LG Bayreuth, Endurteil vom 21.09.2016 - 13 S 39/16
Fundstelle
openJur 2020, 69347
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Amtsgerichts Kulmbach vom 07.04.2016 (Aktenzeichen 70 C 63/16) aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt aus einem im Übrigen vollständig regulierten Verkehrsunfall vom 31.03.2015, für den die alleinige Haftung der Beklagten unstreitig ist, weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Außergerichtlich wurden durch die Beklagte unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes in Höhe von 9.327,44 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 745,40 € bezahlt. Mit der Klage begehrt die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten aus einem Gesamtbetrag von 25.407,44 €, der sich aus dem Wiederbeschaffungswert in Höhe von 23.697,48 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 1.148,32 €, An- und Abmeldekosten von 60,00 €, einer Kostenpauschale von 30,00 € und Standgebühren/Kostenvorbereitung für Gutachten 471,64 € zusammensetzt. Die Klägerin berechnet hieraus eine 1,3 Gebühr nach Nummer 2300 VVRVG in Höhe von 1.121,90 € zuzüglich Auslagen in Höhe von 20,00 €, das heißt 1.141,90 €. Abzüglich der geleisteten 745,40 € verbleibt eine klägerische Forderung in Höhe von 396,50 €.

Das Amtsgericht Kulmbach hat in der angefochtenen Entscheidung der Klage stattgegeben und war der Auffassung, dass als Gegenstandswert der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs ohne Abzug des verbleibenden Restwertes zugrunde zu legen sei. Für die Berechnung spiele keine Rolle, dass die Beklagte für nur einen geringeren Betrag als den reinen Wiederbeschaffungswert hafte. Es sei regelmäßig zu prüfen, ob die 130-Prozent-Regel eine Rolle spiele und ob die Höhe des angesetzten Restwertes realistisch sei. Aufgrund des Schadensereignisses sei eine umfangreiche Prüfung veranlasst, die sich nicht allein im Wiederbeschaffungsaufwand wiederspiegele; nur dies sei bei der Betrachtung der Vermögenslage des Klägers vor und nach dem Unfall maßgeblich. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung führt die Beklagte Berufung, begehrt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Klageabweisung. Die Berufung stützt sich darauf, dass im Verhältnis zum Schädiger der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit so zu bemessen sei, wie er der Ersatzpflicht des Schädigers, das heißt der berechtigten Schadensersatzforderung der Klägerin, entspreche. Der Restwert sei in Abzug zu bringen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt im Übrigen die Zulassung der Revision. Aus diesen Gründen wurde die zunächst auf den Einzelrichter übertragene Sache mit Beschluss vom 09.09.2016 gemäß § 526 Abs. 2 ZPO zurück auf die Kammer übertragen.

Gründe

Die zulässige Berufung erweist sich als begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf weitere Schadensersatzansprüche wegen der streitigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG in Verbindung mit § 1 PflVG und § 249 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte nicht zu.

