VG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 24.06.2016 - W 2 K 15.30142
Fundstelle
openJur 2020, 67726
  • Rkr:
Tenor

I.

Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Februar 2015 (GZ: 5792201-997) wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Kläger und Beklagte tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens jeweils zur Hälfte.

III.

Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, ein staatenloser Palästinenser aus Syrien, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig.

Der am ... 1992 geborene Kläger hat Syrien nach eigenen Angaben am 17. November 2013 verlassen und ist über die sog. Balkan-Route am 17. Juni 2014 in die Bundesrepublik eingereist, wo er am 7. August 2014 Asylantrag stellte.

Bei seiner Befragung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. August 2014 gab er an, dass ihm in Bulgarien im Dezember 2013 eine Aufenthaltsgestattung erteilt worden sei. Auf einen Eurodac-Treffer hin, stellte das Bundesamt über das Dublinet am 27. Oktober 2014 ein Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien, in dem es u. a. auf einen vom Kläger am 17. Dezember 2013 in Bulgarien gestellten Asylantrag verwies. Das Gesuch wurde mit undatiertem Schreiben der bulgarischen Dublin Unit unter Hinweis, dass dem Kläger am 26. März 2014 in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt worden sei, ablehnte. Eine Überstellung nach dem Dublin-Verfahren könne nicht stattfinden. Es solle eine gesonderte Aufnahmeanfrage nach dem Rücküberstellungsabkommen gestellt werden. Die entsprechenden Kontaktdaten dafür wurden angegeben (vgl. Behördenakte, Blatt 80).

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 wandte sich das Bundesamt an die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde und teilten dieser mit, sie solle nunmehr das Einverständnis Bulgariens für die Rücküberstellung einholen. Sobald diese vorliege, werde das Bundesamt einen Bescheid mit Abschiebungsanordnung erlassen.

Nachdem sich die Ausländerbehörde telefonisch wie schriftlich gegen eine solche Zuständigkeit wandte, lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 13. Februar 2015 den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), forderte ihn unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte ihm andernfalls die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziff. 2). Das Bundesverwaltungsgericht habe in einem Urteil vom 17. Juni 2014, Az. 10 C 7.13, entschieden, dass ein erneutes Anerkennungsverfahren unzulässig sei, wenn dem Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz, also Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG schlössen eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus. Der Asylantrag werde deshalb materiell nicht geprüft. Abschiebungshindernisse bezogen auf den sicheren Drittstaat, in den die Abschiebung angedroht werden solle, lägen nicht vor. Es obliege hierbei dem Kläger unter Anlegung eines strengen Maßstabes, die Umstände darzulegen, aus denen sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdränge, dass er von einem im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen sei. Die Angaben des Klägers, er sei in Bulgarien auf die Straße gesetzt worden, lasse die Annahme eines Sonderfalls nicht zu. Die Unzulässigkeit des Asylantrags ergebe sich aus § 26a AsylVfG (nunmehr AsylG), so dass das Bundesamt grundsätzlich eine Abschiebungsanordnung gem. § 34a AsylVfG (nunmehr AsylG) anordne. Die Abschiebungsandrohung sei als milderes Mittel allerdings ebenfalls zulässig. Die Ausreisefrist ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsyVfG (nunmehr AsylG). Der Bescheid wurde laut Aktenvermerk am 18. Februar 2015 zur Post gegeben. Ein Zustellungsnachweis liegt nicht vor.

Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Februar, am 2. März 2015 bei Gericht eingegangen, Klage erheben.

Wie der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 29. April 2015, bestätigt durch Beschluss des BVerwG vom 23. Oktober 2015, ausführe, dürften vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge aufgrund der Übergangsregelung in Art. 51 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht allein deswegen als unzulässig abgelehnt werden, weil dem Kläger in Bulgarien bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Auch eine Umdeutung in eine Entscheidung nach § 71a AsylG sei nicht möglich. Da im Fall des Zuständigkeitsübergangs auf die Beklagte, ein Verfahren nach § 71a AsylG durchzuführen sei.

