LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 05.08.2020 - L 9 KR 234/19
Fundstelle
openJur 2020, 69025
  • Rkr:

1. Krankenkassen müssen ihre Versicherten über die Schließung von Geschäftsstellen unterrichten.

2. Wenn Geschäftsstellen auch Post von Versicherten übermitteln, eröffnen Krankenkassen damit Empfangsstellen für den Briefverkehr für Versicherte. 3. Nutzen Versicherte die Postadressen geschlossener Geschäftsstellen mangels Kenntnis von der Schließung weiter und erhalten deshalb kommentarlos Leistungen, kann das schutzwürdiges Vertrauen in den Übermittlungsweg begründen.

4. Geht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen des Endes eines für eine geschlossene Geschäftsstelle bestehenden Nachsendeauftrags nicht innerhalb der Wochenfrist nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit zu, kann ein Ausnahmefall vorliegen, in dem das Krankengeld nicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V zum Ruhen kommt.

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2019 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. November 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 79,64 Euro zu zahlen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Auszahlung von Krankengeld für die Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 von kalendertäglich (brutto) 79,64 Euro.

Die Klägerin ist 1954 geboren und ist bei der Beklagten pflichtversichert, im Jahr 2017 als Beschäftigte in den Kindergärten N, seit dem 30. November 2019 in der Krankenversicherung der Rentner. Die Klägerin bezog ab dem 20. November 2015 bis zum 22. April 2016 Krankengeld von der Beklagten. Der Krankengeldbewilligung vom 30. November 2015 war ein voradressierter Auszahlschein für das Krankengeld beigefügt. Der Auszahlschein und ein Fragebogen trugen jeweils die Adresse "BARMER GEK 42267 Wuppertal". Bezugnehmend auf eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 9. Juni 2016 erbat die Beklagte von der Klägerin mit Schreiben vom 16. Juni 2016 Auskunft, worauf die Erkrankung zurückzuführen sei und übersandte dazu einen Fragebogen mit der Bitte um Rücksendung oder Einreichung auf der Geschäftsstelle. Die Klägerin versandte ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch für den Zeitraum ab November 2015 regelmäßig an die Geschäftsstelle "Bitterfelder Straße 13, 12681 Berlin". Diese Geschäftsstelle der Beklagten war seit Juni 2015 geschlossen. Die Beklagte hatte für zwei Jahre einen Nachsendeauftrag für diese Geschäftsstelle eingerichtet.

Die Klägerin erkrankte am 6. September 2017 arbeitsunfähig (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. September 2017). Sie bezog bis zum 17. Oktober 2017 Entgeltfortzahlung.

Mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5. Oktober 2017 stellte der behandelnde Arzt M Arbeitsunfähigkeit für die Klägerin für die Zeit bis zum 20. Oktober 2017 fest. Seine folgende Bescheinigungen vom 19. Oktober 2017 und vom 6. November 2017 attestierten der Klägerin weiter arbeitsunfähig bis zum 13. bzw. 17. November 2017 zu sein. Die Klägerin übersandte auch diese Bescheinigungen an die Adresse der Geschäftsstelle "Bitterfelder Straße 13, 12681 Berlin".

Die Klägerin teilte der Beklagten am 6. November 2017 telefonisch mit, dass sie ab dem 6. September 2017 arbeitsunfähig sei und fragte nach der Krankengeldzahlung. Sie habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils an die Filiale der Beklagten in der Bitterfelder Straße 13 in Berlin per Post geschickt. Auf den Hinweis der Beklagten, dass sie keine Bescheinigungen erhalten habe, reichte die Klägerin Doppel der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 19. Oktober 2017 bis zum 13. November 2017 am 13. November 2013 bei der Beklagten ein.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. November 2017 mit, der Krankengeldanspruch ruhe vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017, dem Tag vor der telefonischen Bekanntgabe der Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin erhalte Krankengeld nur für die Tage der Arbeitsunfähigkeit, für welche die Klägerin diese der Beklagten rechtzeitig und lückenlos nachweise. Rechtzeitig bedeute, dass die Klägerin der Beklagten die Arbeitsunfähigkeit innerhalb einer Woche nach deren Beginn melde. Die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sei erst am 13. November 2017 bei der Beklagten eingegangen und damit nicht innerhalb der Wochenfrist.

