SG Landshut, Endurteil vom 25.07.2017 - S 13 AL 172/16
Fundstelle
openJur 2020, 69724
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin zu gewährenden Arbeitslosengeld I (Alg I).

Die im Jahr 1954 geborene Klägerin meldete sich am 13. April 2016 mit Wirkung ab dem 01. Juni 2016 bei der Beklagten arbeitslos und zugleich arbeitsuchend.

Im Zeitraum vom 25. August 2014 bis zum 29. Oktober 2015 bezog die Klägerin Krankengeld.

Zuvor hatte die Klägerin bei der Fa. M. als Montiererin gearbeitet. Am 30. Oktober 2015 schloss die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist mit Wirkung zum 31. Mai 2016 ab. Die Klägerin wurde mit Wirkung ab dem 01. November 2015 von der Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge freigestellt.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2016 stellte die Beklagte fest, dass im Zeitraum vom 01. Juni 2016 bis zum 07. Juni 2016 eine Sperrzeit von einer Woche wegen einer verspäteten Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist.

Mit Bewilligungsbescheid vom gleichen Tag bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg I ab dem 08. Juni 2016 bis zum 30. Mai 2018 in Höhe von 24,55 Euro kalendertäglich.

Mit Schreiben vom gleichen Tag führte die Beklagte aus, dass bei der Bemessung der Höhe des Alg I von einem fiktiven Arbeitsentgelt ausgegangen worden sei, weil die Klägerin in den letzten 2 Jahren vor der Arbeitslosmeldung weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt hatte. Das Arbeitsentgelt, das während der unwiderruflichen Freistellung ab 30. Oktober 2015 erzielt worden sei, müsse bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes außer Betracht bleiben. Das fiktive Arbeitsentgelt richte sich nach der Beschäftigung auf die sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten erstrecken. Da die Klägerin für eine Tätigkeit als Pförtnerin geeignet sei, sei sie der Qualifikationsstufe 4 zuzuordnen.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2016 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid ein. Zur Begründung führte die Klägerin aus, sie habe auch während der Freistellung Arbeitsentgelt bezogen. Dies müsse bei der Berechnung des Alg I berücksichtigt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Bemessungsrahmen umfasse im Fall der Klägerin den 01. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2016. Innerhalb dieses Bemessungsrahmens habe die Klägerin nicht an 150 Tagen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Das Entgelt, das die Klägerin während der Freistellung bezogen habe, sei hier nicht zu berücksichtigen. Denn der für die Leistungsabrechnung maßgebliche Bemessungszeitraum sei gemäß § 150 SGB III auf die beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume beschränkt. Das Beschäftigungsverhältnis habe jedoch bereits mit der Freistellung geendet.

Mit ihrer am 05. September 2016 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie aus, es liege eine "Konvergenzstörung" vor, wenn das Arbeitsentgelt während der Freistellung zwar sozialversicherungspflichtig sei, bei der Berechnung der Höhe des Alg I jedoch nicht berücksichtigt werde.

Die Klägerin beantragt,

den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 21. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2016 abzuändern.

Die Beklagte zu verpflichten, ihr ab dem 08. Juni 2016 ein höheres Alg I unter Berücksichtigung ihres ab dem 01. November 2015 bezogenen Arbeitsentgelts zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen und sind Gegenstand der Erörterung geworden. Wegen der Einzelheiten wird auf sie ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht ab dem 08. Juni 2016 kein höheres Alg I unter Berücksichtigung ihres ab dem 01. November 2015 bezogenen Arbeitsentgelts zu. Die fiktive Berechnung des Alg I ist nicht zu beanstanden.

Die Höhe des der Klägerin zustehenden Alg I errechnet sich gemäß § 149 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) aus dem sog. Bemessungsentgelt. Das Bemessungsentgelt ist das pauschalierte Nettoentgelt, das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, dass die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat.

Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 150 Abs. 1 SGB III die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr. Er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs auf Alg I.

Nach § 150 Abs. 3 SGB III wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält.

Ist auch im erweiterten Bemessungsrahmen ein Bemessungszeitraum mit mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht feststellbar, so hat gemäß § 152 SGB III eine fiktive Berechnung des Alg I zu erfolgen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfüllt ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis, bei dem der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Bezüge unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt ist, die Voraussetzungen für ein Versicherungspflichtverhältnis im Sinne des § 25 Abs. 1 SGB III (vgl. BSG, Urt. v. 24.08.2008 - B 12 KR 22/07 R; BSG, Urt. v. 11.12.2014 - B 11 AL 2/14 R).

Das Ende des Bemessungsrahmens fällt dementsprechend auf den 31. Mai 2016.

In Bezug auf den Bemessungszeitraum kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BSG demgegenüber auf das sog. leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis an, das die tatsächliche Erbringung von Arbeit voraussetzt (vgl. nur BSG, Urt. v. 08.07.2009 - B 11 AL 14/08 R; BSG, Beschluss vom 30.04.2010 - B 11 AL 160/09 B; so auch Bay LSG, Beschluss vom 18.07.2016 - L 10 AL 133/16 NZB; LSG Hamburg, Urt. v. 05.04.2017 - L 2 AL 84/16). Bei unwiderruflicher Freistellung eines Arbeitnehmers von der Erbringung der Arbeitsleistung liegt trotz Zahlung von Arbeitsentgelt somit zwar ein Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinne, jedoch kein Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne vor.

Im Zeitraum vom 01. Juni 2015 bis zum 31. Mai 2016 hat die Klägerin somit gar kein Entgelt aus einem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis bezogen und in dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen lediglich im Zeitraum vom 01. Juni 2014 bis zum 24. August 2014.

Innerhalb des Bemessungsrahmens liegen damit keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis, so dass die Beklagte zu Recht eine fiktive Berechnung des Alg I vorgenommen hat.

Die Kammer kann in der Rechtsprechung des BSG zu der Unterscheidung zwischen einem Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinne im Gegensatz zu demjenigen im leistungsrechtlichen Sinne auch keinen Wertungswiderspruch erkennen.

Die Anerkennung eines formal fortbestehenden Arbeitsverhältnisses, bei dem der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Bezüge unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt ist, als Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinne dient dem Schutz der Arbeitnehmer, die hierdurch auch bei Freistellung einen Anspruch auf Alg I dem Grunde nach erwerben können.

Den Regelungen der §§ 150 ff. SGB III, nach denen Alg I nur dann konkret nach dem bisher erworbenen Arbeitsentgelt berechnet werden soll, wenn der Bemessungsrahmen mindestens mit 150 Tagen Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen Arbeitsleistung belegt ist, liegt demgegenüber die Annahme zugrunde, dass Alg I eine Lohnersatzfunktion in Bezug auf denjenigen Lohnanspruch zukommt, den der Arbeitnehmer gegenwärtig am Arbeitsmarkt erzielen kann.

Der Gesetzgeber geht insofern davon aus, dass ein Arbeitsloser, der in den letzten zwei Jahren vor Bezug von Alg I nicht mindestens 150 Tage in einem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis stand, nicht mehr zwingend an sein altes Lohnniveau anknüpfen kann (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.03.2010, 1 BvL 11/07). Die Berechnung hat in diesen Fällen fiktiv nach Maßgabe derjenigen Tätigkeit zu erfolgen, in die der oder die Arbeitslose - ausgehend in erster Linie von der absolvierten Ausbildung - vermittelt werden soll.

Die Klägerin hat sich den Vermittlungsbemühungen der Beklagten als Pförtnerin zur Verfügung gestellt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Zuordnung zur Qualifikationsstufe 4 nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte