OLG Bamberg, Beschluss vom 30.06.2017 - 8 SA 17/17
Fundstelle
openJur 2020, 59468
  • Rkr:
Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr.

Gründe

I.

Der Kläger erhob – nach vorgeschaltetem Mahnverfahrens – Klage zum Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung von 2.499,00 Euro Schadensersatz nebst Zinsen und 334,75 Euro vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu verurteilen.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Kaufvertrag über einen gebrauchten Rolls Royce Silver Shadow, der, so der Kläger über die Verkaufsplattform "ebay" per "Sofort-Kauf" am 10.04.2016 wirksam zustande kam. Im Angebot war zum Stichpunkt "Versand" vermerkt, dass das Fahrzeug am Artikelstandort "RheinMain Deutschland" abzuholen sei und zur Zahlung, dass die Möglichkeit der Barzahlung bei Abholung und "weitere Zahlungsmethoden" bestünden.

Der Beklagte holte das bezeichnete Fahrzeug in der Folge nicht ab und bezahlte es auch nicht. Der Kläger erklärte daraufhin den Rücktritt vom Vertrag und fordert nun vom Beklagten Schadensersatz in Höhe der Differenz zum Kaufpreis aus einem Ersatzverkauf.

Am 18.10.2016 fragte das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. bei der Stadt Riedenburg an, ob der Beklagte dort unter der Anschrift "..., 93339 Riedenburg" am 10.04.2016 gemeldet gewesen sei. Am 20.10.2016 teilte das Einwohnermeldeamt der Stadt Riedenburg dem Gericht mit, dass der Beklagte sich am 01.12.2010 von dort nach Birsfelden/Schweiz abgemeldet habe.

Das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. wies die Parteien mit Verfügung vom 26.10.2016 darauf hin, dass sich die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht aus § 29 ZPO ergebe. Eine Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Zahlung des Kaufpreises gemäß § 281 BGB sei am Wohnort des Käufers zu erheben. Für die (ehemalige) Adresse des Beklagten wäre das Amtsgericht Kelheim zuständig; für die vom Beklagten bezeichnete Wohnadresse in der Schweiz sei vor einem schweizerischen Gericht zu klagen.

Der Kläger wies mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 08.11.2016 darauf hin, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung zum Erfüllungsort getroffen worden sei, indem das Fahrzeug am Artikelstandort, d.h. in Omersbach im Landgerichtsbezirk Aschaffenburg gewesen, bar zu bezahlen gewesen sei.

Das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. wies den Kläger mit Verfügung vom 14.11.2016 darauf hin, dass an dem in der Verfügung vom 26.10.2016 dargelegten Rechtsstandpunkt festgehalten werde.

Der Kläger wies mit weiterem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.12.2016 erneut darauf hin, dass seines Erachtens mit dem Vermerk im Angebot "Barzahlung bei Abholung" ein Erfüllungsort für die Zahlung vereinbart worden sei. Hilfsweise stellte er den Antrag auf Verweisung an das AG Kelheim. Der seinerzeitige Ebay-Accounts des Beklagten habe 93339 Riedenburg als Wohnort des Beklagten bezeichnet.

Der Beklagte äußerte sich zu diesem Hilfsantrag nicht.

Mit Beschluss vom 21.03.2017 erklärte sich das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Kelheim (Bl. 69 d.A.). Zur Begründung führte das Gericht aus, neben der "Barzahlung bei Abholung" seien auch andere Zahlungsmethoden und -wege vereinbart und damit möglich gewesen. Deshalb bleibe es dabei, dass der Leistungsort für Geldschulden der Wohnort des Schuldners zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses sei.