Die Klägerin erhob am 27. November 2017 Widerspruch. Sie habe die streitigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen per Post an die ihr bekannte Adresse der Filiale der Beklagten in der Bitterfelder Straße 13, 12681 Berlin geschickt. Das versichere sie an Eides statt. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass diese Filiale nicht mehr existiere. Eine Mitteilung darüber habe sie nie erhalten. Sie habe nun im Zuge eines Nachforschungsantrags bei der Deutschen Post die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zurückerhalten. Außerdem habe ihr Arbeitgeber die Bestätigung über das bereits begonnene Hamburger Modell ebenfalls an die Beklagte senden wollen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2018 zurück. Im Nachgang zu diesem übersandte die Klägerin an die Beklagte u.a. Briefumschläge mit dem aufgedruckten Rücksendevermerk der Deutschen Post (vom 25. Oktober 2017), wonach der Empfänger/Firma unter der angegebenen Adresse in der Bitterfelder Straße 13, Berlin, nicht zu ermitteln gewesen sei.

Die Klägerin hat am 23. März 2018 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass die Geschäftsstelle der Beklagten in der Bitterfelder Straße geschlossen sei. Sie sei von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden. Die Mitgliederzeitschrift der Beklagten habe sie zu jener Zeit bereits seit längerem nicht mehr erhalten. Vor der Erkrankung habe sie ihre Post in Gestalt von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils an diese Geschäftsstelle gesandt und keine Mitteilung darüber erhalten, dass ihre Schriftstücke die Beklagte nicht erreicht hätten. Soweit das auf einen Nachsendeauftrag zurückzuführen sei, hätte die Beklagte sie darüber informieren müssen.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2019 nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse falle in den Verantwortungsbereich der Versicherten. Krankengeld sei auch dann ausgeschlossen, wenn die übrigen Voraussetzungen vorlägen und die Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung hätten (Hinweis auf BSG, B 1 KR 37/14 R). Die Ausschlusswirkung entfalle nur dann, wenn Umstände die Meldung der Arbeitsunfähigkeit unmöglich gemacht hätten, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen seien. Das sei dann der Fall, wenn der verspätete Zugang der Meldung auf von der Krankenkasse zu vertretenden Organisationsmängeln beruhe, von denen Versicherte keine Kenntnis hätten oder haben müssen. Die Verzögerung habe im Fall der Klägerin aber nicht im Verantwortungsbereich der beklagten Krankenkasse gelegen. Es sei grundsätzlich Aufgabe von Versicherten, sich von der Richtigkeit der von ihnen verwendeten Postanschriften zu überzeugen. Dies gelte insbesondere beim Beginn einer Arbeitsunfähigkeit und der erstmaligen Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dies habe die Klägerin unterlassen. Eine Verantwortung der Beklagten, die Klägerin über die seit Juni 2015 geschlossene Geschäftsstelle zu unterrichten, habe nicht bestanden. Daher liege die eingetretene Verzögerung nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten. Einerseits habe die Beklagte in allgemeiner Weise die Schließung bekanntgemacht, andererseits sei sie zu einer weiteren Information nicht verpflichtet gewesen. Das gelte erst recht, weil die Geschäftsstellen nicht vorrangig dem Empfang von Schriftstücken dienten, sondern der persönlichen Erreich- und Ansprechbarkeit. Außerdem habe die Beklagte im Internet über die aktuellen Adressen informiert und ihrerseits nicht mehr unter der unzutreffenden Anschrift der geschlossenen Geschäftsstelle mit der Klägerin kommuniziert. Ein Vertrauen in die Richtigkeit einer in der Vergangenheit verwendeten Adresse bestehe nicht. Es sei Sache der Versicherten, sich über die Hotline der Beklagten oder deren Internetauftritt über aktuelle Adressen von Geschäftsstellen zu informieren, ansonsten trügen sie das Risiko, dass Schriftstücke nicht oder verspätet zugingen. Die Beklagte sei auch nicht deshalb zu einer besonderen Information an die Klägerin verpflichtet gewesen, weil sie einen Nachsendeauftrag für die geschlossene Geschäftsstelle eingerichtet hatte und mehrere frühere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Klägerin die Beklagte über diesen Weg noch erreicht hätten. Zu berücksichtigen sei, dass im Massengeschäft nicht jeder Briefumschlag daraufhin überprüft werden könne, ob er im Zuge eines Nachsendeauftrags die Beklagte erreicht habe. Die Beklagte habe jedenfalls durch Aufrechterhalten des Nachsendeauftrags für zwei Jahre ihre Obliegenheit erfüllt. Da es sich bei der Wochenfrist um eine Ausschlussfrist handele, sei eine Wiedereinsetzung in die Fristversäumnis nach der allgemeinen Bestimmung nicht möglich.

