AG Augsburg, Endurteil vom 07.07.2016 - 15 C 89/16
Fundstelle
openJur 2020, 69470
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 728,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.02.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1.) Unstreitiges:

Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und zwei weitere Personen eine Pauschalflugreise in die Türkei, Hinflug am 03.04.2016 nach Istanbul, Rückflug am 17.04.2016 von Antalya nach Münster. Die gebuchte Reise gliederte sich in einen Aufenthalt in Istanbul, eine Busreise und einen Badeurlaub an der türkischen Riviera. Die Buchungsbestätigung trägt das Datum 26.06.2015. Der Kläger leistete bei Buchung der Reise eine Anzahlung von Euro 728,00.

Am 20.07.2015 ereignete sich in der Türkei ein Selbstmordattentat in Suruc (Südostanatolien) mit 33 Toten. Am 10.08.2015 verübte ein Selbstmordattentäter einen Autobombenanschlag auf eine Polizeiwache in Istanbul. In der gleichen Nacht griffen Bewaffnete vor dem US-Konsulat in Istanbul Polizisten an. Zur gleichen Zeit wurden im Südosten der Türkei bei einem Bombenanschlag 5 Sicherheitskräfte getötet. Am 10.10.2015 erfolgte ein Doppelanschlag in Ankara mit mehr als 100 Todesopfern. Am 15.01.2015 berichtete die Deutsche Welle, dass 5 Dschihadisten bei einer Razzia in Istanbul aufgegriffen worden seien, weil sie Anschläge geplant hätten. Am 01.12.2015 explodierte eine Rohrbombe in Istanbul nahe einer Metro-Station. Am 23.12.2015 erfolgte ein Angriff mit Mörsergranaten auf den Flughafen Istanbul, eine Flughafenmitarbeiterin wurde getötet. Am 12.01.2016 ereignete sich ein Selbstmordattentat in der historischen Altstadt von Istanbul mit 10 Toten, darunter 8 deutsche Touristen.

Seitens des Auswärtigen Amtes gab es Sicherheitshinweise aber unstreitig keine Sicherheitswarnungen betreffend der Region der klägerseits gebuchten Reise.

Mit Email vom 13.01.2016 wies der Kläger darauf hin, dass wegen der Terrorgefahr von der gebuchten Reise voraussichtlich zurückgetreten wird, zugleich erkundigte er sich um eine Umbuchungsmöglichkeit. Die Beklagte bot eine kostenfreie Umbuchung für eine 7-tägige Busreise durch Marokko mit 1 Woche Erholungsurlaub oder einer 8-tägigen Rundreise durch Spanien von Malaga aus an. Dies lehnten der Kläger und seine Mitreisenden ab.

Mit Schreiben vom 28.01.2016 kündigte der Kläger die gebuchte Pauschalreise gemäß § 651 j BGB wegen höherer Gewalt. Dies unter Hinweis auf die Sicherheitslage in der Türkei. Im Kündigungsschreiben vom 28.01.2016 forderte der Kläger die Beklagte auf, die geleistete Anzahlung von Euro 728,00 bis zum 28.02.2016 zurück zu überweisen. Mit Schreiben der Beklagten vom 03.02.2016 teilte diese mit, dass Stornokosten von derzeit 30% des Reisepreises, also Euro 873,60, angefallen seien. Unbestritten erbrachte die Beklagte keine Reiseleistungen angesichts einer Kündigung 64 Tage vor Reiseantritt.

2.) Streitiges Klägervorbringen:

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 651 j BGB erfüllt gewesen seien. Zudem sei die Stornoklausel m den AGB der Beklagten Ziffer 5.3 a gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

3.) Anträge:

Der Kläger beantragt die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Euro 728,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 28.02.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

4.) Streitiges Beklagtenvorbringen:

Die Beklagte lehnt eine kostenlose Stornierung ab, da die Voraussetzungen nach § 651 j BGB nicht gegeben seien. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Reisevertrages im Juni 2015 sei dem Kläger die allgemeine weltpolitische Lage und insbesondere auch die politische Lage in der Türkei bekannt gewesen. Das Auswärtige Amt habe seit Januar 2015 vor Anschlägen und Selbstmordanschlägen durch terroristischen Gruppen mit mehreren Todesopfern gewarnt. Zu beachten sei unter anderem, dass zum Zeitpunkt der Kündigung keine Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorgelegen haben. Der Reiseverlauf habe nur 1 Tag Aufenthalt in Istanbul im Programm umfasst.

5.) Bezugnahmen:

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Tatbestands wird Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen. Hinsichtlich ergänzender Erklärungen des Klägers und der Beklagtenvertreterin wird Bezug genommen auf das Protokoll des Verhandlungstermins vom 16.06.2016.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Beklagte schuldet die Rückzahlung der für die streitgegenständliche Pauschalreise (Rechnung und Bestätigung vom 26.06.2015) geleisteten Anzahlung von Euro 728,00, da der Kläger rechtswirksam das Vertragsverhältnis am 28.01.2016 gemäß § 651 j BGB gekündigt hat (§ 651 e Abs. 3 BGB).

