AG Mühldorf a. Inn, Beschluss vom 18.10.2016 - 1 XIV 121/16 (B)
Fundstelle
openJur 2020, 63977
  • Rkr:
Tenor

1.

Gegen d. Betroff. wird die Haft zur Sicherung der Zurückweisung, welche durch den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn vom 12.10.2016 angeordnet worden ist, verlängert §§ 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 AufenthG.

2.

Die Haft beginnt mit der Festnahme am 02.10.2016 und endet spätestens am 25.11.2016.

3.

Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

I.

D. Betroff. ist burkinischer Staatsangehörige/r.

D. Betroff. reiste am 02.10.2016 von Österreich kommend unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne den für die Einreise erforderlichen Pass oder Passersatz (§§ 3 I, 141 Nr. 1 AufenthG) oder den erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen (§§ 4 Abs. 1, 14 I Nr. 2 AufenthG).

Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte am 17.10.2016 gegen den Betroffenen gemäß § 62 Abs. 3, 60 AufenthG, 420 FamFG Sicherungshaft bis zur vollzogenen Zurückweisung, längstens jedoch bis 25.11.2016 anzuordnen.

Zunächst hatte das Amtsgericht Mühldorf a. Inn mit Beschluss vom 12.10.2016 Sicherungshaft bis spätestens 18.10.2016 angeordnet.

II.

Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroff. gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.

Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist d. Betroff. vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist d. Betroff. überlassen worden. D. Betroffene war in der Lage sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den d. Betroff. vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er/sie bereits aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.

Bei der mündlichen Anhörung am 18.10.2016 erklärte d. Betroff., dass, wenn er sein Geld und seinen italienischen Aufenthaltstitel hat, er nach Italien reisen wolle.

Im übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.

III.

1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.

Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az VZB 246/11). Insbesondere werden verlangt – wie hier erfolgt – Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, § 417 II 2 Nr. 3–5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör d. Betroff. durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 II FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).

Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.

Ferner hat die Ausländerbehörde insbesondere schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Sicherungshaft in der beantragten Länge erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az V ZB 171/12).

Sie trägt hierzu plausibel vor:

Der Betroffene kann unverzüglich nach Burkina Faso zurückgewiesen werden, weil er einen gültigen Reisepass besitzt. Eine Zurückweisung nach Österreich scheidet aufgrund der Zuständigkeit Deutschlands für die Aufenthaltsbeendigung aufgrund des abgelehnten Asylantrags in Deutschland aus.

Die am 17.10.2016 geplante Rückführung nach Burkina Faso scheiterte, da sich der Betroffene weigerte, in das Flugzeug einzusteigen und so die Mitnahme durch den Flugkapitän verweigert wurde. Der Betroffene hat trotz mehrfacher Aufforderung in deutscher und französischer Sprache erklärt, dass er das Flugzeug nicht freiwillig betrete; er äußerte also, dass er sich der Zurückweisung entziehen wolle (§ 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG). Auch hat der Betroffene geäußert, dass er nicht gewillt ist, den Behörden bei einer Passbeschaffung behilflich sein zu wollen (vgl. § 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG). Zudem reiste er in der Vergangenheit, ohne das zuständige Ausländeramt hierüber zu informieren für längere Zeit nach Italien, wodurch er sich dem Zugriff durch die hiesigen Behörden im Sinne des § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG entzogen hat.

Eine kurzfristige Umbuchung mit Sicherheitsbegleitung, die nunmehr erforderlich ist, ist nicht möglich, da auch für die Sicherheitsbegleitkräfte Visa erforderlich sind, die über das Bundespolizeipräsidium bei der Burkinischen Botschaft zu beantragen sind, nachdem geeignetes Begleitpersonal mit Dienstpässen für eine alsbaldige Überstellung bestimmt worden ist. Von der Antragsstellung bis zur Ausstellung der Visa und der folgenden Überstellung vergehen unter Berücksichtigung der entsprechenden Bearbeitungs- und Vorbereitungszeiten einschließlich der Flugbuchung voraussichtlich fünf Wochen.

Die Dauer der Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Ab- bzw. Zurückschiebung notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Abschiebung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.

Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, d. Betroff. unverzüglich abzuschieben, vgl. auch § 62 I 2 AufenthG.

Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt vor.

2. Mit dem unter I. geschilderten Sachverhalt liegen die Voraussetzungen einer unerlaubten Einreise gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG vor. D. Betroff. ist damit auch vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG).

3. Aufgrund der unter Ziffer 2 festgestellten vollziehbaren Ausreisepflicht besteht der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG.

Ferner ist auch der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Ziff. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 1, 3 u. 5 AufenthG gegeben.

Es besteht der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Zurückweisung durch Flucht oder Untertauchen entziehen will.

Die Annahme der Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen d. Betroff. voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass d. Betroff. beabsichtigt unterzutauchen oder die Ab-/Zurückschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH vom 03.05.2012, Az V ZB 244/11; Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rz. 76).

4. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.

Im übrigen liegen Zurückweisungshindernisse nicht vor. Ob die Zurückweisung nach Burkina Faso zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az V ZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Ab-/Zurückschiebungshindernissen – mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH a.a.O.) – zu entscheiden.

Dass die Rückführung nicht innerhalb von 6 Monaten durchgeführt werden könnte, ist nicht ersichtlich (vgl. § 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG).

5. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten – die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.

Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421 FamFG.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.

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