnerin die Lieferungsbeendigung vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit der Berücksichtigung des Neukundenbonus nicht entgegenhalten konnte, ist das auch im Verhältnis des Musterbeklagten zu den Verbrauchern zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die Behandlung des Neukundenbonus nicht als Gegenforderung zur Vergütungsforderung, sondern als unselbständigen Kalkulationsposten bei deren Berechnung.

VI. Das Zulässigkeitserfordernis des § 606 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist erfüllt.

1. Der Musterkläger hat in der Musterklageschrift vom 10. Dezember 2019, Seiten 16 bis 33, dargelegt, dass vom Antrag Ziffer 1. alle Neukunden der Schuldnerin betroffen sind, deren Energielieferungsvertrag bei Einstellung der Lieferung noch nicht zwölf Monate gelaufen war, und 15 Gassowie 16 Stromkunden (darunter einen Kunden, der sowohl Gas als auch Strom von der Schuldnerin bezogen hatte) benannt, die von der Rechtsauffassung des Musterbeklagten betroffen sind, dass der Neukundenbonus erst nach einjähriger Vertragslaufzeit zu gewähren sei.

a) Seiner sich aus § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ergebenden Glaubhaftmachungslast ist der Musterkläger durch Vorlage der Anlagenkonvolute K 16 bis K 45 mit Kopien eidesstattlicher Versicherungen und der Vertragsunterlagen der von ihm benannten 30 Kunden nachgekommen.

Der Musterbeklagte vermag diese Glaubhaftmachungen auch nicht hinsichtlich der sechs Kunden zu erschüttern, zu denen er Schreiben der Schuldnerin vorlegt (Anlagenkonvolute B 9 bis B 14), in denen vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit wirksam werdende Kündigungen dieser Kunden bestätigt werden. Der Musterkläger hat durch die Vorlage des jeweiligen Schriftverkehrs (Anlagenkonvolute K 51 bis K 62) glaubhaft gemacht, dass vier dieser Kunden Kündigungen allenfalls erst zum Ablauf der Mindestvertragslaufzeit ausgesprochen haben, und bestreitet für den in Randnummer 42 der Klageerwiderung angeführten Kunden eine Kündigungserklärung schlechthin. Hinsichtlich des in Randnummer 39 der Klageerwiderung angeführten Kunden ist der Musterkläger zwar dem Vorbringen des Musterbeklagten nicht entgegengetreten, dieser habe seinen auf Bezug ab dem 22. Juni 2018 gerichteten Stromlieferungsvertrag anlässlich einer angekündigten Preiserhöhung mit Wirkung zum 31. Januar 2019 gekündigt. Das ändert indes nichts daran, dass Ansprüche dieses Kunden vom Feststellungsziel des Antrags Ziffer 1. abhängen, denn das Feststellungsziel stellt lediglich auf die Unterschreitung der Mindestvertragslaufzeit ab und nicht darauf, wer die vorzeitige Vertragsbeendigung herbeigeführt hat (s. o. unter IV. 2.).

b) Ohne Erfolg wendet der Musterbeklagte ein, dass der Musterkläger nicht belege, wie die einzelnen Verträge zustande gekommen seien, insbesondere nicht klar sei, unter welchen Bedingungen jeweils der Bonus vereinbart worden sei. Die vom Musterbeklagten vorgelegte Tabelle B 21 zeigt, dass die Schuldnerin bei zahlreichen Verträgen einer Vielzahl von Kunden Boni gewährt hat. Dies ist ausweislich Anlagenkonvolute K 16 bis 19, 21, 22 und 25 bis 30 bei den dort genannten Kunden wegen Gaslieferungen gemäß der Mitteilung der vertragsrelevanten Daten durch die Schuldnerin - Neukundenbonus: 15% (Jahresumsatz) - und ausweislich der Anlagenkonvolute K 31 bis 45 bei den dort genannten Kunden wegen Stromlieferungen gemäß der Mitteilung der vertragsrelevanten Daten durch die Schuldnerin - Neukundenbonus: [15 bzw. 25] % (Jahresumsatz) - der Fall gewesen. Solche Bestätigungen hat die Schuldnerin, wie der Musterbeklagte in Randnummer 232 der Klageerwiderung vom 30. März 2020 selbst vorträgt, - unabhängig davon, ob der konkrete Auftrag über ein Vertragsvermittlungsportal oder über die eigene Homepage eingegangen war - an jeden Kunden versandt. Daher ist davon auszugehen, dass auch zwischen der Schuldnerin und den vom Musterkläger benannten Kunden spätestens mit Zusendung der Vertragsbestätigung unter Mitteilung der vertragsrelevanten Daten eine Vereinbarung über die Gewährung eines Neukundenbonus von 15 bzw. 25% des Jahresumsatzes zustande gekommen ist. Soweit der Musterbeklagte in den Raum stellt, es könnten Neukundenboni auch auf anderem Weg vereinbart worden sein, trägt er dazu trotz entsprechenden Hinweises des Senats im Beschluss vom 16. April 2020 nicht vor.