Das Amtsgericht Kelheim lehnte die Übernahme des Verfahrens mit Verfügung vom 02.02.2017 ab und gab die Akte an das Ausgangsgericht zurück (Bl. 72 f. d.A.). Zur Begründung führte es aus, dass der im Rahmen der Amtshilfe vom AG Aschaffenburg eingeholten Auskunft des Einwohnermeldeamtes Riedenburg zu entnehmen sei, dass der Beklagte, wie er auch selbst angibt, zum Zeitpunkt des behaupteten Vertragsschlusses dort nicht mehr gewohnt habe. Angaben in einem Ebay-Account seien nicht zuverlässiger. Das verweisende Gericht habe sich in den Gründen zum Verweisungsbeschluss nur mit der eigenen Unzuständigkeit, nicht mit der Zuständigkeit des Gerichts befasst, an das verwiesen worden sei. Die Verweisung gerade an das Amtsgericht Kelheim sei deshalb unverständlich und willkürlich und somit nicht bindend. Zuständig sei wohl tatsächlich ein schweizerisches Gericht. Eine in diesem Fall ggf. veranlasste Abweisung der zu einem deutschen Gericht erhobenen Klage habe durch das Amtsgericht Aschaffenburg zu erfolgen.

Mit "Hinweis" vom 03.03.2017 machte das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. weitere Ausführungen zu der von ihm angenommenen Zuständigkeit des Amtsgerichts Kelheim (Bl. 75 d.A.). Grundlage seien die Angaben des Beklagten in seinem Ebay-Account und die Umstände, dass der Mahnbescheid über eine Zustellung in Riedenburg den Beklagten tatsächlich erreicht habe und der Beklagte dem Antrag auf Verweisung an das Amtsgericht Kelheim nicht entgegengetreten sei.

Beide Parteien äußerten sich zum Hinweis vom 03.03.2017. Mit Beschluss vom 23.05.2017 legte das Amtsgerichts Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. das Verfahren dem Senat zur Zuständigkeitsbestimmung vor.

Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Kläger hält weiterhin das Amtsgerichts Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. für örtlich zuständig. Mit dem Vermerk "Barzahlung bei Abholung" sei der Wohnort des Klägers als Erfüllungsort für die Zahlung vereinbart.

Der Beklagte beantragt, keine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 ZPO durchzuführen, da kein Gerichtsstand in Deutschland vorhanden sei.

II.

Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO durch das Oberlandesgericht Bamberg zu entscheiden, weil das zu seinem Bezirk gehörende Amtsgericht Aschaffenburg zuerst mit der Sache befasst war.

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor, da die Amtsgerichte Aschaffenburg und Kelheim in einem negativen Kompetenzkonflikt verfangen sind und zumindest ein Gericht auf, der Basis der insoweit maßgeblichen klägerischen Darstellungen und Behauptungen zuständig ist.

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr.

Es entspricht höchstricherlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BGH NJW-RR 2013, 309), dass es im Rahmen von § 29 Abs. 1 ZPO auf den Erfüllungsort für die jeweils streitige Verpflichtung ankommt, der sich danach bestimmt, wo aufgrund materiell-rechtlicher Vorschriften oder aufgrund (ausdrücklicher oder konkludenter) Parteivereinbarung die im Streit befindliche vertragliche Verpflichtung zu erfüllen ist. Bei gegenseitigen Verträgen besteht deshalb im Allgemeinen kein einheitlicher Erfüllungsort, dieser ist vielmehr für jede aus dem Vertrag folgende Verpflichtung gesondert zu bestimmen (BGH a.a.O., Rn 14). Maßgeblich für die Erfüllungsortzuständigkeit ist die dem erhobenen Anspruch zugrundeliegende Vertragspflicht, deren Verletzung gerügt wird. Dementsprechend erfasst der Gerichtsstand des Erfüllungsortes einer Primärverbindlichkeit auch Klagen auf Schadensersatz wegen Nicht- oder Schlechterfüllung von Haupt- oder Nebenpflichten. Der Erfüllungsort solcher "Sekundärverbindlichkeiten" folgt grundsätzlich dem Erfüllungsort der verletzten Primärverbindlichkeit (vgl. hierzu auch Zöller-Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 29, Rn. 25, Stichwort "Schadensersatz").

Zutreffend gehen beide in den negativen Kompetenzkonflikt verfangenen Gerichte davon aus, dass es sich bei der verletzten Primärpflicht um die Kaufpreiszahlung handelt.

