LG Kempten, Endurteil vom 24.05.2019 - 22 O 1801/18
Fundstelle
openJur 2020, 70281
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 38.400,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 30. Dezember 2014 bis zum 10.12.2018 sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2018 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ Q3 2.0 TDI Quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von 8.753,55 €.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Klageantrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

3. Es wird festgestellt, dass der im Klageantrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

4. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.564,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2018 zu bezahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

8. Der Streitwert wird auf 29.646,45 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Rückgängigmachung eines Kaufvertrags über einen PKW.

Die Klägerin erwarb mit Datum 22.7.2013 beim Autohaus Seitz in Lindau einen PKW Audi Q3 zum Preis von 38.400 €. Das Fahrzeug hatte beim Kauf einen Kilometerstand von 3.000 km. Für die Einzelheiten wird auf Anlage K1 Bezug genommen. Zum Ende der mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 66.600 km.

In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut. Die Motorsteuerung war ursprünglich so programmiert, dass sie erkennt, ob sich der PKW zur Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand befindet. In diesem Fall arbeitet sie im sogenannten Modus 1, während das Fahrzeug im Straßenverkehr im Modus 0 betrieben wird. Im Modus 1 ist die Abgasrückführungsrate höher und deshalb der Ausstoß von Stickoxiden niedriger als im Modus 0.

Die Klägerin hat mittlerweile das sogenannte Software-Update durchführen lassen. Sie macht geltend, dass das Fahrzeug seitdem einen erhöhten Verbrauch aufweist.

Die Klägerin geht davon aus, dass ihr deliktische Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.

Die Klägerin hat ihre ursprüngliche Klage angepasst an den mittlerweile höheren Nutzungsersatz, den sie sich anrechnen lassen möchte, und beantragt zuletzt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 38.400,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 30. Dezember 2014 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ Q3 2.0 TDI Quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von 7.367,50 €

Hilfsweise

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, Die Klägerinin Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ Q3 2.0 TDI Quattro mit der FIN ... mit der manipulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Klageantrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.832,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und sie von weiteren € 602,73 freizustellen.

Im Übrigen (Differenz des Nutzungsersatzes zum Zeitpunkt der Klageeinreichung - 7.367,50 € - und dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) wird die Klage für erledigt erklärt.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung

Für das Vorbringen der Parteien im Übrigen wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Das Gericht hat die Klägerin im Hauptverhandlungstermin am 17.4.2019 angehört. Auf das Hauptverhandlungsprotokoll wird Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I.

Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 23, 71 GVG sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO. Die Feststellungsanträge (Ziffer 2.-4.) erwiesen sich als zulässig. Die Anpassung der Klageanträge war gem. § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.

II.

Die Klage ist in der Sache begründet. Die Klägerin kann gem. § 826 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB von der Beklagten verlangen, so gestellt zu werden, als habe sie keinen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug geschlossen. Nutzungsvorteile der Klägerin waren in höherem Maße anzurechnen als beantragt, sodass sich ein geringfügiges Teilunterliegen ergab.

1. Das Verhalten der Beklagten erfüllt den objektiven Tatbestand der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung im Sinne des § 826 BGB.

Sittenwidrig ist dabei ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (m.w.N. BGH NJW 2014, 383). Im Allgemeinen ist es nicht ausreichend, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Es muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH a.a.O.).

Dies ist hier der Fall. Die streitgegenständliche Abschalteinrichtung betraf alle EA189-Motoren und spiegelte auf dem Rollenprüfstand Abgaswerte vor, die im realen Fahrbetrieb nicht eingehalten wurden. Dieses Vorgehen war systematisch und geplant; es diente dazu, nicht genehmigungsfähige Fahrzeuge abzusetzen, um Gewinn zu generieren. Dieses Vorgehen ist sittenwidrig und ist durch die Beklagtenseite nicht hinreichend entkräftet worden.

