OLG München, Urteil vom 15.01.2015 - 23 U 2469/14
Fundstelle
openJur 2020, 62443
  • Rkr:
Gründe

Oberlandesgerichts München

23 U 2469/14

1 HKO 550/14 LG Landshut

23. Zivilsenat

Protokoll

aufgenommen in der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts München, 23. Zivilsenat,

am Donnerstag, 15.01.2015

in München

In dem Rechtsstreit

...

- Klägerin und Berufungsklägerin

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

gegen

...

- Beklagte und Berufungsbeklagte

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

wegen Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses

Gegenwärtig: Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht... als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht . Richterin am Oberlandesgericht . Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

erscheinen bei Aufruf der Sache:

1. Klägerseite: Rechtsanwalt...

2. Beklagtenseite: Liquidator, Herr... mit Rechtsanwalt...

Sitzungsbeginn: 10.22 Uhr

Der Vorsitzende führt in den Sach- und Streitstand ein. Die Sach- und Rechtslage wird mit den Parteien erörtert. Der Senat zieht sich zur Beratung zurück. Die Sitzung wird fortgesetzt. Beklagtenvertreter erklärt:

Es steht noch eine Stammeinlage der Klägerin in Höhe von ca. 2.750,00 € aus.

Klägervertreter bestreit, dass noch eine Stammeinlage aussteht.

Klägervertreter stellt Antrag aus dem Schriftsatz vom 11.09.2014 (Bl. 65/66 d. A.).

Beklagtenvertreter stellt Antrag aus dem Schriftsatz vom 22.09.2014 (Bl. 73 d. A.).

Der Senat weist darauf hin, dass das Rubrum - auch im Endurteil des Landgerichts Landshut - unrichtig sein dürfte, da ein Beschluss über die Liquidation gefasst wurde und dieser erst dann unwirksam wird, wenn dies rechtskräftig festgestellt wird. Der Senat beabsichtigt daher, das Rubrum - auch des landgerichtlichen Urteils -dahingehend zu berichtigen, dass es heißen muss: "B. GmbH i. L., vertreten durch den Liquidator Uwe B."

Die Parteivertreter erhalten hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Parteivertreter sind mit einer entsprechenden Berichtigung des Rubrums einverstanden.

Nach geheimer Beratung des Gerichts verkündet der Vorsitzende folgenden

Beschluss:

1. Eine Entscheidung ergeht am Ende der Sitzung, nicht vor 14.00 Uhr.

2. Das Rubrum - auch des Endurteils des Landgerichts Landshut vom 04.06.2014 wird dahingehend berichtigt, dass die Beklagtenbezeichnung richtig wie folgt lautet: B. GmbH i. L., vertreten durch den Liquidator Uwe B.

Die Sitzung wird um 11.09 Uhr unterbrochen.

Nach Wiederaufruf der Sache um 15.52 Uhr wird festgestellt, dass niemand erschienen ist.

Sodann verkündet der Vorsitzende unter Bezugnahme auf die Urteilsformel

IM NAMEN DES VOLKES

folgendes

Endurteil:

I.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 04.06.2014 dahingehend abgeändert, dass die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Beklagten von 28.01.2014 mit dem Inhalt

1. Die Gesellschaft wird aufgelöst.

2. Zum einzelvertretungsberechtigten und von § 181 BGB befreiten Liquidator wird bestimmt: Herr Uwe B., geboren ..., wohnhaft ..., Die Bücher und Schriften der Gesellschaft werden nach Beendigung der Liquidation gemäß § 74 Abs. 2 GmbHG beim o.g. Liquidator verwahrt.

4. Der Liquidator hat sicherzustellen, dass die Bücher ordnungsgemäß aufbewahrt und zu Zwecken der Einsichtnahme und Erledigung der Buchhaltungsaufgaben jederzeit zur Verfügung stehen.

für nichtig erklärt werden.

II.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

III.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 7% und die Beklagte 93%.

IV.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Sodann wird das Urteil gem. § 540 Abs. 1 ZPO wie folgt zu Protokoll begründet:

I. Die Klägerin greift Beschlüsse vom 28.01.2014 an, mit denen insbesondere die Auflösung der Beklagten und die Bestellung eines Liquidators beschlossen wurde

(Anlage K 5).

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Beklagten von 28.01.2014 mit dem Inhalt

1. Die Gesellschaft wird aufgelöst.

2. Zum einzelvertretungsberechtigten und von § 181 BGB befreiten Liquidator wird bestimmt: Herr Uwe B., geboren ..., wohnhaft ..., Die Bücher und Schriften der Gesellschaft werden nach Beendigung der Liquidation gemäß § 74 Abs. 2 GmbHG beim o.g. Liquidator verwahrt.