2. Die Ansprüche dieser Kunden hängen auch von dem Antrag Ziffer 2. ab, da sich der Musterbeklagte darauf beruft, dass deren Neukundenbonus, falls dessen Voraussetzungen vorlägen, nicht von der Endabrechnung vor deren Geltendmachung abzuziehen, sondern zur Insolvenztabelle anzumelden wäre. Unerheblich ist, dass den in der Klageschrift genannten Personen gegenüber unterschiedliche Fassungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin verwendet worden sind, da diese in den streitentscheidenden Punkten übereinstimmen (s. u. unter B I. 1. a] und 2. a]).

VII. Das Zulässigkeitserfordernis gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ist ebenfalls erfüllt. Zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage haben mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister wirksam angemeldet.

1. Die Anmeldung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zur Eintragung in das Klageregister durch einen Verbraucher ist nur wirksam, wenn sie frist- und formgerecht erfolgt und insbesondere - neben dem Namen und der Anschrift des Verbrauchers, der Bezeichnung des Gerichts und dessen Aktenzeichen, der Bezeichnung des Beklagten sowie der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben (vgl. § 608 Abs. 2 Nr. 1 - 3 und Nr. 5 ZPO) - Angaben zu Gegenstand und Grund des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses enthält (§ 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). Taugliche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse sind nur solche, die von den Feststellungszielen abhängen.

a) Die Anforderung gemäß § 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO entspricht derjenigen an eine Klageschrift gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 24; Lutz in BeckOK ZPO, 36. Ed. Stand: 1. März 2020, § 608 Rn. 11; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, § 608 Rn. 5; Rathmann in Saenger, ZPO, § 609 Rn. 3; unklar Vollkommer in Zöller, ZPO, § 608 Rn 4). Bei der Klageschrift kommt es nicht darauf an, ob der maßgebliche Sachverhalt bereits vollständig beschrieben oder ob der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt worden ist; vielmehr ist es im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist. Es genügt also, dass das Klagebegehren - unterhalb der Stufe der Substantiierung - individualisiert und damit der Streitgegenstand bestimmt ist (vgl. BGH, Urt. v. 21. März 2018, VIII ZR 68/17, BGHZ 218, 139, Rn. 21 m. w. N. vgl. auch BGH, Urt. v. 25. Juni 2020, IX ZR 47/19, juris Rn. 22 m. w. N.). An die Angaben gemäß § 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO können keine höheren Anforderungen gestellt werden (so wohl auch Boese/Bleckwenn in Nordholtz/Mekat, Musterfeststellungsklage, § 5 Rn. 23).

b) Dementsprechend erfüllt im Streitfall eine Anmeldung das Erfordernis gemäß § 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO, wenn ihr zu entnehmen ist, dass der Verbraucher einen Anspruch oder ein Rechtsverhältnis geltend macht, der bzw. das darauf beruht, dass ein ihm von der Schuldnerin vertraglich zugesagter Neukundenbonus bei der Abrechnung eines vor Ablauf der Mindestlaufzeit beendeten Energielieferungsvertrags nicht berücksichtigt worden sei.