Zuletzt ließ der Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die angegriffene Entscheidung.

Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 19. Mai 2016 auf den Einzelrichter übertragen.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

1.1

Gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Kläger wurden dazu mit Schreiben vom 24. Mai 2016 gehört. Für die Beklagte war - aufgrund der allgemeinen Prozesserklärung vom 25. Februar 2016 i. d. F. vom 24. März 2016 - eine Anhörung entbehrlich.

1.2

Ergeht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, stellte das Gericht gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung ab. Zu diesem Zeitpunkt ist die Klage zulässig und im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

Sie ist jedenfalls fristgerecht, so dass das genaue Zustellungsdatum dahinstehen kann.

Die Anfechtungsklage ist hier auch die allein statthafte Klageart. Wird der Asylantrag als unzulässig abgelehnt, hat ihn das Bundesamt in der Sache noch gar nicht geprüft. Die gefestigte Rechtsprechung zur Zuständigkeitsprüfung im Rahmen des Dublin-Verfahren (vgl. VGH München, B. v. 2.2.2015 - 13a ZB 14.50068 - juris) ist schon deswegen auf die vorliegende Konstellation übertragbar, weil das Dublin-Regime - entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten - aufgrund der Überleitungsvorschrift des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO Anwendung finden.

1.3

Die Klage ist nur soweit begründet, als sie sich gegen Ziffer 2) des verfahrensgegenständlichen Bescheides richtete. Der formell rechtmäßige Bescheid ist nur in Ziffer 2) materiell rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nicht begründet ist die Klage jedoch soweit sie sich gegen Ziffer 1) des an-gegriffenen Bescheides richtet. Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig ist rechtmäßig.

1.4

Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2015 (Az. 1 B 41/15 - juris) ausgeführt hat, dürfen vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge nicht allein aufgrund von § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG als unzulässig abgelehnt werden. Zur weiteren Begründung wird auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 (a. a. O.) verwiesen. In der dort zugrunde liegenden Fallkonstellation bestand jedoch für den dortigen Kläger ein Anspruch auf Übernahme ins nationale Asylverfahren. Denn die Beklagte hatte bezüglich der Ehefrau und minderjährigen Kinder des dortigen Klägers von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht, so dass sie zum Schutz der Kernfamilie verpflichtet war, auch über den Asylantrag des Klägers gem. Art. 15 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO im nationalen Verfahren zu entscheiden (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 29.4.2015 - A 11 S 57/15). Davon ausgehend lehnt das Berufungsgericht, bestätigt durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 eine Umdeutung in eine ablehnende Entscheidung im Rahmen eines nationalen Asylverfahrens ab (VGH Baden-Württemberg, a. a. O.).

1.5

Im vorliegenden Fall besteht für den Kläger jedoch gerade kein Anspruch auf Prüfung seines Asylantrags im nationalen Verfahren. Die Beklagte hat bislang weder von ihrem Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht, noch hat der Kläger einen Anspruch auf Übernahmen ins nationale Verfahren, so dass sich die Unzulässigkeit des klägerischen Asylantrag wegen der fortbestehenden Zuständigkeit Bulgariens hier - unabhängig von § von § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG - aus § 27a AsylG ergibt. Denn eine Verfügung ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht allein deshalb aufzuheben, weil die für sie herangezogene und in der Begründung als maßgeblich zugrunde gelegte Rechtsgrundlage diese nicht (mehr) tragen vermag, wenn sie gleichwohl in anderen rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen ihre Rechtfertigung erfährt (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113/Rn. 70 ff.).