Gegen den ihr am 3. Juni 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. Juni 2019 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Krankenkassen müssten ihre Versicherten bei Änderung des Geschäftsstellennetzes in Kenntnis setzen (so Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27. März 2018 - S 14 KR 980/17). Zumindest wenn der Krankenkasse Post im Wege des Nachsendeauftrags, wie im Fall der Klägerin, zugehe sei sie verpflichtet, diese Versicherten über die Schließung von Geschäftsstellen, das Ende des Nachsendeauftrags und die zustellfähige Adresse zu informieren. Auf keinem der vor dem streitigen Zeitraum seit November 2015 bis April 2016 an die Klägerin übersandten Schreiben der Beklagten im Zusammenhang mit einem Krankengeldbezug sei ein Hinweis darauf enthalten gewesen, dass Krankenscheine nur an die Wuppertaler oder Schwäbisch-Gmünder Adresse der Beklagten zu schicken seien. Auch das Merkblatt zum Krankengeld habe keinen entsprechenden Hinweis enthalten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 79,64 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus den zuvor an die Beklagte übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe die Klägerin deshalb keinen Vertrauensschutz erlangen können, weil aus diesen kein Krankengeld geflossen sei, die Klägerin also nicht davon hätte ausgehen können, dass diese Bescheinigungen die Beklagte erreicht hätten. Außerdem habe die Beklagte in ihren Schreiben im Rahmen eines vorhergehenden Krankengeldbezugs stets nur noch die beiden Adressen in Wuppertal und in Schwäbisch Gmünd angegeben.

Die Berichterstatterin hat am 24. Oktober 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt. Im Nachgang zu diesem hat die Beklagte ihre im Zeitraum zwischen November 2015 bis Februar 2017 an die Klägerin übersandten Schreiben in Durchschrift übersandt.

Die Klägerin hat ihrerseits eine eidesstattliche Versicherung von Frau K übersandt, wonach diese keine Mitteilung über die Schließung der Geschäftsstelle in der Bitterfelder Straße, Berlin, erhalten habe. Des Weiteren hat sie die im Zeitraum vom März 2015 bis Mai 2015, sowie November 2015 bis April 2016 von der Beklagten erhaltenen Schreiben im Zusammenhang mit einem damals erfolgten Krankengeldbezug sowie die Kontoauszüge eingereicht, aus denen sich die Krankengeldzahlungen der Beklagten für die Zeit vom 27. März 2015 bis 29. Mai 2015 sowie vom 20. November 2015 bis zum 22. April 2016 sowie vom 6. November 2017 bis zum 17. November 2017 ergeben.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Gründe

I. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richterinnen entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 16. Juli 2020 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.

II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Der Berufungsstreitwert (der Beschwerdegegenstand) von mehr als 750,00 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) wird durch den streitigen kalendertäglichem Brutto-Zahlbetrag des Krankengeldes in Höhe von 79,64 Euro für 19 Kalendertage überschritten. Die Berufung ist begründet, weil das Sozialgericht die Klage nicht hätte abweisen dürfen. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung des Krankengeldes für die streitbefangene Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017. Der Anspruch ist nicht zum Ruhen gekommen.

