OLG München, Beschluss vom 16.09.2020 - 34 AR 128/20
Fundstelle
openJur 2020, 56835
  • Rkr:
Tenor

Als funktionell gemeinsam zuständiges Gericht wird die für Bausachen im Sinne von § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG zuständige Kammer bestimmt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines älteren Einfamilienhauses. In diesem ereignete sich 2018 ein Wasserschaden, für den die Versicherung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin zu 2 die Deckungszusage erteilte. Daraufhin beauftragte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zu 1 mit der Sanierung des damals festgestellten Wasserschadens. Nach der Durchführung von Arbeiten kam es am 19.6.2019 zu einer Abnahmebegehung, in deren Rahmen Mängel an den Arbeiten gerügt wurden. Bei einer erneuten Ortsbesichtigung am 14.11.2019 wurde weiterhin unter anderem Feuchtigkeit im Gebäude festgestellt.

Da die Antragsgegnerin zu 1 die Verantwortlichkeit wegen der Nässe in den Wänden von sich wies, tätigte die Antragstellerin eine neue Schadensmeldung gegenüber der Antragsgegnerin zu

2. Nach Erholung eines Sachverständigengutachtens lehnte die Antragsgegnerin zu 2 eine Einstandspflicht ab.

Zur Klärung der Verantwortlichkeiten bzw. der Eintrittspflicht der Antragsgegnerin zu 2 hat die Antragstellerin daraufhin am 8.6.2020 die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beim Landgericht München II, in dessen Bezirk sich das verfahrensgegenständliche Haus befindet, beantragt (Az.: 5 OH 21490/20 Bau).

Die nach dem Geschäftsverteilungsplan des LG München II als Baukammer tätige 5. Zivilkammer wies die Parteien darauf hin, dass nach § 72a GVG die Zuständigkeit verschiedener Spezialkammern gegeben sein dürfte, nämlich nach § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG die Baukammer hinsichtlich Ansprüchen der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin zu 1 und die Kammer für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen nach § 72a Satz 1 Nr. 4 GVG für Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zu 2.

Daraufhin beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.8.2020, die Akten zur Zuständigkeitsbestimmung dem OLG München vorzulegen.

Die Antragsgegnerin zu 1 hält es für sinnvoll, die Baukammer zu bestimmen, die Antragsgegnerin zu 2 hingegen, die Sache an die Kammer für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen zu verweisen.

II.

Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts München II als Baukammer tätige Kammer als gemeinsam zuständig.

1. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch für ein selbständiges Beweisverfahren vorgenommen werden, wobei einer Gerichtsstandsbestimmung auch nicht entgegen steht, dass ein solches Verfahren bereits anhängig ist (BayObLG 1 AR 39/20 vom 10.6.2020 in BeckRS 2020, 12330; vgl. Zöller/Schultzky § 36 Rn. 26 m.w.N.).

2. Es ist anerkannt, dass die Bestimmung des funktional zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO in Betracht kommt, wenn für den einen Streitgenossen die Kammer für Handelssachen und für den anderen die Zivilkammer zuständig ist

(vgl. z. B. BayObLG NJW-RR 1999, 1010/1011; OLG Frankfurt NJW 1992, 2900; OLG Schleswig NJW-RR 2003, 1650; Zöller/Schultzky ZPO 33. Aufl. § 36 Rn. 20).

Entsprechendes gilt nicht nur für Fälle, in denen einem Streitgenossen gegenüber die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsabteilung begründet ist als für den/die übrigen Streitgenossen, sondern auch dann, wenn in Anbetracht der Streitgenossenschaft jeweils verschiedene Spezialkammern nach § 72a GVG zuständig wären. Maßgeblich dafür ist der Normzweck des § 36 ZPO Verzögerungen und Verteuerungen des Prozesses zu vermeiden (OLG Frankfurt NJW 1992, 2900).

Da es sich - wie bei der Zuweisung an die Kammer für Handelssachen auch - bei § 72a GVG um eine gesetzliche Zuständigkeitsverteilung handelt (Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 41. Aufl. § 72a GVG Rn. 2 und 12), gelten insofern die gleichen Zweckmäßigkeitserwägungen, so dass auch hier eine entsprechende Anwendung der Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO möglich ist (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo § 72a GVG Rn. 11 und § 36 ZPO Rn. 21 hinsichtlich eines negativen Kompetenzkonfliktes nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).

3. Die Antragsgegnerinnen sind Streitgenossen nach § 60 ZPO. Die gegen sie erhobenen Ansprüche werden auf einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt, nämlich die Durchfeuchtung des verfahrensgegenständlichen Hauses und sich daraus gegen sie ergebende Ansprüche gestützt.

4. Im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1 liegt eine Bausache vor (§ 72a Satz 1 Nr. 2 GVG), nicht aber im Verhältnis zum Antragsgegnerin zu 2. Insofern wäre die Kammer für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen nach § 72a Satz 1 Nr. 4 GVG zuständig. Damit liegt keine gemeinsame Zuständigkeit einer nach § 72a GVG eingerichteten Kammer vor.

Derzeit ist die Sache bei der Kammer für Bausachen anhängig. Eine Verweisung an die Kammer für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen kommt aber nur bezüglich der Antragsgegnerin zu 2 in Betracht. Die Antragstellerin kann daher eine Verfahrenstrennung nur dadurch verhindern, dass sie einen Antrag entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO stellt.

5. Die Antragstellerin hat ein rechtlich schutzwürdiges Interesse, eine unökonomische Verfahrenstrennung zu vermeiden, die zur Befassung von zwei verschiedenen Kammern und zur Erholung von zwei Gutachten führen würde (Senat vom 9.12.2010, 34 AR 179/10).

6. Bestimmt wird die nach dem Geschäftsverteilungsplan als Baukammer tätige Zivilkammer, da es sich bei den gestellten Beweisfragen jeweils um Fragen eines Mangels am Bau handelt. Ein solcher wird auch in übrigen Bausachen nicht nur im Hinblick auf neu erstellte Gewerke begutachtet. Gerade bei der Erbringung von Werkleistungen in Bestandsbauten ist durch die Baukammer zu klären, ob der Mangel seine Ursache im neuen Gewerk mit der Folge von Gewährleistungsansprüchen gegen die Antragsgegnerin zu 1 oder (auch) im Bestand hat, was gegebenenfalls Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zu 2 zur Folge hat.

Die Frage der Verantwortlichkeit für Baumängel hat hingegen eine Kammer für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen in der Regel kaum zu entscheiden, auch wenn Schäden an einem Bauwerk versicherbar sind.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Verfahren gehört zum Rechtszug.