3. Der Liquidator/Geschäftsführer wird angewiesen, offene und nicht eingezahlte Einlagen einzufordern.

4.Der Liquidator hat sicherzustellen, dass die Bücher ordnungsgemäß aufbewahrt und zu Zwecken der Einsichtnahme und Erledigung der Buchhaltungsaufgaben jederzeit zur Verfügung stehen.

werden für nichtig erklärt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen, wird, hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit der in der Gesellschafterversammlung vom 28.01.2012 gefassten Beschlüsse, da die Klägerin aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht verpflichtet gewesen sei, den Beschlüssen zuzustimmen. Nach der vorgelegten vorläufigen Bilanz für das Geschäftsjahr liege ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von € 35.922,71 vor, nach dem Vortrag der Klägerin seien die Verbindlichkeiten noch höher als in der vorläufigen Bilanz ausgewiesen. Unter diesen Umständen sei es den Gesellschaftern nicht mehr zumutbar, die Gesellschaft fortzuführen. Die Klägerin habe der Liquidation zustimmen müssen. Der Klägerin sei umfassend Einsichtnahme in die Bücher und Unterlagen angeboten worden. Diesem Angebot sei die Klägerin jedoch nicht nachgekommen. Sie könne sich im Rahmen der Abstimmung nicht darauf berufen, ihr hätten die entsprechenden Auskünfte gefehlt.

Dagegen wendet sich die Klägerin, die mit ihrer Berufung ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Sie rügt insbesondere, das Landgericht habe Inhalt und Umfang des Auskunftsanspruchs eines GmbH-Gesellschafters verkannt und hätte eine Unterkapitalisierung der Gesellschaft nicht als unstreitig zugrunde legen dürfen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Es erschließe sich nicht, warum die Klägerin sich bis heute weigere, die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Kenntnis zu nehmen und nach Einsichtnahme in die Bücher Gründe für eine Alternative mitzuteilen. Der Geschäftszweck könne mangels belastbarer Kundenbeziehungen, mangels ausreichender Aufträge und mangels Liquidität nicht erreicht werden.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

1. Die Klägerin hat die Anfechtungsfrist gewahrt. Der die Auflösung betreffende Beschluss zu 1) bedarf mangels einer abweichenden Regelung in der Satzung der Beklagten nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbH einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen. Diese Mehrheit kam nicht zustande, da die Klägerin mit Nein gestimmt hat und entgegen der Ansicht des Versammlungsleiters nicht verpflichtet war, der Auflösung zuzustimmen.

1.1. Bei der Stimmrechtsausübung unterliegen die Gesellschafter zwar grundsätzlich der Treuepflicht, die Möglichkeit positiver, d. h. auf Auflösung zielender Stimmpflichten ist in der Literatur jedoch umstritten (ablehnend Hofmann, GmbHR 1975, 217/219). Wegen der in § 61 GmbHG vorgesehenen Auflösungsklage kommt nach der herrschenden Meinung, der sich der Senat anschließt, eine Pflicht, dem Auflösungsbeschluss aus Gründen der Treuepflicht zuzustimmen allenfalls in ganz seltenen Fällen in Betracht. Voraussetzung ist, dass das Erreichen des Gesellschaftszwecks objektiv unmöglich ist und eine Ablehnung der Auflösung evident rechtsmissbräuchlich (Casper in Ulmer, GmbHG, § 60, Rn. 44; K. Schmidt/Bitter in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. § 60, Rn. 16). Denkbar ist dies beispielsweise, wenn sich durch weiteres Zuwarten die Zerschlagungswerte zu verschlechtern drohen (Casper a. a. O.).

Die Behauptung der Beklagten, es lägen wirtschaftliche Gründe im Sinne des § 61 GmbHG vor, trägt nicht die Annahme, die Ablehnung der Auflösung durch die Klägerin sei evident rechtsmissbräuchlich.

1.2. Zum einen hat die Klägerin die sich aus der vorläufigen Bilanz ergebende Unterkapitalisierung bestritten. Einen Beweis für die Richtigkeit der vorläufigen Bilanz hat die Beklagte nicht angetreten. Dass der Jahresabschluss festgestellt wurde, hat die Beklagte nicht behauptet.

Das Bestreiten der Klägerin mit Nichtwissen ist ausreichend, denn es ist Aufgabe der Geschäftsführer, den Jahresabschluss aufzustellen. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, sich entsprechend zu informieren. Dass die Klägerin sich insoweit zu Unrecht darauf beruft, sie habe keine Auskunft zur finanziellen Situation erhalten (s.u. 1.4.), ist insoweit ohne Bedeutung.