Es lag eine bei Vertragsschluss noch nicht vorhersehbare höhere Gewalt im Sinne des § 651 j Absatz 1 BGB vor, welche die gebuchte Reise erhebliche gefährdete.

Bei höherer Gewalt i. S. d. § 651 j BGB handelt es sich um ein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, auf das die Vertragsparteien keinen Einfluss haben und dessen Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. In der Rechtssprechung anerkannte Ereignis sind hier z. B. Krieg oder Kriegsgefahr, Naturkatastrophen, Reaktorunfälle. Auch Terrorakte können ein solches Ereignis sein, wobei die Rechtssprechung zurückhalten ist, soweit es sich um Einzelakte handelt und nicht von flächendeckenden, bürgerkriegsähnlichen Unruhen auszugehen ist (vgl. Beckscher Online-Kommentar BGB, 39. Edition, § 651 j BGB Rn. 5; Amtsgericht Bad Homburg, Urteil vom 27.01.1994, NJW-RR 1994, 635; Amtsgericht Charlottenburg, Urteil vom 11.10.1993, NJW-RR 1994, 312). Nach Auffassung des Amtsgerichts Homburg fallen einzelne Terroranschläge in das von jedem Einzelnen zu tragende allgemeine Lebensrisiko. Der streitgegenständliche Fall unterscheidet sich jedoch von den Fällen, welche jener Rechtssprechung zugrunde liegen.

Es ist gerichtskundig, dass angesichts der Kurdenproblematik in der Türkei seit Jahren eine unzureichende Sicherheitslage im Ost/Südostteil des Landes besteht, dies auch mit Terroranschlägen. Ausgehend von den Ausführungen der Parteien geht das Gericht davon aus, dass bis zum Zeitpunkt der Buchung der streitgegenständlichen Pauschalreise im Juni 2015 keine Anschläge in jenen Regionen vorkamen, in welche die gebuchte Reise führte. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung ausführt, dass seit Januar 2015 immer wieder Anschläge durch terroristische Gruppen mit mehreren Todesopfern vorgekommen seien, so beruft sich die Beklagte auf einen Sicherheitshinweis des Auswärtigen Amtes vom 10.04.2016. Dieser Hinweis belegt keine Terroranschläge in den Regionen, in welchen die gebuchte Reise führte. Daher sind entgegen der Meinung des Klägers bei der Beurteilung, ob höhere Gewalt vorliegt, die von ihm vorgetragenen Selbstmordanschläge in Suruc, Südostanatollen, wie auch Anschläge in Istanbul auf Polizeiwachen und Polizisten nicht relevant.

Relevant für die Beurteilung der Sicherheitslage ist der Doppelanschlag in Ankara mit 100 Toten vom 10.10.2015, der Rohrbombenanschlag in Istanbul nahe einer Metrostation mit verletzten Personen vom 01.12.2015, der Angriff mit Mörsergranaten auf den Flughafen Istanbul mit einer Toten am 23.12.2015 und insbesondere der Selbstmordanschlag in der historischen Altstadt Istanbuls am 12.01.2016 mit 10 Toten, darunter 8 getöteten deutschen Touristen. Hier handelt es sich nicht mehr nur um Einzelakte i. S. d. oben dargestellten Rechtssprechung. Das Amtsgericht Augsburg geht davon aus, dass es sich hier trotz nicht existierenden Warnhinweisen des Auswärtigen Amtes (sondern nur Sicherheitshinweisen) um höhere Gewalt i. S. d. § 651 j BGB handelt, welche den Kläger zur Kündigung berechtigte.

Diese Verschärfung der Sicherheitslage war für den Kläger bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar. Abzustellen ist bei dieser Beurteilung auf den Kenntnishorizont des Kündigenden, ein etwaiger Informationsvorsprung des Reiseveranstalters wäre irrelevant (vgl. Beckscher Online-Kommentar BGB, 39. Edition, § 651 j BGB Rn. 3). Wie oben dargestellt bestand eine Vorhersehbarkeit bezüglich einer verschärften Sicherheitslage im Osten/Südosten der Türkei, das heißt im Kurdengebiet, nicht aber hinsichtlich der Reiseregion.

Soweit die Beklagte vorträgt, dass nur ein Tag Istanbul in der Reise enthalten sei und im Übrigen die Reise in Gebieten statt fände, in denen keine Sicherheitsgefahr bestünde, so steht für das Gericht ausweislich der Reisebeschreibung Anlage K2 fest, dass ein Istanbul-Aufenthalt vom 03.04.2016 (Tag der Anreise) bis zum 05.04.2016 (Tag der Abreise) bestand. Im Übrigen war die Reise als Pauschalreise gebucht und ist insoweit als einheitliche Reise zu betrachten. Die Pauschalreise konnte vom Kläger nur komplett gekündigt werden. Deshalb war der Kläger berechtigt, die gesamte Pauschalreise zu kündigen.

Der Zinsanspruch erfolgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB als Verzugschaden, da der Kläger der Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 28.02.2016 zur Rückzahlung der Anzahlung gesetzt hat und die Beklagte die Anzahlung nicht zurückgezahlt hat.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem

Landgericht Augsburg

Am Alten Einlaß 1

86150 Augsburg

einzulegen.

Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.

Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde.

Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.