Der Klägerin ist hierdurch auch ein Schaden entstanden. Schaden ist jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses oder Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH NJW 04, 2971). Die Klägerin hat hier ein Fahrzeug mit manipulierter Motorsoftware erworben. Das Gericht legt dabei zugrunde, dass dabei die typisierte Vorstellung der Käuferseite ausreichte, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Typengenehmigung und Betriebserlaubnis ohne Manipulationen erwirkt wurden (so auch OLG Köln, v. 3.1.2019, 18 U 70/18). Es liegt insoweit auch ein Mangel des Fahrzeugs vor (vgl. nur OLG München v. 23.3.2017, 3 U 4316/16, in RAW 2017, 134; BGH, Beschluss vom 8.1.2019, VIII ZR 225/17), der einen entsprechenden Vermögensschaden begründet. Das sogenannte Softwareupdate lässt diesen Schaden nicht entfallen (vgl. instruktiv OLG Köln v. 3.1.2019, 18 U 70/18). Die Klägerin bekundete darüber hinaus in der mündlichen Hauptverhandlung glaubhaft, dass seit der Durchführung des Softwareupdates der Verbrauch des Fahrzeugs angestiegen sei; dies lasse sich daran festmachen, dass die Reichweite gesunken sei.

2. Auch der subjektive Tatbestand ist erfüllt.

Schädigungsvorsatz setzt voraus, dass durch die Handlung/Unterlassung einem anderen Schaden zugefügt wird. Ausreichend ist, dass der Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen und die Schädigung jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH NJW 17, 250). Subjektiv ist darüber hinaus eine Kenntnis der Tatumstände erforderlich, die eine Sittenwidrigkeit begründen (BGH NJW 17, 250).

Die Kenntnis der vorstehenden Manipulation (unter 1.) in systematischer Weise begründet die Kenntnis der Sittenwidrigkeit. Es begründet darüber hinaus jedenfalls die sichere Kenntnis der Möglichkeit, dass die Manipulation aufgedeckt und offenbar wird, dass das Fahrzeug nicht die Zulassungskriterien erfüllt. Folgen wie Wertverlust und möglicher Entzug der Zulassung bzw. Probleme im Zusammenhang mit einer unsicheren Rechtslage, die beim Eigentümer/Halter auflaufen, lassen sich von dort aus leicht vorhersehen. Diese Kenntnis musste sich auf Erstkäufer, aber auch zwingend auf solche, die belastete Fahrzeuge gebraucht erwarben, beziehen: die technischen Voraussetzungen sind insoweit die exakt gleichen.

3. Das sittenwidrige, vorsätzliche Handeln war der Beklagten auch zuzurechnen. Ihr ist jedenfalls vorzuwerfen, dass nach Kenntniserlangung durch ein Vorstandsmitglied die Kenntnis von der Manipulationssoftware nicht offenbart wurde. Aus den vorhergehenden Manipulationen resultierte eine entsprechende Aufklärungspflicht (vgl. Heese, NJW 2019, 261). Das Unterlassen der Aufklärung konnte sich somit auch kausal auf den Kaufentschluss des Klägers auswirken und tat dies auch: Die Klägerin bekundete in der mündlichen Hauptverhandlung glaubhaft, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von den Problemen, insbesondere dem höheren Treibstoffverbrauch nach dem Update, gewusst hätte.

Eine Schädigungshandlung, die im Rahmen des § 826 BGB erforderlich ist, muss von einer natürlichen Person vorgenommen werden. Damit eine solche Schädigungshandlung einer juristischen Person wie der Beklagten zugerechnet werden kann, bedarf es hierfür gemäß § 31 BGB der Kenntnis und der bewussten Täuschungshandlung eines ihrer Organe bzw. verfassungsmäßig berufenen Vertreters (siehe zu diesem Begriff BGHZ 49, 19 (21)). Unabhängig davon, welche konkrete Täuschung der Beklagten zu 2) vorgeworfen werden könnte, stellt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.06.2016 (VI ZR 536/15 Tz. 28 m. z. w. N.) fest, dass die Kenntnis anderer Angehöriger der juristischen Person dieser nicht zugerechnet werden kann. Erforderlich ist konkreter Vortrag, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant wann und auf welcher Grundlage was gewusst haben soll (so auch OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, Az. 13 U 566/17).

Diesen Anforderungen genügt klägerische Sachvortrag.