1. Zwischen den Beteiligten ist (zu Recht) außer Streit, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach erfüllt sind. Nach §§ 44 ff SGB V (hier in der Fassung des ab 23. Juli 2015 geltenden GKV-VSG vom 16. Juli 2015, BGBl I 1211) setzt der Anspruch auf Krankengeld voraus, dass die Klägerin wegen Krankheit arbeitsunfähig war, die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde, und dass sie zu der Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Dies war der Fall, weil die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin durch ihren behandelnden Arzt BM festgestellt und durch die Bescheinigungen vom 5. und 19. Oktober 2017 dokumentiert wurde. Der Anspruch auf Krankengeld entstand nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V n.F. vom Tag der ärztlichen Feststellung an und blieb nach § 46 Satz 2 SGB V n.F. bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wurde, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgte, wobei Samstage insoweit nicht als Werktage galten. Für die Klägerin liegen ärztliche Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit ab dem 6. September 2017 vor. Da die Klägerin bei Eintritt und erstmaliger Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit am 6. September 2017 als versicherungspflichtig Beschäftigte mit Anspruch auf Krankengeld versichert war, entstand der Krankengeldanspruch ab diesem Zeitpunkt. Er ruhte bis zum Auslaufen der Entgeltfortzahlung am 17. Oktober 2017 (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Ab dem 18. Oktober 2017 blieb diese Versicherung über den Anspruch auf Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auch aufrechterhalten. Die Klägerin hat lückenlos bis zum 17. November 2017 die Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigen lassen.

2. Der Anspruch auf Krankengeld kam nicht ab dem 18. Oktober 2017 zum Ruhen. Der Anspruch auf Krankengeld ruht nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, solange die Arbeitsunfähigkeit von Versicherten der Krankenkasse nicht gemeldet wird, dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Die Meldung ist in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 und 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erst dann erfolgt, wenn sie der Krankenkasse zugegangen ist (BSG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - B 3 KR 5/19 R -, Rn. 18, juris). Die Meldung der in den ärztlichen Bescheinigungen vom 5. und 19. Oktober 2017 dokumentierten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ging bei der Beklagten erst am 13. November 2017 ein, die Klägerin selbst informierte die Beklagte über die Arbeitsunfähigkeit telefonisch bereits am 6. November 2017. Beide Zeitpunkte liegen nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Am 6. November 2017 waren bereits mehr als zwei Wochen nach dem 18. Oktober 2017 und mehr als ein Monat nach Ausstellung der ersten für den Zeitraum relevanten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5. Oktober 2017 verstrichen (mit der Feststellung von Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. Oktober 2017). Bezogen auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 19. Oktober 2017 ist die Wochenfrist ebenfalls am 6. November 2017 verstrichen gewesen. Dies gilt unabhängig davon, welcher Zeitpunkt den "Beginn der Arbeitsunfähigkeit" i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V im Fall der Klägerin markiert. In Betracht kommen der Tag der ärztlichen Feststellung, der Beginn der festgestellten Arbeitsunfähigkeit oder der Tag, für den erstmalig Krankengeld (nach Entgeltfortzahlung) gezahlt werden kann (für den 18. Oktober 2017 festgestellt durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5. Oktober 2017, vgl. zum "Beginn" bei einer (verfrühten) neuen ärztlichen Feststellung, Brinkhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 49 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 65 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 - B 3 KR 48/18 B - juris Rn. 11; LSG NRW, Urteil vom 11. März 2020 - L 9 KR 420/17; zum Fristbeginn bei überlappenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Urteil des Senats vom 11. März 2020 - L 9 KR 420/17). Ein Nachweis über einen früheren Zugang der Meldung ist für die Klägerin nicht erbracht.

