LAG München, Urteil vom 28.03.2018 - 11 Sa 871/17
Fundstelle
openJur 2020, 56625
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München (Az.: 25 Ca 5629/17) vom 23.11.2017 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung restlichen Lohnes, der von der Beklagten im Wege der Aufrechnung wegen eines nach Ansicht der Beklagten bestehenden Schadensersatzanspruchs einbehalten wurde.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 07 .09.2015 als Paketzusteller in Vollzeit mit einem monatlichen Bruttoentgelt i.H.v. € 2.118,00 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag vom 08.12.2014 für die Arbeitnehmer des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern vom 27. November 1992, i.d.F. des Änderungsvertrages vom 08. Dezember 2014 (MTV) Anwendung.

§ 24 des MTV beinhaltet unter der Überschrift "Erlöschen von Ansprüchen" folgende Regelung:

" 1. Lohn-,Gehalts- und sonstige Ansprüche erlöschen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach ihrer Entstehung, von oder gegen ausgeschiedene Arbeitnehmer einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden."

2. Lehnt die Gegenseite den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt diese Verfallsfrist von 2 Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.

3. Ausgenommen hiervon sind Ansprüche aus unerlaubter Handlung."

Bei der Beklagten existiert, bzw. existierte, ein "Arbeitshandbuch für Paketzustellkräfte" (vgl. Bl. 106 ff. d. A.), Stand April 2007, in dem die wichtigsten Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Zustellung dargestellt und geregelt sind. Unter dem Stichwort "Empfangsbestätigung" ist Folgendes angegeben:

"1. Wann erforderlich? Sie dürfen nachzuweisende Sendungen erst ausliefern, nachdem ein Empfangsberechtigter (siehe Tabellen Seite 38 und 39) den Empfang auf dem Unterschriftsdisplay des INCA-Terminals oder gegebenenfalls in der Paketzustellliste durch seine Unterschrift bestätigt hat.

3. Anforderungen an die Empfangsbestätigung

Die Empfangsbestätigung muss mindestens aus dem Familiennamen des Empfangsberechtigten bestehen."

Unter dem Punkt "Ausweisleistung" sind Regelungen zur Vorlagepflicht eines Ausweispapiers durch den Empfänger enthalten.

Der Kläger wurde mehrfach darauf hingewiesen, sich den Empfang eines Pakets durch eine ordnungsgemäße und insbesondere individualisierbare Unterschrift bestätigen zu lassen. Entsprechend fanden regelmäßig, d.h. halbjährlich, Schulungen des Klägers statt.

Der Kläger sollte am 28.09.2016 ein Paket für die Empfängerin F. ausliefern. Im Auslieferungsbeleg, der die Auslieferung durch den Kläger dokumentieren soll, ist bezüglich dieses Pakets lediglich ein ca. 2mm langer Strich dokumentiert (Bl. 36 d. A.).

Die Empfängerin erklärte in einer Empfängererklärung vom 25.10.2016 (Bl. 37 d. A.), die Sendung nicht erhalten zu haben.

Mit Schreiben vom 06.12.2016 wurde der Kläger zur Stellungnahme aufgefordert. Der Kläger gab im Wesentlichen an, sich erinnern zu könne, er glaube, dass alles in Ordnung gewesen sei, weil es in diesem Haus viele Ablageorte gebe und Nachbarn Pakete an-nehmen.

Mit Schreiben vom 23.12.2016 teilte die Beklagte mit, dass sie gegen den Kläger eine Forderung i.H.v. € 55,00 geltend mache. Dem Kläger wurde vorgeworfen, am 28.09.2016 ein Paket unter Missachtung der Auslieferungsvorschriften ausgeliefert zu haben. Die Beklagte habe im Rahmen der Garantiehaftung Ersatz an den Absender i.H.v. € 55,00 geleistet. Die Beklagte teilte mit, diesen Betrag vom nächsten Entgelt des Klägers einzubehalten.

Der Kläger reagierte auf das Schreiben nicht. Die Beklagte zog dem Kläger mit der Entgeltabrechnung Januar 2017 € 55,00 netto vom Gehalt ab.

Mit Schreiben vom 15.03.2017 machte der Kläger die Zahlung des Abzuges geltend. Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits begehrt der Kläger die Zahlung der € 55,00 so-wie die Zahlung einer Schadensersatzpauschale. Er war erstinstanzlich der Auffassung, die Beklagte sei nicht berechtigt, das Entgelt einzubehalten. Dem Kläger könne kein grob fahrlässiges Verhalten zur Last gelegt werden. Er habe die Auslieferungsvorschrift nicht grob fahrlässig missachtet. Die Beklagte habe den Betrag auch nicht von seinem Gehalt abziehen können, da sie nicht die zweite Stufe des § 24 MTV eingehalten habe. Die Beklagte sei aufgrund dieser Regelung verpflichtet, die Forderung auf gerichtlichem Wege geltend zu machen und nicht einfach durch Abzug vom Lohn.

Der Kläger beantragte erstinstanzlich:

1. Die Beklagte wird verurteilt € 55,00 netto nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2017 an den Kläger zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, € 40,00 an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragte erstinstanzlich: Klageabweisung.