Die Klägerin schildert in der Klageschrift unter Bezugnahme auf die Ankageschrift vor dem Bundesbezirksgericht im östlichen Gerichtsbezirk von Michigan/USA (Bl. 12 d.A.), dass VW-Mitarbeiter, die auf Anweisung von Dorenkamp, Hadler (...) handelten, eine Abschalteinrichtung konstruierten, zur Erkennung, ob ein (amerikanischer) Standard-Abgastest an dem Fahrzeug auf einem Rollenprüfstand durchgeführt oder ob das Fahrzeug unter normalen Fahrbedingungen auf der Straße gefahren würde. Trotz Bedenken bestimmter Mitarbeiter der VW AG ermächtigte Richard Dorenkamp VW-Ingenieure, die Abschalteinrichtung zu nutzen. Bernd Gottweis und Heinz-Jakob Neußer ermutigten die VW-Ingenieure dabei, die Software zu verheimlichen und das zur Veranschaulichung des Betriebs der Betrugssoftware vorgelegte Dokument zu vernichten (Bl. 13 d.A.) VW-Mitarbeiter hätten Bedenken bzgl. der (mittlerweile um die Lenkraderkennung erweiterten) Abschalteinrichtung und baten um Genehmigung dieser Funktion. Im April 2013 wurde dies von Neußer bewilligt. Die Klägerin führt aus (Bl. 11 d.A.), dass Heinz-Jakob Neußer ab Juli 2013 Entwicklungsleiter und Leiter der Motorenentwicklung der VW Brand gewesen ist. Die Klägerin bringt diesen Vortrag im Zusammenhang mit der bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Motorsteuerungssoftware bei dem EA189-Aggregat und behauptet, der Wechsel zwischen "Modus 0" und "Modus 1" sei in manipulativer Absicht programmiert worden.

Die Beklagte ist auch nach richterlichem Hinweis auf diesen konkreten Vortrag nicht näher eingegangen, obwohl ihr eine Darstellung der innerbetrieblichen Abläufe möglich wäre. Der pauschale Verweis auf die laufenden Ermittlungen genügt nunmehr, mehrere Jahre nach Beginn der Ereignisse, nicht mehr. Zwar ist zutreffend, dass die Klägerin sich grundsätzlich nicht auf Beweiserleichterungen irn Sinne einer sekundären Darlegungslast durch die Beklagte in der Weise stützen kann, dass es ausreichte, pauschale Angaben zu Betrugsvorwürfen zu machen und die Beklagte hierauf verpflichtet sei, umfassend zu erwidern. Dies stellte letztendlich eine Art ausforschenden Vortrag dar, den die Prozessordnung nicht vorsieht. Vielmehr hängt das Ausmaß der sekundären Darlegungslast vom gegnerischen Vortrag ab (BGH NJW-RR 1998, 712). Wenn sich dieser als hinreichend konkret erweist, muss die Beklagte substantiiert erwidern. Dies ist hier der Fall.

4. Als Rechtsfolge ist die Klägerin so zu stellen, als hätte sie das sie benachteiligende Geschäft nicht getätigt. Die Beklagte hat ihr daher den gezahlten Kaufpreis Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erstatten (vgl. OLG Köln, a.a.O.). Die während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen sind zu erstatten (BGH NJW 06, 1582; Grüneberg, in: Palandt-BGB, 78. A. 2018, v. § 249 Rn 94 m.w.N.).

Die Nutzungsentschädigung berechnet sich ausgehend von einer vom Gericht gem. § 287 ZPO geschätzten Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 300.000 Kilometern wie folgt:

"Bruttokaufpreis × zurückgelegte Fahrstrecke / voraussichtliche Restlaufleistung bei Kauf

38.400,00 € × (63.600 : 297.000) = 8.753,55 €

(Die zurückgelegte Fahrtstrecke errechnet sich anhand der Angaben in der Anlage K1, sowie den unstreitigen Angaben der Klägerin in der Hauptverhandlung: 66.600 - 3.000)

5."

Der Ausspruch zu den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren beruht auf §§ 826, 249 Abs. 1 BGB. Als angemessen der die Klägerseite gerichtsbekannt in einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren vertretenden Kanzlei erwies sich eine 1,5-Gebühr, diese bezogen auf den Kaufpreis des Fahrzeugs abzüglich der anzurechnenden Nutzungen. Es findet eine automatische Anrechnung statt (BGH NJW 06, 1582; Grüneberg, in: Palandt-BGB, 78. A. 2019, vor § 249 Rn 94). Der Zinsausspruch beruht auf §§ 280, 291, 849 BGB (siehe hierzu BGH NJW 2018, 2479).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin erwies sich als untergeordnet. Die Erledigungserklärung entfaltete aufgrund der wohl irrtümlich unveränderten Anträge im Ergebnis keine Wirkung. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.

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