VG Würzburg, Urteil vom 13.06.2016 - W 2 K 16.50049
Fundstelle
openJur 2020, 66522
  • Rkr:
Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, ein am ... 1994 geborener syrischer Staatsangehöriger, kurdischer Volkszugehörigkeit begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien im Rahmen des sogenannten Dublinverfahrens.

Der Kläger verließ nach eigenen Angaben am 25. Juli 2015 Syrien und reiste am 8. August 2015 über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte hier am 17. Dezember 2015 einen Asylantrag.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) glich die biometrischen Daten des Klägers via Eurodac ab und erhielt am 17. Dezember 2015 die Information, dass der Kläger am 30. Juli 2015 in Bulgarien Asyl beantragt habe. Daraufhin ersuchte es via Dublinet am 25. Januar 2016 Bulgarien um Wiederaufnahme, ohne eine Antwort zu erhalten.

Mit Bescheid vom 29. Februar 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 2) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate (Ziffer 3). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Bulgarien aufgrund des dort gestellten Asylantrags für die Behandlung zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Es gäbe keine systemischen Mängel im bulgarischen Asylverfahren. Bulgarien habe die rechtlichen Regelungen des vergemeinschafteten Asyl- und Flüchtlingsrechts der Europäischen Union offenkundig in den wesentlichen Grundzügen umgesetzt und sei bestrebt, die tatsächlichen Bedingungen an den Flüchtlingsstrom mit Hilfe der Europäischen Union anzupassen und zeitnah weiter zu verbessern. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Bulgarien innerhalb von sechs Monaten nach dem Wiederaufnahmeersuchen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ergebe sich aus § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und sei gem. § 11 Abs. 2 AufenthG befristet worden.

Der Bescheid wurde dem Landratsamt Aschaffenburg als zuständiger Ausländerbehörde zusammen mit dem Personalausweis des Antragstellers am 3. März 2016 übersandt. Eine Aushändigung an den Kläger ist in den Behördenakten nicht dokumentiert.

Mit Schriftsatz vom 8. März 2016, bei Gericht am 9. März eingegangen, ließ der Kläger gegen den Bescheid Anfechtungsklage erheben. Unter Verweis auf verschiedenen Erkenntnisquellen wird vorgetragen: Die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien sei aufgrund der aktuellen Situation wegen systemischer Mängel und Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen als unzumutbar i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin III-VO anzusehen. Nach aktuellen Berichten sei die Situation für Asylsuchende und Flüchtlinge in Bulgarien dadurch geprägt, dass Asylsuchende routinemäßig - so auch im vorliegenden Fall - inhaftiert werden, bevor ihre Anträge registriert werden. Eine Integration anerkannter Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigter sei politisch unerwünscht und werde verhindert. Mangels finanzieller Mittel entstünden zunehmend Versorgungslücken, so dass sich Asylsuchende und Flüchtlinge selbst versorgen müssten und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hätten. Die hygienischen Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien zunehmend prekär. Flüchtlinge würden unter Einsatz von Knüppeln gezwungen, ihre Fingerabdrücke registrieren zu lassen und auch sonst erniedrigend bis hin zu Schlagstockhieben behandelt. Flüchtlingsunterkünfte seien schutzlos rassistischen und fremdenfeindlichen Angriffen ausgesetzt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Februar 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 28. April dem Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem wie im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes W 2 S 16.50051, die beigezogene Bundesamtsakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2016 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist - zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers rechtmäßig auf der Grundlage von § 27a AsylG wegen der Zuständigkeit Bulgariens gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) als unzulässig abgelehnt. Gem. § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gem. Art. 13 Abs. 1 (sog. Dublin III-VO) ist der Mitgliedstaat für einen Antrag auf internationalen Schutz zuständig, dessen Land-, See oder Luftgrenze ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschreitet. Im Fall des Klägers ist dies unstreitig Bulgarien, so dass Bulgarien - unabhängig davon, ob der Kläger dort Asylantrag stellen wollte - zuständig ist. Eine vorrangige Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag, der Kläger habe vier Cousins, die bereits in Deutschland lebten. Bei ihnen handelt es sich nicht um "Familienangehörige" i. S. v. Art. 2 lit. g) Dublin III-VO, so dass sich daraus keine Zuständigkeit der Bundesrepublik gem. Art. 9 und 10 Dublin III-VO ableiten ließe. Ausweislich des Bescheides vom 29. Februar 2016 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch einen Selbsteintritt der Bundesrepublik gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO geprüft und zu Recht, keine außergewöhnlichen humanitären Gründe für eine entsprechende Ermessensausübung gesehen. Damit ist Ziffer 1) des angegriffenen Bescheides rechtmäßig.