Kaufpreisschulden sind, wie andere Geldschulden, im Zweifel am Wohnsitz des Schuldners bzw. am Ort seiner Niederlassung zu erfüllen; §§ 269 Abs. 1 und 2, 270 Abs. 4 BGB (BGH, Urteil vom 02. Oktober 2002 – VIII ZR 163/01 – Rn. 9, juris). § 269 Abs. 1 BGB ist allerdings Dispositivnorm (BGH, NJW 2004, 54 ff.). Ein abweichender Erfüllungsort kann vereinbart werden oder sich, wie dies zum Beispiel beim klassischen Ladengeschäft des täglichen Lebens angenommen wird (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 29 Rn. 25 "Kaufvertrag" m.w.N.), aus den Umständen ergeben.

Nach den insoweit maßgeblichen Angaben des Klägers haben die Parteien vorliegend eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, wonach Barzahlung am Ort der Fahrzeugübergabe zu erfolgen hatte. Vereinbarter Erfüllungsort für die Zahlung ist demnach der für die Fahrzeugübergabe vereinbarte Ort. Dieser Ort liegt im Bezirk des Amtsgerichts Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr., das mithin für das Verfahren örtlich zuständig ist.

Unerheblich ist insoweit, dass dem Käufer grundsätzlich auch andere Möglichkeiten der Bezahlung angeboten wurden, jedenfalls solange er von dieser Wahlmöglichkeit – wie vorliegend – noch keinen Gebrauch gemacht hat.

Selbst wenn man hiervon nicht ausgehen wollte, so ergibt sich doch in keinem Fall eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Kelheim. Insbesondere ist – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Aschaffenburg – eine Wohnsitzzuständigkeit jenes Gerichts nicht begründet. Denn selbst wenn von dem Regelfall auszugehen wäre, nach dem die Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufpreisanspruchs gemäß § 281 BGB am Wohnsitz des Käufers zu stellen ist (§ 29 ZPO bzw. Art. 2 LugÜ), so liegt dieser Wohnsitz zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht im Bezirk des Amtsgerichts Kelheim. Ausweislich der amtlichen Mitteilung des Einwohnermeldeamts der Stadt Riedenburg (in Übereinstimmung mit den Angaben der Beklagtenseite) wohnte der Beklagte nämlich schon seit 01.04.2010 nicht mehr dort.

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. vom 21.03.2017 entfaltet auch keine Bindungswirkung. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist zwar grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt aber dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa, weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; NJW-RR 2011, 1364; NJW-RR 2015, 1016).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Das Amtsgereicht Kelheim weist zutreffend darauf hin, dass die Gründe zum Beschluss vom 21.03.2017 sich ausschließlich mit der Frage der eigenen Unzuständigkeit, in keiner Weise aber mit der Frage einer Zuständigkeit des Amtsgerichts Kelheim befassen. Eine eingehende Befassung wäre allerdings veranlasst gewesen, zum einen, weil der Beklagte schon ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass er bei Vertragsschluss nicht in Riedenburg wohnte (und wohnhaft gemeldet war) und zum anderen das Amtsgerichts Aschaffenburg – Zweigstelle Alzenau i.Ufr. selbst unmittelbar vor Erlass des Verweisungsbeschlusses eine amtliche Auskunft angefordert und erhalten hatte, aus der sich ergibt, dass der Beklagte sich bereits 5 Jahre vor Vertragsschluss, nämlich am 01.12.2010, bei der Stadt Riedenburg abgemeldet hatte, weil er in die Schweiz verzogen war. Vor diesem Hintergrund ist der Verweisungsbeschluss vom 21.03.2017 nicht mehr verständlich. Daran ändern auch die vom Gericht nachgeschobenen Gründe nichts. Die Angaben in einem Ebay-Account sind keineswegs im Verhältnis zu amtlichen Auskünften eines Einwohnermeldeamts als höherwertiger bzw. zuverlässiger zu bewerten.

Selbst wenn das Amtsgericht Aschaffenburg – Alzenau an seiner Auffassung festhalten sollte, dass allein eine Wohnsitzzuständigkeit, mithin eine Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts, gegeben ist, so hat es hierüber selbst in eigener Zuständigkeit – etwa im Wege der Klageabweisung als unzulässig – zu befinden.