§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ordnet nach seinem Wortlaut als Rechtsfolge bei Versäumung der Wochenfrist einschränkungslos das Ruhen des Anspruchs an, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet worden ist. Im Fall der Klägerin umfasste das den Zeitraum bis zum 5. November 2017. Das Ruhen des Anspruchs trat in ihrem Fall aber nicht ein, weil ein Ausnahmefall vorliegt. Die Meldeobliegenheit über die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bezweckt, der Krankenkasse die Nachprüfung der Anspruchsvoraussetzungen für das Krankengeld zu ermöglichen. Die Ruhensvorschrift soll die Krankenkassen zum einen davon freistellen, die Voraussetzungen eines verspätet angemeldeten Anspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen, um Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen können. Außerdem sollen die Krankenkassen so die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegenzutreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können. Die Wochenfrist, innerhalb derer die Meldung gegenüber der Krankenkasse zu erfolgen hat, ist mit Rücksicht darauf eine Ausschlussfrist (zuletzt BSG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - B 3 KR 5/19 R -, Rn. 17, juris). Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist eine Obliegenheit der Versicherten, deren Folgen bei unterbliebener oder nicht rechtzeitiger Meldung grundsätzlich von diesen selbst zu tragen sind. Bei verspäteter Meldung ist die Gewährung von Krankengeld daher selbst dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und die Versicherten kein Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft. Auch eine von Versicherten rechtzeitig zur Post gegebene, aber auf dem Postweg verloren gegangene Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung kann den Eintritt der Ruhenswirkung daher selbst dann nicht verhindern, wenn die Meldung unverzüglich nachgeholt wird. Die Arbeitsunfähigkeit muss der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krankengeldes auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen bestanden hat und wenn wegen der Befristung der bisherigen Arbeitsunfähigkeit in den ärztlichen Bescheinigungen über die Weitergewährung des Krankengeldes neu zu befinden ist (so zuletzt BSG, Urteil vom 05. Dezember 2019 - B 3 KR 5/19 R -, Rn. 17/18, juris; Urteil vom 8. August 2019 - B 3 KR 18/18 R -, Rn. 20, juris).

Eine Ausnahme, wonach eine im obigen Sinne verfristete Meldung gleichwohl nicht zum Ruhen der Zahlung führt, ist allerdings dann gerechtfertigt, wenn das (allgemeine) Risiko der rechtzeitigen Übermittlung nicht die Versicherten, sondern die Krankenkasse trifft. Derartige Ausnahmen sind nach der (neueren) Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, nur in engen Grenzen anzuerkennen.

Allgemein gilt: Durchsetzbare Krankengeld-Ansprüche von Versicherten bestehen in Sonderfällen dann, wenn die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen zuzurechnen sind und nicht demjenigen der Versicherten (so bereits BSG, Urteil vom 28. Oktober 1981 - 3 RK 59/80, BSGE 52, 254, 256 zur Vorgängerbestimmung des § 216 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung; BSG, Urteil vom 8. August 2019 - B 3 KR 18/18 R -, Rn. 22, juris). So kann sich die Krankenkasse nicht auf den verspäteten Zugang der Meldung der Arbeitsunfähigkeit berufen, wenn sie die Fristüberschreitung verursacht hat und Versicherte deshalb weder wussten noch hätten wissen müssen, dass die Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit keine Kenntnis erlangt hatte. Die verspätete Meldung darf Versicherten ausnahmsweise auch dann nicht entgegengehalten werden, wenn die Versicherten ihrerseits alles in ihrer Macht Stehende getan hatten, um ihre Ansprüche zu wahren, daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurden. In beiden Konstellationen kann es um ein Verhalten der Krankenkasse selbst gehen oder ein solches, welches ihr zuzurechnen ist. Zuzurechnen ist damit auch das Verhalten von Vertragsärztinnen und -ärzten, so z.B. in dem Fall dass die Krankenkasse diesen Freiumschläge zur Übersendung der für die Krankenkasse bestimmten Ausfertigungen der Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung überlässt und die Ärzte/Ärztinnen die Bescheinigung den Versicherten deshalb nicht aushändigen. Geht die Bescheinigung dann verspätet bei der Krankenkasse ein, kann diese sich den Versicherten gegenüber nicht auf die Fristversäumung berufen (vgl. BSG, aaO, Rn. 20).

Ausgehend davon trifft zwar das allgemeine Postübermittlungsrisiko, dass die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nicht oder verspätet bei der Krankenkasse anlangt, die Versicherten. Es ist grundsätzlich ohne Belang, worauf ein verzögerter oder unvollendeter Postweg beruht. Es kommt nicht darauf an, ob die Zustellung an postinternen Fehlern leidet oder verzögert oder gar nicht erfolgt, weil Versicherte eine unkorrekte oder missverständliche Anschrift verwenden. So obliegt auch das Risiko, dass ein Empfänger einer Postsendung unter einer dem Absender/der Absenderin bekannten Adresse nicht mehr erreichbar ist, nach den o.g. allgemeinen Regeln des § 130 BGB dem Versender/der Versenderin. Weder das SGB V noch die allgemeinen Bücher des Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I) oder das Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) formulieren dazu für Versicherte Ausnahmen oder eine Umkehrung des (allgemeinen) jeden Postnutzer treffenden Übermittlungsrisikos.

Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Nichtzustellung von Postsendungen auf einem von der Krankenkasse zu verantwortendem Organisationsmangel beruht oder die Krankenkasse einen rechtzeitigen Zugang durch organisatorische Vorkehrungen ihrerseits vereitelt, Versicherte aber auf einen (rechtzeitigen) Zugang vertrauen durften. In diesem Fall kann sich die Krankenkasse nicht auf die Fristversäumnis und § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V berufen. Das folgt vor allem auch aus dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB. Diese Regelung bestimmt, dass dann, wenn der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil der Eintritt gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird, diese Bedingung (gleichwohl) als eingetreten gilt. § 162 Abs. 1 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand - auch kein Träger öffentlicher Verwaltung - aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten, das er (oder ein seiner Sphäre zuzurechnender Dritter, dazu oben) einer ihm rechtlich verbundenen Person gegenüber gezeigt hat, einen Vorteil ziehen darf. Dem Rechtsgedanken der Regelung kommt auch im Bereich der Leistungsverwaltung des Sozialrechts Bedeutung zu, insbesondere im Zusammenhang mit der Versäumung von (Ausschluss-)Fristen, die von einem Leistungsberechtigten einzuhalten sind. Über den der Bestimmung zugrunde liegenden Rechtsgedanken wird dann fingiert, dass die Einhaltung der Ausschlussfrist durch den Begünstigten gewahrt ist (BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, BSGE (vorgesehen), Rn. 26).

Das BSG begründet seine Rechtsprechung für den Senat nachvollziehbar mit einem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot, wonach das soziale Schutzbedürfnis der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung zu ihrer finanziellen Absicherung im Krankheitsfall (§ 2 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 21 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g SGB I) und die Verhältnismäßigkeit von leistungsrechtlichen Folgen bei tatsächlichen Fristversäumnissen in die Abwägung einzustellen sind. Generalpräventive Erwägungen der Missbrauchsabwehr haben dagegen, vor allem in zweifelsfreien Folge-Arbeitsunfähigkeits-Fällen, kein solch großes Gewicht, dass sie diese Schutzaspekte überlagern und verdrängen könnten (BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 24). Darüber hinaus begründet das BSG die Erweiterung der Ausnahmen auf "organisatorische Fehler" der Krankenkassen und Vertragsärzte/-ärztinnen damit, dass sich auch Versicherungsträger in ihrem Verwaltungshandeln am Rechtsgedanken von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) auszurichten hätten, welcher auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts Anwendung finde (BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 25). Sie dürften sich daher z.B. nicht auf die Versäumung einer dem geltend gemachten Leistungsanspruch entgegenstehenden Ausschlussfrist berufen, wenn sie die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert haben (BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 25).

Für § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V folgt daraus, dass sich die Krankenkassen nicht auf den Fristablauf berufen dürfen (Nichteingang der Meldung innerhalb der Wochenfrist), wenn sie die Wahrung der Wochenfrist durch eigenes Verhalten treuwidrig verhindert haben.

Gemessen daran hat sich im Fall der Klägerin nicht allein ein reines Postübermittlungsrisiko verwirklicht, das sie allein zu tragen hätte. Vielmehr hatte die Beklagte eine nicht hinwegzudenkende Bedingung dafür gesetzt, dass die Wochenfrist für die leistungsunschädliche Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit ab dem 18. Oktober 2017, dem ersten Tag, an dem das Krankengeld hätte ausgezahlt werden müssen, überschritten wurde. Die Klägerin ihrerseits durfte auf die Einhaltung der Frist vertrauen.