1.6

Die Zuständigkeitsbestimmung auf der Grundlage des Dublin-Verfahrens scheidet nämlich nicht deshalb aus, weil dem Kläger in Bulgarien bereits subsidiärer Schutz zugesprochen wurde. Zwar endet nach der aktuell gültigen Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013) die Anwendbarkeit des dort etablierten Systems zur Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaates in zeitlicher Hinsicht mit dem Erlass einer Entscheidung, die dem Antragsteller internationalen Schutz i. S. v. Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie n. F.) gewährt. Dies umfasst die Flüchtlingsanerkennung genauso wie die "bloße" Gewährung subsidiären Schutzes. Gem. Art. 2 lit. f) der Dublin III-VO ist derjenige dann als "Begünstigter internationalen Schutzes" anzusehen und das Dublin-Verfahren damit beendet. Dies gilt gemäß der Überleitungsbestimmung in Art. 49 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO jedoch nur für Anträge, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Der vom Kläger in Bulgarien gestellte Asylantrag vom 17. Dezember 2013 fällt zeitlich jedoch in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (sog. Dublin II-VO). Art. 49 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 Dublin III-VO ordnet für die Zuständigkeitsbestimmung ausdrücklich die Fortgeltung der Dublin II-VO an. Nichts anderes kann für die rechtliche Reichweite des beantragten Schutzes gelten. Denn anders als Art. 2 lit. f) Dublin III-VO, definiert Art. 2 lit. c) Dublin II-VO einen Asylantrag als "Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaates im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention", so dass die Gewährung bloßen subsidiären Schutzes zugleich die Ablehnung des Antrags auf Flüchtlingsanerkennung beinhaltet, an die sich gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e) Dublin II-VO für den ablehnenden Mitgliedstaat die Verpflichtung knüpft, den Drittstaatsangehörigen, der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen (vgl. dazu: VGH Baden-Württemberg, a. a. O.; VG Magdeburg, U. v. 5.10.2015, Az. 9 A 372/14 MD - juris). Nach den Regelungen der Dublin II-VO führt also nur die Anerkennung als Flüchtling i. S. v. Art 1 lit. g) der Dublin II-VO dazu, dass das Dublin-Verfahren danach keine Anwendung mehr findet. Im Unterschied zur neueren Dublin III-VO, die auf den am 17. Dezember 2013 in Bulgarien gestellte Antrag des Kläger jedoch gerade nicht anwendbar ist, lässt die - für die nachwirkenden Rechtsfolgen des Antrags maßgebliche - Dublin II-VO die Zuerkennung subsidiären Schutzes für die Beendigung des Dublin-Regimes noch nicht genügen. Parallel zu den im Beschluss des Bundesverwaltungsgericht vom 23. Oktober 2015 (a. a. O) dargestellten Änderungen bei den Asylverfahrensrichtlinien wird mit der Umstellung von Dublin II-VO auf Dublin III-VO eine Angleichung der Rechtsfolgen bei der Zuerkennung von subsidiärem Schutz an die Rechtsfolgen der Flüchtlingsanerkennung vollzogen. Aufgrund der jeweiligen Überleitungsvorschriften kommt diese Gleichstellung beim Kläger jedoch zeitlich weder bei der Asylverfahrensrichtlinie (vgl. BVerwG, B. v. 23.10.2015, a. a. O.) noch im Dublin-Verfahren zum Tragen. So zieht die Zuerkennung des subsidiären Schutzes in Bulgarien am 26. März 2014 auch nicht die Beendigung des Dublin-Verfahrens nach sich, sondern ist bei der Rechtsfolgenbestimmung als Ablehnung eines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung zu behandeln. Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e) Dublin II-VO ist deshalb auch nicht durch das In-Kraft-Treten der Dublin III-VO erloschen. Sie wirkt vielmehr in das Dublin-Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit für den am 19. März 2014 in Deutschland gestellten Asylantrag hinein. Im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung der Dublin III-VO für einen Antrag nach dem 1. Januar 2014 sind die Regelungen der Dublin II-VO nämlich auch noch dann - implizit - beachtlich, wenn die Zuständigkeit sich aus der Prüfung und ggf. Verbescheidung eines Asylantrags ableitet, der zeitlich unter das Regelungsregime der Dublin II-VO fällt (vgl. VG Magdeburg, a. a. O.). So sieht auch Art. 41 Dublin III-VO ausdrücklich vor, dass - wenn ein Antrag nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde - Sachverhalte, die die Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats gemäß dieser Verordnung nach sich ziehen können, auch berücksichtigt werden, wenn sie aus der Zeit davor datieren.