Die Beklagte war erstinstanzlich der Auffassung, zum Abzug des Lohns berechtigt gewesen zu sein, da der Kläger grob fahrlässig die Auslieferungsvorschriften missachtet habe. Laut Auslieferungsnachweis habe er das Paket an den Empfänger ausgeliefert. Nachdem im Unterschriftfeld des Handscanners lediglich ein Strich vorhanden sei, sei es der Beklagten nicht möglich, die ordnungsgemäße Auslieferung der Paketsendung gegenüber dem Absender nachzuweisen. Der Kläger sei daher verpflichtet, die Auslieferung sich so bescheinigen zu lassen, dass klar und überprüfbar festgestellt werden könne, an wen er die Paketsendung übergeben habe. Ein kleiner Strich genüge diesem Erfordernis nicht. Der Kläger habe sich grob fahrlässig verhalten, da er es unterlassen habe, eine taugliche Unterschriftsleistung einzuholen bzw. die Identität des Empfängers durch Vorlage eines Ausweises zu überprüfen. Wegen der grob fahrlässigen Handlungsweise sei die Beklagte berechtigt, den Kläger bezüglich des entstandenen Schadens in voller Höhe in Haftung zu nehmen.

Die Beklagte sei auch berechtigt, den geltend gemachten Anspruch durch Einbehalt vom Januarlohn im Wege der Aufrechnung zu realisieren. Sie habe die erste Stufe der Ausschlussfrist eingehalten. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, anstelle der Aufrechnung Klage zu erheben, da § 24 MTV kein Aufrechnungsverbot enthalte.

Das Arbeitsgericht München hat mit dem angefochtenen Endurteil vom 23.11.2017 die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass ein Lohnanspruch des Klägers in Höhe der einbehaltenen Vergütung von € 55,00 netto nicht mehr bestehe, da die Beklagte berechtigt gewesen sei, den Schadensersatz i.H.v. € 55,00, zu dem der Kläger nach § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet war, im Wege der Aufrechnung zu realisieren. Der Anspruch des Klägers sei daher erloschen. Der Kläger habe durch die nicht ordnungsgemäße Dokumentation der Auslieferung seine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt, da er sich auf dem Handscanner keine ordnungsgemäße Unterschrift habe geben lassen, so dass eine Nachverfolgung der Auslieferung nicht möglich gewesen sei. Es bestehe sogar die weitergehende Pflicht, sich ein Ausweisdokument vorlegen zu lassen. Auf diese Verpflichtung komme es aber nicht an, da der Kläger bereits keine Unterschriftsleistung eingeholt habe, nachdem ein 2mm langer Strich keine Unterschrift darstelle. Die Pflichtverletzung sei auch kausal für den bei der Beklagten entstandenen Schaden gewesen. Die Beklagte habe den Nachweis, die Empfängerin habe das Paket erhalten, nicht führen können in Ermangelung des Nachweises der ordnungsgemäßen Zustellung. Daher habe sie Ersatz i.H.v. € 55,00 leisten müssen. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, da er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den Gesamtumständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt habe. Es habe auf der Hand gelegen, dass ein 2mm langer Strich keine Unterschrift sei, mit dem die Zustellung des Pakets hätte nachgewiesen werden können. Der Kläger habe daher den Schaden in voller Höhe zu tragen, sowohl unter Berücksichtigung des Grades des Verschuldens als auch der sonstigen Gesamtumstände, etwa der Gefahrgeneigtheit der Arbeit oder der Schadenshöhe, eines vom Arbeitgeber einkalkulierten Risikos, der Risikodeckung durch eine Versicherung, der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und der Höhe der Vergütung, die möglicherweise eine Risikoprämie enthalten könne. Auch die persönliches Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Umstände des Arbeitsverhältnisses, wie Betriebszugehörigkeitsdauer, Lebensalter, Familienverhältnisse könnten berücksichtigt werden. Unter Abwägung der maßgeblichen Umstände und unter Berücksichtigung eines etwaigen Missverhältnisses des Verdienstes des Arbeitnehmers zum verwirklichten Schadensrisiko, habe der Kläger den vollen Schaden zu tragen. Der Kläger sei erfahrener Paketzusteller, insbesondere habe sich gerade das Risiko verwirklicht, das die Beklagte durch den Sicherheitsmechanismus der Unterschriftsleistung habe verhindern wollen. Die hier geltend gemachte Schadenssumme stehe auch nicht außer Verhältnis zum Gehalt des Klägers, insbesondere unter Berücksichtigung der Vergütung des Klägers und der geltend gemachten Schadenssumme. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die Forderung im Wege der Aufrechnung geltend zu machen. Sie sie nicht verpflichtet gewesen, Klage zu erheben, da § 24 MTV den Arbeitgeber nicht an einer Aufrechnung hindere. Da die Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnung noch nicht verfallen war und die zweite Stufe der Ausschlussfrist noch lief, sei eine Aufrechnung möglich gewesen. Daher sei die Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 BGB auch nicht geschuldet.

Gegen dieses, dem Kläger am 01.12.2017 zugestellte, Endurteil richtet sich die Berufung des Klägers mit Schriftsatz vom 21.12.2017, am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen.

Der Kläger ist im Rahmen der Berufung weiterhin der Auffassung, dass ein restlicher Lohnanspruch in Höhe des einbehaltenen Betrages bestehe, da das Pflichtenregime, welchem der Kläger mit dem Handbuch unterworfen sei, nicht wirksam dutzende von vertraglichen Leistungspflichten vermitteln könne, bei deren Verstoß jeweils Schadensersatz zu leisten sei. Insoweit sei nach dem vorgelegten Auszug der Beklagten aus dem Arbeitshandbuch in erster Instanz, eine Überprüfung der Identität durch Vorlage eines Ausweispapieres bei jeder Person erforderlich. Dies zeige, dass die Beklagte im Handbuch Paketzustellung ein Pflichtenregime installiert habe, dessen Befolgung nicht nur irreal sei, von der Beklagten auch nicht erwartet werde, da Verstöße bekannt und von der Beklagten toleriert würden, zudem die Einhaltung im Widerspruch zur Menge der täglich zuzustellenden Pakete von ca. 200 und auch im Widerspruch zu jeglicher Lebenserfahrung stünde. Der Paketzusteller könne sich nicht von jeder einzelnen Person den Ausweis aushändigen lassen, insbesondere auch in Situationen, in denen völlig klar sei, dass er den Empfänger persönlich kenne. Dies sei bei der Beklagten auch bekannt und werde von ihr auch als Pflichtverletzung nur in dem Fall geahndet, in dem gegebenenfalls ein Schaden entstehe. Die arbeitsvertragliche Pflicht werde also von der Beklagten nicht ernst genommen, bzw. nur in dem Fall, in dem letztlich ein Schadensersatzanspruch realisiert werden solle. Durch die Pflichten, die dem Kläger auferlegt würden durch das Arbeitshandbuch, sei der Kläger so eng gebunden, dass er die alltägliche Arbeit praktisch nicht erfüllen könne. Insoweit würde es sich auch um AGBs handeln, die zum einen den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würden. Die Beklagte würde den Kläger zu ihrem Hilfssheriff bestimmen und vertraglich zwingen, anlasslos Ausweise der Empfänger sich vorlegen zu lassen und jeweils Unterschriften zu überprüfen, dahingehend, ob anhand dieser der Empfänger identifiziert werden könne oder nicht. Dies sei zu weitgehend und würde dem Kläger unangemessene Risiken auferlegen im Sinne etwa sogar einer Vertragsstrafe oder einer unzulässigen Beweislastregelung. Darüber hinaus sei die Regelung auch nicht hinreichend transparent. Denn die Beklagte nehme Verstöße in Kauf, so lang sich hieraus keine Schäden ergeben. Dadurch seien die Pflichten aufgeweicht, dem Kläger sei ein entsprechender Dienst nach Vorschrift nicht möglich. Ansonsten würde das Zustellsystem zusammenbrechen. Aufgrund der intransparenten und unklaren Handhabung der Pflichten habe der Kläger gerade nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Des Weiteren würden bei der Beklagten auch mehrere Handbücher für Paketzustellung parallel existieren mit unterschiedlichem Inhalt, was ebenfalls zur Undurchsichtigkeit der Pflichten führe. Dies zeigten die vorgelegten Regelungen hinsichtlich der Verpflichtung zur Vorlage eines Ausweispapiers. Aufgrund der Unklarheit und der Unpraktikabilität könne auch eine grobe Fahrlässigkeit nicht angenommen werden. Jedenfalls sei der Kläger nicht zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, sondern sei eine Schadensquotelung, auch aufgrund der vorliegenden Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit, vorzunehmen bzw. die Quotelung sogar so vorzunehmen, dass der Kläger keinen Schaden zu tragen habe. Jedenfalls stehe der Aufrechnung die zweite Stufe der Ausschlussfrist des § 24 MTV entgegen. Die Beklagte habe den Schaden nicht gerichtlich geltend gemacht. Sinn und Zweck zweistufiger Ausschlussklauseln sei es typischerweise Zwang entstehen zu lassen, sich eindeutig zu positionieren und den Anspruch gerichtlich klären zu lassen. Mit der Aufrechnung und Einbehaltung von Lohn umgehe die Beklagte die zweite Stufe der Ausschlussfrist und verlagere im Ergebnis die klageweise Geltendmachung auf den Kläger. Dies sei nicht Sinn und Zweck der zweiten Stufe der Ausschlussfrist und sei von den Tarifvertragsparteien auch so nicht gewollt gewesen. Die Aufrechnung sei auch nicht im Sinne des Tarifvertrages, da der Beklagten insoweit mit der Aufrechnung gegen Lohnansprüche ein Instrument zur Umgehung der zweistufigen Ausschlussfrist zur Verfügung stünde, welches dem Kläger so nicht zustünde.

