SG Landshut, Urteil vom 26.06.2019 - S 1 BA 41/18
Fundstelle
openJur 2020, 56985
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2018 wird festgestellt, dass die Klägerin seit 01.01.2013 in der Tätigkeit "Hausmeisterservice" bei der Beigeladenen keine abhängige Beschäftigung ausübt und folglich keine Versicherungspflicht zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Tätigkeit der Klägerin für die Beigeladene zu 1) im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird.

Die am ...1954 geborene Klägerin betreut mit ihrem als Gewerbe angemeldeten "Hausmeisterservice" die Wohnanlage E.straße . bis .b in P. mit insgesamt 114 Wohnungen.

Für ihre Tätigkeit erhielt sie ab 01.01.2013 650 Euro netto monatlich, seit September 2014 750 Euro monatlich; Umsatzsteuer wird nicht erhoben (Kleinunternehmerregelung). Ausserdem betreut die Klägerin die Wohnungseigentümergemeinschaft E.straße . bis .. in P. mit 96 Wohnungen. Letztere Tätigkeit ist Gegenstand des Verfahrens S 1 BA 43/18.

Grundlage für das Tätigwerden der Klägerin ist ein "Dienstvertrag für einen selbständigen Hausmeister oder eine Firma". Dieser Vertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

"* Der Auftragnehmer ist zuständig für die Einhaltung der Ordnung und Sauberkeit des Objekts sowie für die technische Überwachung."

* Bei der Wahrnehmung dieser Belange vertritt der Auftragnehmer den Auftraggeber. Er übt das Hausrecht aus.

* Art und Umfang der Tätigkeit ergeben sich aus der als Anlage beigefügten Arbeitsanweisung.

* Notwendige Auslagen werden auf Vorlage der Quittung gesondert erstattet.

* Arbeiten, die für einen Mieter innerhalb dessen Mietwohnung oder außerhalb des Objekts ausgeführt werden, sind diesem direkt in Rechnung zu stellen.

Der Klägerin wird in den beiden Wohnanlagen jeweils ein Hausmeisterraum zur Verfügung gestellt.

Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10.11.2017 fest, dass die Tätigkeit als Hausmeisterin bei der ... E.straße . bis .., P., (im Folgenden: Beigeladene) seit dem 01.01.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

In der Begründung der Entscheidung wird ausgeführt:

Eigene maßgebliche Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne einer selbständigen Tätigkeit hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Art und Weise der Tätigkeit bestünden nicht. Die Tätigkeit werde am Sitz der ... E.straße . bis .. ausgeübt. Die auszuführenden Arbeiten könnten nur auf eine Art und Weise verrichtet werden. Einer detaillierten Anweisung durch den Arbeitgeber bedürfe es hierbei nicht. Die Arbeitsleistung werde überwiegend höchstpersönlich ausgeübt; dass der Ehemann sie im Rahmen der unentgeltlichen familienhaften Mithilfe bei körperlich schweren und handwerklich komplizierten Arbeiten unterstütze, stehe der Annahme einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegen. Auch wenn eigene Arbeitsmittel und Werkzeuge zur Erledigung der Aufgaben eingesetzt würden, werde damit ein mit einem erheblichen wirtschaftlichen Risiko verbundener Aufwand nicht begründet.

Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin Widerspruch. Zu deren Begründung wurde vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin u.a. darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihre Betriebsmittel auf eigene Kosten beschaffen und Instand halten müsse. Die Klägerin unterliege keinerlei Weisungen der Auftraggeberin. Der Tätigkeitsort liege in der Natur der Sache. Die Klägerin erbringe die Leistung zwar überwiegend persönlich, sei jedoch generell berechtigt, Dritte einzuschalten. Bei Urlaub, Erkrankungen oder sonstiger Verhinderung müsse die Klägerin auf eigene Kosten für entsprechenden Personalersatz sorgen. Die Klägerin habe neben der gegenständlichen Wohnungseigentümergemeinschaft noch weitere Auftraggeber und trete auch werbend am Markt auf.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

Mit Schriftsatz vom 16.01.2019 wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin u.a. erneut darauf hin, dass die Klägerin weisungsfrei arbeite. Das unternehmerische Risiko liege in der Vielzahl von Gerätschaften, die sie auf eigene Kosten angeschafft habe; diese müssten gewartet und bei Ausfall kostenintensiv ersetzt werden.

Nach Auffassung der Beklagten spricht die Tatsache, dass die Klägerin eine 24-StundenErreichbarkeit sicherzustellen und Notfallservice zu leisten habe, gegen eine freie Zeiteinteilung und freie Verfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft.

Mit Schriftsatz vom 14.06.2019 wurde die Klage weiter begründet. Auf den Inhalt dieses Schreibens wird Bezug genommen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung gab die Klägerin u.a. an, die Treppenhauseinigung sei zu keiner Zeit Bestandteil der Hausmeistertätigkeit gewesen. Bei größeren Arbeiten werde sie durch ihren Mann unterstützt, eine Vertretung wegen Krankheit sei noch nie notwendig gewesen, bei Kurzurlauben werde sie durch ihre Söhne vertreten.

Zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag,

unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2018 die Beklagte zu verurteilen, festzustellen, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Hausmeisterservice für die Beigeladene seit 01.01.2013 keine abhängige Beschäftigung ausübt und demnach keine Versicherungspflicht zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.

Der Beklagtenvertreter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Vertreter der Beigeladenen schloss sich dem Antrag der Klägerin an.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war ferner die Akte des Parallelverfahrens S 1 BA 43/18. Auf deren Inhalt wird ebenfalls Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Hausmeisterin für die Beigeladene nicht abhängig beschäftigt ist.

Die gegenteilige Feststellung der Beklagten, die hier streitgegenständlich ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2018 war daher festzustellen, dass die Klägerin seit 01.01.2013 in der Tätigkeit "Hausmeisterservice" bei der Beigeladenen keine abhängige Beschäftigung ausübt und folglich keine Versicherungspflicht zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.

Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:

1. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in eine Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 16.08.2017 - B 12 KR 14/16 R und BSG, Urteil vom 31.03.2017 - B 12 R 7/15 R, jeweils m.w.N.).

Ausgangspunkt der Prüfung ist dabei zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung bestehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der formellen Vereinbarung vor. In diesem Sinne gilt: Maßgebend ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 28.09.2011, B 12 R 17/09 R). Kann eine Tätigkeit sowohl aufgrund einer Beschäftigung als auch selbständig erbracht werden, kommt den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer/Auftragnehmer und Arbeitgeber/Auftraggeber zwar keine allein ausschlaggebende, doch eine gewichtige Rolle zu (BSG, Urteil vom 14.03.2018, B 12 R 3/17 R, Leitsatz 1).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend nach Auffassung der Kammer eindeutig von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen.

Hierfür sprechen im Wesentlichen folgende Gesichtspunkte:

* Die Beteiligten haben entsprechende vertragliche Vereinbarungen geschlossen

* Die Klägerin hat keine festen Arbeitszeiten und unterliegt auch keiner Zeiterfassung. Zwar sind für bestimmte Tätigkeiten (z.B. Prüfung der Brandmelder etc.) Kontrollintervalle vorgesehen. Auch insoweit bestimmt jedoch die Klägerin, wann sie konkret tätig wird.

Dass Tätigkeiten wie Rasenmähen oder Schneeräumen nach Erfordernis (und nicht auf Weisung) zu erledigen sind, dürfte unstreitig sein.

* Die Klägerin ist nicht zur persönlichen Leistungserbringung (die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis ist) verpflichtet, sondern kann sich bei der Auftragserledigung auch vertreten lassen.

* Die Klägerin erhält keine zeitabhängige Vergütung, sondern eine monatliche

Pauschalvergütung. Im Gegensatz zur Einschätzung durch die Beklagte handelt es sich insoweit nach Auffassung der Kammer um ein Indiz, das für eine selbständige Tätigkeit spricht, da die zeitliche Beanspruchung eines Hausmeisters, zu dessen Aufgaben das Rasenmähen, die Pflege der Grünanlagen und der Winterdienst gehören, jahreszeitlich bedingt zwangsläufig großen Schwankungen unterliegt, die Vergütung jedoch gleich bleibt.

* Bei Verhinderung oder Ausfall ihrer Arbeitskraft hat die Klägerin selbst und auf eigene Kosten für Vertretung zu sorgen.

* Die Klägerin hat auch ein wesentliches unternehmerisches Risiko: Sie verwendet ihre eigenen Arbeitsmittel (Rasentraktor, Rasentrimmer, Motorsäge, PKW-Anhänger, Gerätschaften für Baumpflege, Laubbläser, Kleinwerkzeug etc.) und ist - wie sich aus den vorgelegten Rechnungen ergibt - regelmäßig mit nicht unerheblichen Kosten für deren Instandhaltung und Reparatur belastet.

3. Wesentliche Merkmale für eine abhängige Beschäftigung vermag die Kammer nicht zu erkennen. Aus dem Umstand, dass in der Arbeitsanweisung detailliert die Arbeiten aufgeführt sind, die vom Hausmeister zu erledigen sind, kann keine Weisungsgebundenheit abgeleitet werden, dies schon deswegen, weil die überwiegende Anzahl der Arbeiten nicht nach strikten zeitlichen Vorgaben, sondern nach Erfordernis zu erledigen ist (in diesem Sinne auch die ursprüngliche Entscheidungsvorlage des Sachbearbeiters für den Widerspruchsausschuss vom 13.03.2018). Auch bei einem selbständigen Auftragsverhältnis ist es häufig notwendig, die Pflichten des Auftragnehmers eingehend in allen Einzelheiten zu definieren (Beispiel: Vertrag über Gebäudereinigung); mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis kann dies nicht gleichgestellt werden.

4. Im Ergebnis bleibt festzuhalten:

Trotz der ihr vertraglich auferlegten Pflichten kann die Klägerin im Wesentlichen frei ihre Tätigkeit gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen (vgl. § 84 Abs. 1 HGB). Ihre Tätigkeit als Hausmeisterin für die Beigeladene ist als "selbständig" zu qualifizieren und löst keine Versicherungspflicht in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung aus.

5. Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten (vgl. § 193 Abs. 4 SGG).

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