Regelmäßig reicht die Angabe des Namens und der Anschrift des Verbrauchers aus, um das der Anmeldung zugrunde liegende Vertragsverhältnis hinreichend zu individualisieren. Bereits aus der Angabe des Musterbeklagten als Insolvenzverwalter der Schuldnerin folgt, dass sich die Anmeldung auf eine Beziehung mit diesem bzw. der Schuldnerin bezieht. Zudem ist davon auszugehen, dass ein Verbraucher seinen Bedarf an einer Energieart durch einen Vertrag (und nicht mehrere) deckt; in diesem Fall kann von einem Verbraucher nicht verlangt werden, zur Vermeidung der Unwirksamkeit seiner Anmeldung den - für ihn ganz selbstverständlichen - Umstand, dass er nur einen einzigen Vertrag mit der Schuldnerin geschlossen hatte, ausdrücklich hervorzuheben. Nur unter besonderen Umständen - etwa wenn der Anmeldung selbst zu entnehmen ist, dass der Verbraucher sowohl einen Vertrag über die Belieferung mit Strom als auch einen über die Belieferung mit Gas mit der Schuldnerin geschlossen hatte - bedarf es näherer Angaben dazu, aus welchem Vertrag der Anspruch oder das Rechtsverhältnis hergeleitet wird.

Will sich der Musterbeklagte darauf berufen, dass eine Anmeldung trotz Angabe von Namen und Anschrift des Verbrauchers die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse nicht hinreichend individualisiere, obliegt es ihm zumindest nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast, dazu im Einzelnen vorzutragen, denn der Musterkläger hat keine Kenntnis von den Verträgen, die der angemeldete Verbraucher mit der Schuldnerin geschlossen hat, während es dem Musterbeklagten unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben dazu zu machen (vgl. zur sekundären Darlegungslast BGH, Urt. v. 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 37; Beschluss vom 18. Februar 2020, VI ZR 280/19, NJW-RR 2020, 720 Rn. 10; Urt. v. 18. Dezember 2019, XII ZR 13/19, NJW 2020, 755 Rn. 35 m. w. N.). Hierauf ist der Musterbeklagte mit Verfügung vom 8. Mai 2020 hingewiesen worden; nähere Angaben dazu, welche Anmeldungen Individualisierungsmängel aufwiesen, hat er in der Folge nicht gemacht.

Weitergehende Angaben sind für die Wirksamkeit der Anmeldung nicht erforderlich. Insbesondere bedarf es entgegen der Auffassung des Musterbeklagten nicht zwingend der Angabe der entsprechenden Vertrags- und Kundennummer, der exakten Daten der Dauer der Energiebelieferung, des Grunds für die Belieferungsbeendigung oder gar, ob eine Forderung auf den Neukundenbonus zur Insolvenztabelle angemeldet worden sei.

2. Danach mögen zwar zahlreiche Anmeldungen zum Klageregister auf unzureichende Angaben gestützt sein. Jedoch enthalten - wie bereits dem Hinweis des Senats in dessen Verfügung vom 8. Mai 2020 zu entnehmen ist, zu dem der Musterbeklagte keine Stellungnahme abgegeben hat - zumindest folgende Anmeldungen (zitiert nach den laufenden Nummern des Registerauszugs des Bundesamts für Justiz vom 27. März 2020), die alle auch die Anforderungen gemäß § 608 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 und Nr. 5 ZPO erfüllen, hinreichend individualisierende Angaben zu den geltend gemachten Ansprüchen (ohne dass damit eine Aussage über die [Un-]Wirksamkeit der anderen im Registerauszug aufgelisteten Anmeldungen verbunden wäre): Nummern 5, 7, 8, 9, 10, 12, 13, 18, 20, 21, 26, 35, 38, 44, 56, 57, 60, 61, 69, 74, 82, 83, 86, 88, 93, 96, 108, 109, 117, 120, 124, 127, 128, 129, 132, 133, 134, 136, 145, 146, 149, 151, 152, 153, 156, 159, 161, 164, 169, 170, 173, 178, 179, 181, 183, 188, 189, 192, 193, 199, 201, 206, 207, 209, 210, 211, 214, 217, 218, 219, 221, 224, 228, 229 und 230.

B.