Der Kläger beantragte zuletzt,

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts vom 23.11.2017, Az.: 25 Ca 5629/17, abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt,

a) an den Kläger € 55,00 nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.01.2017 zu zahlen.

b) an den Kläger € 40,00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragte zuletzt,

Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagte ist auch im Rahmen der Berufung weiterhin der Auffassung, dass der Lohneinbehalt zu Recht vorgenommen wurde, da der Kläger seine Pflicht grob fahrlässig verletzt habe. Der Kläger habe sich entgegen der Anweisung und der entsprechenden Schulung eine Unterschrift vom Empfänger nicht geben lassen. Die Verpflichtung hierzu bestehe aufgrund der Unterweisung und auch aufgrund des vorliegenden Arbeitshandbuches, welchen aktuell i.d.F. von 2015 vorliege. Auf die Frage der Ausweispflicht, komme es vor-liegend nicht an, da der Kläger bereits gegen die Unterschriftsleistungsverpflichtung verstoßen habe. Die Ausweispflicht bestehe zudem nur dann, nach klarer Regelung im Arbeitshandbuch, wenn der Inhalt der Paketsendung dies erfordere, nicht aber etwa, wenn der Empfänger bekannt sei. Die Pflicht sei auch grob fahrlässig verletzt, da auch eine Arbeitsbelastung des Klägers einer entsprechenden Unterschriftsleistung jedenfalls nicht entgegenstehe. Die Arbeitsmenge und Paketanzahl werde computergesteuert, so dass eine entsprechende zulässige und machbare Arbeitsbelastung vorliege. Auch auf die Lesbarkeit der Unterschrift komme es nicht an, da der Kläger jedenfalls im vorliegenden Fall überhaupt keine maßgebliche Unterschrift eingeholt habe und dies ihm hätte auch auffallen müssen. Die Tatsache, dass entsprechende Verstöße zum Teil nicht sanktioniert würden, läge lediglich daran, dass diese nicht festgestellt würden. Im Falle von vergleichbaren Verstößen habe die Beklagte jeweils gleiche Maßnahmen ergriffen. Die Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit sei nicht zu erkennen, auch aufgrund sonstiger Aspekte sei eine Quotierung des Schadens nicht vorzunehmen. Die zweite Stufe der Ausschlussfrist des § 24 MTV stünde der Aufrechnung ebenfalls nicht entgegen. Die Aufrechnungsmöglichkeit bestehe auch während des Laufs der Ausschlussfrist. Denn nach Sinn und Zweck der Ausschlussfrist sei der Ausschluss der Aufrechnung nicht gegeben, da auch durch die Aufrechnung letztlich Rechtsfrieden geschaffen werden könne. § 288 Abs. 5 BGB sei nicht anwendbar im Arbeitsrecht.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 24.12.2017, 30.01.2018, 20.03.2018, 22.03.2018 sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

i. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Sie ist daher zulässig.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Insoweit wird zunächst auf die zutreffende Begründung des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Zum weiteren Vorbringen in der Berufungsinstanz sind folgende Ausführungen veranlasst:

1. Der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des abgerechneten Nettolohns i.H.v. € 55,00, insoweit die Beklagte diesen abgerechneten Lohn einbehalten hat, ist durch zulässige und wirksame Aufrechnung mit dem der Beklagten zustehenden Schadensersatzanspruch gem. § 389 BGB erloschen. Der Kläger hat daher keinen Anspruch mehr auf Auszahlung des einbehaltenen Betrages i.H.v. € 55,00. Der vorgenommenen Aufrechnung durch Einbehalt des Lohns steht auch nicht § 24 MTV, insbesondere die zweite Stufe der Ausschlussfrist, entgegen.

a) Der Kläger hat durch Verstoß gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen, nämlich gegen die Pflicht zur Einholung einer Unterschrift bei Auslieferung eines Pakets, diese in erheblichem Maße verletzt. Der Kläger ist daher gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. seinen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet, den hieraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

aa) Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Kläger tatsächlich gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen verstoßen. Die hier maßgebliche Verpflichtung des Klägers bestand darin, bei Auslieferung eines Paketes durch den Empfänger eine Empfangsbestätigung in Form einer Unterschrift, bestehend aus dem Familiennamen, einzuholen.

Der Kläger hat sich insoweit darauf berufen, dass diese Verpflichtung zunächst aufgrund unterschiedlicher bestehender Arbeitshandbücher und Vorgaben unklar gewesen sei, insoweit keine wirksame Verpflichtung dahingehend bestanden habe. Dem folgt die Kammer nicht. Die maßgebliche Verpflichtung bestand ausweislich der von Seiten der Beklagten vorgetragenen ausdrücklichen Anweisung und Schulung, welche der Kläger nicht bestritten hat. Die Beklagte hatte insoweit vorgetragen, dass der Kläger entsprechend angewiesen und geschult wurde in regelmäßigen, nämlich halbjährlichen Abständen. Des Weiteren ergibt sich die Verpflichtung schon aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Arbeitshandbuch. Die Arbeitshandbücher weisen zwar unterschiedlichen Stand auf, sind aber in der maßgeblichen Verpflichtung und Anweisung identisch. Daher bestehen auch keine unterschiedlichen oder etwa unklaren Anweisungen, da das gerade von Seiten des Klägers selbst vorgelegte Arbeitshandbuch eine entsprechende Verpflichtung zur Einholung einer Unterschrift vorsieht. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass eine entsprechende Verpflichtung in anderen ihm vorliegenden Vorschriften nicht enthalten gewesen wäre und insoweit eine Unklarheit bestanden hätte.

