ArbG Augsburg, Beschluss vom 18.05.2017 - 4 BV 260/16
Fundstelle
openJur 2020, 62080
  • Rkr:
Tenor

Der Beteiligte zu 2.) wird aus dem Betriebsrat ausgeschlossen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über einen Antrag auf Ausschluss aus dem Betriebsrat.

Die Beteiligte zu 3) ist ein Großhandelsunternehmen, welches Gastronomie- und Hoteleriebetriebe mit Lebensmitteln und allgemeinem Restaurant- und Hoteleriebedarfsartikeln beliefert. Der Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 3) gebildete elfköpfige Betriebsrat. Der Beteiligte zu 2) ist seit 15.04.2010 Mitglied des Beteiligten zu 1).

Der Beteiligte zu 2) nahm in der Vergangenheit an zahlreichen Betriebsratssitzungen nicht teil. Der Beteiligte zu 1) hatte deshalb bereits im Jahre 2015 ein Ausschlussverfahren beim Arbeitsgericht Augsburg eingeleitet. Da der Beteiligte zu 2) zwischenzeitlich jedoch wieder an Betriebsratssitzungen teilgenommen hatte, wurde das Verfahren vergleichsweise beendet.

Der Beteiligte zu 2) hat an den Betriebsratssitzungen am 22.03., 29.04., 25.05., 12.07., 13.07., 27.07., 05.08., 17.08., 24.08., 31.08., 14.09., 16.09., 21.09., 28.09., 04.11., 09.11., 26.11., 23.11., 30.11. und 02.12.2016 nicht teilgenommen, ohne jeweils einen Hinderungsgrund anzugeben.

Nach § 6 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Beteiligten zu 1) (vgl. Blatt 150 der Akte) erfolgt die Einladung zu den Betriebsratssitzungen unter Mitteilung der Tagesordnung schriftlich und wird zwei Tage vor der Sitzung in das Fach gelegt, welches für jedes Betriebsratsmitglied eingerichtet ist. Weiter heißt es in der Geschäftsordnung, dass die Betriebsratsmitglieder und Nachrücker selbst für die Abholung der Einladung verantwortlich seien.

Der Beteiligte zu 1) trägt vor, der Beteiligte zu 2) sei jeweils ordnungsgemäß und entsprechend der Geschäftsordnung des Beteiligten zu 1) zu den Betriebsratssitzungen eingeladen worden (vgl. Konvolut von Einladungen/Protokollen Blatt 69 ff. der Akte).

Der Beteiligte zu 1) beantragt:

Der Antragsgegner ... wird aus dem Betriebsrat ausgeschlossen.

Der Beteiligte zu 2) beantragt

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 3) hat keinen Antrag gestellt.

Der Beteiligte zu 2) trägt vor, dass er wegen akuten Fahrermangels nicht an den Sitzungen des Beteiligten zu 1) teilgenommen habe. Zudem dauerten die Sitzungen in der Regel nur zwischen ein bis zwei Stunden. Die Disposition der Beteiligten zu 3) könne jedoch oft keine kurzen Touren für den Beteiligten zu 2) an den Sitzungstagen planen. Dies habe zur Folge, dass seine Arbeitszeit an den Sitzungstagen ins Minus gehe. Hinzu komme, dass die Mitglieder des Beteiligten zu 1) die Ladungen zu den Sitzungen oft erst am Tag der Sitzung zu Sitzungsbeginn erhielten, so dass der Beteiligte zu 2) nicht im Voraus habe entscheiden können, ob seine Teilnahme zwingend erforderlich oder seine berufliche Tätigkeit als Fahrer wichtiger sei.

Im Übrigen ist der Beteiligte zu 2) der Auffassung, dass ein Ausschluss aus dem Gremium vorliegend schon deshalb nicht in Betracht komme, weil die Funktionsfähigkeit des Beteiligten zu 1) durch die Nichtteilnahme des Beteiligten zu 2) an den Betriebsratssitzungen nicht beeinträchtigt würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle gemäß §§ 80 Abs. 2, 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 495 Abs. 1, 313 Abs. 2 S. 2 ZPO verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

1.) Das vorliegende Verfahren wurde ordnungsgemäß eingeleitet. Unter dem Datum 05.12.2016 wurden die Mitglieder des Beteiligten zu 1) für die Betriebsratssitzung am 07.12.2016 geladen (vgl. Blatt 152 der Akte). Hinsichtlich der Tagesordnungspunkte "Ausschluss des Beteiligten zu 2) aus dem Betriebsrat" und "Durchführung des entsprechenden Verfahrens" (Tops 14–16) wurde das weitere Ersatzmitglied ... (statt des verhinderten Ersatzmitglieds Jürgen Tax) geladen.