Krankenkassen eröffnen mit Geschäftsstellen, die auch leistungsrelevante Versichertenpost annehmen und dann intern weiterleiten, nicht nur Stellen für mündliche und fernmündliche Vorsprache, sondern empfangsbereite Poststellen für ihre Versicherten. Wenn die Krankenkasse Geschäftsstellen schließt oder diese umziehen, muss sie ihre Versicherten von der Schließung oder der neuen Anschrift unterrichten. Auf welchem Weg sie das unternimmt, ist nicht festgelegt. Wenn aber eine einzelne Geschäftsstelle auch als Empfangsstelle Posteingang für Versicherte abwickelt, kann ein Aushang allein in der Geschäftsstelle die Versicherten nicht zuverlässig über die Schließung oder einen Umzug unterrichten. Haben Versicherte keine Kenntnis von der Schließung der Geschäftsstelle erlangt und nutzen sie deshalb die (bekannte) Anschrift der (geschlossenen) Geschäftsstelle weiter als Postadresse der Krankenkasse und hat die Krankenkasse ihrerseits organisatorische Vorkehrungen wie einen Nachsendeauftrag eingerichtet, so kann bei den Versicherten der Eindruck entstehen, die Geschäftsstelle und zugehörige Postanschrift sei weiter in Betrieb. Dies gilt zumindest in dem Fall, in dem Versicherte auf ihre Einsendungen an die (alte) Postanschrift ohne entsprechenden Hinweis der Beklagten über die Schließung oder einen bestehenden Nachsendeauftrag z.B. Leistungen wie eine Krankengeldbewilligung oder -zahlung erhalten. Die Krankenkasse hat dann Vertrauen in das Weiterbestehen der Empfangseinrichtung geschaffen. Spätestens wenn der Nachsendeauftrag endet, muss sie daher sicherstellen, dass die unzutreffende Anschrift nicht weiter genutzt wird bzw. Versicherte Kenntnis erlangen. Sie kann entweder ihre Versicherten allgemein oder nur diejenigen, die auf ihre Einsendungen über den Postweg seit Schließung Post von der Krankenkasse erhalten haben, in geeigneter Form über das Auslaufen unterrichten. Unternimmt die Krankenkasse keine solchen Vorkehrungen, darf sie Versicherte, die den (gewohnten) Postweg weiter nutzen, nicht auf die Folgen einer Fristversäumung verweisen. Gemäß dem Rechtsgedanken von § 162 BGB hat sie treuwidrig das Eintreten einer Bedingung, nämlich den fristgemäßen Zugang vereitelt. Die Vorkehrung, Versicherte entweder über einen bestehenden Nachsendeauftrag oder sein Ende zu informieren, ist für die Krankenkasse nicht unverhältnismäßig und kann auch in der Massenverwaltung bewerkstelligt werden. Es ist den Kassen zuzumuten, z.B. einen Postdienstleister damit zu beauftragen, die Absender von Post, die über einen solchen Nachsendeauftrag bei ihr anlangt, herauszufiltern und über den Nachsendeauftrag und/oder die neue Adresse zu unterrichten.

Die Beklagte hat mit der Eröffnung der Geschäftsstelle in der Bitterfelder Straße 13, 12681 Berlin (Marzahn-Hellersdorf) eine auch für Posteingang empfangsbereite Stelle für ihre Versicherten unterhalten. Die Klägerin hat diese in der Zeit vor der Schließung auch genutzt; Sie hat ab dem 27. März 2015 bis zum 29. Mai 2015 Krankengeld bezogen und nach der Überzeugung des Senates zur Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen die o.g., für sie nächstgelegene Geschäftsstelle als Postanschrift genutzt. Die Beklagte hat die Geschäftsstelle im Juni 2015 geschlossen. Die Klägerin hat davon keine Kenntnis erhalten. Die Beklagte hat nicht bestritten, die Versicherten nicht einzeln über die Schließung informiert zu haben, sondern in der Geschäftsstelle selbst, in ihrem Internet-Auftritt sowie in der Mitgliederzeitschrift die Schließung bekanntgegeben zu haben. Ein Nachweis über diese Mitteilungen liegt dem Senat nicht vor. Es kann im Fall der Klägerin offen bleiben, ob es allgemein ausreicht, wenn die Beklagte bei Schließung von Geschäftsstellen ihre Versicherten mittels Aushängen in den Geschäftsstellen, Internetveröffentlichungen und solchen in der Mitgliederzeitung über Schließungen informiert. Für den Senat steht jedenfalls fest, dass zumindest die Klägerin die Mitgliederzeitschrift 2017 bereits seit längerem nicht mehr erhalten hat und sie insoweit auch nicht die einzige Versicherte war. Dies ergibt sich aus ihren eigenen Bekundungen wie auch der eidesstattlichen Versicherung der Frau KM vom 20. November 2019 und schließlich den entsprechenden Erfahrungen des Ehemannes der Klägerin. Die Klägerin hat in Anwesenheit ihres Ehemannes berichtet, dass auch dieser seit kurzem Mitglied bei der Beklagten ist und bislang keine Mitgliederzeitschrift erhalten hat.