1.7

Der Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig gem. § 27a AsylG steht auch nicht entgegen, dass Bulgarien die Anwendbarkeit des Dublin-Regimes verneint und die Wiederaufnahme der Kläger im Dublin-Verfahren abgelehnt hat. Denn das europäische Regelwerk zur Bestimmung der Mitgliedstaaten ist unmittelbar geltendes Recht, dessen Anwendbarkeit nicht im Belieben der ebenfalls daran gebundenen Mitgliedstaaten steht. Die Beklagte hat fristgerecht am 27. Oktober 2014 ein Wiederaufnahmegesuchen gem. Art. 23 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 49 Abs. 1 Unterabs. 2 Halbsatz 2 Dublin III-VO gestellt, so dass die Zuständigkeit nicht automatisch gem. Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO auf sie übergegangen ist. Da Bulgarien die Wiederaufnahme im Dublin-Verfahren abgelehnt hat, wurden auch keine Fristen gem. Art. 29 Dublin III-VO hinsichtlich der Überstellung in Lauf gesetzt, die wiederum einen automatischen Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte hätten bewirken können. Zwar hat die Beklagte es unterlassen, die Wiederaufnahme des Klägers auf dem von Bulgarien angebotenen Wege des Rücküberstellungsabkommens zu betreiben, doch lassen sich daraus keine für den Kläger individualschützenden Rechtspositionen ableiten. Denn es liegt weder ein Verstoß gegen (auch) dem Grundrechtsschutz dienende Verfahrensvorschriften der Dublin III-VO vor, noch lässt sich aus dem nunmehr fast zweijährigen Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik ein Anspruch auf Übernahme ins nationale Asylverfahren ableiten. Denn der Aspekt der Verfahrensdauer wird erst dann zu einem für einen Selbsteintritt ermessensrelevanten Belang, wenn sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates unangemessen lang gestaltet (vgl. VG Sigmaringen, U. v. 22.10.2014 - A 7 K 2250/13 - juris). Hier hat die Beklagte bereits im Bescheid vom 13. Februar 2015 die Zuständigkeit Bulgariens deutlich gemacht. Dass sie sich dabei insofern - rechtsirrig - auf den Schutzstatus im sicheren Drittstaat i. V. m. § 26a AslyG gestützt hat, steht dem nicht entgegen. Denn inhaltlich geht die Zuständigkeit Bulgariens klar aus dem Bescheid hervor. Dass die Beklagte bislang nicht den Vollzug der rechtswidrigen, aber wirksamen Abschiebungsandrohung in Ziffer 2) des Bescheides betrieben hat, ändert nichts daran, dass sie das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats mit dem Bescheid vom 13. Februar 2015 abgeschlossen hatte. Einer entsprechenden Anwendung der Überstellungsfristen nach der Dublin III-VO steht bereits entgegen, dass die Ablehnung Bulgariens, den Kläger im Dublin-Verfahren wiederaufzunehmen nicht in die Sphäre der das Verfahren betreibenden Beklagten fällt. Zwar hat sie es unterlassen, auf anderem Wege auf eine tatsächliche Wiederaufnahme des Klägers hinzuwirken. Da sie jedoch stattdessen die - wenn auch rechtswidrige - Abschiebungsandrohung erlassen hat, hat sie ihren Willen, an der Zuständigkeitsverteilung festzuhalten, auch dem Kläger gegenüber hinreichend deutlich gemacht, so dass bei diesem kein schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf einen zeitlich bedingten Zuständigkeitsübergang entstehen konnte.

1.8

Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union lässt sich eine Pflicht zum Selbsteintritt nur ableiten, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber verletzt würden, die Lage des Antragstellers durch eine unangemessen lagen Verfahrensdauer noch verschlimmert würden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10, N.S. u. a.). Eine solche Konstellation liegt - nach Überzeugung des Gerichts jedoch im Fall des Klägers gerade nicht vor. Das Gericht sieht - zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Mängel aufweist, die für den Kläger die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich brächten (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO). Die Prüfung systemischer Mängel erfordert eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen. Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfG, B. v. 21.4.2016 - 2 BvR 273/16 - juris).