1.3. Die Klägerin vertritt zum anderen - auf der Grundlage der vorläufigen Bilanz -hilfsweise die Auffassung, die Gesellschaft müsse Insolvenz anmelden. Ob dies zutrifft, bedarf hier keiner Entscheidung. Angesichts des in der vorläufigen Bilanz ausgewiesenen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages, ist die Ablehnung eines Auflösungsbeschlusses durch die Klägerin jedenfalls nicht evident treuwidrig. Der Handelsbilanz kommt bei der Beurteilung der Überschuldung einer Gesellschaft immerhin indizielle Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 19.01.2013, II ZR 229/11, juris Tz. 17). Selbst wenn man - mit der Beklagten - davon ausgeht, dass die Geschäftsführer bzw. der Liquidator bislang nicht verpflichtet waren, nach § 15 InsO Insolvenzantrag zu stellen, und der Vorschlag der Geschäftsführer, die Gesellschaft aufzulösen, pflichtgemäß war, ergibt sich daraus noch keine Pflicht der Klägerin, dem Vorschlag zuzustimmen. Die Beklagte hat weder eine Gefahr der Verschlechterung der Liquidationswerte dargetan, noch sonstige Umstände, die es treuwidrig erscheinen lassen, die die Auflösung betreibenden Gesellschafter auf die Auflösungsklage nach § 61 GmbHG zu verweisen.

1.4. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Vertreter der Klägerin bei der Gesellschafterversammlung vom 28.01.2014 unter TOP "Sonstiges" erklärt hat, die Klägerin sei nicht grundsätzlich gegen eine Liquidation, und dass sich die Klägerin ohne Erfolg darauf beruft, die Beklagte hätte ihr die von ihr angeforderten Informationen nicht zur Verfügung gestellt. Denn aus der nunmehr vollständig vorgelegten Anlage K 6 ergibt sich, dass der "Fragenkatalog" keine Fragen enthält, sondern zum einen den nicht näher konkretisierten Antrag auf "unverzügliche Auskünfte gemäß § 51 a GmbHG" (Antrag zu 2) und zum anderen den Antrag auf "Informationen zur Gesellschaft mit Frist bis zum 31.12.2013", der stichpunktartig näher konkretisiert wird und u. a. den Punkt "Vollmacht zur Einsicht von Unterlagen" enthält (Antrag zu 3). Diese Anträge sind dahingehend zu verstehen,

1.3. dass die Klägerin gemäß § 51 a Abs. 1 GmbHG Informationen zu den im Einzelnen aufgeführten Punkte wie Insolvenzprüfung, Kontoauszüge etc. begehrte und zwar durch Einsicht der Bücher und Schriften, die die Beklagte mit Schreiben vom 17.12.2013 angeboten hat. Ein konkretes Auskunftsverlangen der Klägerin, das nicht durch Einsichtnahme der Bücher und Schriften erfüllt werden könnte, ist weder den am 17.12.2013 und erneut am 28.01.2014 übergebenen Anträgen der Klägerin noch ihrem Vortrag zu entnehmen. Im Übrigen kann die Gesellschaft das Informationsverlangen eines Gesellschafters nicht nur in der vom Gesellschafter begehrten Form erfüllen. D. h. ein Auskunftsverlangen kann auch durch Einsichtsgewährung und ein Einsichtsverlangen auch durch Auskunftserteilung erfüllt werden, wenn hierdurch das Informationsinteresse des Gesellschafters befriedigt wird (OLG Jena, Beschluss vom 14.09.2004, 6 W 417/04, juris Tz. 12; K. Schmidt a. a. O., § 51 a Rn. 21). Dies ist hier der Fall.

2. Der aus mehreren Entscheidungsgegenständen zusammengesetzte Beschluss vom 28.01.2014 ist auch hinsichtlich Ziffer 2) und 4) nichtig, denn es ist nicht anzunehmen, dass die Gesellschafter die Bestellung des Liquidators und die Anweisung an den Liquidator, die Bücher ordnungsgemäß aufzubewahren, beschlossen hätten, wenn sie von der Nichtigkeit des Auflösungsbeschlusses gewusst hätten (§ 139 BGB).

3. Die unter Ziffer 3) beschlossene Anweisung an den Liquidator/Geschäftsführer, offene und nicht eingezahlte Einlagen einfordern, ist von der Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft dagegen abtrennbar. Er bedurfte nur der einfachen Mehrheit. Da die Gesellschafter Uwe und Mathias B. mit jeweils 35% dafür gestimmt haben, hat der Versammlungsleiter im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die ausreichende Mehrheit vorliegt und der Beschluss gefasst wurde, auch wenn er zu Unrecht davon ausging, die Nein-Stimme der Klägerin sei nicht mitzuzählen.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, § 708 Nr. 10, 3 713 und § 543 Abs. 2 ZPO.

...

Sodann verkündet der Vorsitzende folgenden

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.050,00 € (7.500,00 € für die Anträge hinsichtlich der Liquidation und 550,00 € hinsichtlich der Einforderung der Einlage) festgesetzt.

Ende der mündlichen Verhandlung: 15.57 Uhr Das Protokoll wurde mittels PC erstellt.