bb) Des Weiteren ergibt sich auch nicht etwa aus den generellen Anweisungen des Arbeitshandbuchs, im Sinne etwa der Menge der vorliegenden Anweisungen, eine Unwirksamkeit oder Unklarheit. Gerade bezüglich der Empfangsbestätigung oder Unterschrift sind die Anweisungen eindeutig. Selbst wenn bezüglich der Anweisung auf Vorlage eines Ausweises eine Unklarheit bestanden hätte im Sinne unterschiedlicher Regelungen, so war jedenfalls die vorliegende Pflicht, die von Seiten der Beklagten reklamiert wird, auf Einholung einer Unterschrift bei Auslieferung des Paketes, eindeutig und klar. Zudem wäre auch die erstinstanzlich von Seiten der Beklagten reklamierte und nachgewiesene Pflicht im Arbeitshandbuch, sich in jedem Fall ein Ausweispapier vorlegen zu lassen, auch insoweit klar.

cc) Die fehlende Klarheit der entsprechenden Anweisung ergibt sich auch nicht etwa dahingehend, dass die Beklagte Verstöße nicht geahndet und insoweit akzeptiert hätte. Selbst wenn im Einzelfall nicht jeder Verstoß geahndet wurde, so beruht dies doch darauf, dass, soweit ein Problemfall nicht auftritt, also die Auslieferung problemlos vonstatten gegangen ist und das Paket beim Empfänger angekommen ist, gar kein Anlass der Beklagten besteht, die entsprechende Unterschriftsleistung zu überprüfen oder eine entsprechende Feststellung zu treffen. Lediglich im Problemfall, nämlich dann, wenn eine Zustellung nicht nachweisbar ist und entsprechender Schaden für die Beklagte entsteht, wird der Vertragsverstoß festgestellt. In diesen Fällen wird er auch geahndet, wie von Seiten des Klägers selbst dargelegt wurde, der sich gerade darauf berufen hat, dass im Schadensfall jeweils eine Reaktion erfolgt, ansonsten hingegen nicht. Insofern musste es dem Kläger klar sein, dass ein entsprechender Verstoß von Seiten der Beklagten nicht geduldet wird und letztlich der Kläger auf eigenes Risiko agiert, wenn er die entsprechende Unterschrift nicht einholt und hierdurch die Gefahr in Kauf nimmt, dass für die Beklagte ein Schaden entsteht.

dd) Eine entsprechende Anweisung scheitert auch nicht an den Vorschriften des § 307 ff. BGB. Es handelt sich nicht um eine unangemessene Benachteiligung des Klägers, da die Regelungen des Arbeitshandbuches, soweit es sich hierbei überhaupt um AGBs handeln sollte und nicht ohnehin bereits durch Anweisung im Rahmen von Schulungen entsprechende Verpflichtungen entstanden seien sollten, jedenfalls Hauptleistungspflichten des Klägers darstellen, welche er verletzt hat, welche einer Überprüfung lediglich auf Intransparenz unterliegen.

Abreden zu den Hauptleistungspflichten sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen (vgl. BAG, Urteil v. 24.02.2016 - 5 AZR 258/14; Urteil v. 27.11.2003 - 2 AZR 135/03). Denn der eingeschränkten Kontrolle lediglich auf ein Verstoß gegen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, unterliegen Klauseln, die den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistungen festlegen. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt (vgl. BAG, Urteil v. 14.03.2007 - 5 AZR 630/06; Urteil v. 31.08.2005 - 5 AZR 545/04). Die vertragliche Arbeitsleistung des Klägers besteht aber als Paketzusteller primär daraus, dass dieser das Paket befördert und beim Empfänger abliefert. Maßgeblicher Teil dieser Hauptleistung, die der Kläger zu verrichten hat, ist dabei aber auch, dass er beim Empfang eine entsprechende Empfangsbestätigung einholt, weil nur diese für die Beklagte den maßgeblichen Nachweis dafür liefert, dass das Paket tatsächlich zugestellt wurde.

Selbst wenn man in dieser Verpflichtung keine Hauptleistungspflicht sehen würde, sondern eine Nebenpflicht, die gegebenenfalls der vollen Überprüfung unterliegen würde, so ist schon nicht zu ersehen, inwieweit diese Regelung den Kläger unangemessen benachteiligen würde, d.h. inwieweit von gesetzlichen Vorgaben abgewichen würde. Weder sind im Sinne des Klägers hierdurch maßgebliche Risiken auf den Kläger verlagert. Denn der Kläger ist lediglich verpflichtet, eine Unterschrift einzuholen. Die Lesbarkeit hingegen ist nicht Voraussetzung. Dies zeigt die entsprechende Anweisung im Arbeitshandbuch. Soweit nur eine Unterschrift vorliegt, hat der Kläger bereits seiner Verpflichtung Genüge getan. Auch wird dann bei Verstoß nicht mittelbar etwa eine Vertragsstrafe dem Kläger auferlegt. Denn weder wird hier ein pauschaler Schadensersatzanspruch zu Gunsten der Beklagten geschaffen, noch in irgendeiner Form die Beweislast zu Lasten des Klägers verschoben. Die Beklagte ist weiterhin verpflichtet, die Verletzung der Arbeitspflicht durch den Kläger und die Kausalität für den Schaden nachzuweisen. Soweit etwa auch Unklarheit bestehen sollte, dahingehend, ob eine entsprechende Unterschrift ausreichend ist oder nicht, ginge dies zu Lasten der Beklagten, da sie letzten Endes die Beweislast dafür trägt, dass der Kläger gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat. Soweit eine Unterschrift irgendwie noch als solche zu kategorisieren ist, hat der Kläger seine Verpflichtung erfüllt. Daher legt dem Kläger die Verpflichtung zur Einholung einer Unterschrift keine unangemessene Pflicht auf. Er wird nicht unangemessen hierdurch benachteiligt.