Die Musterklage hat in der Sache Erfolg. Der Neukundenbonus ist auch ohne Einhaltung einer Mindestbelieferungszeit zu gewähren und in die Endabrechnung als unselbständiger Rechnungsposten einzustellen, der nicht den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverboten unterliegt.

I. Der Musterklageantrag Ziffer 1. ist begründet, weil die Gewährung des Neukundenbonus nicht an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die Belieferung während der gesamten Mindestvertragslaufzeit erfolgte.

1. Die Voraussetzungen für den von der Schuldnerin eingeräumten Neukundenbonus ergeben sich aus den jeweiligen Belieferungsbestätigungen und der Regelung jeweils in Ziffer 7.4 Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin, dass der Bonus ein einmaliger (also nicht sich jährlich wiederholender) Prämienbetrag sei.

a) Die Maßgeblichkeit der Belieferungsbestätigungen ist in Ziffer 7.4 Satz 2 der AGB-Strom ausdrücklich erklärt.

Den abweichenden Fassungen der Ziffer 7.4 in den AGB-Gas kann nichts anderes entnommen werden.

Dort heißt es in Satz 2 jeweils:

Etwaige Vorauszahlungen werden durch den Bonus grundsätzlich nicht gemindert.

Auch darin liegt weder eine Regelung der Voraussetzungen für die Bonusgewährung noch der Modalitäten dessen Berücksichtigung bei den Abrechnungen. In Ermangelung abweichender Bestimmungen sind auch insoweit die Belieferungsbestätigungen und die (mit den AGB-Strom identische) Klausel in Ziffer 7.4 Satz 1 maßgeblich.

b) Die vorliegenden Lieferbestätigungen besagen jeweils nur, dass ein (so bezeichneter) Neukundenbonus zu einem bestimmten Prozentsatz (15% bzw. 25%) des Jahresumsatzes gewährt werde, ohne zeitliche Mindestanforderungen aufzustellen.

Modifizierungen ergeben sich entgegen der Auffassung des Musterbeklagten nicht daraus, dass die meisten Kunden über Vergleichsportale an die Schuldnerin vermittelt worden sind, da nicht ersichtlich ist, dass diese als Abschlussvertreter der Schuldnerin aufgetreten wären und in deren Namen Verträge hätten schließen können oder geschlossen hätten, die von deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen abwichen. Allein der Hinweis der Portale, dass der Anbieter "in der Regel nach einem vollen Belieferungsjahr auf der Jahresrechnung" bzw. "meistens" gewähre, besagt nichts zu den konkreten Vereinbarungen der Schuldnerin mit ihren Kunden.

2. Danach erfordert die Gewährung des Neukundenbonus lediglich den Abschluss des Vertrags über die Belieferung mit Strom oder Gas. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin enthalten keine Beschränkung auf solche Vertragsverhältnisse, die die Mindestlaufzeit erreicht haben.

a) Ziffer 7.5 der jeweiligen AGB schließt zwar die "Verrechnung" des Bonus mit Forderungen aus "unterjähriger Abrechnung" vor Ablauf eines "Belieferungsjahres" aus, das bezieht sich aber schon dem Wortlaut nach nicht auf die im letzten Satz von Ziffer 7.1 erwähnten "Abschlussrechnung" nach Beendigung des Lieferverhältnisses, die der Musterbeklagte (unter der Bezeichnung "Endabrechnung") erstellte, und besagt auch nicht - gar mit der gemäß § 305c Abs. 2 BGB erforderlichen Eindeutigkeit -, dass der Bonus erst gewährt werde, wenn der Vertrag ein Jahr oder länger gelaufen sei.

Die vom Musterbeklagten vorgenommenen Abrechnungen vor Ablauf des ersten Lieferjahres können auch nicht als unterjährige Abrechnungen i. S. d. Ziffer 7.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen angesehen werden, da solche nach dem Wortlaut der Ziffer 7.1 nur im Einvernehmen der Vertragsparteien erfolgen durften. Dass sich die Kunden mit der von ihm vorgenommenen Abrechnungsweise einverstanden erklärt hätten, wird vom Musterbeklagten schon nicht vorgetragen.