Die Höhe des begründeten Anspruchs ist auf Grundlage von § 249 Abs. 1 BGB zu ermitteln und bemisst sich nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB danach, welcher Geldbetrag erforderlich ist, um den Zustand wieder herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Dabei sind alle schädlichen Vermögensfolgen auszugleichen, soweit sie kausal auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sind (Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Auflage, 2016, Vor§ 249 Rdn. 24). Der Geschädigte ist daher so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte, wobei auch die Kosten erstattungsfähig sind, die durch die Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursacht werden, insbesondere Rechtsanwaltskosten (Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 249 Rn 56; Himmelreich/Halm/Staab-Engelbrecht, Handbuch der Kfz-Schadensregulierung, 3. Auflage 2015, Kap. 14 Rdn. 6). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist hierbei zwischen dem Innenverhältnis zwischen dem Geschädigten und seinem Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis zum Schädiger zu differenzieren. Die klägerischen Argumente, die teilweise auch vom Amtsgericht Kulmbach übernommen wurden und sich darauf stützen, dass der Rechtsanwalt im Innenverhältnis eine Prüfung des Gesamtschadens und der Höhe des Restwertes vorzunehmen habe und sich eventuell regresspflichtig gegenüber seinem Mandanten mache, können daher nicht zugrunde gelegt werden. Es kommt allein darauf an, inwieweit die Forderungen des Geschädigten gegenüber dem Schädiger objektiv berechtigt sind (BGH VI ZR 73/04, Juris Rn 8; OLG Saarbrücken 3 U 552/03 juris Rn 20). Im Verhältnis zum Schädiger, das heißt zwischen der Klägerin und der Beklagten, ist somit grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH III ZR 75/69 juris Rn 38-40; BGH VIII ZR 341/06, Juris Rn 13, Himmelreich/Halm/Staab-Engelbrecht a.a.O. Rdn. 70). Dabei hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 18.01.2005 (VI ZR 73/04 juris Rn 8,9,11) klargestellt, dass dies nicht nur in Verzugsfällen, sondern auch in Schadensfällen als allgemeiner Grundsatz gilt. Der Erstattungsanspruch des Geschädigten umfasst indes nur Aufwendungen, die dem Schädiger auch zuzurechnen sind. Kosten, die dadurch entstehen, daß der Geschädigte einen Anwalt zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, können dem Schädiger nicht mehr als Folgen seines Handelns zugerechnet werden (BGH VI ZR 73/04 Rdn. 8). Der Restwert ist daher bei der Bemessung des Gegenstandswerts abzuziehen (so auch OLG Düsseldorf 1 U 168/14). Dies wird auch in der Literatur teilweise so vertreten. Dort wird als maßgeblich angesehen, dass sich die Anwaltskosten stets auf einen vom Schädiger zu ersetzenden Schaden beziehen müssen (Mardner NJW 2016, 1546; Göttlich/Mümmler-Feller, RVG, 4. Auflage 2012, S. 988; MünchKomm-Oetker, BGB, 7. Auflage, 2016, § 249 Rn 1; im Ergebnis auch Staudinger-Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 251 Rn 116: denn Rechtsverfolgungskosten werden nur insoweit als ersatzfähig angesehen, als eine einsichtige, die Umstände des Streitfalls abwägende Partei sie geltend gemacht hätte). Soweit die Berufung Besprechungen von Entscheidungen von Instanzgerichten in der Literatur zitiert (z. B. Möckel in NJW-Spezial 2016, Seite 393; Dötsch in ZfS 2013, Seite 490 f.; Schneider NJW-Spezial 2016, 413), so ist zu berücksichtigen, dass es sich hier um auf dem Bereich des Verkehrsrechts tätige Rechtsanwälte handelt, die nachvollziehbar ein eigenes Interesse an höheren Gegenstandswerten haben. Wie bereits ausgeführt, bezieht sich ein erheblicher Teil deren Argumentation auf das Innenverhältnis zum Mandanten, welches aber für die Schadensbemessung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zugrunde zu legen ist.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass eine Schadensersatzpflicht des Schädigers nur insoweit besteht, als dem Geschädigten tatsächlich ein Schaden entstanden ist. In Höhe des verbleibenden Restwerts des Fahrzeugs, das sich ja noch im Besitz des Geschädigten befindet, hat sich im vorliegenden Fall überhaupt kein Schaden realisiert, da die Klägerin selbst ihrer Klage den Wiederbeschaffungswert abzüglich des vorhandenen Restwerts zugrunde legt. Objektiv bestand daher – zumindest im vorliegenden Fall – von Anfang an kein Schaden der Klägerin in Höhe von 16.080,00 € (Restwert), denn bei einem Vergleich der Vermögenslage der Geschädigten vor und nach dem Verkehrsunfall bleibt dieser Vermögensbestandteil der Klägerin bestehen. Vorliegend war es daher nicht so, dass sich der Restwert lediglich als hypothetischer Rechnungsposten darstellt, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlägt (BGH VI ZR 393/02; VI ZR 120/06). Der Restwert darf im Rahmen der Schadensabwicklung im Ergebnis nicht beim Geschädigten verbleiben, da dieser über den Ausgleich der eingetretenen Schäden hinaus aus dem Schadensereignis einen Vorteil erzielen würde (OLG Köln 19 U 8/09).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war zuzulassen. Die Frage, ob bei der Bemessung des Anspruchs auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten im Totalschadensfall der Restwert vom Wiederbeschaffungswert abzuziehen ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert (vgl. auch Ehrmann-Ebert, BGB, 14. Auflage, 2014, § 249 Rn 97, MünchKomm, a. a. O., Staudinger, a. a. O.) und es liegen inzwischen sich widersprechende amtsgerichtliche und landgerichtliche Entscheidungen vor. So hat die Berufungskammer des LG Koblenz in der Entscheidung vom 13.04.1982 (6 S 415/81) die konkrete Frage anders beurteilt, weshalb ein Fall der Innendivergenz gegeben ist (MünchKomm-Krüger, ZPO, 5. Auflage 2016, § 543 Rn.13). Auch wenn bisher keine entgegenstehenden obergerichtlichen Entscheidungen existieren, so ist nach Ansicht der Kammer aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein Massenphänomen handelt, eine grundsätzliche Bedeutung der Sache gegeben (MünchKomm-Krüger, ZPO, 5. Auflage 2016, § 543 Rn. 8).

Die Revision war daher gemäß § 543 Abs. 1 Ziffer 1, Abs. 2 Ziffer 1 ZPO zuzulassen.