Schließlich ist die Regelung auch eindeutig transparent. Der Kläger wird lediglich verpflichtet, eine Unterschrift einzuholen, die aus einem Familiennamen besteht. Der Kläger ist nicht verpflichtet etwa dahingehend zu überprüfen, ob die Unterschrift lesbar ist. es genügt ein Blick auf das Display dahingehend festzustellen, dass etwas geleistet wurde, das als Unterschriftsleistung eingeordnet werden könnte. Diese Regelung ist auch eindeutig und transparent im Arbeitshandbuch vorhanden.

Somit liegt eine wirksame Arbeitspflicht vor, die gegenüber dem Kläger im Rahmen seine vertraglichen Verpflichtungen aufgestellt wurde.

b) Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger grob fahrlässig verstoßen. Soweit kann auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts verwiesen werden.

Grobe Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn gegen jegliche, eindeutig auf der Hand liegende und einleuchtende Sorgfaltspflicht verstoßen wird. Im vorliegenden Fall lagen lediglich zwei minimale Striche vor, die auf dem Display auftauchen. Da nach Angabe des Klägers die Auslieferung an den Empfänger erfolgte, wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, hier mit einem einzigen Blick auf das Display festzustellen, ob der Empfänger eine Unterschrift geleistet hat. Diese lag jedenfalls aufgrund dieser zwei Striche nicht vor. Daher hätte es dem Kläger in jedem Fall einleuchten müssen, dass hierdurch keine Unterschrift geleistet wurde und insoweit nachher nicht mehr feststellbar gewesen wäre, ob die Auslieferung tatsächlich an den Empfänger erfolgt ist oder nicht.

c) Durch das Handeln des Klägers ist der Beklagten ein Schaden entstanden, da diese nach Reklamation des Empfängers, das Paket nicht erhalten zu haben, keine Möglichkeit hatte, einen Nachweis zu führen, dass die Zustellung erfolgt ist. Durch das Unterlassen der Einholung einer ordnungsgemäßen Unterschrift ist daher der Beklagten, die unstreitig Schadensersatz leisten musste gegenüber dem Empfänger, ein entsprechender Schaden entstanden.

d) Zu Recht hat das Arbeitsgericht dem Kläger auch den vollen Schadensersatz auferlegt.

aa) Zunächst ist für die Haftung maßgeblich, die Art des Verschuldens, d.h. die Frage, ob etwa leichteste, einfache oder normale oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Das Verschulden des Schädigers muss sich dabei sowohl auf die pflichtverletzende Handlung als auch auf den Eintritt des Schadens beziehen (vgl. BAG, Urteil v. 28.10.2007 - 8 AZR 418/09; Urteil v. 18.01.2007 - 8 AZR 250/06). Im vorliegenden Fall und aufgrund der bereits oben geschilderten Umstände, wonach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den Gesamtumständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet gelassen wurde, was nach der konkreten Situation auch für Jedermann auch erkennbar gewesen ist, ist der Kläger grob fahrlässig auch im Hinblick auf den entstandenen Schaden vorgegangen. Nicht nur, dass es ihm einleuchten musste, dass in jedem Fall zwei Striche keine Unterschriftsleistung darstellen, musste es ihm als erfahrenen Zusteller auch klar sein, dass dann die Beklagten im Falle, dass der Empfänger den Empfang der Leistung leugnen würde, keine Möglichkeit haben würde, einen entsprechenden Nachweis zu führen. Daher hat der Kläger auch grob fahrlässig in kauf genommen, dass ein entsprechender Schaden bei der Beklagten entsteht.