Die Beklagte hatte ab Schließung der o.g. Geschäftsstelle im Juni 2015 für zwei Jahre einen Nachsendeauftrag eingerichtet. Die Klägerin hat ab November 2015 während des Krankengeldbezugs bis April 2016 zumindest auch die Adresse der geschlossenen Geschäftsstelle weiter für die Einsendungen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen genutzt und von der Beklagten auf ihre Einsendungen hin auch Krankengeldzahlungen erhalten. Dass die Klägerin nach Mitteilung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch eine andere zwischenzeitlich ebenfalls geschlossene Geschäftsstelle genutzt haben soll (Karl-Liebknecht-Straße 29, Berlin-Mitte), hat die Beklagte nicht belegt. Selbst wenn das aber so war, beseitigte das ihr Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Postanschrift Bitterfelder Straße 13 erkennbar nicht.

Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Klägerin einen Hinweis darauf gegeben, dass die von ihr weiter genutzte Adresse unzutreffend ist oder die Klägerin mit ihren Einsendungen einen Nachsendeauftrag in Anspruch genommen hat. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Beklagte kann sich aber auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin bereits aus den von der Beklagten nach der Schließung der Geschäftsstelle erhaltenen Schreiben und Bescheiden hätte erkennen können, dass sie für Meldungen betreffend die Arbeitsunfähigkeit nur noch die beiden zentralen Postanschriften der Beklagten in Wuppertal oder Schwäbisch Gmünd nutzen darf. Zwar lässt sich beispielsweise dem für die Klägerin vorgefertigten Auszahlschein vom 12. November 2015 die Rücksendeadresse "BARMER GEK 42267 Wuppertal" entnehmen. Bereits das Merkblatt Krankengeld, welches die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 12. November 2015 ebenfalls an die Klägerin übersandte, enthielt aber keinerlei Hinweis darauf, dass die Arbeitsunfähigkeit allein an die beiden zentralen Postadressen zu melden oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nur an diese zu übermitteln seien. Die Tatsache, dass die Beklagte selbst in diesem Zeitraum unter ihrer Hausanschrift mit der Klägerin kommunizierte, stellte allenfalls einen indirekten Hinweis oder ein Indiz für die Klägerin dar, dass die Hausanschrift der Beklagten als Adresse verwendet werden kann. Eine zweifelsfreie Beschränkung des Posteingangs auf die beiden zentralen Adressen ergab sich daraus für Versicherte wie die Klägerin aber nicht. Auch wies die Beklagte z.B. im Schreiben vom 16. Juni 2016, mit dem sie der Klägerin einen Unfall-Fragebogen mit der Bitte um Rücksendung übersandte, darauf hin, dass die Klägerin diesen auch in der Geschäftsstelle einreichen könne. Eine unmissverständliche Fokussierung allein auf die beiden zentralen Postanschriften der Beklagten war aus alldem für die Klägerin nicht erkennbar.

Die Klägerin konnte im September 2017 weder erkennen, dass sie eine unzutreffende Postanschrift nutzte, noch, dass ehemals ein Nachsendeauftrag bestand und ausgelaufen war. Gemessen daran erscheint es treuwidrig, wenn die Beklagte sie im November 2017 erstmals darauf hinweist, dass die verwendete Adresse unrichtig war und die Klägerin deshalb im Ergebnis keinen Anspruch auf Zahlung des Krankengeldes hat. Der Beklagten ist es vielmehr verwehrt sich in dieser Situation auf den Fristablauf in § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V zu berufen. Sie hat durch ihr vertrauensbegründendes Vorverhalten den Eintritt der Bedingung i.S. des § 162 BGB, nämlich die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit, vereitelt. In der Folge ist der Krankengeldanspruch der Klägerin ab dem 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 nicht zum Ruhen gekommen und hat die Klägerin einen Auszahlungsanspruch.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Rechtsfrage, ob das Verhalten der Beklagten einen Ausnahmefall begründen kann, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).