1.9

Das Gericht verkennt nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände in Bulgarien, die sich auch auf Rückkehrer beziehen, die, wie der Kläger, bereits als subsidiär schutzberechtigt anerkannt sind. Auch hier weist die aktuelle Erkenntnislage, insbesondere die Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 23. Juli 2015 und von Prof. Dr. Ilavera vom 27. August 2015, auf gravierende Missstände bei der sozialen Absicherung und den Möglichkeiten zur Existenzsicherung hin. Jedoch ist Art. 3 EMRK nicht in dem Sinn auszulegen, dass er die Vertragsparteien verpflichtet, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, U. v. 21.1.2011 - juris). Jedoch kann sich bei besonders schutzbedürftigen Personen, die Verweigerung von staatlicher Hilfeleistung zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - juris). Gerade unter diesem Aspekt hängt das Ausmaß in dem der Einzelne von den zweifelsohne harten Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien getroffen wird, von der individuellen Verwundbarkeit ab. Entsprechend der aktuell gültigen Empfehlung des UNHCR (vgl. zuletzt Auskunft vom 28. Dezember 2014 an das VG Minden im Verfahren 10 L 530/14.A) ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die besondere Schutzbedürftigkeit im Einzelfall zu prüfen. Für den Kläger geht das Gericht auf der Grundlage seines Vortrags und der beigezogenen Behördenakte jedoch nicht davon aus, dass er zu einem Personenkreis gehört, der in diesem Sinne besonders schutzbedürftig ist. Dies setzt eine spezifische gerade beim Antragsteller im Unterschied zu anderen möglichen Dublin-Rückkehrern gesteigerte Verwundbarkeit voraus. Zwar hat der Kläger im Einklang mit den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen vorgetragen, dass er nach seiner Anerkennung auf der Parkbank schlafen musste, jedoch belegt sein Bericht, er habe einen Palästinenser kennengelernt, bei dem er ca. 6 Monate gewohnt habe, dass er sich auch ohne staatliche Unterstützung und in einem Flüchtlingen nicht sonderlich aufgeschlossenen gesellschaftlichen Klima zu helfen und zu versorgen weiß. Bei einer Rückkehr nach Bulgarien würden ihn die dortigen Umstände also nicht so hart treffen, dass sie einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK gleichkämen. Da mithin keine rechtliche Unmöglichkeit i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO vorliegt, kommt auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keine Selbsteintrittspflicht der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der unangemessenen lagen Verfahrensdauer in Betracht.

1.10

Nach alldem bleibt es bei der Zuständigkeit Bulgariens für den Asylantrag des Klägers, so dass Ziffer 1) des verfahrensgegenständlichen Bescheids auf der Grundlage von § 27a AsylG aufrechterhalten werden kann. Die Klage war insoweit abzuweisen.

Nichts anderes gilt, würde man mangels Einschlägigkeit der Dublin III-VO die Anwendbarkeit des § 27a AsylG verneinen. Denn dann wäre die Ablehnungsentscheidung auf § 26a zu stützen. Auch in diesem Fall wäre der nach § 13 AsylG mitgestellte Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland nicht mehr zu prüfen, sondern im Drittstaat (vgl. Bergmann, in: Ausländerrecht 2016, § 26a AsylG/Rn. 9).

1.11

Begründet ist die Klage jedoch im Hinblick auf Ziffer 2) des verfahrensgegenständlichen Bescheides. Eine Abschiebungsandrohung kann nicht auf die Rechtsgrundlage des § 34a Abs. 1 AsylG gestützt werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 1 B 41/15 - juris, und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 23. November 2015 - 21 ZB 15.30237 - juris, klargestellt. Auf die Begründungen dieser Entscheidungen wird verwiesen.

1.12

Für den Fall, dass ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§27a AsylG) abgeschoben werden soll, bestimmt § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, dass das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald deren Durchführbarkeit feststeht. Damit gibt diese Regelung dem Bundesamt als aufenthaltsbeendende Maßnahme lediglich die Abschiebungsanordnung an die Hand. Das verdeutlicht auch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG, wonach es einer vorherigen Androhung und Fristsetzung nicht bedarf. Folgerichtig ordnet § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG an, dass die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG dem Ausländer selbst zuzustellen ist, wenn der Asylantrag nur nach § 26a AsylG oder § 27a AsylG abgelehnt wird. Dies entspricht auch dem Regelungswillen des Gesetzgebers. Dieser hielt es für erforderlich, von einer Abschiebungsandrohung abzusehen, weil eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann und die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise in diesen Staat im Allgemeinen nicht besteht.

1.13

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung darstellen, die nicht teilidentisch sind. Daher ist eine Abschiebungsandrohung nicht als Minus in jeder Abschiebungsanordnung enthalten. Auch der Umstand, dass beide Maßnahmen auf das gleiche Ziel gerichtet sind, nämlich auf eine Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet, und teilweise identische Prüfungsinhalte bestehen, begründet keine Teilidentität in diesem Sinne. Dies ergibt sich nicht schon daraus, dass die Abschiebungsandrohung einer Fristsetzung bedarf, während bei einer Abschiebungsanordnung keine vorherige Androhung und Fristsetzung erforderlich ist. Allerdings setzt die Abschiebungsanordnung voraus, dass nur in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat angeordnet werden kann und setzt voraus, dass die Abschiebung in diesen Staat tatsächlich durchgeführt werden kann. Dagegen wird bei einer Abschiebungsandrohung nicht geprüft, ob Abschiebungshindernisse bestehen. Die Prüfung, ob die Abschiebung dann tatsächlich durchgeführt werden kann, wird im Falle einer Abschiebungsandrohung von der Ausländerbehörde vorgenommen. Daher resultieren aus diesen beiden unterschiedlichen Maßnahmen auch verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten.

1.14

Die Abschiebungsandrohung kann auch nicht im Wege der Umdeutung auf einer anderen Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden. Denn eine Abschiebungsandrohung gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 AslyG setzt eine materielle Prüfung des Asylantrags voraus, die im Fall des Klägers jedoch gerade nicht stattgefunden hat. Wird der Asylantrag gem. § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt, so gibt das AsylG dem Bundesamt ausschließlich die Abschiebungsanordnung als Vollstreckungsmaßnahme an die Hand. Das "Ausweichen" auf eine Abschiebungsandrohung ist nicht möglich. Das Bundesamt kann sich nicht auf diesem Wege der Verpflichtung entziehen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen bzw. zu prüfen, ob eine Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies bezieht sich sowohl auf die Übernahmebereitschaft des Staates, in den abgeschoben werden soll als auch auf die Prüfung von sonstigen zielstaatsbezogenen wie inländischen Abschiebungshindernissen.

1.15

Die den Kläger in Art. 2 Abs. 1 GG belastende Abschiebungsandrohung ist damit rechtwidrig und war aufzuheben. Dabei ist irrelevant, dass anstelle der Abschiebungsandrohung eine Abschiebungsanordnung hätte ergehen können. Denn bei der Frage der subjektiven Rechtsverletzung ist nicht auf eine hypothetische Sach- und Rechtslage, sondern die tatsächliche abzustellen.

Damit war dem Klageantrag stattzugeben, soweit er sich gegen Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides wendete.

2.

Die Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.

3.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 709, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Gerichtsbescheid steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,

Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,

zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Antrag muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung können die Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mündliche Verhandlung beantragen.

Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.

Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

Beschluss:

Dem Kläger wird - unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... - Prozesskostenhilfe gewährt, soweit sich seine Klage gegen Ziffer 2 des Bundesamtsbescheids vom 13. Februar 2015 richtet.

Gründe:

Einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen, wird gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe gewährt, wenn die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

Der Kläger hat nachgewiesen, dass er nach seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen. Für die Erfolgsaussichten der Hauptsache wird auf das in dieser Sache ergangene Urteil vom gleichen Tag verwiesen.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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