bb) Nach den vom großen Senat des Bundesarbeitsgerichts (v. 27.09.1994-GS 1/89(A)) entwickelten Grundsätzen hat ein Arbeitnehmer vorsätzlich verursachte Schäden in vollem Umfang zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht. Bei normaler Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen, bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen. Darüber hinaus sind aber auch Haftungserleichterungen im Rahmen einer Gesamtabwägung mit einzubeziehen. Insoweit ist nach Abwägung zu entscheiden, ob der Schaden voll auferlegt werden soll, wobei insbesondere die Höhe des Arbeitsentgelts, die weiteren mit der Leistungsfähigkeit zusammenhängenden Umstände und der Grad des Verschuldens in die Abwägung einbezogen werden können. Auf Seiten des Arbeitgebers wären auch ein besonders hoher Vermögensverlust und eine Versicherbarkeit einzubeziehen. Des Weiteren sind auch persönliche Umstände wie Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen, gleichermaßen etwa auch eine Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit (vgl. BAG Urt. v. 28.10.2010 - 8 AZR 418/19). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien erscheint es zumutbar, dass der Kläger den vollen Schadensbetrag ersetzen muss. Unter Berücksichtigung des o.g. Verschuldensgrades, der Tatsache, dass der Kläger als erfahrener Paketzusteller aufgrund der Unterweisungen sich darüber klar sein musste, dass die nicht eingeholte Unterschrift im Konfliktfalle mit dem Kunden jedenfalls einen entsprechenden Nachweis, schon auch aufgrund des zeitlichen Abstandes zum tatsächlichen Zustellvorgang, verhindern würde, und angesichts der Tatsache auch, dass eine Versicherung nicht ersichtlich ist und auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit, welche verhältnismäßig kurz ist, auch sein Lebensalter und seine Familienverhältnisse, angesichts der Höhe des Schadens auch im Verhältnis zur Vergütung des Klägers es durchaus als tolerabel erscheinen lassen, hat der Kläger die entsprechende Schadenssumme voll-ständig zu ersetzen. Auch eine Gefahrgeneigtheit, wie von Seiten des Klägers dargelegt, kann die Kammer nicht erkennen. Gerade in Bezug auf die Unterschriftsleistung hat sich nicht etwa eine typische Gefahr, die mit der Tätigkeit des Klägers verbunden ist, realisiert, sondern die Unterschriftsleistung kann von Seiten des Klägers in jedem Fall kontrolliert und eingeholt werden. Wenn der Kläger aber entweder eine Kontrolle durch kurzes Anblicken des Displays oder aber eine Aufforderung des Kunden, zu unterschreiben, unter-lässt, dann realisiert sich nicht eine besonders typische Gefahr der Tätigkeit des Klägers, zumal dieser ja auch nicht vorgetragen hat, dass der Kunde sich etwa geweigert hätte, eine Unterschrift zu leisten, vielmehr liegt schlicht eine Verletzung der Pflichten vor. Auch die Menge der zuzustellenden Pakete verhindert jedenfalls nicht in dieser Form die kurze Unterschriftsleistung. Anders als etwa eine länger dauernde Ausweiskontrolle, kann eine Unterschrift binnen weniger Sekunden eingefordert, durchgeführt und kontrolliert werden. Eine wesentliche Verzögerung des Zustellvorgangs tritt hierdurch nicht ein. Insofern sprechen keine besonderen Umstände dafür, von der üblichen Regelung der Auferlegung des vollen Schadens bei grober Fahrlässigkeit abzuweichen.

e) Die von Seiten der Beklagten durchgeführte Realisierung des Schadens durch Einbehalt vom Lohn des Klägers im Wege der Aufrechnung wird auch nicht durch § 24

MTV gehindert. Dieser beinhaltet kein Aufrechnungsverbot. Vielmehr ist die Aufrechnung auch während laufender Ausschlussfristen möglich (vgl. ebenso Preis in ErfKomm § 218 BGB, Rz. 67; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. Rz. 2050).

aa) Der Vorschrift des § 24 MTV Ziff. 2 ist auch nicht etwa ein Aufrechnungsverbot zu entnehmen.

Dies ergibt auch etwa die Auslegung des Tarifvertrages.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach st. Rspr. den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. BAG, Urteil v. 19.09.2007 - 4 AZR 670/06).

bb) Nach diesen Auslegungsgrundsätzen ist zunächst festzustellen, dass der Tarifwortlaut an sich eine Aufrechnung nicht ausschließt. Die Aufrechnung wird im § 24 MTV überhaupt nicht angesprochen. Dort ist lediglich die Rede davon, dass nach Ziffer 1. eine Geltendmachung zu erfolgen hat. Nach Ablehnung bzw. Schweigen auf die Geltendmachung wäre ein Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend zu machen, um den Verfall des Anspruchs zu verhindern.

Hieraus lässt sich aber schließen, dass der Anspruch zwar verfällt, wenn er nicht innerhalb des Zweimonatszeitraums gerichtlich geltend gemacht wird, dass aber andererseits der Verfall eines Anspruchs dann nicht möglich ist, wenn der Anspruch ohnehin nicht mehr besteht. Soweit also die Aufrechnung durchgeführt wird, welche letzten Endes zum Erlöschen des Anspruchs durch Erfüllung führt, § 389 BGB, ist ein Verfall des Anspruchs schon aus diesem Grund nicht möglich. Insoweit spricht der Wortlaut von § 24 MTV eher dafür, dass die Aufrechnung möglich bleibt. Denn die zweite Stufe der Ausschlussfrist setzt lediglich voraus, dass der Anspruch noch existiert. Nur ein noch vorhandener, also nicht bereits anderweitig erloschener, Anspruch verfällt, wenn er nicht entsprechend geltend gemacht wird. Ein Verbot andererseits, das Erlöschen des Anspruchs anderweitig herbeizuführen, kann § 24 Ziff. 2 MTV nicht entnommen werden.

Insoweit hat das Gericht es auch nicht für erforderlich gesehen, eine Tarifauskunft einzuholen, da schon nicht erkennbar ist, wie etwa ein anderweitiger Wille der Tarifvertragsparteien in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hätte.

Auch nach dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen ergibt sich keine anderweitige Auslegung. Aus der Zweistufigkeit der Ausschlussfrist, mit der ersten Stufe der Geltendmachung und einer etwaigen anschließenden Pflicht zur gerichtlichen Geltendmachung um das Verfallen eines Anspruchs zu verhindern, ergibt sich nicht zwingend, dass eine anderweitige Beilegung des Streits etwa durch anderweitige Realisierung des Anspruchs dadurch verhindert werden soll. Im Gegenteil sprechen gerade Sinn und Zweck der Ausschlussfristen, möglichst schnell eine Regelung, Befriedung und Klarheit herbeizuführen, dafür, dass die Verschaffung der Klarheit etwa durch Aufrechnung bestehen bleiben soll. Die beiden Ebenen einer zweistufigen Verfallsklausel bezwecken den Sinn, auf der ersten Ebene dahingehend, dass der Schuldner in Kenntnis gesetzt werden soll, dass noch etwaige Ansprüche offen sind, wohingegen mit der zweiten Stufe Druck auf den Gläubiger ausgeübt werden soll, endgültig Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen zu schaffen. Wenn eine Ausschlussfrist noch nicht abgelaufen ist und der Anspruch daher noch nicht verfallen ist, kann der Gläubiger den Anspruch auch durch Aufrechnung zum Erlöschen bringen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufrechnung im Unterschied zur Geltendmachung, bei der lediglich der Anspruch noch als solcher gegenüber dem Schuldner als bestehend behauptet wird, bereits zum Erlöschen der Forderung durch Erfüllung führt. Die Aufrechnung ist daher auf eine gänzlich andere Rechtsfolge gerichtet. Sie vernichtet den Anspruch zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch nicht verfallen ist. Ob später die Ausschlussfrist abläuft, ist daher ohne Bedeutung. Mit dem Sinn und Zweck der Ausschlussfrist, möglichst schnell Klarheit zu erlangen, wäre ein Aufrechnungsverbot nicht zu vereinbaren, da dies letztlich dazu führen würde, dass jede Auseinandersetzung über Ansprüche in ein Gerichtsverfahren münden würde (vgl. entsprechend auch zu arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen: Matthiessen, Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen, Seite 322 f.; Weyand Ausschlussfristen im Tarifrecht, Kap. 6 Rn. 7). Denn der Sinn und Zweck der Ausschlussfristen besteht letztlich darin, innerhalb relativ kurzer Zeit Klarheit darüber herbeizuführen, ob der Gläubiger einen entsprechenden Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend machen wird. Wie die Entscheidung des LAG Düsseldorf (10 Sa 430/14) vom 15.08.2014, auf die die klägerische Seite Bezug genommen hat, darlegt, sollen die zweistufigen Ausschlussfristen gerade dazu führen, dass der Schuldner zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem gerichtlich geltend gemachten Anspruch gezwungen werden soll, er soll dabei gerade auch seine Einwendungen und Gegenrechte überdenken und somit seine prozessuale und materiell-rechtliche Verteidigung prüfen (vgl. BAG, Urteil v. 10.05.1995 - 10 AZR 590/94). Durch die Frist soll der Schuldner, möglicherweise auch der Gläubiger, zu einer eindeutigen Positionierung gezwungen werden. Dieser Zweck wird aber auch durch die Aufrechnung erreicht, weil der Gläubiger hierdurch letzten Endes zu erkennen gibt, dass er von der Berechtigung seines Anspruchs ausgeht, andererseits aufgrund der durchgeführten Aufrechnung letztlich der Schuldner gezwungen wird, zu überlegen, ob er seinerseits den Anspruch, der durch die Aufrechnung erloschen ist, nunmehr geltend machen will, oder nicht. Insofern führt die Aufrechnung sogar zu einem schnelleren Vorgehen, gerade weil auch hierdurch die Forderung erfüllt werden kann, als die gerichtliche Geltendmachung, die unter Umständen zu einem langjährigen Rechtsstreit und Auseinandersetzungen führt.

Schließlich stünde auch dem Arbeitnehmer bei Bestehen entsprechender Ansprüche die Möglichkeit einer Aufrechnung gegen den Arbeitgeber zu.

Da somit ein Aufrechnungsausschluss auch aus der Auslegung und der Sinnhaftigkeit einer solcher Regelung nicht zu erkennen ist, war die erfolgte Aufrechnung wirksam.

Wie zu Recht auch das LAG Köln (Urteil v. 03.09.2004 - 4 (9) Sa 1338/03) entschieden hat, kann auch die zweistufige Ausschlussfrist nicht dazu führen, dass etwa noch nach erklärter Aufrechnung ein gerichtliches Verfahren eingeleitet werden müsste, da aufgrund des Erlöschens des Anspruchs jegliche gerichtliche Geltendmachung sinnlos wäre.

Da somit auch § 24 Ziffer 2. MTV der Aufrechnung nicht entgegensteht, diese wirksam bleibt, konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

3. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Frage des Entgegenstehens einer zweistufigen Ausschlussfrist in Bezug auf eine erklärte Aufrechnung bei laufenden Ausschlussfristen war die Revision zuzulassen. Insoweit wird auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung verwiesen.

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