2.) Der Antrag hat in der Sache Erfolg. Der Beteiligte zu 2) wird aus dem Betriebsratsgremium ausgeschlossen. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Beteiligten zu 2) aus dem Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG sind vorliegend erfüllt.

a) Gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG kann unter anderem der Betriebsrat beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines seiner Mitglieder wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten kann zum Ausschluss des Betriebsratsmitglieds führen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglied untragbar erscheint (BAG 27. Juli 2016 – 7 ABR 14/15 – Rn. 21, NZA 2017, 136 m.w.N.). § 23 Abs. 1 BetrVG stellt dabei keine Sanktion wegen der Amtspflichtverletzung dar, sondern will künftige Amtspflichtverletzungen durch das betreffende Betriebsratsmitglied ausschließen (LAG München 17. Januar 2017 – 6 TaBV 97/16 – Rn. 45, juris).

b) Es gehört zu den Pflichten eines Betriebsratsmitglieds, dass er an den Sitzungen des Betriebsrats teilnimmt (Richardi BetrVG § 23 Rn. 17). Ein ständiges unentschuldigtes Fernbleiben von den Betriebsratssitzungen oder eine Nichtteilnahme an den Abstimmungen im Betriebsrat kommt deshalb als grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 grundsätzlich in Betracht (Fitting BetrVG 28. Auflage § 23 Rn. 19).

Unstreitig hat der Beteiligte zu 2) hier zahlreiche Betriebsratssitzungen versäumt, ohne ansatzweise nachvollziehbare Gründe dafür darzulegen. Insofern ist zunächst festzuhalten, dass der Beteiligte zu 2) nicht bestritten hat, die Ladungen erhalten zu haben. Er hat lediglich moniert, der Beteiligte zu 1) habe nicht hinreichend vorgetragen, wann und wie dies der Fall gewesen sein soll. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Im Anhörungstermin vor der Kammer wurde insofern besprochen, dass der Beteiligte zu 2) am Montag jeweils seinen freien Tag habe, so dass er für eine Abholung der Einladungen aus seinem Betriebsratspostfach extra den Betrieb hätte aufsuchen müssen. Dies ist sicherlich unschön, aber im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es entspricht der Geschäftsordnung des aktuellen Betriebsrates. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 2) auf eine Änderung oder einen ausnahmsweise anderen Versandweg der Einladung gedrungen hätte.

Nach Auffassung der Kammer geht der Beteiligte zu 2) auch von völlig falschen Maßstäben aus, wenn er meint, die Überlassung der Tagesordnung diene dazu zu prüfen, ob seine originäre berufliche Tätigkeit wichtiger sei als die auf der Betriebsratssitzung besprochenen Themen. Zweck der Überlassung der Tagesordnung ist einzig und allein, dass sich das Betriebsratsmitglied auf die Themen der Sitzung vorbereiten kann. Allenfalls hat noch eine Prüfung stattzufinden, ob ein Fall der persönlichen Verhinderung vorliegt, soweit dies nicht bereits ausreichend durch den Vorsitzenden als einladende Person erfolgt ist. Wenn der Beteiligte zu 2) Betriebsratsarbeit verrichtet, ist er nicht verpflichtet, seine Tätigkeit aus dem Arbeitsvertrag zu erbringen. Er ist unter Fortzahlung des Entgelts freizustellen. Nachteile wie ein negatives Stundenkonto bei kurzer Sitzung und nicht möglicher anderweitiger Beschäftigung dürfen dem Betriebsratsmitglied nicht entstehen.

Aus Sicht der Kammer kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats als solches ernstlich bedroht ist. Soweit ersichtlich, ist dies keine Voraussetzung der aktuellen, herrschenden Rechtsprechung, die vielmehr auf die grobe Pflichtverletzung abstellen, ohne maßgeblich auf die Funktionsfähigkeit des Gremiums zu rekurrieren. Dies kann im Ergebnis aber sogar dahinstehen. Vorliegend ist die Funktionsfähigkeit des Beteiligten zu 1) durch das Verhalten des Beteiligten zu 2) jedenfalls tangiert. Zum einen ist im Vorfeld nicht erkennbar, wie viele weitere Betriebsratsmitglieder ohne berechtigten Anlass einer Sitzung im Einzelfall fernbleiben. Insofern kann jeder die ausschlaggebende Person sein, deren Abwesenheit dazu führt, dass eine Beschlussfähigkeit nicht besteht. Im Übrigen mag es vorliegend so sein, dass die stärkere Fraktion im Gremium ihre Vorstellungen durchsetzt. Es ist aber möglich, dass durch die unentschuldigte Nichtteilnahme des Beteiligten zu 2) Abstimmungen im Einzelnen anders ausgehen, insbesondere weil in diesen Fällen auch kein Ersatzmitglied geladen werden kann. Insofern ist schon ausreichend, wenn auf diese Weise eine Pattsituation des vom Gesetzgeber ausdrücklich mit einer ungeraden Anzahl von Mitgliedern bestückten Gremiums entsteht. Dies hätte entsprechend eine Ablehnung des Beschlusses zur Folge.

Das permanente unentschuldigte Fernbleiben – insbesondere auch nachdem hierzu bereits ein Rechtsstreit geführt wurde – stellt eine erhebliche Pflichtverletzung seitens des Beteiligten zu 2) dar. Entsprechend war er aus dem Betriebsrat auszuschließen.