Außerdem besagt Ziffer 7.5 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen jeweils, dass die Verrechnung eines dem Kunden gegebenenfalls von der Schuldnerin zu gewährenden Bonus mit Forderungen der Schuldnerin aus unterjähriger Abrechnung vor Ablauf eines Belieferungsjahres sowie mit Abschlagszahlungen vor Erteilung der ersten Jahresverbrauchsrechnung ausgeschlossen ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die "Verrechnung" des Bonus mit der ersten "Jahresverbrauchsrechnung" erfolgt. Eben eine solche erstellte der Musterbeklagte, als er die Abrechnung der Belieferung der Neukunden vor Ablauf des ersten Belieferungsjahres vornahm, weil wegen der Einstellung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin keine weiteren Lieferungen im ersten Jahr der Belieferung (oder gar den Folgejahren) mehr stattfinden würden; er rechnete also vor Ablauf des ersten Vertragsjahrs die in diesem Jahr insgesamt erbrachten Lieferungen ab. Dies stellt den "Jahresumsatz" gemäß der Vertragsbestätigung der Schuldnerin dar, auf die der Neukundenbonus zu gewähren ist. Mithin setzt dessen Gewährung nicht in jedem Fall den Ablauf des ersten Lieferjahres voraus.

b) Unbehelflich ist die Berufung des Musterbeklagten auf die "Markterwartung". Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie ihr Wortlaut (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 27. Mai 2020, VIII ZR 45/19, juris Rn.119 m. w. N., vgl. auch BGH, Urt. v. 17. April 2013, VIII ZR 225/12, NJW 2013, 1805 Rn. 9 zur Auslegung einer Bonusklausel in Energielieferungsverträgen), nicht gänzlich konturlose "Erwartungen". Die Zusage eines Neukundenbonus zu einem Prozentsatz des Jahresumsatzes besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass ein solcher Bonus eingeräumt werde, aber nicht, unter welchen Bedingungen im Einzelnen. Selbst wenn sämtliche Marktteilnehmer davon ausgingen, dass ein Bonus erst nach einer Belieferungszeit von einem Jahr fällig sein solle, war nicht geregelt, wie bei vorzeitigem Abbruch der vertraglichen Beziehungen oder dann zu verfahren ist, wenn die Kündigung innerhalb des ersten Belieferungsjahres so erfolgt, dass die Lieferzeit exakt ein Jahr beträgt (vgl. dazu BGH NJW 2013, 1805 Rn. 10).

Schon wegen des Vorrangs des Wortlauts ist es für die Auslegung auch ohne Bedeutung, in welcher Weise die Schuldnerin die Klausel handhabte (vgl. BGH, Urt. V. 10. Juni 2020, VIII 289/19, juris Rn. 29) und den Neukundenbonus in der Vergangenheit in ihren Abrechnungen auswies. Es ist zudem weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass Neukunden die Abrechnungsgepflogenheiten der Schuldnerin bei Vertragsschluss bekannt gewesen wären.

c) Der Musterkläger hat im Übrigen zu Recht darauf verwiesen, dass der vom Musterbeklagten zugrunde gelegte Klauselinhalt gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB verstieße, weil der Kunde nach objektiven Maßstäben nicht davon ausgehen muss, dass er des zugesagten Bonus jederzeit verlustig gehen könne, wenn nämlich der Vertrag nicht von ihm selbst, sondern von der Schuldnerin - aus welchen Gründen auch immer - beendet würde. Bei der vom Musterbeklagten vertretenen Auslegung hätte die Schuldnerin es in der Hand gehabt, den zugesagten Bonus durch einseitige Handlungen wieder zu entziehen, ohne dass hierzu das Einvernehmen des Kunden erforderlich wäre, obwohl sie die Gewährung des Bonus vertraglich bindend zugesagt hatte. Da eine solche Regelung den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nicht zu entnehmen ist, würden diese bei einer Auslegung im Sinne des Musterbeklagten gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen, indem sie der Schuldnerin ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume einräumen, um dem Verbraucher die bereits zugesagte Vergünstigung einseitig wieder zu entziehen (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 2020, VI ZR 135/19, NJW 2020, 1888 Rn. 8 m. w. N.).