Auch die Abschiebungsanordnung nach Bulgarien in Ziffer 2) des Bescheides ist rechtmäßig. Soll ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies setzt die Aufnahmebereitschaft des Landes voraus, in das abgeschoben werden soll. Da die bulgarischen Behörden auf das im Dublin-Verfahren fristgerecht gestellte Wiederaufnahmegesuch der Beklagten vom 25. Januar 2016 nicht reagiert haben, wird die Aufnahmebereitschaft gem. Art. 25 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO gesetzlich fingiert.

Der Durchführung der Abschiebung stehen auch keine anderweitigen Abschiebungshindernisse entgegen. Insbesondere ist die Überstellung des Klägers nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO rechtlich unmöglich. Gem. Art 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ist eine Überstellung unmöglich, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in dem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigende Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta (Art. 3 EMRK) mit sich bringt. Die Prüfung systemischer Mängel erfordert eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen. Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfG, B. v. 21.4.2016 - 2 BvR 273/16 - juris).

Für die Situation von Asylbewerbern in Bulgarien liegen aus dem Bereich der internationalen Nichtregierungsorganisationen aktuell insbesondere vor:

- ECRE (European Council on Refugees and Exiles) und ELENA (European Legal Network on Asylum)/Bericht von Februar 2016

- AIDA Asylum Information Database/Country Report von Oktober 2015

- Auskunft von Dr. phil. Ilareva an den VGH Baden-Württemberg vom 27. August 2015

- Auskunft von PRO ASYL an das VG Köln vom 17. Juni 2015

Das Gericht verkennt nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände in Bulgarien, die sich teilweise auch auf Dublin-Rückkehrer beziehen. So stellen ECRE und ELENA in ihrem gemeinsamen Bericht von Februar 2016 für Dublin-Rückkehrer ein hohes Risiko fest, dass das Recht auf Unterkunft in einer Aufnahmeeinrichtung erloschen sei, weil sie zuvor die Aufnahmeeinrichtung für länger als drei Tage unangekündigt verlassen hätten oder der vormalige Verzicht auf Unterkunft zur externen Wohnungsnahme noch wirksam sei. Ausgenommen seien lediglich besonders schutzbedürftige Antragsteller. Es sei jedoch nicht sichergestellt, dass schutzbedürftige Antragsteller identifiziert würden. Dies träfe insbesondere alleinstehende Männer mit psychischen Verwundbarkeiten. Entsprechend einer Rechtsänderung, die im Januar 2016 in Kraft getreten sei, sei während der Zulässigkeitsprüfung von Folgeanträgen für diejenigen, die bislang nicht interniert gewesen seien, die Gewährleistung von Grundrechten einschließlich Nahrung, Obdach, soziale Absicherung, medizinische Versorgung und psychologische Betreuung ausgesetzt. Der Antragsteller habe kein Anhörungsrecht und werde systematisch von weiteren Anträgen ausgeschlossen. Abhängig vom Verfahrensstand bei Verlassen Bulgariens bestehe das Risiko, dass Dublin-Rückkehrer als illegaler Einwanderer behandelt werde und für längere Zeit in Abschiebehaft genommen werde. Unter Bezugnahme auf mangelhafte Aufnahmebedingungen hält ECRE an seiner Forderung fest, Rücküberstellungen nach Bulgarien grundsätzlich auszusetzen und fordert, die Aufhebung der UNHCR-Empfehlung eines grundsätzlichen Abschiebungsstopps (UN High Commissioner for Refugees, UNCHR observations on the current asylum system in Bulgaria, April 2014) kritisch zu überdenken. Insbesondere seit die finanzielle Unterstützung von Asylbewerbern in Aufnahmeeinrichtungen gestrichen wurde, hätten sich die Bedingungen wieder kontinuierlich verschlechtert. Die vom UNHCR im April 2014 festgestellten Verbesserungen seien nicht nachhaltig gewesen. Die Lebensmittelversorgung genüge nicht den Ernährungsrichtlinien und sei nicht zuverlässig mit monatelangen Engpässen, die auf Missmanagement und fehlender Finanzierung beruhen würden. Auch die Behandlung von Asylsuchenden hätte sich wieder verschlechtert. Dublin-Rückkehrer, die wieder in das Asylverfahren in Bulgarien eintreten, seien entweder dem Risiko von Obdachlosigkeit oder einer entwürdigenden Behandlung ausgesetzt, falls sie wieder in die Aufnahmeeinrichtungen aufgenommen würden. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen auch PRO ASYL e.V. in seinem Bericht "Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien" von April 2015 und AIDA Asylum Information Database im "Country Report: Bulgaria" von Oktober 2015. Soweit sich die Berichte in ihren Tatsachendarstellungen decken, kommt ihnen besondere Bedeutung zu, die auch das Gericht entsprechend würdigt.

Entscheidend ist jedoch für das Gericht, dass der UNHCR trotz dieser neuerlichen Entwicklungen auch in seiner jüngsten - immer noch aktuellen - Auskunft an das VG Minden vom 28. Dezember 2014 an seiner Empfehlung festhält, die Dublin-Rückkehrer auf individuelle Gegebenheiten zu überprüfen, die im Einzelfall eine Rückkehr verhindern würde. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Drittstaat, der nach den Kriterien der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind (vgl. EuGH, U. v. 30.5.2013 - C 528/11 - ABl EU 2013 Nr. C 225 S. 12 - NVwZ-RR 2013, 660). Der UNHCR hat sich - trotz genauer Beobachtung der Situation - bislang nicht veranlasst gesehen, eine erneuten generelle Aussetzung von Überstellungen zu empfehlen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mehrzahl, der von den internationalen Nichtregierungsorganisationen berichteten Vorfälle und Missstände, sich auf die Situation unmittelbar nach der Einreise nach Bulgarien bezieht (vgl. Auskunft Pro Asyl an das VG Köln vom 17.6.2015) und damit nicht oder nur bedingt auf die Situation der Dublin-Rückkehrer übertragbar ist. Was die vom Kläger vorgetragene Gefahr der Internierung anbelangt, so teilt Pro Asyl in einer Auskunft an das Verwaltungsgericht Köln vom 17. Juni 2015 selbst mit, dass zur Frage der Inhaftierung nach der Dublin-Überstellung bislang keine ausreichenden Informationen vorliegen. Das Auswärtige Amt hat auf Anfrage des Verwaltungsgerichts Aachen mit Schreiben vom 27. Januar 2016 hingegen mitgeteilt, dass nur wenn über den Antrag eines Asylsuchenden in Abwesenheit negativ entschieden worden sei, die betreffende Person als "endgültig abgelehnte Asylsuchende" betrachtet und im Fall einer Wiedereinreise direkt in eines der Abschiebezentren gebracht werde, wo die Haftzeit bis zu sechs Monate betrage und mit richterlicher Genehmigung auf bis zu 18 Monaten verlängert werden könne. Im Fall des Klägers, der sich nach eigene Angaben nur vier Tage in Bulgarien aufgehalten und das Land noch am Tag der Abnahme seiner Fingerabdrücke verlassen hat, kann schon in zeitlicher Hinsicht ausgeschlossen werden, dass ein Asylverfahren bis zur Entscheidungsreife durchgeführt worden ist. Vielmehr ist - nach den Informationen die das Auswärtige Amt von der bulgarischen Flüchtlingsagentur (SAR) eingeholt hat - davon auszugehen, dass das Verfahren zunächst wegen der Abwesenheit des Klägers ausgesetzt und drei Monate nach der Aussetzung eingestellt wurde. Bei einer Rückführung gemäß der Dublin-Verordnung werde - so die Auskunft der SAR an das Auswärtige Amt - der bereits in Bulgarien gestellte Antrag in der Sache geprüft und die Flüchtlingsagentur nehme keine Festnahmen von Personen vor. Zwar widerspricht der UNHCR der vom Auswärtigen Amt bei der bulgarischen Flüchtlingsagentur SAR eingeholten Auskunft, dass bei der Rückführung eines Asylsuchenden nach Bulgarien gemäß der Dublin-Verordnung sein Verfahren automatisch wiedereröffnet und in der Sache geprüft werde. Der UNHCR teilte dem Auswärtigen Amt vielmehr mit, dass wenn ein Dublin-Rückkehrer einen entsprechenden Antrag stelle, die Flüchtlingsagentur eine Registrierungskarte ausstelle und den Antrag als Folgeantrag betrachte. Es gebe für den Antragsteller jedoch rechtliche Wege, gegen die Weigerung der Flüchtlingsagentur ordnungsgemäß das frühere Verfahren wieder aufzunehmen und abzuschließen. Diese Angaben stimmen im Wesentlichen mit den Ausführungen von ECRE und ELENA in ihrem Bericht von Februar 2016 überein, wenn dort auch der Schwerpunkt auf den vor allem durch das Fehlen von qualifizierten Übersetzern bedingten Verfahrensschwierigkeiten liegt.

Die auf Informationen des UNHCR beruhenden Auskünfte des Auswärtigen Amts zur Behandlung der in Bulgarien inhaftierten Asylsuchenden vom 27. Januar 2016 lassen ebenfalls keine wesentlichen Gründe für die Annahme systemischer Mängel i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO in Bezug auf eine mögliche Rückkehrsituation des Klägers erkennen. So erfolge die Versorgung der nötigsten körperlichen und psychischen Bedürfnisse entsprechend den geltenden Gesetzen und Verfahren sowie gemäß der vorhandenen Mittel. Die Bedingungen seien je nach Einrichtung unterschiedlich. Der am häufigsten anzutreffende Mangel beziehe sich auf das Fehlen verlässlicher, ständiger und effizienter Sprachmittlung. Der UNHCR bemühe sich jedoch um mit seinen Partnern um eine Verbesserung dieser Situation. Auch hier ist wieder festzustellen, dass sich die wesentlichen Angaben von ECRE und ELENA mit den Aussagen des UNHCR decken, nur die Bewertung der bestehenden Mängel seitens ECRE und ELENA im Hinblick auf weitere Überstellungen auseinanderfällt. So konstatiert der UNHCR in seiner Auskunft an das Auswärtige Amt, dass er die Aufnahmezentren beobachtete und die Gefangenen mit Informationen (allgemeiner Art, auch in Form von mehrsprachigen Broschüren, sowie gleichfalls durch Einzel- oder Gruppenberatung) versorgt. Nach Eindruck der deutschen Botschaft in Sofia anlässlich eigener Besuche habe sich die Situation in den Aufnahmezentren immer weiter verbessert und sei heute als insgesamt akzeptabel zu bewerten. Die Verpflegung der Flüchtlinge sei nach Informationen des Auswärtigen Amtes derzeit gesichert, medizinische Grundversorgung sei in allen Zentren gewährleistet. Personen mit besonderen medizinischen Bedürfnissen könnten nicht immer angemessen versorgt werden. Dies betreffe jedoch nicht nur Schutzsuchende, sondern auch einen Großteil der Allgemeinbevölkerung. Zwar beziehen sich die Auskünfte des Auswärtigen Amtes ausdrücklich nur auf die allgemeinen Aufnahmeeinrichtungen, nicht die "SCTAF" (Centre for the Temporary Accomodation of Foreigners), die sich in Busmantsi und in Lyubitmets befinden. Für die Situation des Klägers spielt dies jedoch keine Rolle, da dorthin nur diejenigen Dublin-Rückkehrer verbracht werden, über deren Asylantrag in Abwesenheit in der Sache negativ entschieden wurde und die deshalb als "endgültig abgelehnte Asylsuchende" betrachtet werden.

Bei der Überprüfung systemischer Mängel i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO dürfen auch die Lebensbedingungen nicht außer Betracht bleiben, die einen Dublin-Rückkehrer ggf. nach der Zuerkennung internationalen Schutzes in Bulgarien erwarten. Auch hier weist die aktuelle Erkenntnislage, insbesondere die Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 23. Juli 2015 und von Prof. Dr. Ilavera vom 27. August 2015, auf gravierende Missstände bei der sozialen Absicherung und den Möglichkeiten zur Existenzsicherung hin. Jedoch ist Art. 3 EMRK nicht in dem Sinn auszulegen, dass er die Vertragsparteien verpflichtet, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, U. v. 21.01.2011 - juris). Jedoch kann sich bei besonders schutzbedürftigen Personen, die Verweigerung von staatlicher Hilfeleistung zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - juris). Auch unter diesem Aspekt hängt das Ausmaß in dem der Einzelne von den zweifelsohne harten Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien getroffen wird, von seiner individuellen Verwundbarkeit ab. Entsprechend der aktuell gültigen Empfehlung des UNHCR (vgl. zuletzt Auskunft vom 28. Dezember 2014 an das VG Minden) ist deshalb die besondere Schutzbedürftigkeit im Einzelfall zu prüfen. Im Einklagt damit geht auch das Gericht davon aus, dass besonders schutzbedürftige Personen weder im Rahmen des Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen noch im Hinblick auf die Umstände nach einer eventuellen Anerkennung angemessen Rechnung getragen wird. Dies stellt zur Überzeugung des Gerichts auch einen gravierenden Mangel dar, der sich im Lichte von Art. 4 der EU Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK je nach der individuellen Betroffenheit des Einzelnen und der spezifischen Situation, in die er nach Bulgarien überstellt wird, als systemisch erweisen und zu einem rechtlichen Überstellungshindernis im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verdichten kann. Der Kläger selbst hat nicht vorgetragen, im Vergleich zu anderen Dublin-Rückkehrern durch individuelle Gegebenheiten besonders schutzbedürftig zu sein. Auch der beigezogenen Behördenakte sind dazu keine Anhaltspunkte zu entnehmen.

Auch unter Auseinandersetzung mit der teilweise anders lautenden Rechtsprechung schließt sich das Gericht dem Teil der Rechtsprechung an, der nicht generell von systemischen Mängeln in Bulgarien ausgeht und Überstellung im Dublin-Verfahren grundsätzlich für zulässig erachtet. Im Übrigen wird darauf Bezug genommen (siehe statt vieler und teilweise zu Drittstaatsbescheiden: VG Berlin, U. v. 10.3.2016 - 23 K 10.16 A - juris; VG Bayreuth, U. v. 9.3.2016 - B 3 K 15.30152 - juris; VG Regensburg, B. v. 23.2.2016 - RN 1 S 16.50036; VG München, B. v.15.1.2016 - M 3 S 15.50925 - juris; VG Schhleswig-Holstein, U. v. 29.10.2015 - 12 A 286/15 - juris).

Anderweitige Gründe, die zu einem Abschiebungshindernis führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Abschiebungsanordnung ist damit rechtmäßig.

Auch die Ermessensentscheidung hinsichtlich der sechsmonatige Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 2 AufenthG gem. § 75 Ziff. 12 AufenthG ist rechtmäßig. Die vom Kläger vorgetragenen verwandtschaftlichen Beziehungen wurden ermessensfehlerfrei einbezogen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die zutreffenden Rechtsausführungen des Bescheides vom 29. Februar 2016 verwiesen.

Der Bescheid vom 29. Februar 2016 ist insgesamt rechtmäßig, so dass die Klage vollumfänglich abzuweisen war.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte