Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.06.2016 - 3 ZB 15.1491
Fundstelle
openJur 2020, 66292
  • Rkr:
Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

1.1 Die 1962 geborene Klägerin stand zuletzt als Oberstudienrätin für die Fächer Latein und evangelische Religionslehre im Dienst der Beklagten. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 17. Mai 2011 unter dem Betreff "Ihre gesundheitliche Situation" mit, dass der amtsärztliche Dienst um eine Stellungnahme gebeten worden sei. Die Amtsärztin, eine Fachärztin für Innere Medizin, hielt in einer Aktennotiz vom 19. Juli 2011, dem Tag der Untersuchung, fest, dass aufgrund einer Anpassungsstörung auch ab September das weiterhin gehäufte Auftreten von Fehltagen nicht ausgeschlossen werden könne. Sie richtete an die Kollegen vom sozialpsychiatrischen Dienst die Frage, ob aus fachärztlicher Sicht eventuell eine vorübergehende Versetzung in den Ruhestand mit Nachuntersuchung in ca. 12 Monaten indiziert sei. Daraufhin wurde für den 1. August 2011 eine Untersuchung durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau Dr. M. vorgesehen. Aus einem von der Klägerin vorgelegten Attest vom 17. Dezember 2013 ergibt sich, dass die Klägerin ihren behandelnden Arzt Herrn Dr. B.-G. am 25. Juli 2011 berichtet hatte, dass sie sich nicht zutraue, ab September 2011 wieder zu arbeiten. Sie wolle lieber ein Urlaubsjahr beantragen, als die vorübergehende Pensionierung. Sie fühle sich der psychischen Belastung einer zweiten amtsärztlichen Untersuchung nicht gewachsen.

Auf ihren Antrag wurde die Klägerin für den Zeitraum vom 1. September 2011 bis 31. August 2012 aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gemäß Art. 90 Abs. 1 Nr. 1 BayBG und für den Zeitraum vom 1. September 2012 bis 31. August 2013 aus familienpolitischen Gründen nach Art. 89 Abs. 1 Nr. 1 BayBG jeweils ohne Dienstbezüge beurlaubt.

Die Klägerin beantragte am 18. März 2014 die Aufhebung der jeweiligen Bewilligung der Beurlaubung und eine erneute Entscheidung über ihre Anträge in dem Sinne, dass sie als nicht gestellt anzusehen oder abzulehnen seien, woraus sich der Anspruch auf die Zahlung von Dienstbezügen für den gesamten Zeitraum ergebe. Sie sei während der Beurlaubungen durchgehend dienstunfähig erkrankt gewesen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Mai 2014 und den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2014 ab.

1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Bei den Beurlaubungen für beide Schuljahre handele es sich um rechtmäßige Verwaltungsakte. Insbesondere lägen jeweils rechtswirksame Anträge vor. Eine nachträgliche Rücknahme der Anträge sei nicht möglich. Die Anträge könnten auch nicht nachträglich durch Anfechtung zu Fall gebracht werden. Die Entscheidung der Beklagten, die Genehmigungen vom 4. August 2011 und 3. Mai 2012 (richtig: 5. Oktober 2012) nicht für die Vergangenheit aufzuheben, sei nicht zu beanstanden. Einer einmal ausgesprochenen Beurlaubung dürfe nach deren Ablauf nicht mehr die Grundlage entzogen werden.

Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage einer Verletzung der Fürsorgepflicht befasst. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Anfechtbarkeit seien insoweit unvollständig. Sie führt einerseits aus, sie sei nicht über den genauen Untersuchungsauftrag vom 17. Mai 2011 informiert, nicht über das Untersuchungsergebnis vom 19. Juli 2011 unterrichtet worden und auch nicht darüber, warum Frau Dr. M. einen weiteren Termin angesetzt habe. Im Unterlassen der Mitteilungen liege eine Täuschung im Sinne des § 123 BGB. Andererseits verweist sie darauf, dass ihr nur ein Antrag für die arbeitsmarktpolitische Beurteilung übersandt worden sei, nicht aber für die familienpolitische Beurlaubung, obwohl der Beklagten bekannt gewesen sei, dass ihre Tochter zum damaligen Zeitpunkt schwer erkrankt gewesen sei. Fürsorgepflichtwidrig habe die Beklagte aufgrund der Beurlaubung eine Klärung der Dienstfähigkeit nicht weiter verfolgt und damit billigend in Kauf genommen, dass sie ihre "vielfachen Ansprüche durch den Beurlaubungsanspruch" verlöre.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich daraus bereits deshalb nicht, weil der streitgegenständliche Antrag vom 18. März 2014 nicht als Anfechtungserklärung im Sinne des § 143 BGB zu werten ist. Das Schreiben lässt nicht eindeutig (vgl. Jauernig, Kommentar zum BGB, 16. Aufl. 2016, § 143 Rn. 2) erkennen, dass die den genehmigten Urlauben zugrunde liegenden Anträge wegen eines Willensmangels (§ 119 BGB) bzw. einer arglistigen Täuschung durch den Dienstherrn (§ 123 BGB) angefochten werden sollten.

Davon abgesehen, konnte die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht darlegen, dass sie die Urlaube bei umfassender Information und Aufklärung seitens der Beklagten nicht beantragt hätte. Ausweislich des vorgelegten Attests ihres behandelnden Arztes Dr. B.-G. vom 17. Dezember 2013 hatte die Klägerin von der im Raum stehenden Ruhestandsversetzung wegen zumindest vorübergehender Dienstunfähigkeit Kenntnis und wollte dies durch die Beurlaubung gerade verhindern. Die reklamierten Mitteilungen (Auftrag an das Gesundheitsamt, Unterrichtung vom Untersuchungsergebnis und weitere Behandlung durch Frau Dr. M.) waren damit für die Beantragung der Urlaube nicht ursächlich (vgl. zur Kausalität der Täuschung: Jauernig, Kommentar zum BGB, 16. Aufl. 2015, § 123 Rn. 18). Die Klägerin rügt, die Beklagte sei aufgrund des eingegangenen Urlaubsantrags der Frage ihrer aktuellen Dienstfähigkeit nicht weiter nachgegangen. Eine Täuschungshandlung bezogen auf die beantragten Urlaube liegt darin nicht. Im Übrigen bestand aufgrund der Beurlaubung keinerlei Anlass, der Frage der aktuellen Dienstfähigkeit der Klägerin weiter nachzugehen. Die Beklagte hat daher zutreffend eine Klärung der Dienstfähigkeit rechtzeitig vor Dienstantritt in den Blick genommen.

Die Klägerin fühlt sich auch deshalb getäuscht, weil ihr trotz Kenntnis der Beklagten von der Erkrankung ihrer Tochter nur das Formblatt für eine arbeitsmarktpolitische Beurlaubung nicht aber das für eine familienpolitische Beurlaubung übersandt worden sei. In der behaupteten unterlassenen Übersendung des Formblatts für eine familienpolitische Beurlaubung liegt bereits deshalb keine Täuschungshandlung, weil keine entsprechende Rechtspflicht zur Aufklärung (Offenbarungspflicht) bestand (vgl. Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand: Mai 2016, § 123 Rn. 11; Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 123 Rn. 30). Der Beklagte war lediglich bekannt, dass die Tochter der Klägerin "zur Zeit schwer erkrankt" war. Grundsätzlich ist es Sache jeder Partei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl. 2016, § 123 Rn. 5).

2. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache nicht die von der Klägerin geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist.

Das Verwaltungsgericht ist dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 26. Januar 2006 (9 E 2233/04 - juris Rn. 10) folgend, davon ausgegangen, dass einer einmal ausgesprochenen Beurlaubung nach deren Ablauf nicht mehr die Grundlage entzogen werden dürfe. Gerade die im Beamtenrecht nicht mögliche Nachholung von Dienstleistungen schließe eine rückwirkende Aufhebung aus. Die Klägerin sieht besondere Schwierigkeiten darin, dass der Vorsitzende Richter des Verwaltungsgerichts zwar Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch gesehen habe, nicht aber für eine Aufhebung der Beurlaubung. Es stelle sich schon die Frage, warum in einem solchen Fall die Klägerin Schadensersatzansprüche geltend machen solle, "wenn doch die Frage des Arbeitszeitkontingents augenscheinlich wegen der Dienstunfähigkeit keine Rolle spielen" könne.

Insoweit erfüllt die Zulassungsbegründung nicht die formalen Anforderungen einer Darlegung des Zulassungsgrundes gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2016 - 15 ZB 14.2686 - juris Rn. 63 m. w. N.). Für die Darlegung des Vorliegens besonderer rechtlicher Schwierigkeiten genügt nicht die allgemeine Behauptung einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit, vielmehr bedarf es unter substanzieller Auseinandersetzung mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil einer konkreten Bezeichnung der Rechtsfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen und des Aufzeigens, worin diese Schwierigkeit besteht (BayVGH, B.v. 20.4.2016 - 15 ZB 14.2686 - juris Rn. 63). Die Zulassungsbegründung vom 3. August 2015 enthält in dieser Hinsicht keine nähere Begründung, sondern letztlich lediglich die Frage, warum die Klägerin auf Schadensersatzansprüche verwiesen worden sei, so dass es insofern schon an einer entsprechenden Darlegung mangelt. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 VwGO) sind von der Klägerin nicht geltend gemacht worden.

3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil es sich vorliegend um einen Einzelfall handelt, der keine klärungsbedürftigen Fragen aufwirft.

4. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. der Ziff. 10.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang). Danach ist für die "Bewilligung von Urlaub" der Auffangstreitwert, § 52 Abs. 2 GKG, festzusetzen. Das gilt spiegelbildlich auch für die Aufhebung eines beantragten Urlaubs. Eine Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 1 GKG kommt nicht in Betracht, da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Die im Falle der Aufhebung rückwirkend entstehenden Beihilfeansprüche können nicht exakt beziffert werden; gleiches gilt für etwaige in dem streitigen Zeitraum entstandene zusätzliche Versorgungsansprüche. Auch die im Falle der Aufhebung zu leistende Nachzahlung der Bezüge kann gegenwärtig bereits deshalb nicht beziffert werden, da eine fiktive vorzeitige Ruhestandsversetzung mit verminderten Bezügen gegen gerechnet werden müsste.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).