II. Der Musterklageantrag Ziffer 2. ist begründet, weil der Neukundenbonus keine selbständige Forderung begründet, sondern bei der Abrechnung lediglich als unselbständiger Rechnungsposten (wie die bereits vom Kunden erbrachten Abschlagszahlungen) zu einer Kürzung des endgültigen Vergütungsanspruchs führt und als solcher nicht den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsvorschriften unterliegt.

1. Der von der Schuldnerin eingeräumte Neukundenbonus wird als unselbständiger Rechnungsposten nicht vom Wortlaut der Vorschriften der §§ 94 ff. InsO erfasst.

a) Diese Vorschriften betreffen die Behandlung der Aufrechnung in der Insolvenz. Eine Aufrechnung setzt nach dem auch für das Insolvenzverfahren maßgeblichen § 387 BGB zwei selbständige Forderungen voraus, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen und gleichartig sind. Fehlt es hieran, können die Wirkungen der Aufrechnung schon begrifflich nicht eintreten. Diese bestehen nach § 389 BGB darin, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet gegenüberstehen. Dies trifft auf unselbständige Rechnungsposten, die gebunden und gelähmt sind, nicht zu (vgl. BGH, Urt. v. 14. Januar 2006, IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206 Rn. 9).

b) Der von der Schuldnerin eingeräumte Neukundenbonus stellt einen derartigen der Aufrechnung nicht zugänglichen unselbständigen Rechnungsposten dar, da er nur ein Faktor bei der Berechnung des endgültigen Vergütungsanspruchs ist, der mit der ersten Jahresabrechnung geltend gemacht wird.

aa) Die bereits angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs BGHZ 170, 206 ff. belegt, dass entgegen der Auffassung des Musterbeklagten aus der Verwendung des Begriffs der Verrechnung des Bonus in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin nicht hergeleitet werden kann, dieser stelle eine selbständige Forderung dar, weil für unselbständige Rechnungsposten nur der Begriff der Anrechnung verwendet würde. In Randnummer 8 dieser Entscheidung ist ausdrücklich von der "Verrechnung unselbständiger Rechnungsposten" die Rede, was zeigt, dass auch die Berücksichtigung solcher Rechnungsposten als Verrechnung bezeichnet wird (vgl. auch BGH Urt. v. 3. Mai 2012, VIII ZR 210/11, NJW 2012, 2647 Rn. 10; Beschluss vom 30. September 1999, VII ZR 457/98, NJW-RR 2000, 285 [juris Rn. 7]; Urt. v. 13. Januar 1993, XII ZR 212/90, NJW-RR 1993, 386 [juris Rn. 32]; BAG Urt. v. 20. November 2018, 9 AZR 349/18, NJW 2019, 1477 Rn. 18; Skamel in beck-OGK Stand: 1. April 2020, BGB § 387 Rn. 15; Schlüter in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 387 Rn. 50).

bb) Maßgebend für den Charakter des Neukundenbonus als unselbständiger Rechnungsposten ist vielmehr Folgendes:

(1) Der Neukundenbonus ist nach den für seine Ausgestaltung maßgeblichen (s. o. unter B. I. 1. a]) Belieferungsbestätigungen neben dem Grundpreis und dem Arbeitspreis einer der Faktoren, die den auf die verbrauchsbasierte Entgeltberechnung anzuwendenden Tarif bestimmen. Zwar soll er nach der jeweiligen Ziffer 7.5 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin weder bei den Abschlagzahlungen berücksichtigt werden noch bei der Berechnung der Forderung der Schuldnerin aus unterjährigen Abrechnungen in dem - für das vorliegende, nur Endabrechnungen betreffende Verfahren bedeutungslosen - Fall, dass eine derartige Abrechnungsweise vereinbart worden ist. Die vorläufige Bemessung der Abschlagszahlungen (sowie der unterjährigen Abrechnungsbeträge) unter Außerachtlassung des Bonus ändert indes nichts daran, dass sich die endgültig geschuldete Vergütung für die im ersten Vertragsjahr erfolgten Lieferungen unter Berücksichtigung des Bonus berechnet.

Da Abschlagszahlungen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nur vorläufig bis zu einer im Wege der Abrechnung festzustellenden endgültigen Vergütung zu leisten sind, und insoweit ihrerseits lediglich (unselbständige) Rechnungsposten der abzurechnenden Gesamtleistung bilden, ohne dass sie auf einzelne Teilleistungen bezogen werden können (vgl. BGH NJW 2012, 2647 Rn. 10 m. w. N.), begründet die Verpflichtung zu solchen Zahlungen noch keinen endgültigen Vergütungsanspruch der Schuldnerin, gegen den der Kunde mit seinem "Anspruch auf den Neukundenbonus" aufrechnen könnte. Vielmehr wird die Zahlungspflicht des Kunden erst mit der Endabrechnung fällig (vgl. BGH NJW 2012, 2647 Rn. 11) und zwar in der Höhe, die sich unter Berücksichtigung des Neukundenbonus ergibt. Der Anspruch des Kunden auf diesen Bonus stellt keine auf Zahlung gerichtete Gegenforderung dar, mit der gegen einen der Schuldnerin ohne Bonusberücksichtigung bereits erwachsenen Vergütungsanspruch aufgerechnet werden könnte oder müsste, sondern ist vielmehr zunächst darauf gerichtet, dass der Bonus schon in die Bestimmung der Höhe des Vergütungsanspruchs einbezogen wird. Erst wenn die Abschlagszahlungen unter Berücksichtigung des Bonus zu einer Überzahlung geführt haben, die Endabrechnung diesen aber nicht einbezieht, steht dem Kunden ein Anspruch auf Rückzahlung unverbrauchter Abschlagszahlungen zu (vgl. BGH NJW 2012, 2647 Rn.10).

(2) Dem widerspricht die vom Musterbeklagten angeführte Rechtsprechung nicht.

Insbesondere verhält sich das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. April 2013, VIII ZR 225/12, NJW 2013, 1805 ff., nicht zu der Frage, ob der Neukundenbonus ein unselbständiger Rechnungsposten oder eine selbständige Forderung ist. Denn im dort entschiedenen Fall hatte der Energielieferant bei der saldierenden Schlussrechnung den Bonus nicht gewährt und war deshalb erst anschließend auf Zahlung von 140,00 € verklagt worden; damit war dort nicht streitentscheidend, ob und wie der Anspruch in der Schlussabrechnung zu berücksichtigen war, sondern nur, ob wegen der Nichtberücksichtigung ein entsprechender Anspruch bestand.

Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Oktober 1998, VII ZR 167/97, NJW 1999, 417, besagt unter II.2.a (juris Rn. 10) nur, dass ein Werkunternehmer einzelne Posten eines Schlussrechnungssaldos wie etwa die Einzelposition "Baustelleneinrichtung" nicht abtreten kann, weil diese unselbständige Teile der Schlussrechnung sind. Das hat aber nicht damit zu tun, dass der zu Unrecht in Anspruch genommene Kunde entweder nach Zahlung der Schlussrechnung oder aber gegenüber der entsprechenden Forderung die Verrechnung mit einzelnen unberücksichtigten Positionen verlangen kann. Ebenso wird der Kunde, der nach Erstellung der Jahresabrechnung ein Guthaben hat, nicht dadurch benachteiligt, dass er den Bonus als unselbständigen Abrechnungsposten nicht einklagen kann, denn mit Erteilung der die Abrechnungsposten saldierenden Jahresabrechnung steht es ihm frei, ein sich aus dieser ergebendes Guthaben geltend zu machen bzw. die Abrechnung selbst zu erstellen und Klage auf Zahlung des sich zu seinen Gunsten ergebenden Saldos zu erheben.

(3) Schließlich kann nicht außer Acht bleiben, dass sich etwaige Unklarheiten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin, nämlich ob der Neukundenbonus unselbständiger Abrechnungsposten oder selbständige Gegenforderung innerhalb der Jahresabrechnung bzw. bei Ermittlung der aus ihnen resultierenden Forderung ist, gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten der Schuldnerin und in der Folge des Musterbeklagten bzw. der Insolvenzmasse auswirkten.

cc) Die Schuldnerin hat mit ihren Kunden in den jeweiligen Lieferverträgen keine unzulässige Verrechnungsabrede im Sinne des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 23. Juni 2005, VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274 ff. getroffen. Denn nach den Gründen dieser Entscheidung (unter Ziffer II.2.a.bb., juris Rn. 20) ist es lediglich unzulässig, Aufrechnungsverbote durch vertragliche Abreden zu umgehen. Besteht allerdings - wie hier - weder von Gesetzes wegen noch aus vertraglichen Regelungen eine selbständige Aufrechnungsforderung, wird auch kein entsprechendes Verbot umgangen.

2. Ohne Erfolg beruft sich der Musterbeklagte darauf, dass § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur auf Aufrechnungslagen, sondern auch auf Verrechnungslagen anwendbar sei.

Die Behandlung einer Verrechnungslage als anfechtbar (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) oder eine direkte Anwendung des Insolvenzanfechtungsrechts (§ 130 Abs. 1 Satz 1 InsO) setzen gleichermaßen eine Verselbständigung der Forderungen nach Insolvenzeröffnung voraus (vgl. BGHZ 170, 206 Rn. 18). Daran fehlt es, wenn die Verrechnungslage bereits mit Vertragsschluss und damit regelmäßig vor der Krise begründet wird (vgl. BGHZ 170, 206 Rn. 14).

Vorliegend handelt es sich bei dem von der Schuldnerin zugesagten Neukundenbonus um einen Anspruch des Kunden darauf, dass die Vergütung für die im ersten Jahr gelieferte Energie nicht nach dem grundsätzlich vereinbarten Tarif berechnet wird, sondern nach einem um den Prozentsatz des Bonus herabgesetzten. Damit stellt der Neukundenbonus lediglich einen bereits bei Vertragsschluss festgelegten Faktor der Vergütungsberechnung dar, dem keine davon losgelöste eigenständige Gegenforderung des Kunden zugrunde liegt, die erst in der Krise hätte begründet werden können. Auf eine derartige Einwendung ist die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch nicht entsprechend anwendbar.

C.

Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif. Soweit der Musterbeklagte rügt, dass der Senat nicht in der gebotenen Weise rechtliches Gehör gewähre, insbesondere im Vorfeld der Sitzung seine Rechtsstandpunkte nicht im Einzelnen bekannt gegeben habe, das sei eine eklatante Verletzung des rechtlichen Gehörs, beruht das auf einer Verkennung von § 139 ZPO. Denn § 139 Abs. 1 ZPO begründet richterliche Aufklärungs- und Hinweispflichten ausschließlich mit dem Ziel, die Partei zur vollständigen Erklärung über alle erheblichen Tatsachen, zur Bezeichnung der Beweismittel und zur Stellung sachdienlicher Anträge zu veranlassen. Eine Pflicht des Gerichts, die Parteien auf seine Rechtsansichten hinzuweisen, um sich von ihnen eines Besseren belehren zu lassen, findet im Gesetz keine Grundlage (BGH, Urteil v. 26.10.2011, VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 Rn. 18). Angesichts der vom Senat im Vorfeld der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweise überrascht es nicht, dass der Musterbeklagte nach Erheben seiner Rüge weder nochmals das Wort ergriffen, noch Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist gestellt hat, denn er hat sich erkennbar erschöpfend zu allen erheblichen Tatsachen erklärt, Beweismittel benannt und den aus seiner Sicht sachdienlichen Antrag auf Abweisung der Musterfeststellungsklage gestellt. Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO ist demnach nicht veranlasst.

D.

Zu den Nebenentscheidungen:

Die Entscheidung über die Kosten ergeht gemäß § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 709 ZPO.

Aufgrund der in § 614 BGB angeordneten Grundsatzbedeutung von Musterfeststellungsurteilen ist die Revision zuzulassen.

Die Wertfestsetzung entspricht der Angabe in der Klageschrift. Angesichts des Umstandes, dass es bei der Mehrzahl der im Klageregister angemeldeten Verbraucher um dreistellige Euro-Beträge geht, erscheint eine Bemessung des Streitwerts mit der Obergrenze des Möglichen angemessen (§§ 3, 9 ZPO, § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG).